IT- und Medienrecht

Haftung einer juristischen Person für eine Straftat ihres Geschäftsleiters

Aktenzeichen  13 W 1134/21

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41093
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 27, § 288

 

Leitsatz

Eine juristische Person kann keine Beihilfe zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung durch ihren Geschäftsleiter leisten, aber nach den Grundsätzen Organhaftung für den entstandenen Schaden verantwortlich sein. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 O 8961/21 2021-07-02 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 02.07.2021, Az. 22 O 8961/21, wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Beschwerdewert wird auf 20.328,78 € festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 30.06.2021, beim Landgericht München I per beA eingegangen am 02.07.2021, beantragte der Antragsteller wegen einer Schadensersatzforderung in Höhe von 60.986,36 € die Anordnung des dinglichen Arrestes in das gesamte Vermögen der Antragsgegnerin. Außerdem beantragte er, in Vollziehung des Arrestes die Ansprüche der Antragsgegnerin gegen die B. Bank in M. bis zum Höchstbetrag von 60.986,36 € zu pfänden.
Der Antragsteller trug im Wesentlichen folgenden Sachverhalt vor:
Der Vorstandsvorsitzende der W. AG, M. B., sei am 22.07.2020 wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betruges und der Fälschung von Geschäftsbilanzen seit mindestens 2015 sowie wegen des Verdachts der Marktmanipulation festgenommen worden und befinde sich seither in Untersuchungshaft. Nach den bisherigen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bestehe der Verdacht, dass er mit Mittätern im Jahr 2015 übereingekommen sei, die Bilanzsumme und das Umsatzvermögen der W. AG durch vorgetäuschte Einnahmen aus Geschäften mit sog. Third-Party-Acquirern (TPA) aufzublähen, um das Unternehmen finanzkräftiger und zum Zwecke der Generierung fortwährender eigener Einkünfte für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen. Obwohl seit Ende 2015 klar gewesen sei, dass der W.-Konzern mit tatsächlichen Geschäften insgesamt Verluste erziele, sei es angesichts angeblich vorhandener Vermögenswerte in Höhe von 1,9 Mrd. € gelungen, von den so getäuschten Banken und sonstigen Investoren Gelder in Höhe von rund 3,2 Mrd. € bereit gestellt zu erhalten, die aufgrund der Insolvenz der W.AG höchstwahrscheinlich verloren seien.
Er, der Antragsteller, habe im Zeitraum 08. bis 18.06.2020 60.986,36 € in W.-Aktien investiert. Dabei seien Käufe in diesem Zeitraum abzüglich Verkäufe bereits berücksichtigt.
Obwohl mit Pressemitteilung vom 18.06.2020 publik geworden sei, dass der Wirtschaftsprüfer das Testat für den Jahresabschluss 2019 der W. AG nicht erteilen werde, habe M. B. in Pressemitteilungen der W. AG immer noch verlautbart, dass es das Testat geben werde und das Unternehmen möglicherweise einem Betrug erlegen sei.
Hätte er, der Antragsteller, bei Kauf Kenntnis von den Machenschaften des M. B. gehabt und gewusst, dass die W. AG bereits seit 2015 eigentlich ausschließlich Verluste mache, hätte er die Aktienanteile nicht erworben.
M. B. sei auch alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Antragsgegnerin als größter Einzelaktionärin der W. AG gewesen. M. B. habe damit jedenfalls im Außenverhältnis eine Verfügungsberechtigung über deren Vermögen besessen.
Die Antragsgegnerin habe im Mai 2020 bei der O. L.bank AG einen Kredit über 120 Mio. € aufgenommen, zu deren Sicherheit ein Aktienpaket der W. AG mit einem Wert von damals mindestens 680 Mio. € hinterlegt worden sei. Trotz dieser Übersicherung seien zusätzlich noch Pfandbestellungsverträge zwischen M. B. und der O. L.bank AG geschlossen und Simultanhypotheken im Höchstbetrag von 30 Mio. € an im Eigentum des M. B. stehenden Immobilien in Österreich begründet worden.
M. B. habe dabei im Mai 2020 schon gewusst, dass das „Modell W. AG“ aufgeflogen und eine Insolvenz sehr wahrscheinlich sei. Trotzdem habe er aufgrund der eingetragenen Pfandrechte 30 Mio. € aus seinem Vermögen in das Vermögen der Antragsgegnerin verschoben, um so an liquide Mittel von 120 Mio. € zu gelangen und Gläubigern sein Privatvermögen dauerhaft zu entziehen. Nach österreichischem Recht falle nämlich die Hypothek bei Rückzahlung des Kredits der Antragsgegnerin zu. Eine Vollstreckung durch den Antragsteller sei erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich, da die Hypotheken über 30 Mio. € den Wert der Immobilien jeweils überstiegen.
Die Antragsgegnerin habe durch ihr Verhalten Beihilfe zur Vollstreckungsvereitelung geleistet. Sie hafte ihm, dem Antragsteller, gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 288, 263, 266 StGB und § 120 WpHG, §§ 830, 840 BGB auf Schadensersatz.
Mit Beschluss vom 02.07.2021 (Bl. 19/22 d.A.) wies das Landgericht München I den Antrag auf Erlass eines dinglichen Arrestes zurück. Der behauptete Arrestanspruch sei weder schlüssig dargelegt noch ausreichend glaubhaft gemacht. Es sei nicht dargelegt, inwieweit die Antragsgegnerin sich ein Handeln von M. B. zurechnen lassen müsse. Auch zu einer konkreten Beihilfehandlung der Antragsgegnerin sei nicht vorgetragen.
Gegen den ihm am 12.07.2021 zugestellten Beschluss legte der Antragsteller mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 21.07.2021, beim Landgericht München I per beA eingegangen am 22.07.2021, sofortige Beschwerde ein (Bl. 23/27 d.A.). Der Antragsteller verwies vollumfänglich auf die Ausführungen in der Antragsschrift. Die Handlungen von M. B. seien der Antragsgegnerin zuzurechnen, weil dieser Geschäftsführer der Antragsgegnerin sei. § 111h Abs. 2 StPO sei vorliegend nicht anwendbar.
Das Landgericht München I hat der sofortigen Beschwerde des Antragstellers mit Beschluss vom 27.07.2021 nicht abgeholfen und die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht München verfügt (Bl. 28/30 d.A.).
Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 02.07.2021 ist zwar zulässig erhoben, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Anordnung des dinglichen Arrestes ergibt sich aus § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (vgl. Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 922 Rn. 19). Die zweiwöchige Notfrist des § 569 Abs. 1 ZPO und die Formvorschriften des § 569 Abs. 2 ZPO sind gewahrt.
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ein Arrestanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht (§§ 916 Abs. 1, 920 Abs. 2 ZPO).
2) Ein Schadensersatzanspruch des Antragstellers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 288 Abs. 1, 27 StGB wegen Beihilfe der Antragsgegnerin zu einer von M. B. begangenen Vereitelung der Zwangsvollstreckung scheidet aus.
Glaubhaft gemacht ist zwar, dass dem Antragsteller dem Grunde nach ein Arrestanspruch aus § 826 BGB gegen M. B. zusteht (vgl. hierzu auch die Senatsbeschlüsse 13 W 1722/20 und 13 W 667/21) und dass M. B. im Zeitpunkt der hypothekarischen Belastung seiner beiden Grundstücke in K. und H. die Zwangsvollstreckung drohte (vgl. hierzu die zutreffenden Ausführungen in dem mit der Beschwerdeschrift vorgelegten Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 01.06.2021 – 8 W 734/21).
Allerdings kommt eine Beihilfe der Antragsgegnerin zu einer von M. B. begangenen Vereitelung der Zwangsvollstreckung durch dingliche Belastung zweier ihm gehörender Grundstücke (§§ 288 Abs. 1, 27 StGB) schon deshalb nicht in Frage, weil die Antragsgegnerin als juristische Person keine Straftaten begehen kann. Im deutschen Strafrecht gilt das Schuldprinzip, weshalb ein strafrechtlicher Schuldvorwurf eine natürliche Person als Adressaten bedingt (BeckOK StGB/Momsen/Laudien, 50. Edition, § 14 Rn. 1, 5 und 31 ff.).
2) In Betracht kommt zwar, dass die Antragsgegnerin nach den Grundsätzen der Organhaftung für den Schaden verantwortlich ist, welchen ihr Geschäftsführer M. B. dem Antragsteller durch Begehung einer Straftat nach § 288 Abs. 1 StGB zugefügt hat (§§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 StGB; nachfolgend Buchst. aa). Der Antragsteller hat aber den durch die Vereitelung der Zwangsvollstreckung bei ihm eingetretenen Schaden nicht hinreichend dargelegt (nachfolgend Buchst. bb und cc).
2) Der Abschluss des unter anderem mit Grundpfandrechten besicherten Darlehensvertrages mit der O. L. bank AG im Mai 2020 in organschaftlicher Vertretung der Antragsgegnerin stellt eine Handlung dar, welche M. B. in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen als Geschäftsführer der Antragsgegnerin begangen hat.
Diese Handlung war zugleich wesentlicher Bestandteil der von dem Antragsteller ausreichend glaubhaft gemachten Vereitelung der Zwangsvollstreckung durch M. B. gemäß § 288 Abs. 1 StGB. Zur Sicherung des von der Antragsgegnerin aufgenommenen Darlehens belastete dieser bei ihm drohender Zwangsvollstreckung (s. oben Buchst. a) zwei in seinem Eigentum stehende Grundstücke mit Hypotheken im Höchstbetrag von 30 Mio. €. Die Vereitelungsabsicht ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Hierfür genügt es, dass der Täter die Benachteiligung seiner Gläubiger als sichere Nebenfolge voraussieht (Schönke/Schröder/Heine/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 288 Rn. 17), was angesichts der Sachlage ohne Weiteres angenommen werden kann. Auf die Beweggründe für den Abschluss des Darlehensvertrages vom Mai 2020 kommt es hierbei nicht an.
2) Der Antragsteller hat indes schon nicht vorgetragen, aus welchen An- und Verkaufsgeschäften sich der geltend gemachte Schaden in Höhe von 60.986,36 € ergibt.
Die bloße Vorlage von Wertpapierabrechnungen (Anlagen K8 bis K 18) genügt hierfür nicht. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die einzelnen Abrechnungsbelege auf ihre Verfahrensrelevanz zu überprüfen, die jeweils maßgeblichen Beträge herauszuarbeiten und anschließend eine Schadensberechnung durchzuführen. Dies wäre vielmehr Sache des Antragstellers gewesen.
2) Darüber hinaus fehlt jeder Vortrag dazu, welcher Schaden dem Antragsteller infolge der hypothekarischen Belastung der beiden Grundstücke von M. B. in K. und H. konkret entstanden sein soll.
Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist grundsätzlich nach der Differenzhypothese zu bestimmen. Ein Vermögensschaden ist gegeben, wenn der jetzige tatsächliche Wert des Vermögens des Geschädigten geringer ist als der Wert, den das Vermögen ohne das die Ersatzpflicht begründende Ereignis haben würde. Die Vermögenslage des Geschädigten muss sich dabei objektiv verschlechtert haben; eine bloße Vermögensgefährdung genügt nicht (Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 10 m.w.N.).
Der Vortrag, dass dem Antragsteller durch die Belastung der beiden Grundstücke in K. und H. mit Hypotheken im Höchstbetrag von 30 Mio. € die Vollstreckung seiner Schadensersatzansprüche gegen M. B. aus § 826 BGB wesentlich erschwert bzw. unmöglich gemacht worden sei (S. 10/11 der Antragsschrift), stellt nur die Umschreibung einer Vermögensgefährdung dar.
Die Glaubhaftmachung eines Vermögensschadens würde demgegenüber schlüssigen Vortrag dazu voraussetzen, dass es dem Antragsteller – die dingliche Belastung der beiden Grundstücke weggedacht – gelungen wäre, einen Schadensersatzanspruch gegen M. B. durch Vollstreckung in die oder eines der Grundstücke vor Erschöpfung des jeweiligen Grundstückswertes durch andere Belastungen zu realisieren. Ein entsprechender Vortrag fehlt. Die grundsätzliche Möglichkeit, die Eintragung einer Zwangssicherungshypothek bei den beiden vor dem Mai 2020 im Wesentlichen unbelasteten Grundstücken zu erwirken, reicht hierfür angesichts der gerichtsbekannt hohen Zahl von (potentiellen) Geschädigten – der Antragsteller hat selbst vorgetragen, dass Investitionen in Höhe von 3,2 Mrd. € höchstwahrscheinlich verloren seien (S. 6 der Antragsschrift) – nicht aus. Würde man dies als Schadensbeleg genügen lassen, so könnte jeder durch das Verhalten von M. B. Geschädigte die Antragsgegnerin unabhängig vom Wert der beiden Grundstücke in K. und H. auf die volle Schadenssumme in Anspruch nehmen. Dies kann nicht richtig sein.
Abgesehen davon trägt der Antragsteller nicht vor, ob es sich bei den beiden Grundstücken um die einzigen werthaltigen Vermögensgegenstände von M. B. handelt. Sollte M. B. über anderweitiges Vermögen verfügen, was angesichts der Gesamtumstände nicht unwahrscheinlich ist, so hätte dem Antragsteller grundsätzlich auch dieses zur vorläufigen Sicherung seines Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB zur Verfügung gestanden. Ein Schaden des Antragstellers aus der von M. B. bewilligten Belastung seiner Grundstücke in K. und H. ist auch insoweit nicht schlüssig dargetan.
2) Das Landgericht hat den Antrag vom 30.06.2021 zu Recht mangels Glaubhaftmachung eines Arrestanspruchs zurückgewiesen.
2) Klarstellend ist anzumerken, dass das vom Antragsteller ebenfalls in Bezug genommene Grundstück in L. ausweislich des als Anlage K5 vorgelegten Registerauszugs nicht im Eigentum von M. B., sondern im Eigentum der Antragsgegnerin steht.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Der Senat hat den Beschwerdewert gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO auf 1/3 der im Beschwerdeverfahren gegenständlichen Hauptforderung festgesetzt (vgl. MüKo ZPO/Wöstmann, 6. Aufl. 2020, § 3 Rn. 34).
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen (§§ 574 Abs. 1 S. 2, 542 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Verfügung
1. Beschluss vom 11.08.2021 hinausgeben an:
formlos Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers …
2. Schlussbehandlung


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