IT- und Medienrecht

Dieselskandal – Keine sittenwidrige Schädigung nach adhoc-Mitteilung

Aktenzeichen  3 U 416/19

Datum:
19.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33353
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EG-FGV § 6, § 27
BGB § 823 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

Weil der Fahrzeughersteller die unzulässige Abschalteinrichtung öffentlich gemacht und sich mit deren Aufarbeitung befasst hat, liegt jedenfalls ab diesem Zeitpunkt kein verwerfliches sittenwidriges Schädigungshandeln der Beklagten vor, und zwar schon objektiv, ohne dass es insoweit auf eine Kenntnis des Klägers ankommt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

72 O 2130/18 2019-11-12 Endurteil LGWUERZBURG LG Würzburg

Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 12.11.2019 im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
II. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 11.03.2020.

Gründe

I.
Der Kläger nimmt die Beklagte nach Deliktsgrundsätzen auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf eines Fahrzeugs mit einem Dieselmotor in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 13.05.2016 von der Firma A., …, einen gebrauchten Pkw T., der mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet ist, zu einem Kaufpreis von 27.100,- Euro. Das Fahrzeug war mit einer Software ausgerüstet, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduzierte. Im Rahmen einer angeordneten Rückrufaktion wurde bei dem Pkw ein Software-Update durchgeführt.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs habe keine Täuschung seitens der Beklagten vorgelegen. Der Kläger habe ferner einen Schaden nicht schlüssig dargelegt. Für einen Anspruch aus § 826 BGB fehle es an einer vorsätzlichen, sittenwidrigen Schadenszuführung. Ein Anspruch ergebe sich schließlich nicht aus § 823 II BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er trägt im Wesentlichen vor, die Beklagte habe getäuscht und ihm sei unbekannt gewesen, dass sein Fahrzeug von dem Abgasskandal betroffen gewesen sei. Es sei „davon auszugehen“, dass er sich über die Gesetzeskonformität der Motorsteuerungssoftware sowie über die Schadstoffwerte geirrt habe (Berufungsbegründung S. 4).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze einschließlich Anlagen Bezug genommen.
II.
Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet mit der Folge, dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO bietet. Zu Recht und auch mit in jeder Hinsicht überzeugenden Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt daher zunächst auf die zutreffenden Feststellungen im Ersturteil Bezug, die durch das Berufungsvorbringen auch nicht entkräftet werden. Zu den Berufungsangriffen sind lediglich die folgenden Anmerkungen veranlasst:
1. Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung liegen in der vorliegenden Fallkonstellation, in der der Kaufvertrag am 03.08.2016 und damit über ein Jahr nach Bekanntwerden des sog. „Dieselskandals“ am 22.09.2015 geschlossen wurde, nicht vor.
a) Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses hatte die Beklagte – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – die Tatsache öffentlich bekannt gemacht, dass in von ihr hergestellten Fahrzeugen mit bestimmten Dieselmotoren eine Software eingebaut wurde, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduzierte. Dies geschah senatsbekannt nicht nur über die am 22.09.2015 veröffentlichte adhoc-Mitteilung, sondern auch im Rahmen einer Pressekonferenz durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten. Gerade dort räumte die Beklagte ein „Fehlverhalten“ ein und bezeichnete die Verwendung der Software als „Manipulation“. Hierbei wurde deutlich gemacht, dass die Software nicht nur in Fahrzeugen der Beklagten, sondern auch in Fahrzeugen des gesamten Konzerns Verwendung gefunden hatte. Senatsbekannt ist weiter, dass die Beklagte in nachfolgenden Pressemitteilungen vom 25.11.2015 und 16.12.2015 mitteilte, dass die Aufarbeitung und Lösung der Diesel-Thematik voranschreite bzw. dass sie dem KBA die konkreten technischen Maßnahmen für die betroffenen EA189-Motoren vorgestellt und dass das KBA nach intensiven Prüfungen alle Maßnahmen vollumfänglich bestätigt habe; zugleich wurde mitgeteilt, dass mit der vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Rückrufaktion begonnen werde (siehe hierzu OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 27.05.2019 – 7 U 335/18 Rn. 24). Im Übrigen hat es die Beklagte durch die Einrichtung einer Internetseite jedermann ermöglicht, sich darüber zu informieren, ob sein Fahrzeug mit der streitgegenständlichen Software ausgerüstet ist. Dies war gerade für Fahrzeuge, die nicht von der Beklagten unter ihrem Namen hergestellt worden waren, ein einfaches und ausreichendes Hilfsmittel.
Weil die Beklagte die vorbezeichneten Tatsachen öffentlich gemacht und sich mit deren Aufarbeitung befasst hat, liegt jedenfalls ab diesem Zeitpunkt kein verwerfliches sittenwidriges Schädigungshandeln der Beklagten vor, und zwar schon objektiv, ohne dass es insoweit auf eine Kenntnis des Klägers ankommt (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 08. Oktober 2019, 6 U 30/19; OLG Celle a.a.O.; OLG Oldenburg, Urteil vom 26.11.2019 – 13 U 33/19; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 13.11.2019 – 13 U 274/18 OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019 – 10 U 338/19).
b) Ab dem Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung der Beklagten ist auch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten zu verneinen. Denn die Beklagte konnte und durfte angesichts der Tatsache, dass das Thema der den Stickoxidausstoß manipulierenden Software monatelang ständig die Nachrichten in allen Arten von Medien beherrscht hat, davon ausgehen, dass potentiellen Käufern ihrer Dieselautos die Thematik geläufig war (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29. April 2019, 7 U 159/19; OLG Oldenburg, Beschluss vom 4. März 2019, 13 U 10/19; OLG München, Beschluss vom 16. April 2019, 19 U 4356/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. August 2018, 25 U 72/18; OLG Köln, Urteil vom 16. Mai 2019).
c) Schließlich hat der Kläger auch den ihm obliegenden Nachweis eines Zusammenhangs zwischen einem sittenwidrigen vorsätzlichen Handeln der Beklagten und dem Kaufvertragsabschluss nicht geführt.
Der Kläger hat schon nicht hinreichend dargelegt, weshalb er trotz der umfangreichen Berichterstattung in den Medien nichts davon gewusst haben will, dass in seinem Fahrzeug möglicherweise eine Steuerungssoftware verbaut worden war. Denn der Kläger wusste, dass er ein Fahrzeug der Beklagten mit Dieselmotor erwirbt. Angesichts des Ausmaßes der Medienberichterstattung kann dem Kläger nicht entgangen sein, dass die Beklagte in Fahrzeugen mit bestimmten Dieselmotoren eine Steuerungssoftware verwendete. Nach wie vor entbehrt der diesbezügliche Klägervortrag jedweder Substanz.
Dass der Kläger unter diesen Umständen beim Kauf keine näheren Nachforschungen bzw. Erkundigungen getätigt hat, zeigt deshalb, dass dieser Umstand für seine Kaufentscheidung nicht relevant war (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.). Hinzu kommt, dass sich der Kläger nach den Feststellungen des Erstgerichts keinerlei Gedanken über die tatsächlich vorliegenden Stickoxidwerte betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug gemacht und nicht dargelegt hat, dass er sich vor der Kaufentscheidung mit Prospekten des Herstellers befasst hat.
2. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV besteht ebenfalls nicht. Denn jedenfalls fehlt es auch insoweit an einem Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung eines Schutzgesetzes und dem geltend gemachten Schaden.
Wie dargelegt hatten für einen Käufer in der Lage des Klägers jedenfalls hinreichende Hinweise darauf vorgelegen, dass auch in seinem Fahrzeug eine Steuerungssoftware eingebaut sein und ein solcher Mangel nachteilige Auswirkungen auf die Zulassung des Wagens haben konnte. Wenn er unter diesen Umständen das Fahrzeug gleichwohl erworben hatte, ohne zuvor weitere Erkundigungen eingeholt zu haben, so ist das ohne weiteres ein Beleg dafür, dass die Frage, ob sein Fahrzeug mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen war, für seine Kaufentscheidung keine Rolle gespielt hatte.
3. Auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB ist nicht dargetan. Der Kläger hat im Zusammenhang mit dem vorliegenden Kaufvertrag bereits weder eine irrtumsauslösende Täuschung der Beklagten noch einen Schaden noch dessen Stoffgleichheit mit einem von der Beklagten angestrebten Vermögensvorteil schlüssig dargelegt.
III.
1. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen vor. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder anderer Obergerichte ab. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist geprägt durch die ihr innewohnenden Besonderheiten eines Einzelfalles. Eine Zulassung der Revision wäre im Falle einer Entscheidung durch Urteil nicht geboten.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 4.7.2002, V ZB 16/02, juris Rn. 4; Beschluss vom 4.7.2002, V ZR 75/02, juris Rn. 5; Zöller/Heßler, ZPO, 33. Auflage 2020, § 543 Rn. 11). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Senat befindet sich in Übereinstimmung mit den Entscheidungen all derjenigen OLG-Senate, die für die vorliegende Fallkonstellation und insbesondere für die hier ausgewerteten Verlautbarungen der Beklagten bei und nach Aufdeckung des sogenannten „Dieselskandals“ die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch verneint haben. Die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Hamm vom 10.09.2019 – 13 U 149/18 – ist demgegenüber schon im tatsächlichen Ausgangspunkt nur auf die adhoc-Mitteilung der Beklagten und die Einrichtung der Internetplattform zentriert und beruht schon deshalb aufgrund einer verkürzten Beurteilungsgrundlage.
2. Auch eine mündliche Verhandlung ist nicht veranlasst (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Es ist auszuschließen, dass in einer Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können.
3. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 24.803,58,- Euro abzüglich des Betrages einer schon in der Klageschrift (dort S. 25) angebotenen Nutzungsentschädigung auf der Grundlage eines aktuellen km-Standes von (mindestens) 70.000 km festzusetzen.
Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme des aussichtslosen Rechtsmittels an.


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