Aktenzeichen 9 B 544/21 MD
§ 15 Abs 1 VerfSchutzG ST 2006
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen, unter denen eine politische Partei gegenüber dem Land die Feststellung verlangen kann, es sei dafür verantwortlich, dass vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind (hier: Informationen aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach § 15 VerfSchG-LSA (juris: VerfSchutzG ST 2006)(Rn.10)
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antrag der Antragstellerin,
E1) festzustellen, dass die Öffentlichmachung, wonach die Antragstellerin als Verdachtsfall beobachtet wird, rechtswidrig war und das Land Sachsen-Anhalt dafür die Verantwortung trägt,
E2) der Antragsgegner wird verpflichtet, binnen dreier Werktage nach Zugang der Gerichtsentscheidung durch eine Pressemitteilung bekannt zu geben, dass ihm jede Veröffentlichung des Inhalts, dass die Antragstellerin als Verdachtsfall beobachtet werde, gerichtlich untersagt wurde,
hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Regelungsanordnung). Eine einstweilige Anordnung ist dann zu erlassen, wenn der Antragsteller den in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht hat (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO). Zur Glaubhaftmachung genügt es dabei regelmäßig, wenn die behaupteten Tatsachen so dargelegt sind, dass das Gericht von ihrer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgeht (BVerfG, B. v. 29.07.2003 – 2 BvR 311/03 -, juris). Kann der Erfolg wegen der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht abschließend beurteilt werden (offener Ausgang der Hauptsache), hat sich das Gericht insbesondere dann, wenn der behauptete Anspruch grundrechtsrelevant ist, danach zu fragen, welche Folgen es im Vergleich zu den von der Behörde vertretenen Interessen hätte, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antragsteller jedoch im späteren Hauptsacheverfahren obsiegte.
Grundsätzlich nicht zulässig ist es jedoch, eine Entscheidung nach § 123 VwGO herbeizuführen, deren Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden können bzw. dem gleichsteht, was in der Hauptsache erreicht werden kann (vgl. W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 24. Aufl., § 123 Rn. 13). Allerdings gilt im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot eines effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller mit unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren Nachteilen verbunden wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist (vgl. u. a. Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 85).
Bei dem von der Antragstellerin Begehrten handelt es sich – ungeachtet der Zulässigkeit von derartigen Feststellungen in einem Verfahren nach § 123 VwGO – deshalb um eine Vorwegnahme der Hauptsache, weil mit der einstweiligen Anordnung das geregelt werden würde, was in der Hauptsache erreichbar wäre, nämlich die Feststellung des Antragsgegners für das „Durchstechen“ der Information sowie die Verlautbarung dieser Feststellung nach gerichtlicher Verpflichtung. Dieser Zustand entspricht genau dem eines erfolgreich durchgeführten Hauptsacheverfahrens.
a) Vorliegend sind bereits keine Gründe ersichtlich, aus denen ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache geboten sein könnte. Weder besteht Veranlassung für eine zeitnahe Feststellung der Verantwortlichkeit noch sind die Rechte der Antragstellerin ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung gefährdet. Anders gewendet: Ein Zuwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in Bezug auf die zur Klärung gestellten Fragen ist der Antragstellerin zuzumuten. Denn es ist nicht ersichtlich, dass es gilt, durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung unzumutbar schwere Nachteile für die Antragstellerin zu verhindern.
b) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Hauptsache vorwegnimmt, scheitert zudem daran, dass nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache auszugehen ist.
Denn die in Bezug auf den Antragsgegner festzustellende Verantwortlichkeit für das „Durchstechen“ dürfte aller Voraussicht nicht gegeben sein. Selbst unterstellt, einer Person des Antragsgegners ist die Weitergabe der Information, die Antragstellerin sei seit dem 12.01.2021 als Verdachtsfall durch den Landesverfassungsschutz eingestuft, deshalb zuzurechnen, weil nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten sowie dem Gang der Dinge unmittelbar nach der Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) am 25.01.2021 durch die Landesregierung die Presse darüber berichtete, ist der Antragsgegner dafür nicht verantwortlich. Zwar dürfte es sich dabei um ein deliktisches Handeln deshalb handeln, weil sich die insoweit bestehende Verschwiegenheit für dessen Mitglieder aus § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VerfSchG-LSA bzw. für Mitarbeiter des PKGr aus arbeits- oder beamtenrechtlichen Pflichten (vgl. § 37 BStatG) ergibt, zumal § 15 VerfSchG-LSA zu einer Information der Öffentlichkeit über sog. Verdachtsfälle nicht ermächtigt (vgl. BVerwG, U. v. 26.06.2013 – 6 C 4/12 -, juris, zu § 16 Abs. 1 BVerfSchG). Dieses Handeln hat sich jedoch von der eigentlichen Amtstätigkeit dieser Person so weit entfernt, dass es dem Antragsgegner nicht mehr zuzurechnen ist. Zwar geht die Rechtsordnung grundsätzlich von einem Einstehenmüssen des Staates für das Handeln seiner Amtswalter aus (vgl. Art. 34 GG, § 839 BGB). Dies besteht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. u. a. U. v. 14.05.2009 – III ZR 86/08 juris) nur dann, wenn die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und wenn zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Mithin muss der Staat nur für das Einstehen, wenn (eigentlich) bestehende Amtspflichten durch den Amtswalter gegenüber Dritten verletzt wird (Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Auflage, Art. 34 Rn. 11). Aus diesem Grunde ist auch nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, d.h. auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall auszuübende Tätigkeit dient, abzustellen (vgl. BGH, U. v. 22.03.2001 III ZR 394/99 juris); nur wenn die Amtsperson bei der Erfüllung der der Körperschaft obliegenden Aufgabe eine Pflicht verletzt, ist ihr dies zuzurechnen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, U. v. 15.07.2021 – 10 U 27/21 -, juris) Dafür, dass die Weitergabe einer wie hier in Rede stehenden Information in keiner Beziehung zu der von der Person auszuübenden Aufgabe steht, spricht zudem die Strafbeschwertheit dieses Handelns (vgl. § 353b StGB).
Auch der Umstand, dass die handelnde Person die Information an die Presse weitergegeben hat und dies ggf. auf deren Initiative zum Zwecke der Informationsgewinnung beruht, stellt das Handeln der Person weder in einen untrennbarem Bezug zur Aufgabe noch geschieht dies durch die von Art. 5 Abs. 1 GG gesicherte Pressefreiheit. Denn dieser grundrechtliche Schutz vermittelt allein der Presse einen notwendigen Freiraum, ohne dass der Zurechnungszusammenhang zwischen dem (geschützten) Informanten und dem Staat dadurch berührt wird.
Darüber hinausgehende, mithin von der Rechtsprechung außerhalb von Rechtsnormen kreierte Zurechenbarkeiten des Handelns von Amtsträgern zum Staat, sind nicht möglich (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, B. v. 24.09.2020 – 11 U 61/20 -, juris).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. In Anlehnung an Ziffer 22.7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit war der Wert des einheitlich zu beurteilenden Begehrens mit 10.000,00 Euro zu bemessen, wobei dieser Betrag wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache abzumindern war (vgl. Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges).