IT- und Medienrecht

Heranziehung zu Erschließungsbeitrag  – sukzessive Erweiterung der Ortsstraße

Aktenzeichen  B 4 K 16.782

Datum:
21.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24020
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b) bb), Art. 19
BauGB § 127, § 130 Abs. 2 S. 3
AO § 169, § 170

 

Leitsatz

1 Das Abstellen auf den Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten für die Frage des längenmäßigen Umfanges einer Anlage (hier: einer Ortsstraße) führt im Falle eines sukzessiven Ausbaus in einen Zirkelschluss, weil der Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht in derartigen Fällen von der Frage abhängt, wo die Anlage endet. In einem solchen Fall ist neben der natürlichen Betrachtungsweise die Willensbildung der Gemeinde für die Beurteilung des Anlagenumfangs mit heranzuziehen. (Rn. 25 – 26) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Die Anlagenbildung bei einer geradeaus verlaufenden Straße ergibt sich schon nach der primär vorzunehmenden natürlichen Betrachtungsweise und bedarf nicht des Konstrukts einer Erschließungseinheit, unter der man die Zusammenfassung mehrerer funktional zusammenhängender Anlagen versteht, die eben nicht schon nach natürlicher Betrachtungsweise eine Anlage darstellen. (Rn. 31) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Wenn mehrere (hier: zwei) Verlängerungsstrecken „die Erschließungsanlage“ bilden, ist maßgeblich auf die Erfüllung aller Herstellungsmerkmale auch der zweiten Verlängerung abzustellen. (Rn. 38) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 24.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 10.10.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Erschließungsbeitrags gegenüber den Klägern ist Art. 5a KAG in der bis 31.03.2016 geltenden Fassung i. V. m. §§ 127 ff. BauGB i. V. m. der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten vom 01.01.1991.
Nach diesen Vorschriften erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht ge-deckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Dabei wird der um einen Gemeindeanteil (§ 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB) verringerte umlagefähige Aufwand auf die durch die Anlage erschlossenen (§ 131 Abs. 1 BauGB) Grundstücke verteilt.
Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit der EBS der Beklagten sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Kläger machen ausschließlich geltend, die Erschließungsbeitragsforderung sei verjährt.
Dies trifft jedoch nicht zu.
Die vierjährige Festsetzungsverjährung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) Spiegelstrich 3 und cc), Abs. 2 KAG i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 und § 170 Abs. 1 AO war zum Zeitpunkt der Beitragserhebung durch den Bescheid vom 24.03.2016 noch nicht eingetreten, da die Beitragspflicht nach § 133 Abs. 2 BauGB erst mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage – hier dem Zeitpunkt des Eingangs der Schlussrechnung des Vermessungsamts bei der Beklagten am 30.10.2015 – entstanden ist und nicht schon nach der weitgehenden Fertigstellung der „ersten Verlängerung“ im Jahr 1997 oder im Zeitpunkt des Aufbringens der Asphaltdeckschicht auf dem Gehweg dieser ersten Verlängerung im Jahr 2010.
a. Maßgebliche Erschließungsanlage ist der J …Weg ab km 0,274 bis zum Ausbauende bei km 0,455 (jeweils lt. Widmung).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind für die Beurteilung der Frage, wo eine selbständige Anlage beginnt und wo sie endet, die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich, wie sie sich im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise darstellen (vgl. z.B. BVerwG v. 9.1.2013 – 9 B 33.12 – juris).
Das Abstellen auf den Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten für die Frage des längenmäßigen Umfanges einer Anlage führt jedoch im Falle eines sukzessiven Ausbaus in einen Zirkelschluss, weil der Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht in derartigen Fällen von der Frage abhängt, wo die Anlage endet.
In einem solchen Fall ist neben der natürlichen Betrachtungsweise die Willensbildung der Gemeinde für die Beurteilung des Anlagenumfangs mit heranzuziehen. Da der Gemeinderat in der Sitzung am 11.04.1994 (Bl. 45 – 47 der Gerichtsakte im Verfahren B 4 K 16.659) beschlossen hat, den J …Weg (erste Verlängerung) nicht endgültig herzustellen und erst nach Fortführung in Richtung Süden insgesamt fertigzustellen und mit allen Anliegern abzurechnen, war die erste Verlängerung noch nicht die gewollte Anlage, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch offen war, wann es zum Erlass des Anschluss-Bebauungsplans und der Fortführung der Ortsstraße kommen würde. Nur die voraussichtliche Länge der Fortführung war durch die Gemeindegrenze weitgehend vorgegeben.
Ausschlaggebend für diese Willensbildung mag gewesen sein, dass die Beklagte irrtümlich davon ausging, ein nur ca. 70 m langer Abschnitt sei für eine Abrechnung zu kurz (vgl. Begründung des Beitragsbescheids). Die angeführte Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit einer Abschnittsbildung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 KAG (vgl. BayVGH, U. v. 19.10.2000 – 6 B 96.603; B. v. 09.07.2013 – 6 ZB 12.1781; B. v. 23.02.2015 – 6 B 14.2435, alle in juris) ist im vorliegenden Fall aber nicht einschlägig. Um eine Teilstrecke einer Ortsstraße als Abschnitt abrechnungsmäßig zu verselbstständigen, muss sie grundsätzlich eine gewisse eigenständige Bedeutung als Verkehrsanlage haben. Sie muss von ihrem Umfang her – gleichsam stellvertretend – „Straße“ sein können. Sowohl die grundsätzliche Forderung einer gewissen selbstständigen Bedeutung als auch das Verlangen einer Begrenzung nach örtlich erkennbaren Merkmalen oder rechtlichen Gesichtspunkten sind letzten Endes darauf ausgerichtet, willkürliche Abschnittsbildungen zu verhindern (BayVGH, B. v. 6.5.2008 – 6 CS 08.105 – juris Rn. 6). Es soll nicht eine einheitliche Straße gewissermaßen zu einem Flickenteppich werden und damit eine dem Ausbaubeitragsrecht fremde Atomisierung des Begriffs der beitragsfähigen Ortsstraße eintreten (BVerwG, U.v.6.12.1996 – 8 C 32.95 – BVerwGE 102, 294/300; BayVGH, B. v. 09.07.2013 – 6 ZB 12.1781 – juris Rn. 7 jeweils zum Erschließungsbeitragsrecht; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge 9. Aufl., § 14 Rn. 24).
Bei der Verlängerung des J …Wegs ging es aber gerade nicht um die Unterteilung einer Erschließungsanlage in Teilstrecken zur gesonderten Abrechnung. Die Verlängerung hätte unabhängig von ihrer Länge eine eigene abrechenbare Erschließungsanlage dargestellt, wenn die erstmalige Herstellung abgeschlossen gewesen und die Beitragspflicht entstanden wäre (vgl. OVG Münster, B .v. 23.11.2006 – 3A 4011/04, juirs Rn. 10; BVerwG, U. v. 05.10.1984 – 8 C 41/83, juris Rn.21). Dies ist jedoch entsprechend dem Gemeinderatsbeschluss vom 11.04.1994 nicht erfolgt.
Der von der Beklagten und der Widerspruchsbehörde bemühte Begriff der „Erschließungseinheit“ trifft hier ebenfalls nicht zu.
§ 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB ermächtigt die Gemeinden dann, wenn „mehrere Anlagen … für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden“, den „Erschließungsaufwand insgesamt“ zu ermitteln. Voraussetzung für eine gemeinsame Aufwandsermittlung und Abrechnung oder genauer: für die Entscheidung einer Gemeinde, mehrere Anlagen zur gemeinsamen Aufwandsermittlung und Abrechnung zusammenzufassen, ist das Vorliegen einer von ihnen gebildeten Einheit. Eine Erschließungseinheit stellt ein System mehrerer Erschließungsanlagen dar, das gekennzeichnet ist erstens durch einen Funktionszusammenhang der die Einheit bildenden Einzelanlagen sowie zweitens durch seine deutliche Abgrenzung (vgl. BVerwG, U. v. 26.09.1983 – 8 C 47/82, juris Rn. 18).
Zum einen liegt kein Beschluss über die Bildung einer Erschließungseinheit von zwei Teilstrecken des J …Wegs vor. Der Gemeinderat hat am 11.04.1994 nur für die Anlagen S …straße, H … Weg und R … Weg die Bildung einer Erschließungseinheit beschlossen, den J … Weg und den B …weg dagegen als abzurechnende Ortsstraßen bezeichnet. Zum anderen ergibt sich die Anlagenbildung bei einer geradeaus verlaufenden Straße schon nach der primär vorzunehmenden natürlichen Betrachtungsweise und bedarf nicht des Konstrukts einer Erschließungseinheit, unter der man die Zusammenfassung mehrerer funktional zusammenhängender Anlagen versteht, die eben nicht schon nach natürlicher Betrachtungsweise eine Anlage darstellen.
Somit bilden die erste Verlängerung aus 1997 und die sich geradeaus fortsetzende, in gleicher Breite und mit gleicher Ausstattung ausgebaute zweite Verlängerung aus 2010 zum Zeitpunkt der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage nach natürlicher Betrachtungsweise „die Anlage“.
b. Die Beitragspflicht für diese Anlage ist gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1, § 132 Nr. 4 BauGB entstanden, als die endgültige Herstellung nach Verwirklichung der satzungsmäßigen Merkmalsregelung in § 8 EBS abgeschlossen und der umlagefähige Aufwand berechenbar war. Letzteres war nach Eingang der zur Ermittlung des Aufwands notwendigen letzten Rechnung des Vermessungsamts am 30.10.2015 der Fall.
Nachdem hier ausschließlich um die Frage der endgültigen Herstellung des Gehweges gestritten wird, ist zur Frage der satzungsmäßigen Herstellungsmerkmale maßgeblich auf § 8 Abs. 2 EBS abzustellen. Danach sind Bürgersteige endgültig hergestellt, wenn sie eine Abgrenzung gegen die Fahrbahn sowie eine Befestigung mit Platten, Pflaster, Asphaltbelag oder eine ähnliche Decke in neuzeitlicher Bauweise mit dem technisch notwendigen Unterbau aufweisen.
Hinsichtlich der Bestimmtheit einer Merkmalsregelung ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich, dass sich der Bürger durch einen Vergleich des satzungsmäßig festgelegten Bauprogramms mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die ausgebaute Anlage befindet, ein Bild darüber verschaffen kann, ob die Anlage endgültig hergestellt ist (vgl. BVerwG, U. v. 15.05.2013 – 9 C 3/12, m.w.N, juris Rn. 16).
Die Klägerseite hält den Ausbauzustand des Bürgersteigs der ersten Verlängerung, wie er seit 1995 bestanden hat, für den aus ihrer Sicht endgültigen Zustand. Die Beklagte verweist dagegen darauf, dass das Aufbringen der Asphaltdeckschicht erst im Zuge des Ausbaus der zweiten Verlängerung im Zeitraum 14.10.2010 bis 04.11.2010 erfolgt ist (Schriftsatz vom 15.02.2018 mit Anlagen zu Bauabnahmeprotokollen). Wie der Kläger des Parallelverfahrens B 4 K 16.659 im Verhandlungstermin einräumte, war der Belag des Bürgersteigs vor seinem Grundstück gröber als der Belag auf dem „alten“ Bürgersteig des seit 1985 bestehenden Teils des J …Wegs. Ein Vertreter der Gemeinde erinnerte sich, dass dieser Kläger sich schon beschwert habe, dass eine Kante am Gehsteigrand die Arbeit beim Schneeräumen erschweren würde. Diese Kante sei auf die damals fehlende Asphaltdeckschicht zurückzuführen gewesen.
Aus diesen Angaben und den vorgelegten Unterlagen ergibt sich für das Gericht, dass vor Ort sehr wohl ein Unterschied zwischen dem Gehweg ohne Asphaltdeckschicht und dem nicht streitgegenständlichen alten Gehweg mit Asphaltdeckschicht sichtbar war, sowohl hinsichtlich der Oberflächenbeschaffenheit, als auch im Hinblick auf die wegen der fehlenden Deckschicht verbliebene Kante. Damit war für die Bürger erkennbar, dass der Gehweg noch nicht die endgültig vorgesehene Beschaffenheit aufwies, denn es war nicht zu erwarten, dass ein neuer Gehweg „schlechter“ ausgebaut sein sollte, als der alte.
Letztlich kommt es darauf aber nicht an. Da die beiden Verlängerungsstrecken „die Erschließungsanlage“ bilden, ist maßgeblich auf die Erfüllung aller Herstellungsmerkmale auch der zweiten Verlängerung abzustellen. Das war in technischer Hinsicht nicht vor Oktober/November 2010 der Fall. Die sachliche Beitragspflicht entstand dann erst mit Berechenbarkeit des Aufwands nach Eingang der letzten Rechnung am 30.11.2015.
c. Die Kläger können sich wegen ihrer Heranziehung zu dem Erschließungsbeitrag nicht auf ein „treuwidriges“ Verhalten der Beklagten berufen.
Der Vorwurf der Klägerseite gründet sich darauf, dass die Beklagte die Entstehung der Beitragspflicht für die erste Verlängerung treuwidrig verhindert habe, indem sie durch den Gemeinderatsbeschluss vom 11.04.1994 entschieden habe, die Deckschicht des Gehwegs solange nicht aufzubringen, bis auch die Fortführung des J …-Wegs hergestellt worden sei.
Die obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage des verzögerten Eingangs der letzten Schlussrechnung (VGH Mannheim, U. v. 25.11.2010 – 2 S 1314/10; OVG Münster, B. v. 01.08.2013 – 15 A 318/13; beide in juris; vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 19 Rn.11) ist insofern nicht einschlägig, als es im vorliegenden Fall nicht um eine verzögerte Berechenbarkeit des Aufwands geht, sondern – bereits einen Schritt vorher – um die Verzögerung der technischen Ausführungsarbeiten, die nach dem Bauprogramm erforderlich wären. Gleichwohl ist den angegebenen Entscheidungen zu entnehmen, dass es jedenfalls keinen Grundsatz gibt, wonach eine Gemeinde alles ihr Zumutbare tun muss, um die Beitragspflicht möglichst frühzeitig eintreten zu lassen.
Für diese Auffassung spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes, der keinen Anhaltspunkt dafür liefert, dass die endgültige Herstellung einer Erschließungsanlage vom Unterlassen nicht näher definierter oder festgelegter Handlungen der Gemeinde abhängig gemacht werden sollte. Entscheidend ist aber letztlich der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Das Abgabenrecht ist sowohl aus Gründen der Praktikabilität als auch im Interesse der Rechtssicherheit auf eindeutig erkennbare, einfache und klare Merkmale angewiesen, und zwar insbesondere dort, wo es um die Bestimmung von Fristen geht, von denen der Zeitpunkt des Entstehens und Erlöschens von Ansprüchen abhängt. Darauf abzustellen, ob eine Gemeinde den Eintritt der noch fehlenden Voraussetzungen für die Abrechenbarkeit ohne jeden sachlichen Grund verzögert habe, würde dagegen bedeuten, dass der Entstehungszeitpunkt der sachlichen Beitragspflicht auf einen nicht eindeutig bestimmbaren, beliebigen Zeitpunkt vorverlegt oder auch hinausgeschoben wird. Zudem müsste dann in jedem Einzelfall bestimmt werden, ab wann die Gemeinde nach einer nicht unerheblichen Verzögerung nicht mehr das ihr Zumutbare unternommen hat und ab wann in solchen Fällen das Entstehen der Beitragspflicht fingiert werden soll. Von eindeutig erkennbaren, einfachen und klaren Merkmalen, die für die Bestimmung von Fristen, von denen der Zeitpunkt des Entstehens und Erlöschens von Ansprüchen abhängt, erforderlich sind, könnte dann nicht mehr die Rede sein (vgl. VGH Mannheim, a.a.O., juris Rn.25).
Eine Abgabenerhebung kann nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben und dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht zeitlich unbegrenzt erfolgen. Der Geltendmachung eines Beitrags, der den betroffenen Eigentümer in diesem rechtsstaatlichen Gebot verletzt, steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (BVerwG, U. v. 20.03.2014 – 4 C 11/13, juris). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts präzisiert die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 05.03.2013 zu den rechtsstaatlichen Anforderungen einer zeitlichen Obergrenze der Beitragserhebung (BVerfG, B. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08, juris). Treuwidrig ist die Abgabenerhebung nach dieser neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann, wenn es aufgrund einer Pflichtverletzung der Gemeinde unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nicht mehr zumutbar erscheint, den Bürger mit der Abgabenerhebung zu konfrontieren. Zugrunde zu legen ist dabei ein enger Maßstab.
Eine solche Unzumutbarkeit kann hier nicht angenommen werden.
Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, überhaupt nicht mit einem Erschließungsbeitrag belastet zu werden, konnte bei den Grundstückseigentümern nicht entstehen, denn ihnen musste klar sein, dass die Gemeinde die Erschließung ihrer Grundstücke nicht kostenfrei erstellen konnte (VGH Mannheim, U. v. 20.03.2015 – 2 S 1327/14, juris).
Nachdem den Klägern für ihr Eckgrundstück Fl.-Nr. … bei der Beitragserhebung für die S …straße eine 2/3-Vergünstigung gewährt wurde, musste ihnen klar sein, dass auch für den J …Weg ein Erschließungsbeitrag erhoben würde.
Darüber hinaus kann zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Wertungen allgemeiner Verjährungsvorschriften zurückgegriffen werden, z.B. die Verjährungsfrist von 30 Jahren in § 53 Abs. 2 VwVfG (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 33), die hier ersichtlich nicht erfüllt ist.
Zu denken ist auch an die Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG, wonach die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist. Allerdings tritt die Vorteilslage bei einer Anbaustraße (früher § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB; nunmehr Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG) erst dann ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (BayVGH, B. v. 04.05.2017 – 6 ZB 17.545, juris Rn.11).
Gemessen daran war die Vorteilslage für das Grundstück der Kläger erst mit dem Aufbringen der Deckschicht auf dem Gehweg der ersten Verlängerung, einhergehend mit der gleichzeitigen technischen Fertigstellung der zweiten Verlängerung des J …Wegs, im Oktober 2010 entstanden.
Nach alledem ist auch nach höchstrichterlichen Maßstäben keine Treuwidrigkeit der Beklagten anzunehmen.
2. Somit war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO, wonach die Kläger als Unterliegende die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen haben, abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.


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