IT- und Medienrecht

Erfolgreiche einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung durch ein Generikum (II)

Aktenzeichen  21 O 5583/16

Datum:
24.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2016, 11707
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG PatG § 9 S. 2 Nr. 1, § 139 Abs. 1 S. 1
EPÜ EPÜ Art. 52 Abs. 1, Art. 53c, Art. 54 Abs. 5, Art. 56, Art. 64
ZPO ZPO § 921 S. 2, § 938, § 945

 

Leitsatz

1 Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf Ansprüche aus einem technischen Schutzrecht ist jedenfalls nicht ausschließlich auf solche Fälle beschränkt, in denen der Rechtsbestand des Schutzrechtes eindeutig gesichert erscheint (Fortführung von LG München I BeckRS 2016, 09402; Abweichung zu OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 07679). (redaktioneller Leitsatz)
2 In die im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene Güter- und Interessenabwägung bei Patentstreitigkeiten um Generika kann der Umstand einfließen, dass durch den Markteintritt des Generikaherstellers dem Patentinhaber ein Preisverfall drohen kann, während der mögliche Schaden des Generikaherstellers eher durch Ersatzleistungen auszugleichen ist. Dies gilt auch in dem Falle, in dem eine potentielle Patentverletzung lediglich unter den erweiterten Voraussetzungen der Äquivalenzlehre angenommen werden kann (Fortführung von LG München I BeckRS 2016, 09402).  (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Dringlichkeitsfrist ist grundsätzlich zwischen Erstbegehungsgefahr und Wiederholungsgefahr zu unterscheiden, so dass der Antragsteller grundsätzlich abwarten darf, ob es überhaupt zu einer Verletzung kommt (Fortführung von OLG München Mitt. 1999, 223). (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Rahmen von § 938 ZPO ist dann nicht erforderlich, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen oder konkret vorgetragen sind, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch der unterlegenen Antragsgegnerin nach § 945 ZPO gegenüber der Antragstellerin nicht realisiert werden könnte (Fortsetzung von OLG München BeckRS 2013, 14928). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die einstweilige Verfügung vom 06.04.2016 wird bestätigt.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Gründe

Die einstweilige Verfügung vom 06.04.2016 (Bl. 44/47 d. A.) war zu bestätigen, da die Antragstellerin einen Verfügungsanspruch auf Unterlassung gegen die Antragsgegnerin hat und ein Verfügungsgrund besteht.
I.
Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegnerin ein Verfügungsanspruch auf Unterlassung des Anbietens und Inverkehrbringens der sinnfällig hergerichteten angegriffenen Ausführungsform aus §§ 9 Satz 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 Satz 1 PatG i. V. m. Art. 53 lit. c), 54 Abs. 5, 64 EPÜ zu. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 11 des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 1 313 508 B1 äquivalent.
1. Die durch den deutschen Teil des Europäischen Patents EP 1 313 508 B1 (Anlage HL3, deutsche Übersetzung DE 601 27 970 T2 als Anlage HL3a) unter Schutz gestellte technische Lehre ist aus der Sicht des angesprochenen Durchschnittsfachmanns aus den Merkmalen des hier maßgeblichen Anspruchs 11 im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit unter Heranziehung der Beschreibung zu ermitteln.
a) Maßgeblicher Durchschnittsfachmann ist nach Auffassung der Kammer in Anlehnung an die Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 28.04.2016 (Seite 10, Bl. 126 d. A.) ein Team aus einem Pharmakologen oder Pharmazeuten mit Spezialisierung auf dem Gebiet der Wirkmechanismen von Antifolaten und langjähriger Berufserfahrung in der Erforschung von Antifolaten bei der Behandlung von Krebs sowie einem Mediziner mit Spezialisierung auf dem Gebiet der Onkologie und langjähriger Erfahrung in der chemotherapeutischen Behandlung von Krebspatienten mit Antikrebswirkstoffen wie Antifolaten.
b) Der Gegenstand der Erfindung des Verfügungspatents EP 1 313 508 B1 betrifft im Sinne einer zweiten medizinischen Indikation die Verwendung des Wirkstoffs Pemetrexed in einer Kombinationsbehandlung mit Folsäure und einem Methylmalonsäure verringernden Mittel wie Vitamin B12, durch die die potentiell lebensbedrohlichen Toxizitäten dieses Antifolats verringert werden sollen, ohne dass die tumorhemmende Wirkung des Chemotherapeutikums beeinträchtigt wird (vgl. Teilziffer [0005]).
(1) Im Stand der Technik war die Behandlung von Tumorerkrankungen mit Antifolaten seit den 1940er Jahren bekannt, als der erste Wirkstoff dieser Klasse, Aminopterin, klinische Aktivität gezeigt hat. Sie sind seitdem eine der am besten untersuchten Klassen von antineoplastischen Mitteln, wobei ihre Wirkung darauf beruht, einen oder mehrere Folatbenötigende Schlüsselenzyme der Tymidin- und Purinbiosynthesewege zu hemmen, indem sie mit reduziertem Folat um die Bindung dieser Enzyme konkurrieren und damit letztlich den Tod der Zelle herbeiführen (vgl. Teilziffer [0002]).
Eine erhebliche Beschränkung bei der Entwicklung dieser Arzneimittel sind deren cytotoxische Aktivität und die damit einhergehenden Toxizitäten für den behandelten Patienten, die mit einem hohen Mortalitätsrisiko verbunden sind. Die Unfähigkeit, diese Toxizitäten trotz einiger bekannter Interventionsmöglichkeiten zu kontrollieren, führte zum Ausschluss der klinischen Entwicklung einiger Antifolate und hat die Entwicklung von anderen verkompliziert (Teilziffern [0003] und [0001]). Die Toxizitäten blieben eine ernste Besorgnis bei der Entwicklung von Antifolaten als pharmazeutische Arzneimittel.
(2) Davon ausgehend ist es die Aufgabe der verfügungspatentgemäßen Erfindung, die durch die potentiell lebensbedrohlichen Toxizitäten verbliebene Limitierung bei der optimalen Verabreichung von Antifolaten zu überwinden (Teilziffer [0001]) und bestimmte toxische Effekte, wie Mortalität und nichthämatologische Ereignisse, wie Hautausschläge und Müdigkeit, signifikant zu reduzieren, ohne die therapeutische Wirksamkeit des Antifolats nachteilig zu beeinflussen (Teilziffer [0005]).
(3) Gegenstand der Erfindung ist daher die Verwendung des Antifolats Pemetrexed als Pemetrexeddinatrium zur Herstellung eines Arzneimittels zur Verbesserung der therapeutischen Brauchbarkeit durch die Verabreichung eines Methylmalonsäure verringernden Mittels wie Vitamin B12. Erhöhte Spiegel an Methylmalonsäure sind ein Vorläufer von toxischen Ereignissen bei Patienten, die ein Antifolatarzneimittel erhalten, wobei die Behandlung der erhöhten Methylmalonsäure, wie die Behandlung mit Vitamin B12, die Mortalität und die nichthämatologischen Ereignisse, wie Hautausschläge und Müdigkeitsereignisse, die im Stand der Technik mit Antifolatarzneimitteln assoziiert waren, verringert. Neben Vitamin B12 können auch pharmazeutische Derivate davon als Methylmalonsäure verringernde Mittel ausgewählt werden (Teilziffern [0005] und [0010]).
Zusätzlich hat die Erfindung die Kombination der Methylmalonsäure verringernden Mittel wie Vitamin B12 mit Folsäure zum Gegenstand, die synergistisch die toxischen Ereignisse verringert. Anders als bei der aus dem Stand der Technik bekannten Kombination dieser beiden Stoffe zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse bewirkt deren kombinierte Verwendung gemeinsam mit dem Antifolat erfindungsgemäß eine Behandlung der Toxizität, die bislang mit der Gabe des Antifolats Pemetrexed assoziiert war (Teilziffern [0006] und [0010]).
Vom Antifolat Pemetrexed wird dabei eine wirksame Menge verabreicht (Teilziffern [0007] und [0010]), die eine Hemmung des Tumorwachstums bewirkt (Teilziffer [0014]), wobei sich der Begriff der Hemmung auf die Verhinderung, Linderung, Besserung, das Anhalten, das Zurückdrängen, die Verlangsamung oder die Umkehr der Progression oder die Verringerung des Tumorwachstums bezieht (Teilziffern [0017] und [0018]).
Pemetrexed wird in der Salzform als Pemetrexeddinatrium verwandt. Insoweit lässt sich nicht argumentieren, dass unter Anspruch 11 im Sinne einer funktionsorientierten Auslegung alle sonstigen Formen von Pemetrexed fallen, die z. B. aufgrund ihrer Dissoziation bei der Verabreichung nur noch als Pemetrexed-Ion vorliegen und in gleicher Weise wie Pemetrexeddinatrium im Ergebnis die Hemmung des Tumorwachstums bewirken sowie ohne Wirkungsverlust zur Nebenwirkungsreduktion mit Vitamin B12 und Folsäure kombinierbar sind. Bei dem in Anspruch 11 genannten Pemetrexeddinatrium handelt es sich um eine klar definierte chemische Substanz mit einer für den Fachmann klaren Struktur- und Summenformel, also um ein im patentrechtlichen Sinne räumlichkörperlich definiertes Merkmal. Eine funktionale Betrachtung darf aber bei räumlichkörperlich definierten Merkmalen nicht dazu führen, dass ihr Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlichkörperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht. Anderenfalls würde die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst, was insbesondere wegen des nur bei letzterer zulässigen Formstein-Einwands problematisch wäre (Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., Rn. A, 48).
Maßgeblich den Gegenstand der Erfindung bestimmt im Ergebnis die Erkenntnis, dass die Kombination von Pemetrexeddinatrium mit einem Methylmalonsäure verringernden Mittel wie Vitamin B12 oder einem pharmazeutischen Derivat davon in Kombination mit Folsäure die aus dem Stand der Technik bekannten Toxizitäten verringert, ohne die Wirksamkeit des Arzneimittels im Hinblick auf die Hemmung des Tumorwachstums zu beeinträchtigen.
c) Der geltend gemachte Patentanspruch 11 des Verfügungspatents EP 1 313 508 B1 lässt sich im Sinne einer Merkmalsanalyse wie folgt aufgliedern (Anlage HL4):
11.1 Verwendung von Pemetrexeddinatrium zur Herstellung eines Arzneimittels
11.2 zur Verwendung in einer Kombinationstherapie zur Hemmung eines Tumorwachstums bei Säugern,
11.3 worin das Arzneimittel in Kombination mit Vitamin B12 verabreicht werden soll
11.4 und mit Folsäure,
11.5 wobei Vitamin B12 als intramuskuläre Injektion verabreicht werden soll und
11.6 Folsäure oral als eine Tablette verabreicht werden soll.
2. Die genannten Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 11 werden durch die angegriffene Ausführungsform, das sinnfällig hergerichtete Arzneimittel … der Antragsgegnerin, zwar nicht wortsinngemäß, jedoch äquivalent verwirklicht.
a) Wie aus der Fachinformation der angegriffenen Ausführungsform gemäß Anlage HL7 hervorgeht und von der Antragsgegnerin in tatsächlicher Hinsicht nicht bestritten ist, enthält jede Durchstechflasche … den Wirkstoff Pemetrexed in Form von Pemetrexeddisäure in Lösung als Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, die der Behandlung menschlicher Patienten mit Krankheiten wie dem malignen Pleuramesotheliom oder dem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom, die sich durch Tumorwachstum auszeichnen, dient. Enthalten ist weiter Tromethamin (Seite 21, Ziffer 6.1 von Anlage HL7, dort Trometamol genannt). Entsprechend dem Abschnitt „Prämedikation“ auf Seite 2 von Anlage HL7 müssen Patienten, die mit … behandelt werden, zur Reduktion der Toxizität täglich orale Gaben von Folsäure oder Multivitamine mit Folsäure erhalten, wobei die Folsäuregabe sieben Tage vor der ersten Dosis Pemetrexed begonnen und während der Therapie sowie weitere 21 Tage nach der letzten Pemetrexed-Dosis fortgesetzt werden soll. Zudem müssen die Patienten hiernach eine intramuskuläre Injektion Vitamin B12 in der Woche vor der ersten Pemetrexed-Dosis sowie nach jedem dritten Behandlungszyklus erhalten. Weitere Vitamin-B12-Injektionen können am selben Tag wie Pemetrexed gegeben werden.
b) Eine wortsinngemäße Verletzung von Anspruch 11 scheidet aus, da das Merkmal 11.1 nicht wortsinngemäß verwirklicht ist. Wie oben erläutert ist Merkmal 11.1. so auszulegen, dass es die Verwendung der konkreten Salzform Pemetrexeddinatrium zur Herstellung eines Arzneimittels betrifft. Die angegriffene Ausführungsform enthält jedoch Pemetrexeddisäure, nicht Pemetrexeddinatrium.
c) Der geltend gemachte Anspruch 11, insbesondere das hier maßgebliche Merkmal 11.1 ist jedoch äquivalent verwirklicht.
Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige, d. h. äquivalente Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot des Art. 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen (vgl. BGHZ 150, 149, 154 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2007, 959, 961 – Pumpeinrichtung). Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquivalent zu erkennen vermag und damit an dem Gebot des Art. 1 des Auslegungsprotokolls ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (BGH, GRUR 2011, 313 Rn. 35 – Crimpwerkzeug IV; BGH, GRUR 2015, 361, 363 – Kochgefäß).
(1) Die angegriffene Ausführungsform der Antragsgegnerin löst zunächst die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe mit abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln.
Für die Frage der Gleichwirkung ist entscheidend, welche einzelnen Wirkungen die patentgemäßen Merkmale – für sich und insgesamt – zur Lösung der dem Patentanspruch zugrunde liegenden Aufgabe bereitstellen und ob diese Wirkungen bei der angegriffenen Ausführungsform durch andere Mittel erzielt werden. Danach ist es erforderlich, den Patentanspruch darauf zu untersuchen, welche der Wirkungen, die mit seinen Merkmalen erzielt werden können, zur Lösung der zugrunde liegenden Aufgabe patentgemäß zusammenkommen müssen. Diese Gesamtheit repräsentiert die patentierte Lösung und stellt deshalb die für den anzustellenden Vergleich maßgebliche Wirkung dar (BGH, GRUR 2000, 1005, 1006 – Bratgeschirr; BGH, GRUR 2012, 1122, Rn. 19 – Palettenbehälter III). Nur so ist gewährleistet, dass trotz Abwandlung bei einem oder mehreren Merkmalen lediglich solche Ausgestaltungen vom Schutzbereich des Patentanspruchs umfasst werden, bei denen der mit der geschützten Erfindung verfolgte Sinn beibehalten ist. Als gleichwirkend kann eine Ausführungsform nur dann angesehen werden, wenn sie nicht nur im Wesentlichen die Gesamtwirkung der Erfindung erreicht, sondern gerade auch diejenige Wirkung erzielt, die das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal erzielen soll (BGH, GRUR 2012, 1122, Rn. 26 – Palettenbehälter III; BGH, GRUR 2015, 361, 363 – Kochgefäß).
Zur Lösung der Aufgabe der verfügungspatentgemäßen Erfindung, die potentiell lebensbedrohlichen Toxizitäten bei einer Antifolatbehandlung signifikant zu reduzieren, ohne die therapeutische Wirksamkeit des Antifolats nachteilig zu beeinflussen, tragen die Merkmale von Anspruch 11 in ihrer Gesamtheit und Merkmal 11.1 im Einzelnen bei, dass mit Pemetrexeddinatrium ein wirksames Antifolat zur Verfügung gestellt wird, dessen potentiell schwerwiegenden Nebenwirkungen durch die Kombinationstherapie mit intramuskulär injiziertem Vitamin B12 und oral verabreichter Folsäure signifikant und ohne therapeutischen Wirkungsverlust reduziert werden.
Diese Gesamtwirkung der Erfindung und insbesondere die Wirkung des in Merkmal 11.1 vorgesehenen Pemetrexeddinatriums erzielt die bei der angegriffenen Ausführungsform verwandte Pemetrexeddisäure mit Tromethamin ebenfalls. Es ist unstreitig, dass sowohl bei Pemetrexeddinatrium als auch bei der mit Tromethamin verwendeten Pemetrexeddisäure bei der Herstellung des Arzneimittels, also nach Auflösung bzw. in der als Konzentrat vertriebenen Lösung, eine Dissoziierung erfolgt und jeweils das Pemetrexed-Anion vorliegt, das für die therapeutische Wirkung verantwortlich und mit Nebenwirkungen verbunden ist, die erfindungsgemäß in der Kombinationstherapie reduziert werden. Die Gleichwirkung wird dadurch erreicht, dass das therapeutisch wirksame Pemetrexed-Anion bei der Herstellung unabhängig von der Ausgangsform des Präparats immer gleich vorliegt, im Rahmen der technischen Lehre die tumorhemmende Wirkung entfaltet und der wirkungsverlustfreien Nebenwirkungsreduktion mit Folsäure und Vitamin B12 zugänglich ist.
Da die Gleichwirkungsfrage die konkret definierte Erfindungswirkung in Bezug auf die Aufgabe betrifft, verbieten sich weitergehende allgemeine pharmakologische Betrachtungen zu Arzneimitteleigenschaften wie Stabilität und Haltbarkeit, zur Zellaufnahme, deren Geschwindigkeit und Menge, zu Formulierungsfragen oder zu arzneimittelrechtlichen Problemen wie der Abgrenzung zwischen Generika- und Hybridzulassung und deren Voraussetzungen.
(2) Der maßgebliche Durchschnittsfachmann konnte die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln Pemetrexeddisäure und Tromethamin zum Prioritätszeitpunkt ohne erfinderische Überlegungen als gleichwirkend auffinden.
Eine äquivalente Benutzung der unter Schutz gestellten Erfindung kann nur dann vorliegen, wenn der Fachmann die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrundliegenden Problems als gleichwirkend aufzufinden in der Lage war (BGH GRUR 1988, 896, 899 – Ionenanalyse).
Das als Fachmann anzusehende Team aus einem Pharmakologen und einem Onkologen war zum Prioritätszeitpunkt in Kenntnis der Aufgabe der Erfindung in der Lage, Pemetrexeddisäure mit Tromethamin aufzufinden. Da für die Lösung der Aufgabe erforderlich war, ein Pemetrexed-Anion zur Verabreichung an den Patienten im Rahmen der Herstellung eines Arzneimittels zur Verfügung zu stellen, lag es nahe, Tromethamin als alternatives Gegenion zur Salzbildung von Pemetrexed vorzusehen. Wie sich aus dem von der Antragstellerin vorgelegten „Handbook of Pharmaceutical Salts“ von Stahl et al. (Anlage HL18, Seite 324 f.) ergibt, waren zum Prioritätszeitpunkt bereits Tromethaminsalze zugelassen und es handelte sich um eines der zehn am häufigsten eingesetzten Salzbildner. Gleichzeitig war es als Puffer bekannt, der nahe des physiologischen pH-Wertes verwendet wurde (Anlage HL19), so dass es sich bei der Bereitstellung einer Darreichungsform, die nur in verträglicher Weise zur Verabreichung des dissoziierten Pemetrexed-Anions führen sollte, um eine routinemäßige Formulierungstätigkeit handelte.
(3) Schließlich waren die Überlegungen, die der Fachmann anzustellen hatte, um zu der gleichwirkenden Abwandlung einer Verwendung von Pemetrexeddisäure mit Tromethamin zu gelangen, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch 11 unter Schutz gestellten Lehre orientiert, dass er die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen Lehre gleichwertige Lösung in Betracht gezogen hat.
Es ist nicht ausreichend, dass der Fachmann aufgrund seines Fachwissens eine Lehre als technisch sinnvoll und gleichwirkend zu der in den Patentansprüchen formulierten Lehre erkennt, sondern es müssen sich seine Überlegungen, die nicht allein für das abgewandelte Mittel festzustellen sind, an der Patentschrift orientieren. Die angegriffene Ausführungsform muss in ihrer für die Merkmalsverwirklichung relevanten Gesamtheit eine auffindbar gleichwertige Lösung darstellen (BGH GRUR 2007, 959 – Pumpeinrichtung; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., Rn. A, 102).
Wie dargelegt hat die patentgemäße Lehre zum Gegenstand, durch die Kombination von Pemetrexed mit Vitamin B12 und Folsäure die bekannten Toxizitäten der Antifolatbehandlung zu verringern, ohne die Wirksamkeit des Arzneimittels im Hinblick auf die Hemmung des Tumorwachstums zu beeinträchtigen. Die Überlegungen, die der Fachmann anstellte, um Pemetrexeddisäure mit Tromethamin, für die ansonsten unveränderte Verwendung bereitzustellen, waren derart an dieser Lehre orientiert, dass sich die Gesamtheit der Lösung mit Pemetrexeddisäure und Tromethamin als gleichwertig darstellt, weil sie zur Verabreichung eines Pemetrexed-Anions nach Dissoziierung an den Patienten in einer Weise führt, die die Wirksamkeit der Therapie bei ihrem Einsatz in der Vitamin-Kombinationsbehandlung nicht infrage stellt, während die massiven Toxizitäten – so wie es die technische Lehre des Patents erfordert – unverändert reduziert werden.
Der Annahme einer Orientierung am Patentanspruch kann nicht entgegengehalten werden, dass die Patentinhaberin durch ihre Beschränkung auf Pemetrexeddinatrium im Anspruch bei gleichzeitig weiter gefasster Beschreibung, die von Antifolaten als Klasse spricht, im Erteilungsverfahren eine bewusste Auswahlentscheidung getroffen habe, die eine Äquivalenzbetrachtung verbiete.
Für derartige Überlegungen darf aus Rechtssicherheitsgründen nicht auf Unterlagen aus dem Erteilungsverfahren zurückgegriffen werden, aus denen sich Derartiges ergeben soll, oder versucht werden, mitgeteilte Erkenntnisse über das Erteilungsverfahren so in die Ansprüche und die Beschreibung hineinzulesen, dass sich vermeintlich aus der Patentschrift selbst eine Einschränkung des Schutzbereichs ergibt. Der Inhalt der Ursprungsunterlagen oder der Veröffentlichung der Anmeldung bleibt bei der Auslegung außer Betracht. Weder darf der Patentanspruch nach Maßgabe des ursprünglich Offenbarten ausgelegt werden, noch darf umgekehrt sein Sinngehalt dadurch ermittelt werden, dass dem Wortlaut des Patentanspruchs abweichende Formulierungen der Anmeldung gegenübergestellt werden. Allenfalls dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzen lassen, darf die Anspruchsgeschichte zur weiteren Klärung der Frage herangezogen werden, ob mit dem Anspruch ein Gegenstand unter Schutz gestellt worden ist, der von dem in der Beschreibung offenbarten abweicht oder hinter diesem zurückbleibt (BGHZ 194, 107, Rn. 28 – Polymerschaum I; BGHZ 189, 330, Rn. 25 – Okklusionsvorrichtung; BGH GRUR 2015, 87, Rn. 17 – Rotorelemente).
Diese Ausnahme greift vorliegend nicht. Die Prüfung der Orientierung am Patentanspruch im Rahmen der Äquivalenz hat nicht zum Ziel, im Rahmen der Anspruchsauslegung Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung zu setzen. Vielmehr geht es – wie oben erwähnt – darum, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden.
Soweit das OLG Düsseldorf (Anlage HL13) eine Auswahlentscheidung wegen der erwähnten Klasse der Antifolate angenommen hat, könnte diese allenfalls alle anderen Antifolate ausschließen, nicht aber sämtliche Derivate des einen – vermeintlich ausgewählten – Antifolats Pemetrexed. Gegen eine Auswahlentscheidung ist des Weiteren ins Feld zu führen, dass Pemetrexeddisäure in der Beschreibung nicht thematisiert ist, so dass die Nennung von Pemetrexeddinatrium im Anspruch nicht als Verzicht auf Pemetrexeddisäure verstanden werden kann (BGH GRUR 2014, 852, 853, Rn. 15 -Begrenzungsanschlag).
d) Es besteht im Hinblick auf ein Anbieten und Inverkehrbringen die nach § 139 Abs. 1 Satz 1 PatG, Art. 64 EPÜ erforderliche Wiederholungsgefahr, weil die Antragsgegnerin die angegriffene Ausführungsform ab dem 01.04.2016 in der Lauer-Taxe hat listen lassen (vgl. BGH GRUR 2007, 221, 222 – Simvastatin).
II.
Es besteht der Verfügungsgrund der Dringlichkeit im Sinne von §§ 936, 917 ZPO. Die zeitige Durchsetzung des Verfügungsanspruchs ist deshalb erforderlich, weil nicht mangels erfinderischer Tätigkeit gemäß Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ davon auszugehen ist, dass das Verfügungspatent das Nichtigkeitsverfahren voraussichtlich nicht überstehen wird und auch Dringlichkeit im engeren Sinne gegeben ist.
1. Prüfungsmaßstab ist aufgrund der vorangegangenen Einspruchsentscheidung des Europäischen Patentamts vom 27.12.2010 (Anlage HL20), durch die das Verfügungspatent unverändert aufrechterhalten wurde, die Frage, ob sich diese Entscheidung als unvertretbar darstellt. Zwar kommt eine strenge rechtliche Bindung des Verletzungsgerichts an eine Einspruchsentscheidung nur dann in Betracht, wenn das Patent durch sie teilweise geändert oder vernichtet worden ist (BGH GRUR 1979, 308 – Auspuffkanal für Schaltgase; BGH GRUR 1992, 839 – Linsenschleifmaschine), sie stellt aber auch im Übrigen eine gewichtige sachkundige Äußerung dar, die vom Verletzungsgericht zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen ist, wobei eine Abweichung von den prima facie sachkundigen Darlegungen in der Regel wiederum Sachkunde in technischer Hinsicht voraussetzt (BGH GRUR 1998, 895 – Regenbecken; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., Rn. A, 74 ff.).
2. Die Einspruchsabteilung kommt in ihrer Entscheidung vom 27.12.2010 (Anlage HL20) auf den Seiten 13 ff. zu dem Ergebnis, dass es dem Verfügungspatent nicht im Hinblick auf die dortigen Entgegenhaltungen D28 (jetzige Anlage NiK2) gegebenenfalls in Kombination mit D9 (jetzige Anlage NiK16) und dem allgemeinen Fachwissen an erfinderischer Tätigkeit mangle, da die Verabreichung von Vitamin B12 zur Verringerung der Toxizitäten der Pemetrexedbehandlung für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt nicht nahegelegen habe.
Die Anlage NiK16 zeige zwar eine starke Korrelation zwischen den Baseline-Homocysteinspiegeln und der Entwicklung einer Reihe von Toxizitäten wie Neutropenie, Thrombozytopenie, Mukositis oder Durchfall, so dass davon auszugehen sei, dass am Prioritätsdatum bekannt gewesen sei, dass die Toxizität von Pemetrexed mit einer Erhöhung der Homocysteinspiegel im Plasma korreliert. Neben Homocystein seien jedoch auch die Vitamin-Metaboliten Cystathionin und Methylmalonsäure gemessen worden, wobei letztere bekanntlich der Mangel-Marker für Vitamin B12 sei. Eine Korrelation zwischen den Toxizitäten von Pemetrexed und den restlichen vorgegebenen Prädikatoren, nämlich Methylmalonsäure und Cystathionin, sei nicht beobachtet worden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass NiK16 lehre, dass es keine Korrelation zwischen Pemetrexed-Toxizität und Methylmalonsäure gebe, und der Fachmann daher zu dem Schluss gekommen wäre, dass Vitamin B12 nicht an der bei der Pemetrexed-Behandlung beobachteten Toxizität beteiligt sei. Es habe für ihn also keine Motivation bestanden, Vitamin B12 zu verwenden, angesichts dessen, dass der bekannte Marker für dessen Mangel nicht korreliert habe.
Auch ausgehend von der NiK2 hätte der mit dem Problem der Reduzierung der Pemetrexed-Toxizität konfrontierte Fachmann nach Auffassung der Einspruchsabteilung die Beteiligung von Vitamin B12 im Hinblick auf die Lehre der NiK16 ausgeschlossen und hätte dieses Vitamin nicht verwendet, um die Toxizität zu reduzieren. Vielmehr hätte er eher nur Folsäure verwendet, da in Ermangelung einer Korrelation zwischen der Pemetrexed-Toxizität und Methylmalonsäure, wie in NiK16 berichtet, der in dem Dokument beschriebene erhöhte Homocysteinspiegel als Marker für Folatmangel erkannt worden wäre.
3. Diese nach Auffassung der Kammer keinesfalls unvertretbaren sachkundigen Äußerungen der Einspruchsabteilung rechtfertigen es auch im Lichte der hiesigen Argumentation der Antragsgegnerin nicht, von einer fehlenden erfinderischen Tätigkeit auszugehen und für das Nichtigkeitsverfahren eine Vernichtungsprognose zu stellen.
a) Die von der Antragsgegnerin als Ausgangspunkt herangezogene Anlage NiK8 stammt ebenso wie die Anlage NiK16 von Niyikiza et al. und beschreibt ähnlich wie dort, dass bei einer Messung von Homocystein-, Cystathionin- und Methylmalonsäurewerten bei 139 Phase-II-Patienten eine starke Korrelation zwischen erhöhten Homocysteinspiegeln vor der Behandlung mit Pemetrexed und ersthaften Toxizitäten infolge dieser Behandlung gefunden worden sei. Anders als in Anlage NiK16 findet sich dort lediglich die ausdrückliche Aussage nicht, dass keine Korrelation zu den übrigen Prädikatoren, zu denen auch der Vitamin-B12-Mangel-Marker Methylmalonsäure gehörte, festzustellen war.
Die von der Antragsgegnerin – ebenso wie von der Einspruchsabteilung – weiter herangezogene Anlage NiK2 stellt zunächst fest, dass eine Supplementierung mit Folsäure einen klaren Effekt bezüglich der Reduzierung der Toxizitäten habe, dass es jedoch schwierig sei, eine Korrelation zwischen den Folsäurespiegeln vor der Behandlung und den durch das Antifolat hervorgerufenen Toxizitäten herzustellen. Vielmehr habe sich die Messung von Homocysteinwerten im Plasma vor der Behandlung als aussagekräftige Methode erwiesen, um die Toxizität von Pemetrexed vorherzusagen. Einer vorhergehenden Diskussion der Wirkweise des Enzyms Methioninsynthase, das Vitamin-B12-abhängig sei, folgt der Schluss (Seite 8 der Anlage NiK2 a.E.), dass aus einem funktionalen Mangel entweder von Vitamin B12 oder Folsäure eine Verringerung der Umsetzung durch die Methioninsynthase resultiere und es folglich zu einer Erhöhung des Homocysteinspiegels im Plasma komme.
Die Entgegenhaltung NiK8 allein oder in Kombination mit NiK2 lässt den aus NiK16 allein oder in Kombination mit NiK2 gezogenen Schluss der Einspruchsabteilung, dass es nicht an erfinderischer Tätigkeit fehle, nicht unvertretbar erscheinen. Die Kammer kann diesen Dokumenten zwei für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt zutage getretene Aussagen klar entnehmen: zum einen, dass eine starke Korrelation zwischen erhöhten Plasmawerten an Homocystein vor der Behandlung und den durch die Pemetrexed-Behandlung hervorgerufenen Toxizitäten besteht, und zum anderen, dass ein Mangel von Folsäure und/oder Vitamin B12 zu erhöhten Plasmawerten an Homocystein führt.
Der von der Antragsgegnerin in die Entgegenhaltungen hineingelesene „missing link“, dass nämlich zu einer Reduzierung der Toxizitäten von Pemetrexed auch das den Homocysteinspiegel senkende Vitamin B12 zu verabreichen ist, lässt sich den Dokumenten nicht ohne weiteres entnehmen. Warum sich dies für den Fachmann aus einer Kombination mit seinem allgemeinen Fachwissen zum Prioritätszeitpunkt hätte ergeben sollen, erschließt sich ebenfalls nicht. Insofern ist der Aussagegehalt von NiK8 und NiK16 zu beachten, der den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt gerade von diesem Rückschluss abgehalten hat, da NiK16 feststellt, dass die übrigen Prädikatoren, zu denen auch derjenige mit Vitamin-B12-Markerfunktion, die Methylmalonsäure, gehörte, keine Korrelation mit den Toxizitäten erkennen lassen. Dass allein aufgrund des einen fehlenden Satzes in der NiK8 der Fachmann diesen Schluss doch gezogen hätte, erscheint nicht nachvollziehbar, zumal Abstracts, wie sie die beiden Entgegenhaltungen darstellen, keine umfassende Diskussion nicht zielführender Methoden, sondern nur eine knappe Darstellung wissenschaftlich weiterführender Erkenntnisse erwarten lassen. Diese bestehen bei NiK8 in der Korrelation zwischen Homocysteinspiegel und Toxizitäten, nicht in potentiell hineinzulesenden Aussagen zur Methylmalonsäure.
b) Hieran ändern auch die Entgegenhaltungen NiK9 und NiK13 nichts, die die Senkung des Homocysteinspiegels durch Vitamine wie Vitamin B12 und Folsäure behandeln, um die Folgewirkungen des erhöhten Homocysteins zu vermeiden. Wie die Anlage NiK9 bereits durch ihre Überschrift verrät, entstand sie im Rahmen eines Kolloquiums zum Zusammenhang zwischen Homocystein, Vitaminen und arteriellen Verschlusskrankheiten. Entsprechende Literatur hätte der Fachmann – wohlgemerkt ein Team aus einem medizinischen Chemiker oder Pharmakologen und einem Onkologen – bereits nicht herangezogen, um zum Prioritätszeitpunkt die Frage der Reduzierung von Nebenwirkungen eines Zytostatikums zu prüfen. Selbst wenn er sie herangezogen hätte, hätte er den Dokumenten lediglich die Möglichkeit der Prävention und Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen, die mit einem erhöhten Homocysteinspiegel vergesellschaftet sind, entnommen, nicht aber auf das Potential von Vitamin B12 schließen können, die Toxizität von Pemetrexed in den Griff zu bekommen. Dass entsprechende Überlegungen zu den von erhöhtem Homocystein ausgehenden Risiken für das Herz-Kreislauf-System für Patienten, die für eine Pemetrexed-Behandlung in Betracht kommen, keine Rolle spielen, versteht sich aufgrund des Behandlungsspektrums von selbst und lässt sich den als Anlage HL1 vorgelegten Gebrauchsinformationen von …, dort Seiten 7 ff., entnehmen, die eine bedauerlich geringe Lebenserwartung dieser Patienten zeigen.
c) Ähnliches gilt für die ernährungsmedizinische Entgegenhaltung NiK12, aus der sich die indizierte kombinierte Gabe von Folsäure und Vitamin B12 und das ansonsten drohende Maskierungsproblem eines Vitamin-B12-Mangels ergeben soll. Selbst wenn der -ernährungsmedizinisch wenig beschlagene – Fachmann entsprechende Literatur zum Prioritätszeitpunkt konsultiert hätte, hätte er ihr weder direkt noch in Kombination mit den vorgehenden Dokumenten den Hinweis entnommen, zur Reduzierung der Nebenwirkungen neben Folsäure auch Vitamin B12 zu verabreichen, weil die ernährungsmedizinisch anzugehenden Probleme eines möglichen Vitamin-B12-Mangels gegebenen falls mit erhöhten Homocysteinwerten, wie sie die Anlage NiK12 auf den Seiten 127 ff. beschreibt, für terminal kranke Lungenkrebspatienten keine Rolle mehr spielen.
d) Soweit die Anlage NiK14 für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt die Verbindung zwischen den Nebenwirkungen einer Therapie mit dem verwandten Antifolat Methotrexat und einer Supplementierung auch mit Vitamin B12 hergestellt haben soll, kann dem nicht gefolgt werden, da die Anlage NiK14 auf Seite 4 lediglich diskutiert, dass der Vitamin-B12-Mangel selbst eine Nebenwirkung der Behandlung sein kann und es sinnvoll sein könnte, diesen Mangel auszugleichen. Die Entgegenhaltung behandelt also ein umgekehrtes Problem. Dass gerade die Vitamin-B12-Supplementierung geeignet ist, die Nebenwirkungen des Antifolats zu reduzieren, zeigt das Dokument dagegen nicht auf. Auch soll der Vitamin-B12-Mangel keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Medikaments haben, was es als naheliegender erscheinen lässt, dass Vitamin B12 mit den Nebenwirkungen in keinem Zusammenhang steht.
e) Schließlich ist die Kammer auch davon überzeugt, dass es die Anlage NiK15 (Mendelsohn et al., Seite 270, Abschnitt 9.), die der Einspruchsabteilung schon deswegen bekannt war, weil sie in Teilziffer [0001] des Verfügungspatents erwähnt ist, dem Fachmann nicht ohne weiteres nahegelegt hätte, die Nebenwirkungen des dort behandelten Antifolats Lometrexol durch die Gabe von Vitamin B12 zusätzlich zur Folsäure zu reduzieren.
Der letzte Absatz des Abschnitts 9. scheint dem Fachmann zwar auch den Weg zu Vitamin B12 zu weisen („The biochemical pathways that utilize folate cofactors also require adequate amounts of vitamins B12 and B6. Thus, the status of all three vitamins in patients may significantly influence the severety of toxicity observed during chemotherapy.“), es ist aber zu beachten, dass die maßgebliche Passage lediglich allgemeine Überlegungen zu den biochemischen Prozessen des Folatstoffwechsels ohne konkrete analytische oder experimentelle Belege enthält, sich durchgehend wie auch das Ende des vorangegangenen Absatzes einer konjunktivischen Formulierung bedient („may“) und der Abschnitt 9. bereits einleitend klarstellt, dass der Folsäurestatus von Krebspatienten nie systematisch untersucht worden ist. Der Durchschnittsfachmann hätte folglich zum Prioritätszeitpunkt erkannt, dass der Beitrag von Mendelsohn et al. nur allgemeine Überlegungen zur Vitamin-Supplementierung ohne Belege und experimentell gewonnene Daten enthält, und hätte sich veranlasst gesehen, nach speziellerer Literatur mit empirisch gewonnenem Datenmaterial zu suchen.
Diese spezielleren, experimentellen Ansätze hätte er bei Niyikiza et al. in den Anlagen NiK8 und NiK16 gefunden, wo bereits Phase-II-Untersuchungen beschrieben sind. Diese Dokumente – mögen sie auch von einem Miterfinder des Verfügungspatents stammen – hätten den Durchschnittsfachmann aber, wie oben erläutert, von einer Vitamin-B12-Gabe in Kombination mit Folsäure wieder weggeführt, weil sie gerade auf eine fehlende Korrelation zwischen dem Vitamin-B12-Mangelmarker Methylmalonsäure und den Toxizitäten der Pemetrexed-Behandlung hinweisen.
4. Es besteht auch Dringlichkeit im engeren Sinne, da die Antragstellerin mit ihrem Antrag vom 05.04.2016 nicht im Sinne einer Selbstwiderlegung mehr als einen Monat ab dem Zeitpunkt der maßgeblichen Kenntnis zugewartet hat.
Für die Dringlichkeitsfrist ist grundsätzlich zwischen Erstbegehungsgefahr und Wiederholungsgefahr zu unterscheiden, so dass der Antragsteller grundsätzlich abwarten darf, ob es zu einer Verletzung kommt (OLG München, Mitt. 1999, 223, 227 f.). Frühester Kenntniszeitpunkt für die hier maßgebliche Wiederholungsgefahr war daher die Listung der angegriffenen Ausführungsform in der Lauer-Taxe am 01.04.2016.
III.
Die vorzunehmende Interessenabwägung geht zugunsten der Antragstellerin aus, da es ihr nicht zuzumuten ist, den Markteintritt der Antragsgegnerin hinzunehmen und jedenfalls für einen Zwischenzeitraum auf die Geltendmachung von Schadensersatz verwiesen zu werden.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass selbst nach der von den Münchener Patentstreitkammern nicht vertretenen engen Rechtsauffassung, wonach einstweiliger Rechtsschutz nur im Falle eines weitgehend eindeutigen Rechtsbestandes zu gewähren ist (OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 -VA-LCD-Fernseher), deshalb Ausnahmen gemacht werden, weil durch den Markteintritt bei Medikamenten ein Preisverfall drohen kann, während der mögliche Schaden des mit geringerem unternehmerischen Risiko tätigen Herstellers eines Hybridarzneimittels oder Generikums eher durch Ersatzleistungen ausgeglichen werden kann (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat). Gleiches gilt auch bei der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Abwägung.
IV.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Rahmen von § 938 ZPO war nicht angezeigt, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen oder konkret vorgetragen sind, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch der unterlegenen Antragsgegnerin nach § 945 ZPO gegenüber der Antragstellerin nicht realisiert werden könnte (OLG München, BeckRS 2013, 14928).
V.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben