IT- und Medienrecht

Informationsanspruch der Presse bezüglich der gemeindegenauen Covid-19-Zahlen in einem Landkreis

Aktenzeichen  AN 14 E 20.01446

Datum:
3.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20603
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPrG Art. 4
VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1, § 123 Abs. 1 S. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Zur Bezeichnung des Antragsgegners genügt nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 VwGO die Angabe der Behörde. Es ist dann Aufgabe des Gerichts, den hinter der handelnden Behörde stehenden Rechtsträger zu ermitteln.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die begehrte Auskunft durfte nicht nach § 4 BayPrG abgelehnt werden, da insbesondere keine das allgemeine Persönlichkeitsrecht der erkrankten Personen berührenden Daten begehrt werden, sondern nur die Inzidenzzahlenangabe aufgeschlüsselt nach Gemeinden. Dies ermöglicht keinen Rückschluss auf Identitäten (vgl. VG Regensburg BeckRS 2020, 34021).  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen der nach § 4 BayPrG vorzunehmenden Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass nicht nur das Grundrecht der erkrankten Personen auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch das Grundrecht derjenigen, die sich vor einer etwaigen Corona-Infektion schützen wollen, auf Leben und körperliche Unversehrtheit betroffen ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einem presserechtlichen Auskunftsanspruch besteht ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 101086). Dies ist hinsichtlich der Corona-Zahlen der Fall.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller Auskunft darüber zu erteilen, wie viele bestätigte Corona-Fälle es im Landkreis …, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Gemeinden des Landkreises, bisher gibt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, freier Redakteur für die Tageszeitung „…“, macht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen presserechtlichen Auskunftsanspruch gegen den Antragsgegner geltend. Die Region … gehört zum Redaktionsgebiet des Antragstellers. Da im Nachbarlandkreis … angeblich ein Corona-Hotspot bestehen sollte, wollte der Antragsteller in einem zunächst geführten Telefonat mit dem Büro des Landrates des Landkreises … wissen, wie viele bestätigte Corona-Fälle es im Landkreis …, aufgeschlüsselt nach den einzelnen 38 Gemeinden des Landkreises, nicht aber nach Ortsteilen, bisher gibt. Er machte deutlich, dass er einen presserechtlichen Anspruch erhebe. Der Antragsgegner ließ durch E-Mail vom 10. Juli 2020 wissen, dass er einen solchen Anspruch ablehne. Der Landkreis sei mit 38 Gemeinden äußerst kleinteilig, sodass Rückschlüsse auf betroffene Personen möglich seien.
Auf erneuten Antrag des Antragstellers vom 16. Juli 2020, mit dem Hinweis darauf, dass nur die kumulierte Anzahl der Infizierten, aber sonst keine weiteren Daten wie Geschlecht oder Alter etc. erwünscht werden, antwortete der „Landrat des Landkreises …“ mit Schreiben vom 24. Juli 2020, dass eine Information des Antragstellers nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG (Bayerisches Pressegesetz) abgelehnt werde.
Wegen der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit stellte der Antragsteller mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28. Juli 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, den Antrag beim Verwaltungsgericht Ansbach auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO. Der Anordnungsanspruch resultiere aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Grundgesetz), Art und Umfang des Informationsanspruchs der Presse würden durch Art. 4 BayPrG festgelegt.
Der Antragsteller stellte den Antrag,
den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller Auskunft darüber zu erteilen, wie viele bestätigte Corona-Fälle es im Landkreis … aufgeschlüsselt nach den einzelnen Gemeinden des Landkreises gibt.
Der Antragsgegner stellte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Juli 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, den Antrag,
den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Der geltend gemachte Auskunftsanspruch greife in Rechte privater Dritter, insbesondere in deren Persönlichkeitsgrundrecht ein. Am Beispiel der Familie B. aus … werde ersichtlich, dass hier auch durch den Bericht über Infektionen in … die Familie B. ermittelt werden konnte, was einen enormen öffentlichen Druck auf diese Familie zur Folge gehabt habe. Im Übrigen habe der Antragsteller in seinen Kontakten mit dem Landratsamt für die „…“ gehandelt und nicht für sich selbst. Der Antragsteller habe auch dem Landratsamt gegenüber dargetan, dass er ganz persönlich aufgrund von Vorerkrankungen Gemeinden im Rahmen seiner Berufstätigkeit meiden wolle, in denen der Virus vorherrsche. Erst aus einem anwaltlichem Schreiben vom 16. Juli 2020 ergebe sich, dass der Antragsteller im eigenen Namen die Informationen fordere. Mit E-Mail vom 16. Juli 2020 habe das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration erklärt, dass die Entscheidung des VG Regensburg vom 18. Juni 2020 (RO 4 E 20.1009) nur Bedeutung für den Einzelfall habe.
Im Übrigen sei der Antrag des Antragstellers unbestimmt. Der zutreffende Antragsgegner sei zudem allenfalls der Freistaat Bayern, nicht jedoch der Landkreis, da es sich hier um eine Aufgabe des staatlichen Landratsamtes handele.
Weiter existiere kein Anordnungsgrund, da die begehrten Auskünfte keinen hinreichenden Aktualitätsbezug aufwiesen. Der Antragsteller habe nicht näher dargelegt, ob und wann er eine Veröffentlichung plane.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
1.1. Aktivlegitimiert ist der Antragsteller, der zwar für die „…“ auftritt und handelt, aber ebenso als Journalist aus eigenem Recht presserechtliche Auskunftsansprüche besitzt.
Passivlegitimiert ist der Freistaat Bayern. Bei der Antragstellung wurde zwar als Antragsgegner der Landkreis … genannt. Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbsatz VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung), der hier entsprechend anzuwenden ist, genügt aber die Angabe der Behörde zur Bezeichnung des Antragsgegners. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber die oft schwierige Feststellung – wie auch hier im Falle eines Prozessbevollmächtigten aus … -, wer hinter der handelnden Behörde als Rechtsträger steht, dem Kläger ersparen und dem Gericht überbürden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 78 Rn. 9 m.w.N.). Somit ist es die Aufgabe des Gerichts, den hinter der handelnden Behörde Landratsamt stehenden Rechtsträger zu ermitteln. Da sich der Auskunftsanspruch des Antragstellers auf den Zuständigkeitsbereich des Landratsamtes als Staatsbehörde bezieht, ist der Freistaat Bayern, dessen untere Verwaltungsbehörde das staatliche Landratsamt ist, zutreffender Antragsgegner. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Landrat des Landkreises … in seinem Ablehnungsschreiben vom 24. Juli 2010 nicht klar zum Ausdruck gebracht hat, welcher Rechtsträger hinter der Verweigerung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs steht (Briefkopf: „Der Landrat des Landkreises“, „Beantwortung…wird verweigert“) und damit die Antragstellung gegen den Landkreis selbst mit hervorgerufen hat.
1.2. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist der streitgegenständliche Anspruch auch nicht unbestimmt. So hat der Antragsteller von Beginn an stets, wiederholt wie auch unmissverständlich die kumulierte Gesamtinzidenz der Corona-Fälle abgefragt, also die – so aktuell wie mögliche – Gesamtzahl der Corona-Positiv-Getesteten bisher.
2. Der zulässige Antrag ist auch begründet.
2.1. Es besteht ein Anordnungsanspruch des Antragstellers.
Da die Verweigerung der Auskunft durch den Antragsgegner keinen Verwaltungsakt darstellt, ist Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Glaubhaftmachung der Anspruchsvoraussetzungen (§ 123 Abs. 3 VwGO), also eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes und grundsätzlich die fehlende endgültige Vorwegnahme einer in einem künftigen Hauptsacheverfahren zu treffenden Entscheidung.
2.1.1. In diesem Fall tritt bei einer Erfüllung des streitgegenständlichen presserechtlichen Auskunftsanspruchs keine Erledigung eines künftigen Hauptsacheverfahrens ein, also keine endgültige Vorwegnahme eines künftigen Hauptsacheverfahrens, da die Zahlen, die der Antragsteller vom Antragsgegner begehrt, fluktuieren (zunehmen respektive konstant bleiben). Aber selbst eine endgültige Vorwegnahme eines künftigen Hauptsacheverfahrens wäre im Übrigen dann möglich, wenn wie hier die erhöhten Anforderungen, die in einem solchen Fall an die Darlegung sowohl des geltend gemachten Anordnungsgrundes als auch des Anordnungsanspruchs zu stellen sind, vorliegen (insbesondere weit überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, besondere Dringlichkeit aufgrund der Gesundheitsgefahren, vgl. 2.1.2.).
2.1.2. Die Auskunft an den Antragsteller durfte nicht nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG abgelehnt werden, da eine Auskunft an die Presse nur verweigert werden darf, soweit auf Grund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht. Zu den „sonstigen gesetzlichen Vorschriften“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG, die einer Auskunftserteilung entgegenstehen können, zählen freilich auch grundrechtliche Normen, die Privatpersonen gegen die Offenbarung ihrer persönlichen Daten durch staatliche Stellen schützen, insbesondere das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Für die Durchführung der somit erforderlichen Abwägung kommt es zum einen darauf an, wie hoch das öffentliche Informationsinteresse an der begehrten Auskunft zu bewerten und wie stark der Eingriff in private Rechte durch die Offenlegung der begehrten Informationen im Einzelfall zu gewichten ist. Bei einem presserechtlichen Auskunftsanspruch ist im Übrigen bei der Schutzwürdigkeit personenbezogener Daten danach zu unterscheiden, ob die Intim-, die Privat- oder die Sozialsphäre betroffen ist. Im Rahmen einer personenbezogenen Veröffentlichung wäre hier zwar die Privatsphäre betroffen. Indes ist hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht der erkrankten Personen deshalb nicht tangiert, weil ohne zusätzliche Informationen wie Name, Alter oder Geschlecht etc. die Inzidenzzahlenangabe allein auch bei Gemeinden mit einer geringen Einwohnerzahl keinen Rückschluss auf Identitäten ermöglicht, (vgl. auch VG Regensburg, B. v. 18.6.2020 – RO 4 E 20.1009 – zu finden auf der Homepage des VG Regensburg) auch nicht im Landkreis …, in dem die kleinste Gemeinde 641 Einwohner hat. Anders wäre es nur, falls zusätzliche besondere Umstände eine oder mehrere Personen ohne weiteres ermitteln ließen, was hier nicht der Fall ist. Auch der vom Antragsgegner geschilderte Fall der Familie B. stellt keine Folge einer allgemeinen (damals ja noch nicht erfolgten) Zahlenbekanntgabe in kumulierter Form pro Gemeinde dar.
Soweit im Rahmen der Abwägung nach Art. 4 BayPrG auf die Grundrechte Dritter, etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, abgestellt wird, ist zu beachten, dass es auch Grundrechte Dritter aus Art. 2 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit gibt, die es mindestens ebenso zu schützen gilt. Dem Schutz der letztgenannten Grundrechte und der Prävention hinsichtlich weiterer Infektionen gilt im Wesentlichen die gesamte Veröffentlichungs- und Berichterstattungspraxis in Sachen Corona. Der Antragsteller ist zwar für die „…“ tätig, hat aber glaubhaft dargelegt, dass es um einen eventuellen Hotspot im Nachbarlandkreis … geht, der Auswirkungen auf das Redaktionsgebiet … haben könnte.
2.2. Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Die Auskunft an den Antragsteller ist dringlich, um seinem begründeten presserechtlichen Begehren zum Erfolg zu verhelfen. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn eine Eilbedürftigkeit für die begehrte Regelung besteht. Zu berücksichtigen ist dabei‚ dass die Presse grundsätzlich in den Grenzen des Rechts selbst entscheidet‚ ob, wann und wie sie über ein Thema berichtet. Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt auch die Freiheit der Presse‚ zu entscheiden‚ ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll. Allerdings genügt es in diesem Zusammenhang‚ wenn Eilrechtsschutz nur dort gewährt wird‚ wo ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen, der Erlass einer einstweiligen Anordnung also notwendig ist‚ um wesentliche Nachteile abzuwenden (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2017, Az.: 7 CE 16.2056 – juris). Beides ist hier ohne weiteres zu bejahen. Es ist bei der Corona-Berichterstattung sogar tagesaktuell von größtem öffentlichen Interesse, wie sich die Fallzahlen entwickeln, d.h. welche Präventionsmaßnahmen sinnvoll oder geboten sind respektive welche Lockerungen gefährlich sein könnten.
Nach alledem war dem Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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