IT- und Medienrecht

Haftung für Inverkehrbringen eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs gegenüber dem Gebrauchtwagenkäufer

Aktenzeichen  4 O 367/20

Datum:
7.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21909
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 249, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 826
ZPO § 287

 

Leitsatz

1. Der Hersteller haftet auch dem Käufer eines Gebrauchtwagens, dessen Motorensteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, nach § 826 BGB. (Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Umstand, dass der „Abgasskandal“ bereits 2015 publik geworden ist, folgt nicht ohne weiteres die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Autokäufers hiervon. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung für einen VW Golf Cabrio mit Dieselmotor ist von einer möglichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km auszugehen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.474,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.12.2018 Zug um Zug gegen Herausgabe und Rückübereignung des PKW Golf Cabrio 2,0 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr. … sowie weitere 644,98 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.12.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % das zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Der Streitwert wird bis zum 04.08.2020 auf 28.661,62 € festgesetzt, danach auf 22.316,81 €.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Die Beklagte haftet dem Kläger aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB.
1. Er kann daher Zug um Zug gegen Rückgabe das Fahrzeuges Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung verlangen.
Nach der Entscheidung des BGH vom 25.05.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19, ist das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch die bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und im Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in 7-stelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorensteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschaltinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Der BGH hat dieses Verhalten im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, als besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung als nicht vereinbar qualifiziert.
Wie der BGH weiter ausführt (BGH a.a.O.) setzt daher der Käufer eines Fahrzeuges – gleichgültig, ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt – die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben arglos als selbstverständlich voraus. Nach der Auffassung des BGH betrifft dies auch den Gebrauchtwagenkäufer, dessen Fahrzeug bereits über eine Erstzulassung verfügt.
Nach den Grundsätzen der Entscheidung des BGH (BGH a.a.O.) trifft die Beklagte in der vom BGH entschiedenen Konstellation, die der hiesigen gleich läuft, eine sekundäre Darlegungslast, da hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen sind, wie auch hier. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen.
2. Der Schaden des Klägers durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten besteht im Abschluss des Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug, §§ 826, 249 Abs. 1 BGB.
Auch im konkreten Fall ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte, § 286 ZPO. Neben der Behauptung des Klägers ist hierbei die allgemeine Lebenserfahrung mit einzubeziehen, wonach, bei einem Verlust der Nutzungsmöglichkeit (bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung) der Kläger vom konkreten Geschäft Abstand genommen hätte. Dass das Fahrzeug die unzulässige Abschalteinrichtung aufwies, ist zwischen den Parteien unstreitig.
3. Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht verjährt. Die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB) beginnt erst dann, wenn neben dem Entstehen des Anspruchs der Gläubiger auch von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Darlegungs- und beweisbelastet für die die Verjährung begründenden Umstände ist die Beklagte. Zwar mag der „Abgasskandal“ bereits 2015 publik geworden sein, Kenntnis des Klägers bzw. grob fahrlässige Unkenntnis kann die Beklagte jedoch nicht darstellen. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger spätestens als er das Hinweisschreiben, dass sein Fahrzeug betroffen ist, erhalten hat, Kenntnis davon halte, dass sein Fahrzeug vom „Abgasskandal“ betroffen war. Wann dieses Schreiben den Kläger erreichte, trägt die Beklagte nicht vor. Zudem war die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt.
4. Der Kläger hat sich im Wage des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen (BGH a.a.O.).
Bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung ist das Gericht von einer möglichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km ausgegangen (OLG München Endurteil v. 17.12.2019 – 18 U 3363/19, BeckRS 2019, 33717 Rn. 33), ferner davon, dass es zum Zeitpunkt der Übergabe einen Kilometerstand von 6.900 km aufwies. Setzt man zu erwartende Gesamtiaufleistung abzgl. Laufleistung bei Kauf, also 243.100 km und Kaufpreis (25.500 €) ins Verhältnis, so ergibt sich, multipliziert mit den geafhrenen Kilometern (79.828 ./. 6.900 = 72.928 km) eine in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.649,79 €.
5. Auch an den Kläger zu erstatten sind die von ihm aufgewandten Reparaturkosten abzüglich der TÜV-Gebühr (67,00 €) und abzüglich des Radwechsels (19,00 €). Hierbei handelt es sich um Kosten, die individuell mit dem erworbenen Fahrzeug in Zusammenhang stehen. Bei Kfz-Steuer, Kfz-Versicherung, Zulassungskosten, Radwechsel und TÜV Gebühren handelt es sich dagegen um Aufwendungen, die den Kläger auch bei dem Erwerb eines anderen Fahrzeuges getroffen hätten. Der Kläger hat selbst angegeben, über 2 Fahrzeuge verfügt zu haben, sein Haushalt bestehe aus ihm und seiner Ehefrau, zwar habe er kein Fahrzeug in Zahlung gegeben, jedoch auch davor über ein anderes Fahrzeug verfügt. Grundsätzlich geht das Gericht daher davon aus, dass es sich nicht um ein reines „Spaßauto“ gehandelt hat, sondern der Haushalt grundsätzlich 2 Fahrzeuge genutzt hat. Hätte der Kläger nicht das streitgegenständliche Fahrzeug erworben, so ist das Gericht davon überzeugt, dass er ein anderes Fahrzeug erworben hätte. Damit wären die nicht in Ansatz gebrachten Kosten auch im Zusammenhang mit einem anderen Fahrzeug entstanden.
6. Der Annahmeverzug konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger hat im Anwaltsschreiben, Anlage K4, die Rückgabe des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vortailsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringen Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Insbesondere stellt sich die von ihm zugrunde gelegte Gesamtlaufleistung von 450.000 km als weit überzogen dar. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (BGH, Urteil vom 20.07.2005 Az VIII ZR 275/04, BGHZ 163,3 181,390; BGH, Urteil vom 25.5.2020, Aktenzeichen VI ZR 252 aus 19).
7. Gleiches gilt im Bezug auf die Begründung des Schuldnerverzuges hinsichtlich der Kaufpreiserstattung (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB), weil der Schuldner nur in Verzug geraten kann, wenn der Gläubiger die ihn obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (BGH, Urteil vom 25.5.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19).
8. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren errechnen sich hinsichtlich des Gegenstandswertes aus dem zugesprochenen Hauptsachebetrag. Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren beträgt daher lediglich 18.474,22 €. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren errechnen sich bei Ansatz einer hälftigen 1,5-Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer mit 644,98 €.
II. Kosten: § 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für den Kläger auf § 709 Satz 2 ZPO, für den Beklagten auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV. Streitwert: § 3 ZPO.


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