IT- und Medienrecht

Feststellungsinteresse

Aktenzeichen  19 O 9543/16

Datum:
17.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NZKart – 2019, 678
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO  § 91, § 101 Abs. 1, § 256 Abs. 1, § 709
GWB § 33a Abs. 2, § 186 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Wenn einer Klage sowohl das Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO als auch die materielle Begründetheit fehlt, darf die (bereits unzulässige) Klage ausnahmsweise wegen feststehender Unbegründetheit abgewiesen werden. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Darlegungs- und Beweislast für die konkrete Kartellbetroffenheit trägt der Anspruchsteller. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine sekundäre Darlegungslast des Anspruchsgegners setzt voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (hier verneint in Bezug auf Einkäufe, die der Anspruchsteller selbst getätigt hat). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Klägerin hat die Kosten der Nebenintervention zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 320.522,75 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist sachlich und örtlich zuständig.
II. Es kann dahin stehen, ob ein gegenwärtiges Feststellungsinteresse zu bejahen ist. Wenn einer Klage sowohl das Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO als auch die materielle Begründetheit – siehe dazu die Ausführungen unter III. – fehlt, darf die (bereits unzulässige) Klage ausnahmsweise wegen feststehender Unbegründetheit abgewiesen werden (BGH, Urteil vom 11.05.2017 – III ZR 92/16, Rn. 29). Denn das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist nur für ein stattgebendes Urteil Prozessvoraussetzung (BAG, Urteil vom 12.02.2003 – 10 AZR 299/02, Rn. 47; BGH, Urteil vom 16.12.2010 – IX ZR 24/10, Rn. 14). Es wäre mit der Funktion des Feststellungsinteresses unvereinbar, in die möglicherweise erheblichen Aufwand erfordernde Prüfung des Feststellungsinteresses einzutreten, wenn die Unbegründetheit der Klage bereits feststeht (Becker-Eberhard, in MüKoZPO, 5. Aufl. 2016, § 256 ZPO Rn. 38).
III. Die Klage ist unbegründet, da von der Klagepartei nicht hinreichend dargelegt wurde, dass die aufgeführten Beschaffungsvorgänge von den kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen der Beklagten betroffen sind.
1. Die maßgebliche Anspruchsgrundlage ist für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 die Vorschrift des § 33 S. 1 GWB in der Fassung vom 26.08.1998 und für den übrigen Zeitraum die Vorschrift des § 33 Abs. 3 GWB in der Fassung vom 07.07.2005. Denn für den Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17, Rn. 44 – Schienenkartell). Somit ist auch die Vermutung des § 33a Abs. 2 GWB auf die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht anwendbar (§ 186 Abs. 3 GWB).
2. Ein Kartellschadensersatz setzt voraus, dass die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren, also ein Wettbewerb unter möglichen Lieferanten der von der Klägerin jeweils benötigten Waren durch die vom Bundeskartellamt festgestellten Kartellverstöße ausgeschlossen oder eingeschränkt wurde. Die Darlegungs- und Beweislast für die konkrete Kartellbetroffenheit trägt die Klägerin. Eine Feststellung der Kartellbetroffenheit ist nach Maßgabe des § 286 ZPO zu treffen (BGH, Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17 -, Rn. 59 – Schienenkartell). Maßgeblich dafür ist, ob der Anspruchsteller beim Erwerb kartellbefangener Waren so mit dem wettbewerbswidrigen Verhalten der Kartellanten in Berührung gekommen ist, dass nachteilige Folgen für ihn eintreten konnten.
Die Klägerin hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass eine Kartellbetroffenheit vorliegt. Aus den Bußgeldbescheiden ergibt sich nicht, dass Absprachen über die Klägerin getroffen wurden. Die Klägerin beruft sich lediglich darauf, dass sie im Zeitraum des Kartells von den Beklagten Waren erhalten habe.
Unabhängig davon, ob man davon ausgeht, dass für eine Kartellbetroffenheit eine tatsächliche Vermutung spricht, wenn die spezifischen Beschaffungsvorgänge sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich des Sachverhalts fallen, der Gegenstand des Bußgeldverfahrens beim Bundeskartellamt war, und von diesem erfasst werden (so BGH, a.a.O., Rn. 61 – Schienenkartell für Quoten- und Kundenschutzabsprachen), hat die Klagepartei bereits nicht hinreichend dazu vorgetragen, dass die hier geltend gemachten Beschaffungsvorgänge in zeitlicher Hinsicht und teilweise in sachlicher Hinsicht von dem in den Bußgeldbescheiden festgestellten Sachverhalt erfasst sind.
a) Ein Beschaffungsvorgang kann nur dann in zeitlicher Hinsicht in den Bereich des Sachverhalts fallen, der Gegenstand des Bußgeldverfahrens beim Bundeskartellamt war, und von diesem erfasst werden, wenn die diesem Beschaffungsvorgang zu Grunde liegende Preisvereinbarung innerhalb des festgestellten Zeitraums dieses Sachverhaltes getroffen wurde. Der (hier von der Klägerin behauptete) Kartellschaden besteht darin, dass ein Preis für ein Produkt gezahlt wurde, der ohne die kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen niedriger gewesen wäre, als der tatsächlich vereinbarte und gezahlte Preis. Somit kann ein Schaden nur entstehen, wenn die schadensauslösende Preisvereinbarung innerhalb des Kartellzeitraums getroffen worden ist.
Die Klägerin hat trotz eines diese Rechtslage betreffenden rechtlichen Hinweises der Kammer nicht zu den Preisvereinbarungen vorgetragen, die den streitgegenständlichen Beschaffungsvorgängen zu Grunde gelegen haben.
b) Soweit die Klägerin auch Beschaffungsvorgänge bei der Beklagten zu 2) für … und … geltend macht, sind diese Warengruppen nicht von den Feststellungen des Bußgeldbescheides umfasst. Der Bußgeldbescheid führt aus (Rn. 44), dass die Beklagte zu 2) in den Produktgruppen … vertreten sei. Die Produkte im Bereich … sind in diesen Warengruppen nicht enthalten.
c) Soweit die Klägerin mit den Beklagten auch Aktionsgeschäfte abgewickelt hat, ist es zwar nicht fernliegend, dass hierauf bezogene Preisvereinbarungen in einem engen zeitlichen Zusammenhang hiermit getroffen wurden. Allerdings ändert dies nichts an der der Klägerin obliegenden Darlegungslast.
Unabhängig davon sind Aktionsgeschäfte sachlich von den in den Bußgeldbescheiden festgestellten Kartellrechtsverstößen nicht betroffen.
3. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihr die Darlegung erschwert sei und daher ein geringerer Darlegungsmaßstab anzulegen sei, um den ihr grundgesetzlich zustehenden Rechtsgewährleistungsanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht zu verletzen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass einer Aufweichung des Prinzips der Verteilung der Darlegungslast für die Partei, die hierdurch einen Vorteil erlangt, entgegensteht, dass eine Vereinfachung der Durchsetzung von Ansprüchen für die eine Seite einen Eingriff in das Eigentum der jeweils anderen Partei, das ebenfalls nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist, sowie in deren Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 19 Abs. 4 GG) darstellt. Die grundsätzliche Verteilung der Darlegungslast (hier zu Lasten der Klagepartei, die sich eines Anspruchs berühmt), die lediglich in bestimmten Konstellationen durch eine sekundäre Darlegungslast eingeschränkt oder verlagert werden kann, trägt in ausgewogener Weise den beiderseitigen Grundrechten Rechnung.
Raum für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten besteht hier nicht. Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 – I ZR 150/15 -, Rn. 30, juris). Der entscheidungserhebliche Sachverhalt betrifft hier Einkäufe (und hierauf bezogene Vereinbarungen), die durch die Klägerin selbst getätigt wurden. Es ist kein prozessual relevanter Grund ersichtlich, weswegen sich verfahrenserhebliche Umstände zu den gegenständlichen Vereinbarungen (bezogen auf die streitgegenständlichen Beschaffungsvorgänge) der Kenntnismöglichkeit der Klägerin entzogen haben könnten. Falls insoweit der Zeitablauf und die hiermit verbundene Problematik der Beschaffung relevanter Informationen von Bedeutung sein sollte, sind die Klägerin und die Beklagten in gleicher Weise hiervon betroffen. Bei der Darlegungslast der Klägerin muss es daher sein Bewenden haben.
4. Es kann daher offen bleiben, ob die hier festgestellten Kartellrechtsverstöße überhaupt geeignet sind, eine tatsächliche Vermutung für eine Kartellbetroffenheit, wie sie vom Bundesgerichtshof für Quoten- und Kundenschutzabsprachen festgestellt wurde, zu begründen.
IV. Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 91, 101 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit war nach § 709 ZPO zu entscheiden.


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