IT- und Medienrecht

Erfolgreiche Klage gegen die Herausgabe von lebensmittelrechtlichen Kontrollberichten auf Grundlage des Verbraucherinformationsgesetzes

Aktenzeichen  AN 14 K 19.00773

Datum:
12.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15084
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 12 Abs. 1
VIG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 6
LFBG § 40 Abs. 1a

 

Leitsatz

1 “Festgestellte nicht zulässige Abweichungen“ von lebensmittelrechtlichen Vorschriften erfordern ein objektives Nichtübereinstimmen mit rechtlichen Vorgaben; für dessen Feststellung hat eine nachvollziehbare – nicht bloß gedankliche –  rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsergebnisse durch die zuständige Vollzugsbehörde zu erfolgen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die grundrechtlichen Anforderungen an aktives staatliches Informationshandeln sind auf den Fall einer antragsbasierten Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz übertragbar, wenn aufgrund einer zu erwartenden Veröffentlichung auf einem privaten Internetportal eine mit aktiver staatlicher Information der Öffentlichkeit vergleichbare Wirkung erreicht wird.  (Rn. 25 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird der Informationsantragsteller auf Akteneinsicht oder mündliche Informationserteilung verwiesen, ist eine Veröffentlichung in der sonst zu erwartenden Form mit aktiver staatlicher Information der Öffentlichkeit vergleichbarer Breitenwirkung ausgeschlossen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der an den Beigeladenen adressierte Bescheid des Landratsamtes … vom 4. April 2019 (Aktenzeichen …) wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist als Drittanfechtungsklage zulässig.
Die Klägerin ist gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Der streitgegenständliche Bescheid ist zwar nicht an die Klägerin, sondern an den Beigeladenen adressiert; allerdings kann die Klägerin auf der Grundlage ihres Klagevorbringens die mögliche Verletzung einer drittschützenden Norm geltend machen. So sieht etwa § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG ausdrücklich auch den Schutz privater Belange vor. Nach dem Klägervorbringen erscheint es möglich, dass die Herausgabe der streitgegenständlichen Informationen aufgrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf der Plattform „…“ das Grundrecht der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.
2. Die Klage ist auch begründet.
Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf die vom Landratsamt … beabsichtigte Informationserteilung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG, weil es bereits am Vorliegen von „festgestellten nicht zulässigen Abweichungen“ im Sinne vom § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fehlt (2.1). Die Informationsherausgabe an den Beigeladenen in der vom Landratsamt beabsichtigten Form ist im konkreten Einzelfall vor dem Hintergrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf dem Online-Portal „…“ überdies unverhältnismäßig (2.2). Der an den Beigeladenen adressierte Bescheid des Landratsamtes vom 4. April 2019 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.1 Es fehlt bereits am Vorliegen von „festgestellten nicht zulässigen Abweichungen“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Nach dieser Vorschrift hat jeder nach Maßgabe des Verbraucherinformationsgesetzes Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über von den nach Bundesoder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes (Buchstabe a), der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen (Buchstabe b), unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze (Buchstabe c) sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den in den Buchstaben a bis c genannten Abweichungen getroffen worden sind. „Festgestellte nicht zulässige Abweichungen“ von lebensmittelrechtlichen Vorschriften erfordern ein objektives Nichtübereinstimmen mit rechtlichen Vorgaben; auf subjektive Elemente kommt es nicht an; dabei hat nach Auffassung der Kammer eine rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsergebnisse durch die zuständige Vollzugsbehörde zu erfolgen (so auch BayVGH, B.v. 16.2.2017 – 20 BV 15.2208 -, juris Rn. 40 ff. und 47; ausführlich VG Würzburg, B.v. 3.4.2019 – W 8 S 19.239 – juris Rn. 45 ff.). Ein wesentlicher Teil der Subsumtion ist das Erkennen des konkreten auf den zugrunde gelegten Sachverhalt anzuwendenden Rechtssatzes (vgl. Weidenkaff, in: Creifelds, Rechtswörterbuch 22. Edition 2016, Stichwörter „Subsumtion“ und „Rechtsanwendung“). Nach Auffassung der Kammer ist es hierzu erforderlich, dass die konkrete Rechtsnorm oder der konkrete Rechtssatz, gegen den verstoßen wurde, ersichtlich ist. Eine „gedankliche“ Subsumtion durch den Lebensmittelkontrolleur vor Ort ist nicht ausreichend. Diese Anforderungen dienen insbesondere dem Schutz des Unternehmers. Für ihn wird erst dadurch nachvollziehbar, gegen welche lebensmittelrechtlichen Vorschriften er verstoßen hat. Bei den streitgegenständlichen „Ergebnisprotokollen“, deren Herausgabe an den Beigeladenen das Landratsamt beabsichtigt, ist eine Subsumtion, die diesen Anforderungen genügt, nach Überzeugung der Kammer nicht erfolgt. Die „Ergebnisprotokolle“ vom 1. Dezember 2017 und vom 30. Januar 2019 (vgl. Blatt 5 und 6 der Behördenakte) legen unter dem Stichwort „Detailfeststellungen“ den Sachverhalt dar, den der Lebensmittelkontrolleur als „Verstoß“ klassifiziert hat. Wogegen dieser Sachverhalt verstößt, ist nicht erkennbar. Rechtsnormen oder Rechtssätze im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG sind nicht aufgeführt. Es lässt sich somit nicht ohne weiteres feststellen, gegen welche Rechtsvorschrift in unzulässiger Weise abgewichen worden sein soll. Insbesondere erscheint es aufgrund der unter „Detailfeststellungen“ getroffenen Aussagen auch möglich, dass ein Verstoß gegen Vorschriften außerhalb des Lebensmittelrechts vorliegt, der nicht vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG umfasst ist (etwa Detailfeststellung 2 im Ergebnisprotokoll vom 30. Januar 2019). Beim Landratsamt … ist den Feststellungen in der mündlichen Verhandlung zufolge auch kein „Kontrollbericht“ oder „Ergebnisprotokoll“ vorhanden, das den oben genannten Anforderungen entspricht. Damit ist die Klage bereits mangels „festgestellter nicht zulässiger Abweichungen“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG begründet.
2.2 Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf der von foodwatch e.V. und FragDenStaat betriebenen Online-Plattform „…“ ist eine Informationsherausgabe in der durch das Landratsamt beabsichtigten Form überdies unverhältnismäßig (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 VIG). Die Anforderungen, die Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Grundrechtskonformität an aktives staatliches Informationshandeln (§ 40 Abs. 1a LFGB a.F.; BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 -, juris) stellen (2.2.1), sind nach Auffassung der Kammer auf den vorliegenden Fall einer antragsbasierten Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz übertragbar, weil aufgrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf dem Internetportal „…“ eine vergleichbare Wirkung erreicht wird (2.2.2). In verfassungskonformer Auslegung ist die Informationsherausgabe in der vorliegend beabsichtigten Form im konkreten Einzelfall angesichts der zu erwartenden zeitlich unbefristeten Veröffentlichung von als geringfügig anzusehenden Verstößen auf der Online-Plattform „…“ unverhältnismäßig. Zivilrechtlicher Rechtsschutz ist insoweit nicht ausreichend. Deshalb muss sich der Beigeladene zwingend auf eine Akteneinsicht vor Ort oder eine Informationsgewährung in mündlicher Form verweisen lassen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 VIG) (2.2.3).
2.2.1 Die hier in Rede stehende aktive staatliche Information der Öffentlichkeit zielt direkt auf die Marktbedingungen konkret individualisierter Unternehmen, indem sie die Grundlagen der Entscheidungen am Markt zweckgerichtet beeinflusst und so die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändert. Die entsprechende gesetzliche Ermächtigung hierzu – § 40 Abs. 1a LFGB – bezweckt dabei die Veränderung der informationellen Grundlagen von Konsumentscheidungen (ausführlich BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 28 ff.). Aktive staatliche Information der Öffentlichkeit findet breite Beachtung und hat gesteigerte Wirkkraft durch amtliche Autorität (vgl. hierzu auch BVerwG, B.v. 15.6.2015 – 7 B 22/14 -, juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 16.2.2017 – 20 BV 15.2208 -, juris Rn. 54). Die weithin einsehbare, leicht zugängliche Veröffentlichung von teilweise nicht endgültig festgestellten, teilweise bereits behobenen Rechtsverstößen kann zu einem erheblichen Verlust an Ansehen und zu Umsatzeinbußen führen; relativiert wird dieser potentiell gewichtige Grundrechtseingriff dadurch, dass die betroffenen Unternehmen die negative Öffentlichkeitsinformation durch rechtswidriges Verhalten selbst veranlasst haben (BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 34 ff.). Das Bundesverfassungsgericht fordert vor diesem Hintergrund eine einschränkende Handhabung der Regelung, die zum aktiven staatlichen Informationshandeln verpflichtet (§ 40 Abs. 1a LFGB a.F.), damit diese mit der Verfassung in Einklang steht. So sind Informationen mit der Mitteilung zu versehen, ob und wann ein Verstoß behoben wurde (BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 40 f.). Informiert werden darf ferner nur, wenn eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten ist. Insbesondere muss zumindest der Verdacht eines wiederholten Verstoßes oder eines Verstoßes in nicht nur unerheblichem Ausmaß vorliegen und zusätzlich die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,00 EUR zu erwarten sein. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „nicht nur unerheblichen Ausmaßes“ ist durch die zuständigen Behörden und Verwaltungsgerichte anhand von quantitativen und qualitativen Kriterien zu konkretisieren. Dabei können nur solche Verstöße als erheblich gelten, die von hinreichendem Gewicht sind, um für die betroffenen Unternehmen potentiell gravierende Folgen zu rechtfertigen (BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 50 ff.). Zudem ist die Informationsverbreitung zeitlich zu begrenzen. Je länger die Verbreitung andauert, umso größer ist die Diskrepanz zwischen der über die Zeit steigenden Gesamtbelastung des Unternehmens einerseits und dem abnehmenden Wert der Information für die Verbraucher andererseits und umso weniger ist den Betroffenen die Veröffentlichung zuzumuten (BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 56 ff.).
2.2.2 Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall einer antragsbasierten Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz übertragbar, weil aufgrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf dem Internetportal „…“ eine vergleichbare Wirkung erreicht wird.
Nach Auffassung der Kammer ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass der Beigeladene, der seinen Antrag gemäß Verbraucherinformationsgesetz über das Online-Portal „…“ gestellt hat, im Falle des Erlangens der streitgegenständlichen Informationen, diese auch auf dem Online-Portal der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Nach eingehender Analyse der Ausgestaltung der Plattform „…“ ist die Kammer der Überzeugung, dass ein entsprechender Rechtsschein besteht. Einen ersten Anhaltspunkt für eine der Herausgabe der Information folgende Veröffentlichung stellt bereits – darauf hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung zu Recht hingewiesen – der Rechtshinweis auf der vom Beigeladenen nach Eingabe des ins Auge gefassten Betriebes und seiner persönlichen Daten automatisch generierten E-Mail-Anfrage an die zuständige Behörde dar, wonach Antworten gegebenenfalls im Auftrag der Antragstellenden automatisch auf dem Internet-Portal veröffentlicht werden. Zwar gilt dies lediglich für den Fall, dass die Behörde auch per E-Mail antwortet und nicht hinsichtlich eines etwaigen Anhangs der E-Mail. Hierzu ist genauso wie bei einer postalischen Antwort ein aktives Tätigwerden des Beigeladenen in Form von Schwärzungen von personenbezogenen Daten mithilfe des Schwärzungs-Tools sowie ein aktives Bereitstellen der erlangten Information (Klick auf „Schwärzungen anwenden“) erforderlich. Dieser Prozess bleibt nach Recherchen der Kammer jedoch nicht sich selbst überlassen, sondern wird entsprechend moderiert. Ist ein Nutzer der Online-Plattform nach Antragstellung über längere Zeit hinweg inaktiv, so wird er von einem Moderator angeschrieben und nach erlangten Informationen gefragt. Auch bei Antragstellung wird bereits nachdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Veröffentlichung der erlangten Informationen das Ziel ist. Die Information soll für alle einsehbar sein. Nach Angaben der Betreiber von „…“ soll so Druck auf die Politik aufgebaut werden, damit der Gesetzgeber die Grundlage dafür schafft, dass die Behörden Kontrollberichte von sich aus veröffentlichen müssen. Die Kammer verkennt nicht, dass sicherlich nicht jeder Nutzer erlangte Kontrollberichte der Plattform zur Verfügung stellen wird, sondern durch die leichte Bedienung auch Nutzer angelockt werden, die letztendlich von einer Veröffentlichung absehen. Eine entsprechende Verpflichtung gehen die Nutzer der Plattform nicht ein. Auch können sie die Informationen nach Veröffentlichung wieder herausnehmen. Angesichts der unkomplizierten Handhabung, der ausdrücklichen Werbung und des moderierten Prozesses besteht nach Auffassung der Kammer jedoch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass erlangte Kontrollberichte in der Regel der Plattform und damit der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden.
Die Veröffentlichung auf dem Online-Portal „…“ erreicht nach Auffassung der Kammer auch eine vergleichbare Wirkung wie aktive staatliche Information der Öffentlichkeit. Die Darstellung der erlangten Information erfolgt auf „…“ so wie erlangt. VIG-Antragstellern wird lediglich empfohlen, personenbezogene Daten zu schwärzen (z.B. die Unterschrift des Verantwortlichen). Ansonsten erfolgt die Bereitstellung der Informationen ungefiltert. Veröffentlicht werden unmittelbar die Bescheide und Kontrollberichte der Behörden, quasi im Original. Damit ist die veröffentlichte Information wie bei aktiver staatlicher Information mit amtlicher Autorität versehen. Nach Auffassung der Kammer ist die Bezeichnung dieser Informationen als solche „aus zweiter Hand“ im Gegensatz zu aktiver staatlicher Information „aus erster Hand“ lediglich rhetorischer Natur. Eine Unterscheidung dahingehend, dass der staatlichen Information gemäß § 40 Abs. 1a LFGB im Gegensatz zur streitgegenständlichen staatlichen Information gesteigerte Wirkkraft zukommt, lässt sich nicht feststellen. Durch den mittlerweile erreichten Bekanntheitsgrad der Mitte Januar 2019 gestarteten Plattform „…“ geht die Kammer von einer aktiver staatlicher Information vergleichbaren Breitenwirkung mit entsprechender Steuerungswirkung aus. Eine möglichst weitreichende Wirkung wird durch die Betreiber des Online-Portals ausdrücklich angestrebt. Dafür sprechen auch die Verlinkungsmöglichkeiten (Facebook und Twitter) bei den öffentlichen Informationsanfragen. Die antragsgebundene Informationsgewährung bezweckt – ebenso wie aktive staatliche Information der Öffentlichkeit – die Veränderung der informationellen Grundlagen von Konsumentscheidungen (vgl. BT-Drucksache 16/5404, Seite 7). Vermittelt durch die Breitenwirkung des Online-Portals „…“ ergibt sich nach Auffassung des Gerichts ein vergleichbarer Eingriff in das Grundrecht der kontrollierten Lebensmittelunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG wie bei aktiver staatlicher Information der Öffentlichkeit.
Vor diesem Hintergrund sind die Grundsätze, die Gesetzgeber (§ 40 Abs. 1a LFGB a.F.) und Bundesverfassungsgericht (B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 -, juris) zu aktiver staatlicher Information der Öffentlichkeit getroffen haben, auch auf die vorliegende antragsbasierte Informationsgewährung anwendbar. Dem steht auch nicht entgegen, dass § 40 Abs. 1a LFGB a.F. und n.F. bereits den hinreichend begründeten Verdacht von Mängeln über der Erheblichkeitsschwelle ausreichen lässt und sich der Informationsanspruch nach dem VIG auf „festgestellte“ Mängel beschränkt. Die einschränkenden Anforderungen gelten auch für (zeitlich spätere) „festgestellte“ Mängel.
2.2.3 Im konkreten Einzelfall ist die Informationsherausgebe daher bereits aufgrund der Geringfügigkeit der Verstöße bei zu erwartender unbefristeter Veröffentlichung auf dem Internetportal „…“ unverhältnismäßig.
Der Lebensmittelkontrolleur hat in den Ergebnisprotokollen zu den Kontrollen vom 1. Dezember 2017 und vom 30. Januar 2019 hinsichtlich der Detailfeststellungen „geringgradige“ Verstöße festgehalten. Ausweislich der Angaben der Beklagtenvertreterinnen in der mündlichen Verhandlung hat es bezüglich dieser Kontrollen keine Bußgeldbescheide oder weitergehende Auflagen gegeben. Auch nach Auffassung des Gerichts handelt es sich um keine erheblichen Verstöße, wenngleich eine abschließende Beurteilung mangels Angabe der Rechtsgrundlage nicht möglich ist.
Die Ergebnisprotokolle werden aufgrund der zu erwartenden Veröffentlichung der Öffentlichkeit auch dauerhaft zur Verfügung stehen. Zwar behält der VIG-Antragsteller die Kontrolle über die Veröffentlichung, das heißt, er kann sie, solange er seinen Account nicht löscht, rückgängig machen. Die Kammer hält eine Löschung jedoch für nicht wahrscheinlich. Bei lebensnaher Betrachtung ist davon auszugehen, dass einmal veröffentlichte Bescheide und Berichte auf der Plattform verfügbar bleiben. Gemäß den „Nutzungsbedingungen Archivplattform“ von „…“ soll das Archiv auf fragdenstaat.de dauerhaft verfügbar bleiben und möglichst ohne Hindernisse für alle erdenklichen Zwecke nachnutzbar sein.
Zivilrechtlicher Rechtsschutz des betroffenen Unternehmers gegen eine vorgenommene Veröffentlichung ist zwar grundsätzlich möglich. Auch in diesem Zusammenhang wäre – neben der Richtigkeit der Informationen und dem Datenschutzrecht – auch eine Vereinbarkeit der Veröffentlichung mit Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen. Angesichts dessen, dass die Informationen nach dem Hochladen der Berichte dann „schon in der Welt“ sind, besteht die Gefahr, dass zivilrechtlicher Rechtsschutz in vielen Fällen zu spät kommt. Auch aus diesem Grund erscheint es dem Gericht sachgerecht, für die Grundrechtskonformität bereits an die Informationsherausgabe anzuknüpfen, wenn eine Veröffentlichung mit einer Wirkung, die aktivem staatlichen Informationshandeln gleichkommt, zu erwarten ist.
Der Beigeladene muss sich nach Überzeugung der Kammer vor diesem Hintergrund im konkreten Fall zwingend auf eine Akteneinsicht vor Ort oder eine Informationsgewährung in mündlicher Form verweisen lassen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 VIG). Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VIG kann die informationspflichtige Stelle den Informationszugang durch Auskunftserteilung, Gewährung von Akteneinsicht oder in sonstiger Weise eröffnen. Wird eine bestimmte Art des Informationszugangs begehrt, so darf dieser gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 VIG nur aus wichtigem Grund auf andere Art gewährt werden. Hinsichtlich des „Wie“ der Informationsgewährung besteht damit Raum für eine verfassungskonforme Auslegung. Auch Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte können unter dieser Vorschrift zu berücksichtigen sein (vgl. Rossi, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht 23. Edition 1. Mai 2018, § 6 VIG Rn. 4). Muss sich der Beigeladene auf Akteneinsicht oder mündliche Informationserteilung verweisen lassen, ist eine Veröffentlichung in der sonst zu erwartenden Form mit aktiver staatlicher Information der Öffentlichkeit vergleichbarer Breitenwirkung ausgeschlossen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt hat, trägt gemäß § 162 Abs. 3 VwGO seine außergerichtlichen Kosten selbst. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124a Abs. 1 VwGO nicht vorliegen. Die unter 2.2 ausgeführten Gründe haben zwar grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), allerdings ist die Klage im konkreten Einzelfall bereits aus den unter 2.1 ausgeführten Gründen unbegründet.


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