IT- und Medienrecht

Fehlende Eilbedürftigkeit für presserechtlichen Auskunftsanspruch

Aktenzeichen  7 CE 19.1119

Datum:
5.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17772
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Begehrt der Antragsteller keine vorläufige Maßnahme, sondern die endgültige Vorwegnahme einer in einem künftigen Hauptsacheverfahren zu erstrebenden Entscheidung, sind erhöhte Anforderungen an die Darlegung sowohl des geltend gemachten Anordnungsgrunds als auch des Anordnungsanspruchs zu stellen (Rn. 16). (redaktioneller Leitsatz)
2 Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt (Rn. 17). (redaktioneller Leitsatz)
3 Zur Gewährleistung des presserechtlichen Selbstbestimmungsrechts ist es ausreichend, wenn Eilrechtsschutz dann gewährt wird, wo ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen (Rn. 17). (redaktioneller Leitsatz)
4 Macht der Antragsteller nicht hinreichend deutlich, warum seiner Anfrage, die sich auf Vorgänge der Jahre 2016 und 2017 bezieht, auch nach dem Stattfinden der Europawahl, in deren Vorfeld er ursprünglich berichten wollte, noch eine solche Eile zukommt, dass hierüber nur im Wege einstweiligen Rechtsschutzes, zumal unter einer Vorwegnahme der Hauptsache, entschieden werden kann, fehlt es an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 14 E 19.661 2019-05-21 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Mai 2019 wird in Nummern 2, 3 und 4 abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist als Journalist für das „R. Network“, einen Zusammenschluss von Reportern, Redakteuren, Forschern und Datenjournalisten aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten und Ländern, in die Flüchtlinge und Migranten zurückgeführt werden, tätig. Er begehrt von der Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes presserechtliche Auskünfte über die in den Kalenderjahren 2016 und 2017 im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) geförderten Projekte.
Das Verwaltungsgericht hat seinem entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO mit Beschluss vom 21. Mai 2019 stattgegeben und die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller Auskunft darüber zu erteilen,
1. wie hoch – unter Angabe der weiteren Förderer (soweit Privatpersonen betroffen, mit deren geschwärzten Daten) und der jeweiligen Förderbeträge – die Gesamtprojektsumme der einzelnen im Jahr 2016 mit AMIF-Mitteln geförderten Projekte ist,
2. wie viele AMIF-Förderanträge unter Angabe der jeweiligen Träger-Projektnamen, Höhe der beantragten Mittel und der jeweiligen Gesamtprojektsummen – unter zusätzlicher Angabe der weiteren Förderer (soweit Privatpersonen betroffen, mit deren geschwärzten Daten) und der jeweiligen Förderbeträge – im Jahr 2017 gestellt wurden und
3. wie hoch – unter Angabe der weiteren Förderer (soweit Privatpersonen betroffen, mit deren geschwärzten Daten) und der jeweiligen Förderbeträge – die Gesamtprojektsumme der einzelnen im Jahr 2017 mit AMIF-Mitteln geförderten Projekte ist.
Neben einem Anordnungsanspruch habe der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund insbesondere deshalb glaubhaft gemacht, weil das R. Network, dem er angehöre, im Vorfeld der Europawahlen, bei denen das Thema „Asyl- und Migration“ in besonderer Weise in der öffentlichen Debatte stehe, eine Reihe von Berichten zu „Kosten der Rückführungen von Migranten/Asylbewerbern“ plane. Aufgrund des damit nachgewiesenen Gegenwartsbezugs sei im vorliegenden Fall die Vorwegnahme der Hauptsache geboten, um wesentliche Nachteile zu verhindern; ein Verweis auf das Hauptsacheverfahren würde hier wahrscheinlich dazu führen, dass die begehrte Auskunft ihren Nachrichten- und Aktualitätswert verlöre.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie bestreitet das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und macht zudem geltend, die Angelegenheit sei nicht dringlich, weil das Thema „Asyl- und Migration“ bereits seit vielen Jahren Gegenstand der Presseberichterstattung sei und es sich somit um ein „Dauerthema“ handele. Im Übrigen scheine auch der Antragsteller selbst nicht von einer gesteigerten Eilbedürftigkeit auszugehen, anders sei nicht zu erklären, dass er nach seiner ersten Anfrage bei der Antragsgegnerin bis zur gerichtlichen Geltendmachung seines Auskunftsersuchens mehrere Monate habe verstreichen lassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag des Antragstellers unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Mai 2019 abzulehnen.
Der Antragssteller beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Mai 2019 zurückzuweisen
und verteidigt den angefochtenen Beschluss. Er habe in seinem Antrag glaubhaft gemacht, zur Europawahl berichten und durch die Auskünfte zu Details der „Kofinanzierungen“ die Beteiligung des Privatsektors und die Rolle von „NGOs“ an Rückführungsprogrammen beleuchten zu wollen. Er wolle außerdem über die sich daraus ergebenden Erkenntnisse, ob durch die „Kofinanzierer“ eher Integrations- oder Rückführungsprogramme gefördert werden, berichten. Eine journalistische Berichterstattung im Zusammenhang mit Wahlen diene generell dem Zweck, potentielle Wähler möglichst umfassend zu relevanten Themen zu informieren.
Auf den gerichtlichen Hinweis vom 9. Juli 2019, dass mit der Durchführung der Europawahlen Ende Mai 2019 die von Seiten des Antragstellers im Hinblick auf die Berichtsabsicht im Vorfeld der Europawahlen geltend gemachte Dringlichkeit entfallen sei, erklärte der Antragsteller, das sei seiner Auffassung nach nicht der Fall. Zwar sei richtig, dass die Dringlichkeit sowohl in seinem Antrag als auch im streitgegenständlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach mit der geplanten Berichterstattung des Antragstellers im Vorfeld der Europawahlen 2019 begründet wurde. Der Antragsteller wolle aber weiterhin zu einer zeitnahen öffentlichen Berichterstattung über die Verwendung öffentlicher Mittel im Bereich der AMIF-Förderung beitragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist in Nummern 2, 3 und 4 abzuändern und der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht (mehr) vorliegen. Der Antragsteller hat im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Mit dem beantragten Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin, die gestellten Fragen unter anderem zu den Gesamtsummen der in den Jahren 2016 und 2017 mit Mitteln des AMIF-Fonds geförderten Projekte sowie deren Förderern, Trägern und Projektnamen und den jeweiligen Förderbeträgen zu beantworten, begehrt der Antragsteller – wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht – keine vorläufige Maßnahme, sondern die endgültige Vorwegnahme einer in einem künftigen Hauptsacheverfahren zu erstrebenden Entscheidung. Würde der Antragsgegnerin antragsgemäß aufgegeben, die gewünschten Auskünfte zu erteilen, wäre der sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergebende Anspruch des Antragstellers erfüllt und die Hauptsache erledigt. In einem solchen Fall sind erhöhte Anforderungen an die Darlegung sowohl des geltend gemachten Anordnungsgrunds als auch des Anordnungsanspruchs zu stellen (stRspr vgl. z. B. BayVGH, B.v. 17.2.2014 – 7 CE 13.2514; BayVGH, B.v. 24.1.2017 – 7 CE 16.2056 – jeweils juris).
Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Presse grundsätzlich in den Grenzen des Rechts selbst entscheidet, ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet. Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt. Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt auch die Freiheit der Presse, zu entscheiden, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll. Allerdings genügt es in diesem Zusammenhang, wenn Eilrechtsschutz nur gewährt wird, wo ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen (so BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – Rn. 29, 30 unter Berufung auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats, B.v. 13.8.2014 – 7 CE 04.1601 – jeweils juris; vgl. auch VG Köln, B.v. 27.8.2009 – 6 L 918/09 – juris); der Erlass einer einstweiligen Anordnung mithin notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Damit die Presse ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion wahrnehmen kann, dürfen zwar insbesondere auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BVerfG, B.v. 8.9.2014 a.a.O. Rn. 30). Daher können grundsätzlich ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug nicht bereits deshalb verneint werden, weil die Berichterstattung nicht auf unaufschiebbare Berichte wie die Aufdeckung von schweren Rechtsbrüchen staatlicher Entscheidungen zielt und sie im Übrigen auch später möglich bleibt. Dennoch hat der Antragsteller vorliegend nicht in ausreichendem Maße aufgezeigt, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung auch im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung noch notwendig ist, um wesentliche Nachteile für die beabsichtigte Berichterstattung abzuwenden. Denn der Antragsteller hat nicht hinreichend deutlich gemacht, warum seiner Anfrage, die sich auf Vorgänge der Jahre 2016 und 2017 bezieht, auch nach dem Stattfinden der Europawahl, in deren Vorfeld er ursprünglich berichten wollte, noch eine solche Eile zukommt, dass hierüber nur im Wege einstweiligen Rechtsschutzes, zumal unter einer Vorwegnahme der Hauptsache, entschieden werden kann. Zwar können auch zurückliegende Vorgänge unter veränderten Umständen plötzlich eine Relevanz bekommen, die eine Eilbedürftigkeit begründet. Wenn der Antragsteller jedoch Auskünfte über solche zurückliegenden Vorgänge verlangt, so obliegt es ihm, näher dazu vorzutragen, warum er für die jetzige Berichterstattungsabsicht sogleich Einsicht in diese Dokumente benötigt und warum diese Berichterstattung ohne diese Dokumente in nicht hinzunehmender Weise erschwert wird (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 31). Dafür genügt es nicht, lediglich darauf zu verweisen, dass hier ein international tätiges Recherchenetzwerk in Zusammenarbeit mit bekannten nationalen Medienvertretern geplant habe, zumindest in zeitlichem Zusammenhang mit den Europawahlen zu berichten und dass die Themen Flucht, Migration und „Festung Europa“ auch durch das Erstarken rechter Parteien in den Europawahlen 2019 aktueller denn je seien. Es ist dem Antragsteller zuzumuten, näher darzulegen, warum er – vor allem vor dem Hintergrund, dass das Thema „Asyl“ bereits in der Vergangenheit stark in der Presse vertreten war und davon auszugehen ist, dass eine Berichterstattung insbesondere über die Themen Abschiebung und Rückführung von Migranten auch in Zukunft aktuell bleiben wird – gerade die angefragten Dokumente für eine effektive Presseberichterstattung immer noch sofort benötigt. Sein jetziges Vorbringen, das R. Network habe sich angesichts des Umstands, dass sich auch in anderen Ländern abgezeichnet habe, entsprechende Informationen nicht rechtzeitig und vollständig erhalten zu können, mit den jeweiligen Medienpartnern auf eine Verlängerung des geplanten Projekts bis Ende August 2019 geeinigt, hat er in keiner Weise substantiiert. Wenn der Antragsteller im Weiteren darauf verweist, dass der Wunsch, in einer so aufgeheizten Debatte durch eine auf Fakten basierende Berichterstattung einen Beitrag zu leisten, nachvollziehbar sei, so folgt auf diesen bloßen Verweis auf die Notwendigkeit der Unterlagen zur Berichterstattung nicht unmittelbar die Eilbedürftigkeit (vgl. auch BVerfG a.a.O.).
Da der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit den bevorstehenden Europawahlen begründete Aktualitätsbezug nicht (mehr) gegeben ist, der Antragsteller mit dem nunmehrigen Vorbringen jedoch nicht hinreichend aufgezeigt hat, warum ihm ein weiteres Zuwarten unzumutbar ist, ist die erforderliche Eilbedürftigkeit nicht dargelegt. Der Beschwerde ist somit stattzugeben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, ohne dass es auf die von den Beteiligten ebenfalls umstrittene Frage, ob der Antragsteller darüber hinaus einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der Höhe des Streitwerts im erstinstanzlichen Verfahren.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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