IT- und Medienrecht

Haftung des Kfz-Herstellers beim Abgasskandal

Aktenzeichen  23 O 227/17

Datum:
23.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB 823 II
StGB 263 I

 

Leitsatz

1 Der Verkauf eines Fahrzeugs, in dem eine Software verbaut ist, welche die Stickoxidwerte der Abgase des Dieselmotors auf dem Prüfstand zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte optimiert, welche aber unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr nicht in Betrieb ist (Manipulationssoftware) durch einen hinsichtlich der Manipulationssoftware unwissenden Verkäufer stellt einen von dem Hersteller des Motors als mittelbarer Täter gegenüber dem Käufer begangenen Betrug dar. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zwar ist ein Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage regelmäßig nicht gegeben, wenn grundsätzlich die Möglichkeit der Erhebung einer entsprechenden Leistungsklage besteht. Bei dem Käufer eines mit einer sogenannten „Manipulationssoftware“ ausgestatteten Dieselfahrzeugs besteht jedoch ein Feststellungsinteresse daran, sich die Entscheidung noch offen zu halten, ob er angesichts der unklaren Sachlage hinsichtlich der Auswirkungen der angebotenen Nachrüstung und deren Folgen für die Werthaltigkeit der betroffenen Fahrzeuge die Rückabwicklung des Kaufs oder aber den Ausgleich der entstandenen Nachteile durch Zahlung eines entsprechenden Schadensersatzbetrags wählt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Passat 2,0 l TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer …) durch die Beklagte resultieren.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 € freizustellen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist vorliegend für die erhobene Feststellungsklage auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse zu bejahen. Zwar ist ein Feststellungsinteresse im vorbezeichneten Sinne regelmäßig nicht gegeben, wenn grundsätzlich die Möglichkeit der Erhebung einer entsprechenden Leistungsklage besteht (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 31. Aufl., § 256 Rn. 7a). Insoweit kommen aber je nach den Umständen des Einzelfalls auch Ausnahmen in Betracht (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., § 256 Rn. 8 und 9), wozu im Rahmen des Schadensersatzrechts auch ein dem Geschädigten im Rahmen des § 249 BGB zustehendes Wahlrecht führen kann (vgl. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 38. Aufl., § 256 Rn. 18). Das ist auch vorliegend der Fall, da nach den Gesamtumständen ein rechtlich schützenswertes Interesse des Klägers daran besteht, sich dieses Wahlrecht derzeit noch offen zu halten. Es wird Schadensersatz aus Delikt geltend gemacht, der nach § 249 Abs. 1 BGB auf die Herstellung des wirtschaftlichen Zustandes gerichtet ist, der ohne das schädigende Ereignis (Abschluss eines Kaufvertrags) bestehen würde. Dieser kann zwar durch die Erstattung des geleisteten Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzung gegen Herausgabe des Fahrzeugs herbeigeführt werden. Der Geschädigte muss aber nicht diesen Weg der Schadensregulierung wählen. Er kann auch das betroffene Fahrzeug behalten und Ausgleich der entstandenen Nachteile durch Zahlung eines entsprechenden Schadensersatzbetrags begehren (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 76. Aufl., Vorbem. vor § 249 Rn. 17 sowie Palandt-Sprau, a.a.O., Einführung vor § 823 Rn. 24). Insoweit besteht derzeit auch ein schützenswertes Interesse des Klägers, sich diese Entscheidung noch offen zu halten vor dem Hintergrund der unklaren Sachlage hinsichtlich der Auswirkungen der von der Beklagten angebotenen Nachrüstung und deren Folgen für die Werthaltigkeit der betroffenen Fahrzeuge angesichts der hierzu vorgetragenen unterschiedlichen Auffassungen von Fachleuten.
Die Klage ist auch überwiegend begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 2. Alt. StGB zu.
Der Verkauf des Fahrzeugs durch die hinsichtlich der vorbezeichneten Abgasproblematik unwissenden C. GmbH & Co. KG an den Kläger stellt einen von der Beklagten als mittelbare Täterin gegenüber dem Kläger begangenen Betrug dar.
Der streitgegenständliche Pkw wies bereits bei Abschluss des Kaufvertrags und Übergabe an den Kläger einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Eine Sache ist danach frei von Mängeln, wenn eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, sie sich aber für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Das ist vorliegend nicht der Fall. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert (vgl. Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, Az.: 2 O 72/16, Rn. 21 bis 25 nach juris m.w.N.). Insoweit ist auch ein schwerwiegender Mangel gegeben, da der Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und Grenzwerten bei Fahrzeugemissionen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine erhebliche Bedeutung zukommt.
Die Beklagte war nach § 13 StGB als Herstellerin des Motors verpflichtet, über dessen Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben potenzielle Käufer des Fahrzeugs zu unterrichten. Das ist nicht geschehen. Hierdurch wurde bei dem Kläger ein Irrtum (über die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben und der hieraus resultierenden Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs) erregt. Er hat durch den Erwerb des Fahrzeugs über sein Vermögen verfügt und aufgrund des dem Fahrzeug anhaftenden Mangels einen Schaden erlitten. Die auf dem Verhalten der Beklagten beruhende Täuschung des Klägers und der hierauf beruhende Irrtum war für die Vermögensverfügung des Klägers und den ihm hierdurch entstandenen Schaden auch ursächlich. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird ein redlicher Käufer eines Fahrzeugs, das die gesetzlichen Normen und Vorgaben nicht einhält und dadurch mangelbehaftet ist, nicht erwerben bzw. lediglich zu einem am bloßen Materialwert orientierten Kaufpreis. Im Umfang des bei dem Kläger eingetretenen Schadens ist unmittelbar und stoffgleich die C. GmbH & Co. KG (fremdnützig als Dritte) bereichert worden. Sie hat für das an den Kläger veräußerte Fahrzeug mehr als den bloßen Materialwert erhalten (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, Az.: 9 O 6119/16).
Die Beklagte hat vorsätzlich und mit der Absicht, auch etwaige Zwischenhändler zu bereichern, gehandelt, um ihren eigenen Fahrzeugabsatz zu fördern. Die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte unter serienmäßiger Verwendung einer dafür konzipierten Software für den vorgesehenen Rollenprüfstand zur Herbeiführung unterschiedlicher Einstellungen für Prüfstand und normalen Straßenverkehr stellt eine systematisch für eine Vielzahl von Fällen angelegte verdeckte Vorgehensweise dar, die von vornherein auf eine Täuschung der Kunden bzw. Käufer der betroffenen Fahrzeuge gerichtet ist (im Ergebnis ebenso LG München I, Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14.04.2016, Az.: 23 O 23033/15, Ziffer I. 1. sowie Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, Az.: 2 O 72/16, Rn. 37 und 38).
In diesem Zusammenhang hat die Beklagte als juristische Person nach § 31 BGB für Vorstand, Mitglieder des Vorstands und verfassungsmäßig berufene Vertreter einzustehen. Bei Gesamtvertretung genügt insoweit das Verschulden eines Vertreters. Zudem ist § 31 BGB auf andere Organe, wie die Mitgliederversammlung oder den Aufsichtsrat, entsprechend anzuwenden (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, a.a.O., § 31 Nr. 3 und 5). Bereits nach den vorliegend unstreitigen Begleitumständen ist davon auszugehen, dass eine Einstandspflicht der Beklagten nach den vorbezeichneten Grundsätzen gegeben ist. Die Beeinflussung einer Motorsoftware einer ganzen Motorenreihe speziell für den Prüfstand stellt eine wesentliche unternehmerische Weichenstellung mit erheblicher Reichweite für den Produktionsablauf dar, deren Umsetzung einen erheblichen Eingriff in den Produktionsablauf darstellt und die Implementierung entsprechender interner Strukturen, insbesondere für die Entwicklung und Eingliederung der Software in den Produktionsablauf, erfordert. Diese Umsetzung erscheint ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Kenntnis und Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der Beklagten aus der oberen Betriebshierarchie, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, ausgeschlossen. Daher ist es insoweit auch nicht ausreichend, wenn beklagtenseits lediglich die klägerseits vorgetragene Kenntnis und Mitwirkung einzelner Personen aus dem Vorstandsbereich der Beklagten bestritten wird. Der Beklagten müssen aufgrund des Zeitablaufs einerseits und der intern nachvollziehbaren grundlegenden organisatorischen Eingriffe in den Produktionsablauf in diesem Zusammenhang andererseits detaillierte Kenntnisse zum konkreten Geschehensablauf vorliegen, so dass es ihr möglich und zumutbar ist, diesen vollumfänglich darzulegen. Das hat sie aber nicht getan. Damit liegt insoweit kein ausreichendes Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO vor, so dass im Ergebnis vom Vorliegen der subjektiven Betrugsmerkmale bei zur Vertretung der Beklagten berufenen Organen nach § 31 BGB auszugehen ist (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, Az.: 9 O 6119/16, Ziffer I. 7.).
Damit ist die Beklagte dem Kläger gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (durch den Betrug bedingter Abschluss des Kaufvertrags) bestehen würde.
Dieser deliktische Schadensersatzanspruch umfasst auch die zugesprochene Freistellung hinsichtlich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, a.a.O., § 249 Rn. 56 und 57). Allerdings ist insoweit – entgegen dem klägerischen Ansatz von 11.500,00 € – lediglich von einem Streitwert in Höhe von 6.400,00 € auszugehen. Für den von dem Feststellungsantrag betroffenen Schadensersatzanspruch kann bei der Streitwertermittlung zwar zunächst vom Kaufpreis in Höhe von 11.500,00 € ausgegangen werden, da – wie bereits vorstehend dargelegt – entsprechend der Ausübung des Wahlrechts des Klägers im Rahmen des § 249 ZPO auch eine Schadensregulierung in Betracht kommt, die wirtschaftlich auf die Zurückerlangung des gezahlten Kaufpreises hinausläuft. Dieser käme dabei aber nicht als Maximalzahlbetrag in Betracht, da die gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen wären (Abgeltung der seit Erwerb des Fahrzeugs gefahrenen Kilometer). Deshalb ist bei realistischer Einschätzung in diesem Zusammenhang eher von einem Maximalbetrag in Höhe von 8.000,00 € auszugehen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass vorliegend ein Feststellungs- und kein Leistungsantrag betroffen ist, was einen Abschlag in Höhe von 20% rechtfertigt (vgl. Zöller-Herget, ZPO, a.a.O., § 3 Rn. 16, Stichwort „Feststellungsklagen“). Damit ist im Ergebnis vorliegend von einem Streitwert in Höhe von 6.400,00 € auszugehen. Hinsichtlich der Gebührenfestlegung nach § 14 Abs. 1 RVG trifft es zwar zu, dass eine Rechtsmaterie betroffen ist, die in verschiedenen entscheidungserheblichen Punkten höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und dementsprechend umfangreichen schriftsätzlichen Vortrag veranlasst hat. Dem steht aber gegenüber, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, so dass sich Umfang und Schwierigkeit bezogen auf das einzelne Verfahren entsprechend relativieren und der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr im vorliegendem Fall gerechtfertigt erscheint, der hier zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale und 19% Umsatzsteuer zu einem schadensersatzpflichtigen Betrag in Höhe von 650,34 € führt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO…


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