IT- und Medienrecht

III ZR 351/20

Aktenzeichen  III ZR 351/20

Datum:
27.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:270521BIIIZR351.20.0
Normen:
§ 544 Abs 1 Nr 1 ZPO
Art 5 Abs 1 S 1 GG
Spruchkörper:
3. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Dresden, 12. Februar 2020, Az: 4 U 2198/19, Beschlussvorgehend LG Leipzig, 23. August 2019, Az: 8 O 2216/18

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 12. Februar 2020 – 4 U 2198/19 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.750 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem zwischen den Parteien im Hinblick auf die von der Beklagten betriebene Social Media-Plattform “F.      ” bestehenden Nutzungsverhältnis geltend.
2
Die Klägerin unterhält bei F.     ein Nutzerkonto und nimmt die hierzu von der Beklagten angebotenen Dienste in Anspruch. Das entsprechende Vertragsverhältnis wird unter anderem durch die zwischen den Parteien vereinbarten Nutzungsbedingungen und “Gemeinschaftsstandards” geregelt. Am 1. Juni 2018 löschte die Beklagte folgendes Bild, das die Klägerin auf ihrer Profilseite veröffentlicht hatte:
3
Zudem versetzte sie das Nutzerkonto der Klägerin in einen 30-tägigen Read-only-Modus. In dieser Zeit konnte die Klägerin keine eigenen Beiträge mehr einstellen, fremde Beiträge nicht mehr kommentieren, den Messenger-Dienst der Beklagten nicht nutzen und sich nicht mehr über ihr F.   -Konto auf anderen Internetseiten einloggen.
4
Die Klägerin hält die Löschung ihres Beitrags sowie die Sperrung ihres Profils für rechtswidrig. Sie begehrt die Feststellung, dass die am 1. Juni 2018 vorgenommene Sperrung ihres Profils rechtswidrig gewesen sei (Klageantrag zu 1, Berufungsantrag zu 2). Hilfsweise hat sie die Berichtigung des sie betreffenden Datensatzes hinsichtlich der Anzahl der ihr zur Last gelegten Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen der Beklagten verlangt (Hilfsklageantrag zu 1, Berufungshilfsantrag zu 9). Weiter hat sie die Freischaltung ihres am 1. Juni 2018 gelöschten Beitrags begehrt (Klageantrag zu 2, Berufungsantrag zu 3). Daneben hat sie die Unterlassung einer erneuten Sperrung ihres Profils oder Löschung des Beitrags (Klageantrag zu 3, Berufungsantrag zu 4), die Erteilung von Auskünften (Klageanträge zu 4 und 5, Berufungsanträge zu 5 und 6), Schadensersatz in Höhe von 1.500 € (Klageantrag zu 6, Berufungsantrag zu 7) sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 7, Berufungsantrag zu 8) begehrt.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
II.
6
Die Beschwerde ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
7
1. Es obliegt grundsätzlich dem Beschwerdeführer, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er mit der beabsichtigten Revision die Abänderung des Berufungsurteils in einem die Wertgrenze von 20.000 € übersteigenden Umfang erreichen will. Maßgebend für die Bewertung der Beschwer der Nichtzulassungsbeschwerde ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (Senat, Beschlüsse vom 26. November 2020 – III ZR 124/20, juris Rn. 8; vom 28. September 2017 – III ZR 580/16, BeckRS 2017, 128871 Rn. 53 und vom 3. August 2017 – III ZR 445/16, BeckRS 2017, 121625 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 – II ZR 177/15, BeckRS 2017, 100946 Rn. 5; jeweils mwN). Das Revisionsgericht ist dabei an die Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts nicht gebunden (z.B. Senat, Beschlüsse vom 26. November 2020 und vom 28. September 2017, jew. aaO; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 aaO; jeweils mwN).
8
2. Die Klägerin ist durch den Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts in Höhe von 7.750 € beschwert.
9
a) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2 ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin nur für einen begrenzten Zeitraum von 30 Tagen und nur an einer aktiven Nutzung ihres Kontos gehindert war. Die Kenntnisnahme von dessen Inhalten war ihr hingegen möglich (so zu ähnlichen Sachverhalten Senat, Beschluss vom 26. November 2020 – III ZR 124/20 aaO Rn. 10; OLG Frankfurt a.M., ZUM-RD 2019, 6, 7 und OLG Koblenz, MMR 2019, 625 Rn. 18). Die Klägerin konnte weiterhin über andere Medienarten kommunizieren wie zum Beispiel über E-Mails und andere Plattformen, soweit sie dort nicht mit ihrem F.    -Konto registriert war. Andererseits sind die Marktmacht, die Reichweite und der potenzielle Empfängerkreis von F.       erheblich (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO; OLG Dresden, GRUR-RR 2019, 408 Rn. 4; Haertel/Thonke, GRUR-Prax 2020, 75, 76 f; BeckOK ZPO/Wendtland, § 3 Rn. 18 [Stand: 01.03.2021]). Das von der Beklagten betriebene Netzwerk kann daher nicht einschränkungslos durch andere Kommunikationsformen ersetzt werden.
10
Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte ist nach Auffassung des Senats ein Klageantrag, der sich gegen eine 30-tägige Sperre eines F.      -Nutzerkontos richtet, mit einem Betrag von 2.500 € zu bewerten (siehe bereits Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 11).
11
Die vorliegende Fallkonstellation kann nicht mit Unterlassungsansprüchen gegenüber einer ehrverletzenden Äußerung verglichen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November aaO Rn. 12; anders OLG Dresden aaO Rn. 3 f). Eine Ehrverletzung stellt einen wesentlich stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar als die ihm (vorübergehend) genommene Kommunikationsmöglichkeit auf einer Internet-basierten Plattform. Dass auf dieser Plattform im Hinblick auf die Klägerin ehrverletzende Äußerungen erfolgt sind, gegen die sie sich während der Sperre nicht hat zur Wehr setzen können, ist nicht geltend gemacht.
12
Im Ansatz ist somit bei der hier verhängten 30-tägigen Sperre des F.    Nutzerkontos von einem Streitwert i.H.v. 2.500 € auszugehen. Hiervon ist – da es sich (nur) um einen Feststellungsantrag handelt – ein Abschlag von 20 % vorzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 13 mwN). Denn es handelt sich nicht um die Untersagung einer gegenwärtigen oder künftigen Kontosperre, sondern lediglich um die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer in der Vergangenheit liegenden, beendeten Kontosperre. Auf diese Weise ergibt sich für den Berufungsantrag zu 2 eine Beschwer von 2.000 €.
13
b) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 3 ist bei der Bemessung der Beschwer zwar zu berücksichtigen, dass der gelöschte Beitrag vom Schutzbereich der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit erfasst werden könnte (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2016 – VI ZB 69/14, juris Rn. 11 und vom 13. Januar 2015 – VI ZB 29/14, CR 2015, 250 Rn. 11). Indes betrifft die Löschung vorliegend nur eine einzige kurze Äußerung auf einer Internet-Plattform (ähnlich Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO; OLG Frankfurt a.M. aaO S. 8 und OLG Koblenz aaO Rn. 18). Vor diesem Hintergrund wäre der Eingriff in die Meinungsfreiheit der Klägerin gering zu bewerten und erscheint – neben dem separat angesetzten Wert für die Kontosperre – ein Betrag von 500 € angemessen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO). Anhaltspunkte für ein besonderes Interesse der Klägerin an ihrer Äußerung macht die Beschwerde nicht geltend.
14
c) Hinsichtlich des auf die Unterlassung einer künftigen Beitragslöschung und Kontosperrung bezogenen Berufungsantrags zu 4 ist zu berücksichtigen, dass die Berufungsanträge zu 2 und 3 bereits zwei dem Berufungsantrag zu 4 ähnliche, lediglich andere Zeiträume, aber denselben Beitrag der Klägerin und dasselbe Nutzerkonto betreffende Verhaltensweisen der Beklagten zum Gegenstand haben. Auch die Feststellungs- und Freischaltungsberufungsanträge zu 2 und 3 dienen bereits der Vermeidung künftiger identischer Rechtsbeeinträchtigungen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Wert von 1.500 € angemessen, um einerseits der separaten Antragstellung und andererseits der Bedeutung des Unterlassungsantrags im Gesamtgefüge der Anträge hinreichend Rechnung zu tragen.
15
d) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 5 bemisst der Senat die Beschwer der Klägerin mit 500 € (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 15). Soweit die Klägerin die Auskunft zur Vorbereitung von Ansprüchen gegen ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen verlangt, bilden diese Ansprüche einen Anhaltspunkt für ihre Beschwer (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2014 – III ZR 75/13, juris Rn. 9 zum wirtschaftlichen Interesse an der Erteilung der Auskunft als maßgeblichem Kriterium für die Bemessung der Beschwer des – in den Vorinstanzen erfolglos – Auskunft Begehrenden). Der Wert des Auskunftsanspruchs ist allerdings nicht identisch mit dem Leistungsanspruch, sondern in der Regel nur mit einem Teilwert des Anspruchs zu bemessen, dessen Durchsetzung die verlangte Information dienen soll. Dabei werden üblicherweise 1/4 bis 1/10 angesetzt (Senat, Beschluss vom 27. Februar 2014 aaO mwN). Die Beschwerde zeigt keinen Vortrag der Klägerin auf, nach dem diese einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen ein mit der Kontosperre beauftragtes Unternehmen geltend zu machen beabsichtigt. Selbst bei Ansatz eines Viertels des Betrages solcher Ansprüche ergibt sich mithin für das vorliegend zu bewertende Auskunftsverlangen keine höhere Beschwer als 500 €.
16
e) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 6 bemisst der Senat die Beschwer der Klägerin ebenfalls mit 500 € (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 16). Die Beschwerde zeigt auch insofern keinen Vortrag der Klägerin auf, nach dem diese einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen beabsichtigt.
17
f) Soweit das Berufungsgericht den auf Zahlung von 1.500 € gerichteten Berufungsantrag zu 7 zurückgewiesen hat, ist die entsprechende Beschwer der Klägerin mit diesem Betrag anzusetzen.
18
g) Hinsichtlich des Berufungshilfsantrags zu 9 bemisst der Senat die Beschwer der Klägerin mit 1.250 € (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 18). Mit diesem Antrag will die Klägerin verhindern, dass ein künftiger Verstoß ihrerseits gegen die Nutzungsbedingungen der Beklagten als – strenger als ein Erstverstoß zu wertender – Folgeverstoß betrachtet wird und zu einer (erneuten) Sanktionierung führt. Da indes eine solche Sanktion noch nicht verhängt worden ist, sondern einen – aus Sicht der Beklagten: weiteren – Verstoß der Klägerin gegen die Nutzungsbedingungen voraussetzt, ist die Beschwer der Klägerin niedriger anzusetzen als bei einem Antrag auf Untersagung oder Aufhebung einer bereits verhängten oder unmittelbar bevorstehenden Sperre (s.o. zu a: 2.500 €). Insofern erscheint ein – im Vergleich zu einer bereits verhängten Sperre – hälftiger Betrag von 1.250 € als angemessen.
19
Damit berechnet sich die Beschwer der Klägerin i.S.v. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wie folgt:
Berufungsantrag zu 2:
2.000 € 
Berufungsantrag zu 3:
500 € 
Berufungsantrag zu 4:
1.500 € 
Berufungsantrag zu 5:
500 € 
Berufungsantrag zu 6:
500 € 
Berufungsantrag zu 7:
1.500 € 
Berufungshilfsantrag zu 9:               
1.250 € 
                                                                        
Gesamtbeschwer:
7.750 €.
Herrmann     
      
Remmert     
      
Reiter
      
Böttcher     
      
Kessen     
      


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