IT- und Medienrecht

Dieselskandal: Anspruch des Kunden gegen den Hersteller wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung; Abzug einer Nutzungsentschädigung

Aktenzeichen  1 O 180/17

Datum:
28.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 159421
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826

 

Leitsatz

1. Der Kfz-Hersteller, der ein Fahrzeug bzw. einen Motor mit manipulierter Motorsteuerungssoftware in Verkehr bringt, haftet dem Kunden wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Schadensersatz. (Rn. 13 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Kunde muss sich allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung die Nutzung des Fahrzeuges seit dem Erhalt des Fahrzeuges bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung anrechnen lassen. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.780,03 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.03.2017 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs … Tiguan, Fahrzeug-Identnummer …00.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.03.2017 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 10 %, die Beklagte zu 90 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Das Urteil ist für die Beklagte im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
6. Der Streitwert wird auf 22.118,71 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Passau gemäß den §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 29 ZPO i.V.m. § 269 BGB örtlich zuständig.
II.
Die Klage ist überwiegend begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges gemäß § 826 BGB i.V.m. 31 BGB analog. Mithin ist von einer gegen die guten Sitten verstoßenden, vorsätzlichen Schadenszufügung durch die Beklagte auszugehen:
1. Die Täuschung der Beklagten gegenüber dem Kläger ist hier in dem Umstand zu sehen, dass die Beklagte diesem ein Fahrzeug verkauft und übereignet hat, ohne Hinweis darauf, dass die Stickoxidgrenzen, welche Grundlage der Typengenehmigung und damit mittelbar der Betriebserlaubnis des einzelnen Fahrzeuges sind, nur mit Hilfe einer Motorsteuerungssoftware und nur im Prüfzyklus eingehalten werden. Die Beklagte hat dem Kläger demnach ein Kraftfahrzeug verkauft und übereignet, welches hinsichtlich seiner Software eine Beschaffenheit aufweist, welche üblicherweise bei Dieselfahrzeugen nicht zu erwarten ist und auch nicht erwartet werden dürfte (vgl. insoweit LG Hildesheim, Urt. v. 07.01.2017, Az.: 3 O 139/16, Rdnr. 30 f. nach JURIS, sowie LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 84 nach JURIS). Der Umstand, dass bei dem streitgegenständlichen Kraftfahrzeug eine manipulierte Software eingebaut wurde und zum Einsatz kam, ist auch vor dem Hintergrund des § 242 BGB als so gewichtig anzusehen, dass dessen Verschweigen durch die Beklagte als eine Täuschung im Rechtssinne anzusehen ist:
Die Motorsteuerungssoftware war von der Beklagten so programmiert, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einen Prüfstand im neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung in sogenannten Modus 1 versetzte, bei dem eine umfangreichere Abgasrückführung erfolgte, welche ansonsten außer Kraft gesetzt wurde. Mit derartigen Vorgängen innerhalb des Kraftfahrzeuges – nämlich mit einer wirkungsvollen Begrenzung des Schadstoffausstoßes ausschließlich im Prüfzyklus – muss der Käufer jedoch nicht rechnen, weshalb die Täuschung für ihn auch als relevant anzusehen ist. Der Einwand der Beklagten, dass beim normalen Straßenbetrieb eine wirkungsvolle Begrenzung der Schadstoffemissionen erfolge, spielt keine Rolle. Denn es darf gerade keine Differenzierung zwischen dem Straßenbetrieb und den NEFZ erfolgen (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 86 nach JURIS). Auf die begriffliche Differenzierung zwischen einer Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem und einer Einwirkung auf einen innermotorischen Vorgang kommt es nicht an. Die Verringerung der Wirkung von Emissionskontrollsystemen beinhaltet als unzulässige Abschalteinrichtung einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (EURO 5 und EURO 6). Dass die Verringerung der Wirkung der Schadstoffbegrenzung zum Schutz des Motors notwendig sei, macht die Beklagte nicht geltend. Es kommt daher auch nicht darauf an, dass die Abgaswerte nur im Prüfzyklus zur Erlangung der Typengenehmigung eingehalten werden. Denn ein Fahren im Prüfmodus ist im normalen und üblichen Straßenverkehr allenfalls selten bis ausgeschlossen und kann somit auch keinen Schutzmechanismus in sich tragen (vgl. auch LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 87). Geben die Pflichtangaben zum Schadstoffausstoß im Prüfzyklus unabhängig vom jeweiligen Nutzungsverhalten kein reales Abbild wider, weil der Abgasausstoiß während der üblichen Nutzung anders behandelt wird als im Prüfmodus, wird der Käufer daran gehindert, den Schadstoffausstoß von Kraftfahrzeugen der jeweiligen Hersteller untereinander zu vergleichen und zu bewerten. Deshalb muss eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.7.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 88, LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az.: 3 O 139/16 Rdnr. 33, LG Karlsruhe, Urt. v. 22.03.2017, Az.: 4 O 118/16, Rdnr. 56 nach JURIS).
Dessen ungeachtet muss der Kläger es auch nicht hinnehmen, von der Beklagten mit einem Kaufgut bedient zu werden, welches dem üblichen und rechtlich regelmäßigen Standards nicht entspricht, worüber die Beklagte auch nicht aufgeklärt hatte. Es geht also nicht nur um eine bloße Täuschung des Kraftfahrzeugbundesamtes im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens – vielmehr ist hier der Kläger selbst bei Abschluss des Kaufvertrages über wesentliche Faktoren der Kaufsache durch die Beklagte getäuscht worden.
Es kann daher auch dahin stehen, ob die Manipulation der Beklagten gegen das Verbot der Inverkehrgabe und den Handel ohne gültige Bescheinigung nach § 27 Abs. 1 EG-FGV oder gegen die Pflicht zur Erteilung einer gültigen Bescheinigung gemäß § 6 Abs. 1 EG-FGV verstößt (vgl. Näheres dazu LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16 Rdnr. 89 nach JURIS), zumal dieser Aspekt für die Bewertung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB nicht von Relevanz sind.
2. Die dargelegte Täuschung muss sich die Beklagte auch anlasten lassen, zumal der Motor von ihr entwickelt wurde und zum Einbau in die Dieselfahrzeuge des Konzerns vorgesehen war. Die schädigende Handlung ist den verantwortlichen Organen der Beklagten zu 2) zuzurechnen. Insofern ergibt sich eine Haftung der juristischen Person aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB für das Handeln ihrer Organe (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15 Rdnr. 13, 27, LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 91 nach JURIS). Gemäß § 31 BGB analog haftet die Beklagte für das deliktische Handeln solcher Personen, bei welchen es sich um ein Vorstandsmitglied oder einen anderen verfassungmäßig berufenen Vertreter handelt (vgl. LG München, Urt. v. 15.11.2016, Az.: 12 O 1482/16, Rdnr. 103 nach JURIS). Zwar konnte der Kläger nicht substantiiert vortragen, dass konkret eines der Mitglieder des Vorstandes oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten eine Täuschungshandlung ihm gegenüber vorgenommen hat oder ihm ein Unterlassen zur Last legen. Insofern hat der Kläger durch sein Berufen auf Medienberichte die dahingehende Behauptung mehr oder weniger ins Blaue aufgestellt. Allerdings konnte der Kläger auch die Handlung weder nach Inhalt, Zeitpunkt der Vornahme oder Tatort hinreichend beschreiben bzw. ein Unterlassen präzisieren (vgl. insofern auch LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 94, LG München, Urt. v. 15.11.2016, Az.: 12 O 1482/16, Rdnr. 104 nach JURIS).
Dem Kläger ist auch ein weitergehender Vortrag nicht abzuverlangen, zumal es sich insofern um Tatsachen handelt, welche seinem Kenntnisbereich entzogen sind, da es sich ausschließlich um den Organisations- und Kenntnisbereich der Beklagten handelt. Weil dem Kläger die Einblicke in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten verwehrt sind, ist dieser auf die medialen Veröffentlichungen und die entsprechenden Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Insoweit hat er ausreichenden Vortrag erbracht (vgl. LG Hildesheim, Urt. v. 14.01.2017, Az.: 3 O 139/16, Rdnr. 38 nach JURIS).
Soweit die Beklagte vorträgt, der Kläger hätte wenigstens substantiiert vortragen müssen, dass die Täuschungshandlungen durch Ingenieure der Beklagten verübt worden seien, ist dieser Einwand unbeachtlich: Denn zum einen sei darauf verwiesen, dass die zahlreichen anhängigen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Rückabwicklung von software-manipulierten Kraftfahrzeugen im Hinblick auf den wechselseitigen Vortrag der jeweiligen Kläger wie der Beklagten längst formelhaft geführt werden und immer auf die gleichbleibenden Argumente wie Gegenargumente gestützt werden. Der Umstand, dass die Täuschungshandlungen wenigstens auf Mitarbeiterebene stattgefunden haben, muss daher in diesem konkreten Verfahren vom Kläger nicht mehr präzise vorgetragen werden, zumal er als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden kann. Insbesondere hat die Beklagte selbst in ihrer Klageerwiderung vom 06.04.2017 – bei Gericht eingegangen am 10.04.2017 – vorgetragen, dass nach derzeitigem Ermittlungsstand die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene aus nachgeordneten Arbeitsebenen getroffen worden seien. Damit hat sie selbst diesen entsprechenden Vortrag in das Verfahren eingeführt und muss er dem Kläger nicht mehr abverlangt werden.
In rechtlicher Hinsicht vermag dieser Beklagteneinwand i.Ü. die Haftung aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog auch nicht auszuschließen: Insofern kann sich die Beklagte nicht darauf zurückziehen, dass die entsprechenden Vorgänge auf nachgeordneter Arbeitsebene erfolgt seien, da die kriminelle Machenschaften innerhalb ihrer Organisation professionell gepflegt und betrieben wurden – und zwar im Hinblick auf das Zustandekommen des konkreten Kaufvertrages mit dem Kläger auch erfolgreich – unter dem Firmensiegel der Beklagten.
Die Beklagte trifft bezüglich der Frage, welches ihrer Organe Kenntnisse von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und den Verkauf der entsprechend ausgerüsteten Motoren veranlasst hatte, überdies eine sekundäre Darlegungslast. Der Gegner der primär darlegungspflichtigen Partei darf sich in diesen Fällen nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (vgl. BGHZ 140, 156, 158 f., LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 95, LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, 3 O 139/16, Rdnr. 37, LG Kleve, Urt. v. 31.03.2017, Az.: 3 O 252/16, Rdnr. 85 nach JURIS). Da es sich folglich um Umstände aus dem Beklagtenbereich handelt, für welche diese eine sekundäre Darlegungslast trifft, ist es dem Kläger auch nicht anzulasten, dass er seine Behauptung nicht konkreter fassen kann (vgl. LG Karlsruhe, Urt. v. 22.03.2017, Az.: 4 O 118/16, Rdnr. 57 nach JURIS). Eine sekundäre Darlegungslast erfordert, dass es der darlegungs- und beweisbelasteten Partei nicht möglich ist oder unzumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.2015, Az.: VI ZR 343/13, BGH, Urt. v. 22.10.2014, Az.: VIII ZR 41/14, LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 95 nach JURIS). Die Beklagte hätte demnach die Anzahl der Vorstandsmitglieder und verfassungsmäßig berufenen Vertreter für den maßgeblichen Zeitraum, in welchem die Entscheidungen für die Entwicklung des streitigen Motors – respektive mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software – getroffen worden sind sowie die internen Entscheidungsabläufe und Kenntnisse offenlegen können. In der Folge hätte dann der Kläger weitergehende Darlegungen zu diesen Personen des Wissensinhabers und entsprechende Beweisantritte vornehmen können und müssen. Es fehlen jedoch substantiierte Darlegungen der Beklagten zu den Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in ihren Entscheidungsprozessen (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 97, LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az.: 3 O 139/16, Rdnr. 55 nach JURIS).
3. Das Verhalten der Beklagten ist auch als sittenwidrig zu werten:
Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung dann, wenn sie nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Werten der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (ständige Rechtsprechung seit RGZ 48, 114, 124, BGH, Urt. v. 03.12.2013, Az.: XI ZR 295/12 in NJW 2014, 1098). Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen, wobei ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen ist. Besonders strenge Anschauungen sind ebenso wenig wie besonders laxe Auffassungen zu beachten. Zu der objektiven Sittenwidrigkeit muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, welche sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl. Palandt/Sprau, § 826 Rdnr. 4). Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu bewerten: Bei dem Einbau der manipulierten Software und dem anschließenden Verkauf des mit dieser Software belasteten, streitgegenständlichen Kraftfahrzeuges handelt es sich um ein planmäßiges Vorgehen zumindest gegen den Kläger selbst. Insofern gilt, dass bereits die bewusste Täuschung zur Herbeiführung eines Vertragsschlusses regelmäßig die Sittenwidrigkeit begründet (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.2004, Az.: VI ZR 306/03, BGHZ 161, 361-371, Rdnr. 13 nach JURIS). Hiervon ist im vorliegenden Fall auszugehen, da die Beklagte, welche sich die Kenntnis um die Manipulationen gem. § 31 BGB analog zurechnen lassen muss, bewusst und willentlich dem Kläger ohne entsprechende Aufklärung ein manipuliertes Kraftfahrzeug zum Kauf angeboten und dann den Kaufvertrag geschlossen hat.
4. Der Kläger hat durch den Abschluss des Kaufvertrages über das manipulierte Kraftfahrzeug einen vorsätzlichen Vermögensschaden im Sinn des § 249 BGB erlitten:
Die Rückabwicklung des Kaufvertrages erfolgt demnach als zu leistender Schadensersatz im Wege der Naturalrestituion gemäß § 249 BGB (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 109 nach JURIS m.w.N.). Insbesondere hat der Kläger auch einen Schaden im Sinn des § 826 BGB erlitten, dadurch, dass er von der Beklagten ein Fahrzeug erworben hat, welches nicht den gesetzlichen Anforderungen und den üblicherweise an Kraftfahrzeuge der gleichen Art und Güte zu stellenden Maßstäben entsprach, und dadurch einen wirtschaftlichen Nachteil, mithin einen Schaden erlitten. Ein Fahrzeug mit nicht gesetzeskonformer Software ist als nachteilig anzusehen, zumal es sich nicht um ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug handelt (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 111, LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az.: 3 O 139/16, Rdnr. 32 nach JURIS, LG Offenburg, Urt. v. 12.05.2017, Az.: 6 O 119/16, Rdnr. 36 nach JURIS).
Eine Haftung aus § 826 BGB ist auch nicht deshalb abzulehnen, weil Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht den Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen dient: Eine derartige Problematik kann im vorliegenden Fall dahinstehen, zumal der Kläger mit der Beklagten einen für ihn ungünstigen Kaufvertrag abgeschlossen hat. Denn die Beklagte kann nicht allen Ernstes vortragen wollen, dass die Käufer eines Kraftfahrzeuges mit manipulierter Einrichtung wirtschaftlich genauso stehen, wie die Käufer einer Kaufsache, welche allen ordnungsgemäßen Anforderungen hinsichtlich ihrer Eigenschaften entspricht – gleichgültig, welche Verlautbarungen das Kraftfahrzeugbundesamt auch trifft, welches immerhin über die zivilrechtlichen Fragen von üblicher Beschaffenheit und wirtschaftlicher Bewertung eines mit einem Mangel behafteten Kaufgutes keine positiven Bescheinigungen auszustellen vermag.
Der unterlassene Hinweis auf die entsprechende Motorsteuerung bei Abschluss des Kaufvertrages war für den Fahrzeugerwerb auch kausal. Insoweit gilt zugunsten des Klägers eine Vermutung, bei konkretem Aufklärungsverhalten wäre es nicht zum Vertragsschluss gekommen. Diese Vermutung ist nämlich nicht nur auf den Bereich der Anlagehaftung beschränkt. Insbesondere bei einem täuschenden bzw. manipulativen Verhalten genügt es für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 113, BGH, Urt. v. 12.05.1995, Az.: V ZR 34/94 in NJW 1995, 2361). Die Behauptung des Käufers, er hätte das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, hätte er um die Software-Manipulationen gewusst, ist nachvollziehbar, so dass es auch unerheblich ist, ob im konkreten Verkaufsgespräch mit der Beklagten über den Schadstoffausstoß gesprochen wurde (vgl. LG Kleve, Urt. v. 31.03.2017, Az.: 3 O 252/16, Rdnr. 80 nach JURIS). Das bloße Bestreiten der Beklagten ist daher in dieser Hinsicht ohne Relevanz (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 113, LG Karlsruhe, Urt. v. 22.03.2017, Az.: 4 O 118/16, Rdnr. 58 nach JURIS).
Die Beklagte hat dem Kläger durch Abschluss und Vollzug des Kaufvertrages den dargelegten Schaden auch vorsätzlich zugefügt: Maßgeblich ist in subjektiver Hinsicht nicht das Bewusstsein einer Sittenwidrigkeit; ausreichend ist bereits die Kenntnis um die sie begründenden Umstände (Palandt/Sprau, § 826 Rdnr. 8). Eine solche des Vorstands der Beklagten ist zu bejahen, da das Bestreiten der Kenntnis ihrer vertretungsberechtigten Organe unerheblich ist (vgl. Obige Ausführungen; LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 114, LG Offenburg, Urt. v. 12.05.2017, Az.: 6 O 119/16, Rdnr. 47 nach JURIS). Aufgrund der Art der vorbeschriebenen Manipulation und der Zielrichtung der Einwirkung ist zumindest von einem bedingten Vorsatz der Beklagten auszugehen. Denn für den Vorstand der Beklagten war aufgrund der anzunehmenden Kenntnis vom Einbau der Software zwingend ersichtlich, dass Kunden – wie der Kläger – Fahrzeuge erwerben würden, welche nicht deren Vorstellungen von einem ordnungsgemäßen Betrieb entsprechend den gesetzlichen Vorgaben sowie den Vorstellungen an die übliche Beschaffenheit eines Dieselkraftfahrzeuges entsprachen.
Die sich daraus ergebende Schädigung des Klägers hat die Beklagte billigend in Kauf genommen: Denn es widerspricht der Lebenserfahrung, eine derartige Software zu entwickeln, in die Kraftfahrzeuge einzubauen und im Anschluss mit dem hier streitgegenständlichen Kraftfahrzeug zu verkaufen, ohne damit eine Beeinträchtigung der Erwerber zu billigen, welche das Fahrzeug bestimmungsgemäß verwenden (vgl. hierzu auch LG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2017, Az.: 13 O 174/16, Rdnr. 115, LG Hildesheim, Urt. v. 07.01.2017, Az.: 3 O 139/16, Rdnr. 40 nach JURIS).
Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung muss sich der Kläger bei der Schadensbemessung aber die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen und das Fahrzeug herausgeben. Insofern hat der Kläger während der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2017 über einen Freund der Familie, Herrn P., den aktuellen Tachostand des streitgegenständlichen Kraftfahrzeuges abgerufen und mit vorgezeigten Lichtbildern gegenüber dem Gericht belegt. Demzufolge betrug der aktuelle Tachostand zum Schluss der mündlichen Verhandlung 123.832 Kilometer. Somit errechnet sich der dem Kläger anzurechnende Gebrauchsvorteil wie folgt:
33.683,81 Euro (Kaufpreis) × 123.832 Kilometer (aktueller Tachostand zum Schluss der mündlichen Verhandlung) : 300.000 Kilometer (Gesamtfahrleistung) = 13.903,78 Euro.
Diesen Betrag muss sich der Kläger bei der Rückerstattung seines Kaufpreises abziehen lassen, so dass sich ein Gesamtbetrag von 19.780,03 Euro und nicht mehr wie klageweise geltend gemacht von 21.559,92 Euro ergibt.
5. Für die Frage des Schadensersatzes ist i.Ü. der Einwand der Beklagten, ihr sei zur Mangelbeseitigung keine Nachfrist gesetzt worden bzw. diese sei mit äußerst geringem Zeit- und Geldaufwand zu bewerkstelligen, nicht von Relevanz, zumal § 826 BGB keinerlei Vorgaben für eine potentielle Nacherfüllung kennt, welche einer Schadensersatzpflicht vorangestellt wäre.“
III.
Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind von der Beklagten ebenfalls auf der Grundlage der §§ 826, 249 Abs. 1 BGB zu erstatten und bemessen sich aus einem Gegenstandswert von 22.118,71 Euro, da zum Zeitpunkt, als der klägerische Rechtsanwalt die klägerischen Ansprüche gegenüber der Beklagten vorbrachte, noch von einem anzurechnenden Gebrauchsvorteil in Höhe von 12.013,89 Euro auf Basis von 107.000 zurückgelegten Kilometern auszugehen war.
IV.
Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich spätestens mit Klageerhebung und Stellung des klageabweisenden Antrages in Annahmeverzug gemäß den §§ 293 ff. BGB.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
VI.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
VII.
Der Streitwert wird entsprechend dem Klageantrag auf 22.118,71 Euro festgesetzt. Für die Festsetzung des Streitwertes ist der Feststellungsantrag gerichtet auf Annahmeverzug gemäß Ziffer II des Klageantrages nicht von Relevanz, da er lediglich vollstreckungsrechtlich bedeutsam ist (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 04.03.2009, Az.: 4 O 104/08, Rdnr. 68 nach JURIS).


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