IT- und Medienrecht

Kartellrechtlicher Schadensersatzanspruch gegen Süßwarenhersteller

Aktenzeichen  19 O 9454/15

Datum:
14.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WuW – 2021, 311
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 32
GWB § 1, § 33 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Begehungsort i.S.d. § 32 ZPO ist bei der Verletzung des den Kläger schützenden Gesetzes des § 33 GWB auch der Geschäftssitz desjenigen, dessen Rechte verletzt sind. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Streithelfer kann (vgl. § 67 ZPO) keinen Sachvortrag halten, der in Widerspruch zu demjenigen der unterstützten Partei steht, insb. kann er nicht bestreiten, der Unterstützte erkennbar zugestehen will. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einer „abgestimmten Verhaltensweise“ gem. § 1 GWB handelt es sich um eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Ein Handeln gilt hiernach als abgestimmt, wenn eine wechselseitige Information über künftiges Marktverhalten in einer Koordinierungserwartung dem Handeln vorangegangen ist. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bereits die Information, dass bei einem Wettbewerber zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Preisbewegung nach oben stattfindet, ist für die Preiserhöhungsplanung der anderen Wettbewerber, d.h. insbesondere für die Einschätzung der Chancen für die tatsächliche Durchsetzung der Preiserhöhung beim Handel und für die Risiken eines Marktanteilsverlustes beim Endkunden, von hoher Bedeutung. Dies gilt auch in einer Konstellation, in der die Preiserhöhungen nicht produktspezifisch waren und keine genauen Werte für die empfohlenen Verkaufspreise genannt wurden bzw. diese nicht unbedingt der exakten später umgesetzten Höhe entsprächen. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises sind für wettbewerbswidriges Verhalten in Form eines reinen Informationsaustauschs nicht anwendbar. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
7. Ein strafgerichtliches Urteil entfaltet zwar grds. für den Zivilprozess keine Bindungswirkung. Gleichwohl können die in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Zivilprozess als Beweismittel verwertet werden. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
8. Es streitet eine tatsächliche Vermutung – im Sinne eines Erfahrungssatzes – dafür, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache bildeten. Soweit ein Kartell auf eine umfassende Wirkung gerichtet ist, kann darüber hinaus auch eine tatsächliche Vermutung dafür streiten, dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprache fallen, von diesen erfasst wurden und damit kartellbefangen waren. (Rn. 90) (redaktioneller Leitsatz)
9. Es ist zweifelhaft, ob diese für sog. Kernbeschränkungen des Wettbewerbs formulierten Erfahrungssätze auch auf den Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen Anwendung finden können. (Rn. 91) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird bis 01.02.2018 auf 193.487,86 €, ab dem 02.02.2018 auf 193.045,57 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber in vollem Umfang unbegründet.
A.
Die Klage ist zulässig.
I. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist für den vorliegenden Rechtsstreit sachlich und örtlich zuständig.
1. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus § 87 S. 1 GWB.
2. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth ergibt sich aus § 32 ZPO.
a) Begehungsort im Sinne von § 32 ZPO ist jeder Ort, an dem ein wesentliches Tatbestandsmerkmal verwirklicht wurde, insbesondere der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist. Das ist bei der Verletzung des den Kläger schützenden Gesetzes des § 33 GWB auch der Geschäftssitz desjenigen, dessen Rechte verletzt sind (vgl. Immenga/Mestmäcker/Schmidt GWB § 87 Rn. 38, beck-online). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 – C-189/08 -, Rn. 27 – juris – NJW 2009, 3501 – Zuid-Chemie). Da es sich um einen Schaden handelt, der in den Mehrkosten besteht, die wegen eines künstlich überhöhten Preises anfielen, lässt sich dieser Ort nur für jeden einzelnen mutmaßlich Geschädigten ermitteln und liegt grundsätzlich an dessen Sitz. Das so bestimmte Gericht ist bei einer Klage gegen einen oder mehrere Urheber des betreffenden Kartells für die Entscheidung über den gesamten Schaden zuständig, der dem mutmaßlich geschädigten Unternehmen aufgrund der Mehrkosten für den Bezug der von dem Kartell betroffenen Produkte entstanden ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.5.2015 – Rs. C-352/13, Celex-Nr. 62013CJ0352, GRUR Int. 2015, 1176 Rn. 52 ff. – CDC Hydrogen Peroxide).
b) Da sich nach alledem der Sitz der Klägerin in Nürnberg und der Sitz der Zedentin in Fürth befindet, befindet sich der Begehungsort gemäß § 32 ZPO im vorliegenden Fall im hiesigen Gerichtsbezirk.
II. Der Klageantrag ist gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt.
1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruches enthalten. Werden – wie hier – Ansprüche sowohl aus originär eigenem wie auch aus abgetretenem Recht geltend gemacht, ist eine Differenzierung zwischen den jeweiligen Warenbezügen veranlasst, d.h. der Kläger hat aufzuschlüsseln, inwieweit Schadensersatzansprüche aufgrund von eigenen Warenbezügen und welche aufgrund von Bezügen der Zedentin geltend gemacht werden. Dies ist bereits deshalb der Fall, da es sich bei Ansprüchen aus eigenem Recht und aus abgetretenem Recht um unterschiedliche Streitgegenstände handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 – IX ZB 281/08 -, Rn. 2, juris).
2. Diese Anforderungen an eine ordnungsgemäße Klageerhebung sind im vorliegenden Fall nach den Ausführungen der Klagepartei im Schriftsatz vom 02.02.2018 aufgrund des Hinweises der Kammer vom 28.09.2017 erfüllt, da hierin die Klägerin bei der Auflistung der Warenbezüge von der Beklagten zwischen eigenen Bezügen der Klägerin und Bezügen der Georg Roth Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG unterscheidet (vgl. die Tabellen auf den Seiten 2 bis 32 des Schriftsatzes).
B.
Die Klage ist unbegründet.
I. Für den Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17, Rn. 44 – Schienenkartell).
Dies ist für sämtliche verfahrensgegenständlichen Warenbezüge die Vorschrift des § 33 Abs. 3 GWB, die im gesamten relevanten Zeitraum (2007-2009) unverändert geblieben ist. Die Vermutung des § 33 a Abs. 2 GWB ist auf die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht anwendbar, weil diese sämtlich vor dem 26.12.2016 entstanden sind (vgl. § 186 Abs. 3 S. 1 GWB).
II. Ein Kartellverstoß gemäß § 1 GWB liegt in Form einer „abgestimmten Verhaltensweise“ bereits nach dem Vortrag der Beklagten selbst vor.
1. Die Beklagte trug zu den Besprechungen der „Viererrunde“ im Schriftsatz vom 14.02.2017 (vgl. Bl. 251 ff. d.A.) im Einzelnen vor. Soweit die Streithelferin … im Schriftsatz vom 18.05.2016 den Vortrag der Klägerin weitergehend bestreitet als die Beklagte (insbesondere sofern sie bestreitet, dass Einzelheiten der Preiserhöhungspläne bei den Treffen am 19.04.2007 und am 23.08.2007 genannt worden seien), so ist dieses Vorbringen hier nicht zu berücksichtigen. Denn die Streithelferin kann (vgl. § 67 ZPO) keinen Sachvortrag halten, der in Widerspruch zu demjenigen der unterstützten Partei steht (vgl. OLG Nürnberg BeckRS 2012, 10956), insbesondere kann die Streithelferin nicht bestreiten, was die Beklagte erkennbar zugestehen will (vgl. BeckOK ZPO/Dressler, 38. Ed. 1.9.2020, ZPO § 67 Rn. 17). Im Übrigen ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass gegen die Streithelferin Ritter ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts erlassen wurde (vgl. Anlage K 11) und dass diese gemäß § 33 IV GWB an die tatsächlichen Feststellungen des Bundeskartellamts im Bescheid gebunden ist.
Nach dem Vortrag der Beklagten haben sich die Teilnehmer der „Viererrunde“ darüber unterhalten, ob die beteiligten Unternehmen Preiserhöhungen in Bezug auf ihre in Deutschland verkauften … planten. Daneben habe man in der Runde über die Gründe gesprochen, aus denen Preiserhöhungen in Erwägung gezogen wurden. Insbesondere hätten die Teilnehmer der „Viererrunde“ über ihre jeweiligen Ansichten zur zukünftigen Entwicklung der Rohstoffpreise (z.B. …) und deren Auswirkungen auf Preisentscheidungen der beteiligten Unternehmen gesprochen. Die Teilnehmer hätten zudem den Zeitpunkt, zu welchem ihre Unternehmen avisierte Preisanpassungen umsetzen wollten, und die ungefähre Höhe der jeweils avisierten Preiserhöhung bzw. Preisanpassung diskutiert.
Die Teilnehmer hätten in der Runde nicht über ihre Nettoverkaufspreise gegenüber einzelnen Kunden gesprochen; sie hätten sich vielmehr auf ihre Absichten in Bezug auf eine Erhöhung der Endverkaufspreise, also in Bezug auf die Preise, welche die Einzelhändler den Endkunden berechnen, bezogen. Die Teilnehmer hätten auch Möglichkeiten, wie man den Einzelhandel am besten zu einer Erhöhung der Weiterverkaufspreise motivieren könnte, gesprochen und wie die Einzelhändler diese erhöhten Endverkaufspreise aufrechterhalten könnten.
Beim Treffen vom 19. April 2007 habe der Zeuge … (für die Beklagte) die anderen Teilnehmer der „Viererrunde“ darüber informiert, dass für die Beklagte eine Preiserhöhung zwar unbedingt erforderlich sei, man aber an dem bei der Beklagten üblichen Zwei-Jahres-Rhythmus für Preiserhöhungen festhalten wolle. Dementsprechend (die vorangegangene Preiserhöhung sei im Januar 2006 erfolgt) würde die nächste Preiserhöhung erst im Januar 2008 stattfinden. Hinsichtlich des Umfangs dieser Preiserhöhung habe der Zeuge B. den anderen Teilnehmern der Viererrunde in dem Treffen am 19. April 2007 mitgeteilt, dass die Beklagte aller Wahrscheinlichkeit nach eine Erhöhung des Einzelhandelspreises von mehr als 10 Cent pro Stück einer bestimmten …-Verpackungsgröße (…) nicht durchsetzen könne. Der Zeuge …) habe mitgeteilt, dass auch für … eine Preiserhöhung unumgänglich sei und unter Berücksichtigung der eingeschränkten avisierten Preiserhöhung durch die Beklagte eine darüber hinausgehende Preiserhöhung für ihre betroffenen Produkte wahrscheinlich nicht erreicht werden könne. Der Zeuge … habe geantwortet, dass er sich über den genauen Umfang und die Bedeutung der Rohstoffpreiserhöhungen für die eigenen Kostenstrukturen erst noch im Klaren werden müsse. Angaben zur Höhe und zum Zeitpunkt einer wohl grundsätzlich notwendigen Preiserhöhung könne er daher noch nicht machen. Der Zeuge … habe mitgeteilt, dass für … kein Grund für Preiserhöhungen bestünde, da sie aufgrund langfristiger Rohstoffkontrakte zum damaligen Zeitpunkt die Rohstoffpreiserhöhungen noch nicht zu spüren bekommen habe. Der Austausch sei auf diesem relativ allgemeinen Niveau geblieben. Es habe keine Abstimmungen über die Preiserhöhungen gegeben, welche die relevanten Unternehmen umsetzen würden.
Bei dem Treffen vom 23. August 2007 habe der Zeuge … versucht, einen Eindruck zu gewinnen, ob und zu welchen Zeitpunkten die an der „Viererrunde“ beteiligten Wettbewerber ihre Preise anheben würden. Auf dieser Grundlage habe der Zeuge … einschätzen wollen, ob auch für die Beklagte eine Preiserhöhung noch im Jahre 2007 in Frage käme bzw. welche Argumente die Beklagte gegenüber dem europäischen Management für eine Verzögerung der geforderten Preisanhebung vorbringen könne. Letztlich sei die Anhebung der Preise für Schokoladenprodukte der Beklagten erst mit Wirkung zum Januar 2008 erfolgt. Die anderen Teilnehmer der „Viererrunde“ hätten gefragt, ob die Beklagte an dem ursprünglichen Plan festhalten wolle, die Preise erst im Januar 2008 anzuheben oder ob eventuell ein früherer „Zwischenschritt“ erwogen werde. Der Zeuge … habe mitgeteilt, dass der interne Druck wachse, die Preise früher anzuheben, dass er aber kein Potential sähe, dies beim Handel durchzusetzen. Der Zeuge … habe darüber informiert, dass seiner Meinung nach die Preiserhöhung für den Rohstoff … eine Preiserhöhung von nur 10 Cent für bestimmte Verpackungsgrößen von … als eindeutig nicht ausreichend erscheinen lasse. Tatsächlich habe er den anderen Mitgliedern der „Viererrunde“ mitgeteilt, dass für die Streithelferin zu 1) wohl eine Preiserhöhung von 15 Cent (entsprechend etwa 22 %) erforderlich sei, um den Anstieg der Rohstoffpreise auszugleichen.
2. Bei einer „abgestimmten Verhaltensweise“ gemäß § 1 GWB handelt es sich um eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1975, Rs. 40/73 u.a., WuW 1976, 185 – Suiker Unie u.a./Kommission). Ein Handeln gilt hiernach als abgestimmt, wenn eine wechselseitige Information über künftiges Marktverhalten in einer Koordinierungserwartung dem Handeln vorangegangen ist (vgl. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Auflage 2014, § 1, Rn. 93).
Bei einem Informationsaustausch, der aus bloß einseitigen Informationskundgaben der beteiligten Unternehmen besteht, ist die notwendige Koordinierung des Verhaltens nicht gegeben. § 1 GWB erfasst keine einseitigen Maßnahmen (vgl. Maritzen, in: Kölner Kommentar zum Kartellrecht, 2017, § 1 GWB, Rn. 146). Es erfolgt gerade keine Verhaltensabstimmung, sondern eine bloße Wissensmitteilung. Eine Koordinierung erfordert stets ein Mindestmaß an Zweiseitigkeit, ein reines sog. „Signalling“ reicht nicht aus. Anders ist es aber, wenn vor Ankündigung der Preisanhöhung Konkurrenten signalisieren, dass sie bei der Preiserhöhung mitziehen werden (vgl. LoewenheimMeessen/Riesenkampff, § 1 GWB, Rn 65). Mit einer frühen und sachlich ungewöhnlich detaillierten Ankündigung eröffnet der Initiator seinen Mitbewerbern einen zeitlichen Spielraum für eine Entscheidung und Äußerung über ein mögliches „Mitziehen“ und nimmt seinen Konkurrenten die Unsicherheit über seine künftige genaue Preisgestaltung. Auch wenn der Ankündigende seine eigene Reaktion auf diejenige der anderen Marktbeteiligten offenlässt, kann ein Abstimmungsangebot gegeben sein. Dient eine Sitzung erkennbar dem Zweck der Abstimmung des Wettbewerbsverhaltens, so kann dies für die Interpretation des Verhaltens der Beteiligten i.S.e. Abstimmungsangebotes sprechen (vgl. Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Art. 101 I AEUV).
3. Unter Zugrundelegung der Angaben der Beklagten lag ein reines Informationsaustauschkartell auf relativ allgemeinem Niveau vor, welches als „abgestimmte Verhaltensweise“ nach den genannten Maßstäben aber dennoch einen Verstoß gegen § 1 GWB darstellt. Denn vorliegend ist auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht lediglich von einer einseitigen Mitteilung ohne Koordinierungserwartung im Sinne einer Wissensmitteilung auszugehen, sondern von einer Kommunikation, die ein Mindestmaß an Mehr- und nicht nur Einseitigkeit erkennen lässt.
Sowohl die Erörterungen der Schokoladenpreiserhöhungen hinsichtlich des Zeitpunktes im Januar 2008 als auch hinsichtlich des Umfanges in prozentualer Hinsicht, teilweise auch in konkreten Cent-Beträgen, sowie die Mitteilungen über Verhandlungen bei Jahresgesprächen führen dazu, dass die Teilnehmer der „Viererrunde“ die Ungewissheiten über das Marktgeschehen verringern und ihre jeweilige Preis- sowie Verhandlungsstrategie bezüglich Jahresgesprächen und Sonderforderungen den Gegebenheiten anpassen konnten.
Bereits die Information, dass bei einem Wettbewerber zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Preisbewegung nach oben stattfindet, ist für die Preiserhöhungsplanung der anderen Wettbewerber, d.h. insbesondere für die Einschätzung der Chancen für die tatsächliche Durchsetzung der Preiserhöhung beim Handel und für die Risiken eines Marktanteilsverlustes beim Endkunden, von hoher Bedeutung. Dies gilt auch in der hiesigen Konstellation, in der die Preiserhöhungen nicht produktspezifisch waren und keine genauen Werte für die empfohlenen Verkaufspreise genannt wurden bzw. diese nicht unbedingt der exakten später umgesetzten Höhe entsprächen. Denn für die Wettbewerber war schon alleine die Information über eine Preiserhöhungstendenz bzw. über eine Verhandlungsstrategie geeignet, ihnen in den Verhandlungen mit dem … einen Informationsvorsprung zu geben. Hierin liegt eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, weil die Unternehmen so bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten ließen.
Es steht bereits nach dem Vortrag der Beklagten fest, dass … ihre unternehmensinternen Planungen für die Schokoladenpreiserhöhungen auf einen gemeinsamen Durchsetzungszeitpunkt Anfang 2008 sowie darauf ausgerichtet haben, dem Handel gegenüber den von ihnen erörterten Umfang zu präsentieren und zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen. Dies stellt mehr als eine nur einseitige Wissensmitteilung dar.
III. Ein Kartellschadensersatz setzt auch nach dem Urteil des BGH vom 28.01.2020 (Az. KZR 24/17 – Schienenkartell II) noch voraus, dass die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren. Dies ist vorliegend der Fall.
1. Der Bundesgerichtshof lässt es für die zum Haftungsgrund gehörende Betroffenheit im Sinne des § 33 Abs. 3 GWB nach neuerer Rechtsprechung genügen, dass dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das – vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise – geeignet ist, einen Schaden des Anspruchsstellers mittelbar oder unmittelbar zu begründen (vgl. BGH, Urt. v. 28.01.2020 – KZR 24/17 – Schienenkartell II = NZKart 2020, 136 ff., Rn. 25). Zur Ermittlung dieser haftungsbegründenden Kausalität muss nicht mehr festgestellt werden, ob sich das wettbewerbsbeschränkende Verhalten auf den streitgegenständlichen Auftrag tatsächlich ausgewirkt hat und dieser damit „kartellbefangen“ war (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 26). Vielmehr ist die Kartellbefangenheit einzelner Erwerbsvorgänge im Rahmen der Schadensfeststellung Gegenstand der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 27). Die zum Haftungsgrund gehörende Betroffenheit ist als eine „persönliche Betroffenheit“ zu verstehen (vgl. OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 12.5.2020 – 11 U 98/18 (Kart), Rn. 83). Somit genügt hierfür die abstrakte Möglichkeit, dass der Anspruchssteller durch den Kartellverstoß einen Schaden erlitten hat. Beeinträchtigt ist jeder, für den vorstellbar ist, dass er einen auf den Kartellverstoß zurückzuführenden Schaden erleiden könnte, wofür ein weites Verständnis anzulegen ist (vgl. OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 12.5.2020 – 11 U 98/18 (Kart), Rn. 86). Hinreichend ist, dass der Anspruchssteller als unmittelbarer Abnehmer Waren von den am wettbewerbswidrigen Verhalten Beteiligten bezogen hat, welche Gegenstand der Absprache bzw. des abgestimmten Verhaltens waren (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 25).
2. Indem die Klägerin als unmittelbare Abnehmerin der Beklagten im Zeitraum der hier maßgeblichen Gespräche der „Viererrunde“ über geplante Preiserhöhungen auf den räumlich und sachlich relevanten Märkten kontrahiert hat, besteht die abstrakte Möglichkeit, dass die Klägerin durch den Informationsaustausch zwischen den Beteiligten der „Viererrunde“ einen Schaden erlitten hat.
Es ist unstreitig, dass die vorgenommene Preiserhöhung der Beklagten und der damit verbundene Informationsaustausch das gesamte Süßwarensortiment betraf, und damit auch die hier streitgegenständlichen Produkte … und „…“. Auch nach dem Bußgeldbescheid gegen …) bezogen sich die abgestimmten Verhaltensweisen auf alle …-Marken der Beklagten. Die Abstimmungen über Zeit und Umfang der Preiserhöhungen sind damit zumindest geeignet, einen Schaden bei der Klägerin zu begründen. Eine tatsächliche Auswirkung auf die streitgegenständlichen Beschaffungsvorgänge ist nicht notwendig.
IV. Ein Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass der Klägerin aus der Abwicklung der in Rede stehenden Bezüge von … ein kausaler Schaden entstanden ist, die Geschäfte ohne den jeweiligen Wettbewerbsverstoß also jeweils zu günstigeren Konditionen abgeschlossen hätten werden können (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 – KZR 26/17 -, Rn. 55 – Schienenkartell).
Die Kammer ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin infolge des wettbewerbswidrigen Verhaltens der Beklagten mit der für § 287 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit (zum Maßstab hierfür vgl. nachfolgend unter 1.) überhaupt ein Schaden entstanden ist. Weder streitet hierfür ein Anscheinsbeweis (nachfolgend unter 2.) noch steht dies aufgrund der Feststellungen des Bundeskartellamts in den Bußgeldbescheiden gegen die Streithelferinnen im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den hiesigen Streitparteien bindend fest. Es liegt selbst bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags lediglich ein Informationsaustausch vor (nachfolgend unter 3.). Auch unter Berücksichtigung von Erfahrungssätzen ergibt die umfassende Würdigung aller von den Parteien vorgebrachten Umstände keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den behaupteten Schaden (nachfolgend unter 4.).
1. Die Entstehung eines Kartellschadens einschließlich der Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Kartellabsprache und dem Vorliegen eines individuellen Schadens ist der haftungsausfüllenden Kausalität zugeordnet, so dass der Anwendungsbereich von § 287 Abs. 1 ZPO eröffnet ist. Hiernach entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Der Tatrichter ist insoweit freier gestellt, als er Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen und Schätzungen anstellen kann und es in seinem Ermessen steht, ob und wie er Beweis erhebt. An der Beweislastverteilung zu Lasten des Anspruchstellers ändert dies hingegen nichts (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 287, Rn. 1). So darf die Schätzung nicht mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte „völlig in der Luft hängen“. Für die richterliche Überzeugung reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus, dass ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Lottoblock II, a.a.O., Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 12.05.2020 – 11 U 98/18 (Kart) -, Rn. 194, juris).
Der Tatrichter kann nur unter Heranziehung derjenigen Umstände, die darauf schließen lassen, wie sich das Marktgeschehen ohne die Kartellabsprache wahrscheinlich entwickelt hätte, zu Feststellungen zum hypothetischen Marktpreis gelangen (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 34). Denn die Feststellung, dass der Preis, den ein an einer Kartellabsprache beteiligtes Unternehmen mit einem Abnehmer vereinbart, höher ist, als er ohne die Kartellabsprache wäre, oder allgemein das Preisniveau, welches sich auf einem von einer Kartellabsprache betroffenen Markt einstellt, über demjenigen Preisniveau liegt, das sich ohne die Absprache eingestellt hätte, kann nur aufgrund von Indizien getroffen werden.
Die nach § 287 ZPO vorzunehmende Würdigung hat alle Umstände einzubeziehen, die entweder im Sachvortrag der Parteien (derjenigen Partei, die sich auf einen ihr günstigen Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells beruft) oder in den bindenden Feststellungen der kartellbehördlichen Entscheidung eine hinreichende Stütze finden (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 36, 38). Ebenso sind Erfahrungssätze und gutachterliche Stellungnahmen der Parteien zu berücksichtigen (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 39, 46).
2. Ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Klägerin und der Zedentin den Geschäften, auf die sie ihr Begehren stützt, ein Schaden entstanden ist, besteht nicht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung betreffend Quoten- und Kundenschutzkartelle fehlt es für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen, ihrer Durchführung und ihrer Wirkungen an der erforderlichen Typizität des Geschehensablaufs. Es ist nicht hinreichend gesichert, dass eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Quoten- und Kundenschutzabsprachen tatsächlich und in jedem Einzelfall beachtet und erfolgreich umgesetzt werden, auch dann nicht, wenn sie auf eine umfassende Wirkung ausgerichtet sind (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 57, 60; bestätigend BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 31).
Die vorstehenden Entscheidungen betreffen ausdrücklich Quoten- und Kundenschutzkartelle und nicht einen bloßen Informationsaustausch. Wenn allerdings schon im Bereich der sog. „Hardcore“-Kartelle die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind, so gilt das erst Recht für wettbewerbswidriges Verhalten in Form eines reinen Informationsaustauschs, wie er im hiesigen Fall in Rede steht. Auch für andere Kartelle, denen u.a. ein Informationsaustausch zu Grunde lag, ist in der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung des Anscheinsbeweises abgelehnt worden (vgl. u.a. OLG Nürnberg, HEMA Vertriebskreis, a.a.O., Rn. 49; OLG Stuttgart, Urt. v. 04.04.2019 – 2 U 101/18 – LkW-Kartell = NZKart 2019, 345 (346); OLG Frankfurt, Urteil vom 12.05.2020 – 11 U 98/18 (Kart) -, Rn. 203-205, juris).
3. Auch nach der Bewertung des klägerischen Vortrags, der sich nahezu ausschließlich auf die getroffenen Feststellungen des Bundeskartellamts gegen … stützt (vgl. Anlage K 11), hat bei den Treffen der „Viererrunde“ im Jahr 2007 lediglich ein – im Einzelnen unkonkreter und weitgehend unverbindlicher – Informationsaustausch vorgelegen.
Die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Bundeskartellamts in den Bußgeldbescheiden gegen die Streithelferinnen entfalten dabei keine Bindungswirkung, sondern sind lediglich indiziell zu berücksichtigen.
a) Die Feststellungen des Bundeskartellamtes in den Bußgeldbescheiden gegen die Streithelferinnen entfalten gegenüber der Beklagten, gegen die kein Bußgeldbescheid aufgrund des Kronzeugenantrags der Beklagten und der damit einhergehenden Einstellung des Bußgeldverfahrens gegen existiert, keine Bindungswirkung.
Bei Schadensersatzklagen wegen Verstößen gegen Kartellrecht ist das Gericht gemäß § 33 Abs. 4 S. 2 GWB (a.F.) an die Feststellung des Kartellrechtsverstoßes im Tenor oder in den tragenden Gründen der rechts- oder bestandskräftigen Entscheidung des Gerichts oder der Kartellbehörde gebunden. Die Bindungswirkung erfasst dabei nicht nur den Tenor, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung und erstreckt sich auf die Feststellung des Kartellrechtsverstoßes in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (vgl. BGH, NJW 2016, 3527 – Lottoblock II).
In personeller Hinsicht hängt die Bindungswirkung der genannten Vorschriften auf Schuldnerseite jedoch davon ab, dass der Beteiligte die Möglichkeit hatte, sich gegen den Bußgeldbescheid zu wehren und eine Einflussnahme auf das Bußgeldverfahren bis zu dessen Ende möglich ist. Dies ist vorliegend zu verneinen, da das Verfahren gegen die Beklagte selbst eingestellt wurde.
b) Die vorgelegten Bußgeldbescheide gegen die Streithelferinnen besitzen allenfalls eine Indizwirkung für einen Kartellverstoß der Beklagten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.
aa) Ein strafgerichtliches Urteil entfaltet grundsätzlich für den Zivilprozess keine Bindungswirkung. Gleichwohl ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Zivilprozess als Beweismittel verwertet werden können (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 727; OLG Zweibrücken, BeckRS 2013, 03201). Bei Identität des den Gegenstand eines zivilen Rechtsstreits und eines Strafverfahrens bildenden Sachverhalts darf das rechtskräftige Strafurteil nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar hat sich der Zivilrichter seine Überzeugung grundsätzlich selbst zu bilden und ist daher an die Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils nicht gebunden. Das enthebt ihn jedoch nicht der Pflicht, sich mit solchen Feststellungen auseinanderzusetzen, wenn sie für die eigene Beweiswürdigung relevant sind (vgl. BGH, Urt. v. 27.09.1988 – XI ZR 8/88). Dabei wird in der Regel den strafgerichtlichen Feststellungen zu folgen sein, sofern nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit vorgebracht werden (vgl. OLG Köln, FamRZ 1991, 580). Insbesondere ein im Strafverfahren erfolgtes Geständnis stellt im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO ein gewichtiges Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen dar (vgl. BGH, NJW-RR 2004, 1002; OLG Zweibrücken, BeckRS 2013, 03201). Somit können die in einem Strafurteil getroffenen Feststellungen im Zivilprozess im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden.
bb) Die Grundsätze der (ausnahmsweisen) Auswirkungen eines rechtskräftigen Strafurteils auf ein Zivilverfahren sind jedoch nicht auf das hier vorliegende Bußgeldverfahren des Bundeskartellamts gegen die Streithelferinnen anzuwenden. Die getroffenen Feststellungen in den rechtskräftigen Lang- bzw. Kurzbußgeldbescheiden sind nicht im Wege des Urkundenbeweis im hiesigen Zivilverfahren gegen die Beklagte als Kornzeugin des Bußgeldverfahrens zu berücksichtigen. Denn die Fälle, in denen die dargestellten Grundsätze entwickelt wurden, unterscheiden sich fundamental von dem hiesigen.
Im zitierten Fall des OLG Zweibrücken hatte der Beklagte im Rahmen des Strafverfahrens ein Geständnis abgelegt, welches das Zivilgericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO verwertet hat. Dies ist auf den vorliegenden Fall aber nicht übertragbar, da die Beklagte ein wettbewerbswidriges Verhalten nicht eingestanden hat und ein formales Geständnis der Beklagten nicht vorliegt, sondern lediglich ein Kronzeugenantrag. In einem Kronzeugenantrag liegt kein Schuldeingeständnis. Er kann lediglich einen Ausgangspunkt für behördliche Ermittlungen darstellen. Zudem zeigt auch die Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens, dass strafrechtliche und zivilrechtliche Verfahren zusammenfallen können. Eine vergleichbare Verfahrensgestaltung existiert bei Kartellverfahren nicht.
Die fehlende Einflussnahmemöglichkeit der Beklagten auf den Inhalt des Bußgeldbescheids und ihr Unvermögen, diesen gerichtlich überprüfen zu lassen, spricht ebenso gegen eine rechtliche Feststellungswirkung. Die nachteilige Zugrundelegung der Feststellungen aus dem Bußgeldbescheid im Rahmen eines Schadensersatzprozesses ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG problematisch (vgl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Auflage 2014, § 33, Rn. 97).
Die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen in den vorgelegten Bußgeldbescheiden besitzen mithin allenfalls eine Indizwirkung für einen Kartellverstoß der Beklagten, jedoch keines falls eine Bindungswirkung im Verhältnis zwischen den hiesigen Parteien und sie können auch nicht im Wege des Urkundsbeweises mit dem Zweck, die in einem Bußgeldbescheid enthaltenen Tatsachen nachzuweisen, gegen die Beklagte verwendet werden.
c) Bei Zugrundlegung des klägerischen Vortrags insbesondere in der Klageschrift ist vorliegend lediglich von einem Informationsaustausch zwischen den Beteiligten der „Viererrunde“ auszugehen.
Soweit die Klägerin auf Seite 32 der Klageschrift vorträgt, dass sich die Beteiligten der „Viererrunde“ (mit Ausnahme von …) über den Umfang und den Zeitpunkt der zum Jahreswechsel 2007/2008 geplanten Erhöhungen der Bruttolistenpreise „abgestimmt“ hätten, so stellt die Beurteilung der Gespräche im Einzelnen als „Abstimmung“ eine reine rechtliche Schlussfolgerung der Klägerin dar.
In ihrem an den Bußgeldbescheid gegen … (vgl. Anlage K 11) angelehnten Vortrag führt die Klägerin aus, dass sich bei den Treffen der „Viererrunde“ zwischen dem 11. Januar und 15. November 2007 die Zeugen … über den Zeitpunkt der Preiserhöhungen für die von den von ihnen vertretenen Unternehmen hergestellten … für den Januar 2008 beraten hätten.
aa) Beim Treffen vom 11. Januar 2007 hätten die Zeugen … die Preiserhöhungen für die von ihren Unternehmen produzierten Schokoladenwaren im Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 2007 und dem 1. Januar 2008 aufgrund gestiegener Rohstoffpreise für unausweichlich gehalten. Der Zeuge B. sei darauf eingegangen, dass die Beklagte Preiserhöhungen für Anfang Januar 2008 plane.
Hierin ist lediglich ein Austausch von Informationen dahingehend zu sehen, dass Preiserhöhungen für – abstrakt – … von Herstellerseite jeweils erfolgen sollen. Hinsichtlich des genauen Zeitpunkts sind dem Vortrag lediglich unkonkrete Äußerungen zu entnehmen.
bb) Beim Treffen vom 19. April 2007 seien der seinerzeit gerade erfolgende Anstieg der Rohstoffpreise für … und die sich daraus für die Preisbildung ergebenden Konsequenzen das zentrale Thema gewesen. Die Betroffenen … hätten intensiv die steigenden Rohstoffkosten für … erörtert und die Notwendigkeit von Preiserhöhungen beraten. Der Zeuge … habe darüber hinaus mitgeteilt, für … sei eine Preiserhöhung unumgänglich und … werde die Preise für seine Produkte erhöhen, wenn … die Preise erhöhe. Der Zeuge … habe mitgeteilt, dass … Preiserhöhungen für seine … um 10 Cent bzw. 6 bis 8 % plane.
Diesem Vortrag sind ebenso lediglich Verhaltensweisen zu entnehmen, die einen Informationsaustausch begründen. Vereinbarungen darüber, wie auf die mitgeteilten Informationen reagiert werden soll, wurden nicht vorgetragen. Eine konkrete Preisvereinbarung ist den einseitig mitgeteilten Angaben, dass Preiserhöhungen hinsichtlich der Bruttolistenpreise (und nicht der Netto-Netto-Preise) für Produkte (ohne diese konkret zu benennen) in einer bestimmten Größenordnung „geplant“ seien, nicht zu entnehmen.
cc) Beim Treffen vom 23. August 2007 habe der Zeuge … angegeben, … plane Preiserhöhungen zum 21. Januar 2008. Der Zeuge … habe angegeben, dass Mars seine Preise für … zum 14. Januar 2008 erhöhe. Der Zeuge … sei darüber hinaus auf Fragen der übrigen Teilnehmer der „Viererrunde“ eingegangen, ob … an der für Januar 2008 geplanten Preiserhöhung festhalte oder auch ein früherer Zwischenschritt erwogen werde. Er habe dazu angegeben, er sehe keine Möglichkeit, eine solche zusätzliche Preiserhöhung beim … durchzusetzen. Der Zeuge B. habe mitgeteilt, … wolle die Preise durchschnittlich um 8-14 % erhöhen, unter anderem über Inhaltsreduzierungen.
Hier wurden nach dem Vortrag der Klagepartei lediglich eine grobe prozentuale Höhe der Bruttolistenpreiserhöhungen – sortimentsübergreifend und durchschnittlich – einseitig mitgeteilt. Keinesfalls ist hierin eine konkrete Absprache zwischen den Herstellern zu erkennen. Die streitgegenständlichen Produkte waren auch nach dem klägerischen Vortrag wiederum nicht Gegenstand des Gesprächs.
dd) Beim Treffen vom 15. November 2007 hätten die Teilnehmer darüber gesprochen, ob angesichts der gestiegenen Rohstoffkosten für … in 2008 weitere Preiserhöhungen notwendig seien. So habe der Zeuge … angegeben … müsse eine weitere Preiserhöhung in Betracht ziehen, wenn … die Preise wegen gestiegener Rohstoffkosten noch einmal anziehen müsse. Der Zeuge … habe angesichts der in den vorausgegangenen Treffen der Runde bereits mitgeteilten Preiserhöhung eine weitere Preiserhöhung für 2008 ausgeschlossen.
Auch hierin ist keine konkrete Absprache über Preiserhöhungen zu sehen, sondern lediglich ein Austausch über Informationen hinsichtlich weiterer Preiserhöhungen. Die „erste Preiserhöhung“ des Jahres 2008 war bereits nach dem Vortrag der Klägerin hier kein Thema mehr.
ee) Insgesamt stellen die vier geführten Gespräche auch nach dem Vortrag der Klägerin lediglich einen Austausch über zukünftig geplante Bruttopreiserhöhungen, welche lediglich den Ausgangspunkt für Verhandlungen der Hersteller mit dem … darstellen, dar. Konkrete Preiserhöhungen für die hier streitgegenständlichen Produkte wurden nicht mitgeteilt, sondern lediglich Größenkategorien. Eine konkrete Abstimmung über konkrete Erhöhungen hat auch die Klägerin nicht vorgetragen, sodass insgesamt von einem reinen Informationsaustauschkartell – und gerade nicht von einem sog. Hardcore-Kartell – auszugehen ist.
4. Von dem unter 3. im Einzelnen dargestellten Sachverhalt der Klägerin ausgehend hat die vorzunehmende Gesamtwürdigung keine verlässliche Grundlage dafür erbracht, dass der Klägerin aufgrund des Informationsaustauschs mit überwiegender Wahrscheinlichkeit überhaupt ein Schaden entstanden ist.
Eine Gesamtbetrachtung sämtlicher relevanter Indizien lässt keine Rückschlüsse auf einen durch den Informationsaustausch bei der Klägerin entstandenen Schaden zu. Die Anwendung ökonomischer Erfahrungssätze liefert kein tragfähiges Indiz für die Entstehung eines Kartellschadens. Die gestiegenen Rohstoffkosten und die Inflationsrate stehen einer vom Informationsaustausch kausal verursachten Erhöhung der von der Klägerin und der Zedentin gezahlten Netto-Netto-Preise entgegen. Die Klägerin hat nicht konkret zu den Preisverhandlungen zwischen den Parteien für Warenbezüge ab dem Jahr 2008 vorgetragen. Hinzu kommt, dass der Informationsaustausch hinsichtlich der geplanten Preiserhöhungen lediglich punktuell an vier Gesprächen im Jahr 2007 stattfand und daher nur ein kurzer Kartellzeitraum vorliegt.
Die Kläger hat auch nicht mit Hilfe eines von ihr vorgelegten Privatgutachtens belegt, dass der Klägerin durch den Informationsaustausch ein Schaden entstanden ist.
Im Einzelnen:
a) Die Anwendung ökonomischer Erfahrungssätze liefert kein tragfähiges Indiz für die Entstehung eines Kartellschadens aufgrund des vorliegenden Informationsaustauschs.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung streitet eine tatsächliche Vermutung – im Sinne eines Erfahrungssatzes – dafür, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache bildeten. Soweit ein Kartell auf eine umfassende Wirkung gerichtet ist, kann darüber hinaus auch eine tatsächliche Vermutung dafür streiten, dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprache fallen, von diesen erfasst wurden und damit kartellbefangen waren (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 55, 61; BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 40).
Der Bundesgerichtshof hat diese tatsächlichen Vermutungen für sog. Kernbeschränkungen des Wettbewerbs formuliert. Die Kammer hat Bedenken, ob diese Erfahrungssätze auf den Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen, wie er hier stattgefunden hat, überhaupt Anwendung finden können (vgl. dazu Dworschak/Jopen, NZKart 2019, 126 ff.), was in der Instanzrechtsprechung unterschiedlich bewertet wird (im Ausgangspunkt noch bejahend OLG Nürnberg, HEMA-Vertriebskreis, a.a.O., Rn. 54; offenlassend zum Informationsaustausch im KWR LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 17.10.2019 – 19 O 9543/16 – KWR-Arbeitskreis/NORMA = NZKart 2019, 678).
aa) Im Ausgangspunkt knüpft der Bundesgerichtshof an den ökonomischen Erfahrungssatz an, dass die Beteiligten eines Kartells deshalb unzulässige Absprachen treffen, weil sie sich – trotz des damit verbundenen erheblichen Aufwands und dem mit einer Aufdeckung des wettbewerbswidrigen Verhaltens verbundenen Risiko einer straf- und bußgeldrechtlichen Verfolgung – von der Umsetzung des Kartells einen wirtschaftlichen Vorteil versprechen, von dem sie meinen, ihn ohne die verbotene Verhaltenskoordinierung nicht in adäquatem Umfang erzielen zu können. Die generelle Eignung eines Kartells, wirtschaftliche Vorteile entstehen zu lassen, folgt schon daraus, dass die beteiligten Unternehmen durch die Festlegung bestimmter Preise, Quoten, Gebiete oder Kunden der Notwendigkeit enthoben sind, sich im Wettbewerb am Markt zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen. Wird den beteiligten Unternehmen von vornherein eine fest umrissene Quote o.a. zugedacht, können die Marktmechanismen keine Wirkung entfalten. Damit wird grundsätzlich der Preiswettbewerb weitgehend außer Kraft gesetzt. Insoweit besteht ein wirtschaftlicher Erfahrungssatz, dass die Gründung und Durchführung eines Kartells häufig zu einem Mehrerlös führt (vgl. etwa BGH Urt. v. 28.08.2005 – KRB 20/12 – Berliner Transportbeton I). Da eine solche Verhaltenskoordinierung grundsätzlich auf eine umfassende Wirkung gerichtet ist, begründet dies eine tatsächliche Vermutung dafür, dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprachen fallen, von diesen erfasst wurden und damit kartellbefangen waren (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 61).
Diese Erwägungen betreffen aber Preis- und Quoten- bzw. Kundenschutzkartelle, d.h. sog. Hardcore-Kartelle. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass eine Verhaltenskoordinierung erfolgt, die unmittelbaren Bezug auf einen Wettbewerbsparameter wie Preis, Menge, Qualität hat; Gegenstand ist eine Festsetzung von Preisen, die Beschränkung der Produktion oder die Aufteilung von Märkten und Kunden, was unmittelbar zur Folge hat, dass die Abnehmer höhere Preise zahlen oder nicht die gewünschte Menge oder Qualität erhalten (vgl. Krauß in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rn. 23). Da diese Festsetzungen ausschließlich Wettbewerbsbeschränkungen bezwecken, sind dies nicht freistellungsfähige Kernbeschränkungen (vgl. Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 5 Rn. 4). Für diese Fälle gelten die Ausführungen des Bundesgerichtshofes in der ersten Entscheidung zum Schienenkartell, dass „durch solche Absprachen die beteiligten Unternehmen in einem gewissen Umfang der Notwendigkeit enthoben sind, sich im Wettbewerb zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen. Sie zielen mithin darauf, den Preiswettbewerb weitgehend außer Kraft zu setzen. Unternehmen, die sich aufgrund solcher Absprachen nicht dem Wettbewerb stellen müssen, werden im Regelfall keinen Anlass sehen, bestehende Preissenkungsspielräume zu nutzen (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 55).
Hiervon unterscheidet sich ein reiner Informationsaustausch, wie er hier praktiziert wurde, erheblich. Wenngleich die Beteiligten auch hier eine Vereinbarung getroffen bzw. sich darüber abgestimmt haben, sich über wettbewerbsrelevante Daten auszutauschen, erfolgten keine Absprachen, also Festlegungen bzw. Verhaltenskoordinierungen, mit unmittelbarem Bezug zu einem Wettbewerbsparameter. Vielmehr besteht aufgrund des Inhalts und der Zielsetzung des Austauschs ein lediglich mittelbarer Bezug zu einem solchen, indem sich die Beteiligten über ihre Absichten zu geplanten Bruttopreiserhöhungen (in zeitlicher und in quantitativer Hinsicht), dem Verhandlungsstand ihrer Jahresgespräche oder ihrer Reaktion auf Sonderforderungen informierten.
Im Einzelnen ergeben sich bei einem reinen Informationsaustausch die nachfolgenden Besonderheiten.
bb) Ein wettbewerbswidriger Informationsaustausch betrifft zuvorderst die Beschränkung des Geheimwettbewerbs (vgl. Lober in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 49; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.01.2017 – V 4 Kart 6/15 (OWi) – Süßwarenkartell = BeckRS 2017, 141749, Rn. 380 ff., aufgehoben durch BGH, Bschl. v. 21.06.2019 – KRB 10/18 ausschließlich aus verfahrensrechtlichen Gründen). Wettbewerbswidrig ist der durch den Informationsaustausch erreichte Wissensvorsprung. Hierdurch sind die beteiligten Unternehmen jedoch – anders als bei „Hardcore-Kartellen“ – noch nicht der Notwendigkeit enthoben, sich im Wettbewerb zur Erlangung von Aufträgen gegen die Konkurrenten durchzusetzen.
Sowohl in den Fällen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung als auch bei einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung durch einen Informationsaustausch fehlt es an einer unmittelbar preisbezogenen Festlegung auf ein bestimmtes kollusives Verhalten der wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen gegenüber der Marktgegenseite. Es besteht zwar eine Festlegung bzw. Verhaltenskoordinierung hinsichtlich der Schaffung von Transparenz bezogen auf einen Wettbewerbsparameter, aber eben (noch) keine diesbezügliche Kollusion in Bezug auf das anschließende Marktverhalten. Ob sich die Beschränkung des Geheimwettbewerbs auf den Preiswettbewerb durchschlägt, mithin eine daraus folgende Verhaltenskoordinierung im Sinne einer Festlegung hinsichtlich eines Wettbewerbsparameters erfolgt, hängt vielmehr von einer Vielzahl von Umständen ab, so dass es nicht schlechterdings die Regel ist, dass bestehende Preissetzungsspielräume nicht wettbewerbskonform genutzt werden. Das hängt damit zusammen, dass ein bloßer Informationsaustausch im Vergleich zu einer bereits den Preiswettbewerb unmittelbar betreffenden Verhaltenskoordinierung ambivalent ist. Denn er kann unter Umständen verschiedene Arten von Effizienzgewinnen hervorbringen und so Abnehmern zu Gute kommen, unter anderen Umständen sich aber beschränkend auf das Wettbewerbsergebnis auswirken. So eröffnet die durch den Austausch künstlich erhöhte Transparenz auf dem Markt den Unternehmen erst verschiedene Koordinierungsmöglichkeiten. Das Wettbewerbsergebnis richtet sich nach den Eigenschaften des Marktes, auf dem er stattfindet und nach der Art der ausgetauschten Informationen, da sich durch den Austausch das Umfeld des relevanten Marktes derart ändern kann, dass er koordinierungsanfällig wird (vgl. Horizontalleitlinien der Kommission, Abl. 2011 C 11/1, Rn. 55 ff., 65 ff.).
Wenn aber Erfahrungssätze Verhaltensweisen betreffen, die eine unmittelbare Koordinierung hinsichtlich der Wettbewerbsparameter beinhalten, womit sie direkt die Marktmechanismen beeinflussen und darauf abzielen, den Preiswettbewerb außer Kraft zu setzen, so kann dies nicht ohne Weiteres auf lediglich mittelbar ein kollusives Marktergebnis in Bezug nehmende Verhaltensweisen übertragen werden. Es kann letztlich offenbleiben, ob die oben dargestellten tatsächlichen Vermutungen im Sinne von Erfahrungssätzen überhaupt für einen reinen Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen gelten können oder nicht. Selbst wenn man die Anwendbarkeit bejaht, kann diesen für den hier in Rede stehenden Informationsaustausch kein maßgebliches Gewicht zukommen, weil zahlreiche Indizien vorliegen, die einer preissteigernden Wirkung entgegenstehen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 12. Mai 2020 – 11 U 98/18 (Kart) -, Rn. 225 f., juris.
cc) Anders als bei Geltung eines Anscheinsbeweises kommt einer tatsächlichen Vermutung kein abstrakt quantifizierbarer Einfluss auf das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu, da dies mit dem Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung unvereinbar wäre. Das Gewicht des Erfahrungssatzes hängt vielmehr entscheidend von der konkreten Gestaltung des Kartells und seiner Praxis sowie davon ab, welche weiteren Umstände feststellbar sind, die für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., R. 41). Die Vermutung der preissteigernden Wirkung eines Kartells kann beispielsweise an Gewicht gewinnen, je länger und nachhaltiger das Kartell praktiziert wurde (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 55). Umgekehrt können Anzeichen für eine fehlende Kartelldisziplin dem entgegenstehen (vgl. BGH Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 38).
Bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell kommt der tatsächlichen Vermutung einer allgemein preissteigernden Wirkung regelmäßig eine starke Indizwirkung für ein von der Kartellabsprache beeinflusstes Preisniveau zu (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 56; BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 42). Dies kann bei einem Informationsaustausch wie dem vorliegenden nicht gelten. Denn dieser ist in seiner Gestaltung und Praxis insbesondere nicht mit dem im Schienenkartell langjährig praktizierten System wechselseitiger Mitteilungen der Angebots- und Zuschlagspreise vergleichbar (vgl. ausführlich zum Ganzen OLG Frankfurt, Urteil vom 12. Mai 2020 – 11 U 98/18 (Kart) -, Rn. 206 ff., juris).
Der vorliegende Fall ist schon im Ansatz anders gelagert. Hinsichtlich der Art der Information stellen die Horizontal-Leitlinien der Europäischen Kommission auf strategisch relevante Daten ab (vgl. Horizontalleitlinien der Kommission, Abl. 2011 C 11/1, Rn. 61). Hierunter fallen insbesondere (Listen-)Preise, Kundenlisten, Produktionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen, Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, Investitionen, Technologien sowie Forschungs- und Entwicklungsprogramme und deren Ergebnisse (vgl. Horizontalleitlinien der Kommission, Abl. 2011 C 11/1, Rn. 86).
Der vorliegende Informationsaustausch bezog sich auf den Status der Jahresverhandlungen mit den Einzelhändlern und ungefähre Angaben zu Zeitpunkt und Höhe der geplanten Listenpreiserhöhungen Anfang des Jahres 2008 für … im Allgemeinen. Die Listenpreise selbst wurden auch ausweislich des Klägervortrags nie konkret besprochen. Auch wurden keine Informationen zu bestimmten Produkten ausgetauscht. Die „Viererrunde“ befasste sich auch ausweislich des klägerischen Vortrags nicht mit konkreten Informationen zu Preisen, Preisbestandteilen oder preisbildenden Faktoren. Auch die anderen von den Horizontal-Leitlinien als strategisch eingestuften Informationen wie Kundenlisten, Mengen und Verkaufszahlen waren nicht Gegenstand des Austauschs. Die ausgetauschten Informationen besaßen nur einen geringen Detaillierungsgrad. Die Angaben zu den geplanten Listenpreiserhöhungen beschränkten sich auf ungefähre Angaben zu Zeitpunkt und Umfang der Preiserhöhungen.
Teilweise waren die ausgetauschten Informationen zumindest im Grundsatz im Zeitpunkt ihres Austauschs bereits Teil der öffentlichen Berichterstattung. So berichtete die Lebensmittelzeitung bereits im Januar 2007, dass Preiserhöhungen in Höhe von rund 5 % zu erwarten seien (vgl. Anlage K 11, Rn. 69). Auch die mit der Klageerwiderung eingereichte Presseberichterstattung aus dem Jahr 2007 (vgl. Anlagenkonvolut B 1) belegt, dass eine Preiserhöhung zu Januar 2008 aufgrund der gestiegenen Rohstoffkosten nach Wahrnehmung aller Marktteilnehmer unausweichlich werden würde. Die bei den Treffen ausgetauschten Informationen bezogen sich nicht auf hinreichend konkrete Produkte oder Werte, sodass nicht erkennbar ist, dass ihnen im Vergleich zu den veröffentlichten Daten ein wesentlich größerer Informationswert zukam.
Das weitere Marktverhalten der Beklagten, nämlich ihre Verhandlungen mit der Klägerin über die „Konditionengerüste“, aus denen sich letztlich erst der für die Klägerin maßgebliche Einkaufs-Nettopreis bezüglich der streitgegenständlichen Produkte ergab, war dem Informationsaustausch entzogen. Es oblag den insoweit alleine den Beteiligten, sich auf Basis der auf dem Beschaffungsmarkt vorherrschenden Kräfteverhältnisse gegen Hersteller von Wettbewerbsprodukten durchzusetzen.
In zeitlicher Hinsicht beschränkte sich der Austausch auf wenige Treffen der „Viererrunde“ im Jahr 2007 wobei lediglich in den Treffen am 19.04.2007 und am 23.08.2007 auch nach dem Vortrag der Klägerin ungefähre Preiserhöhungen für … und konkrete Zeiträume für Preiserhöhungen bezogen auf die Bruttolistenpreise einseitig mitgeteilt wurden. Der Informationsaustausch in der „Viererrunde“ hat daher insbesondere nichts mit dem im Schienenkartell betriebenen „System“ gemein.
b) Die Beleuchtung der in der „Viererrunde“ ausgetauschten Informationen erlaubt keine verlässlichen Rückschlüsse auf einen dadurch hervorgerufenen Nachteil der Klägerin und der Zedentin.
Zwar hat der Europäische Gerichtshof den Erfahrungssatz festgestellt, dass Unternehmen, wenn sie auf dem Markt tätig sind, die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen berücksichtigen und für ihr Marktverhalten benutzen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2015 – C-286/13 P – Bananen (Dole), Rn. 44). Um eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung im Sonderfall des reinen Informationsaustausches annehmen zu können, muss die Gesamtwürdigung aller Umstände aber ergeben, dass die ausgetauschten Informationen der Kartellanten mitursächlich für die Preisgestaltung auf dem Markt waren, dem der Erwerbsvorgang zuzurechnen ist (vgl. LG Mannheim, Urt. v. 24.04.2019 – 14 O 117/18 Kart = NZKart 2019, 389 (391)).
Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung, ob mit der nach § 287 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein kausaler Schaden entstanden ist, kommt es folglich darauf an, ob und wie die am Informationsaustausch Beteiligten das erlangte Wissen in den konkreten Auftragsverhandlungen mit der Klägerin nutzten und ihr Marktverhalten wegen des Informationsaustausches so gestalten konnten, dass sie sich begünstigten.
Die Klägerin erläutert selbst, dass Netto-Netto-Preise in einem Kartell nicht abgesprochen werden könnten, da diese „individuell mit jedem einzelnen Lebensmitteleinzelhändler verhandelt werden“ (vgl. Schriftsatz vom 29.08.2016, S. 36). Die Klägerin hat nicht dargelegt, auf welche Weise sich der Informationsaustausch in tatsächlich erhöhten Netto-Netto-Preisen niedergeschlagen hat. Es erfolgt keinerlei Vortrag zum Zeitraum, Inhalt und Ablauf der Preisverhandlungen zwischen den Parteien. Hieraus lässt sich ableiten, dass die Kenntnis der Mitglieder der „Viererrunde“ über beabsichtigte Bruttopreiserhöhungen zwar ein „Merkposten“, aber letztlich keine maßgebliche Bezugsgröße für die eigenständig mit dem Handel zu führenden Jahresgespräche war (vgl. insoweit auch OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 12.5.2020 – 11 U 98/18 (Kart), Rn. 161).
Aus dem Klägervortrag ergibt sich nicht, dass die Beklagten mittels der ausgetauschten Angaben über die beabsichtigten Zeitpunkte der Bruttopreiserhöhungen oder vereinzelten Angaben der Mitglieder der „Viererrunde“ über eine Bruttopreissteigerung auf die Netto-Preise einzelner Produkte oder Warengruppen ihrer Wettbewerber hätten Rückschlüsse ziehen können. Hinzu kommt, dass weder die konkrete Höhe der Listenpreise oder Vorjahrespreise noch Preise zu einem einzelnen Produkt oder einer Produktgruppe ausweislich des Klägervortrags Gegenstand des Austauschs waren. Stattdessen wurden Absichten über die prozentuale Veränderung/Erhöhung der Bruttolistenpreise für das Gesamtportfolio ausgetauscht. Die Informationen über geplante Bruttopreiserhöhungen enthielten keinen konkreten Produktbezug bezogen auf die streitgegenständlichen Schokoladenwaren, der es der Beklagten erlaubt hätte, eine diesbezügliche Preisstrategie für bestimmte Produkte abzuleiten und dies für die eigene Preisstrategie zu nutzen. Der Austausch betraf unstreitig nicht den Einkaufs-Nettopreis, sondern – ohne konkreten Produktbezug – nur das Stadium der Verhandlungen. Die Verhandlungen eines Herstellers variieren nach dem Vortrag der Beklagten, dem die Klägerin nicht entgegengetreten ist, von Einzelhändler zu Einzelhändler. Es wird ein individuelles Konditionenpaket verhandelt. Die sich hieraus ergebenden Netto-Netto-Preise liegen deutlich unter den Bruttolistenpreisen und variieren je nach Verhandlungsposition und -status des Herstellers von Handelsunternehmen zu Handelsunternehmen.
c) Insbesondere die Qualität und Dichte der Informationen sprechen in ihrer allgemeinen Form dagegen, dass sich der Austausch zu beabsichtigen Bruttopreiserhöhungen nachteilig auf die vom Kläger in seiner Schadensberechnung zu Grunde gelegten Einkaufs-Nettopreise ausgewirkt hat.
Weder wird nach dem klägerischen Vortrag ein konkreter Bruttopreis oder Nettopreis für ein Produkt oder eine Warengruppe benannt, noch ein konkreter, produktbezogener Rabatt bzw. die absolute Höhe desselben o.Ä. mitgeteilt.
Die Informationen über den Stand der Jahresgespräche konnten auch kein Signal in Richtung des künftigen Marktverhaltens setzen, aus dem sich irgendeine diesbezügliche Koordinierung der Mitglieder der „Viererrunde“ hätte ergeben können. Die Mitglieder der „Viererrunde“ befanden sich in unterschiedlichen Verhandlungsstadien und nicht immer haben sich alle Anwesenden zu den geplanten Bruttolistenpreiserhöhungen geäußert. Ferner muss berücksichtigt werden, dass die vorgenannten Informationen für die Teilnehmer der „Viererrunde“ lediglich eine Momentaufnahme innerhalb der jeweils über mehrere Monate, auf unterschiedlichen Kommunikationsebenen und -wegen geführten Jahresgesprächen darstellten.
d) Auch die gestiegenen Rohstoffkosten und die bei der Schadensberechnung der Klägerin nicht berücksichtigte Inflationsrate stehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für eine kartellbedingte Preisüberhöhung entgegen.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Preiserhöhung für das Jahr 2008 aufgrund der Inflation und der gestiegenen Kosten für …, notwendig war (vgl. die Schriftsätze vom 26.10.2016, S. 7 f., und vom 14.02.2017, S. 9 ff.). Die Klägerin hat den von der Beklagten und den Streihelferinnen im Einzelnen vorgetragenen Anstieg der Rohstoffpreise (vgl. Seite 4 f. des Schriftsatzes der Streithelferin …, Anlagenkonvolut S 1) nur pauschal und nicht substantiiert bestritten.
Die Entscheidung, die höheren Rohstoffkosten grundsätzlich an die Kunden weiterzugeben, ist ein ökonomisch nachvollziehbares, wettbewerbliches Marktverhalten. Eine Preiserhöhung aus kaufmännischen Gesichtspunkten, zum Beispiel aufgrund von Kostensteigerungen, begründen keinen ersatzfähigen Schaden des Abnehmers. Die gestiegenen Rohstoffkosten und die Inflationsrate zwischen 2,3 und 2,6 % in den Jahren 2007 und 2008 werden zudem durch verschiedene Rohstoffpreisindexe für Nahrungsmittel bestätigt (vgl. insoweit schon Landgericht Nürnberg-Fürth, Urteil vom 17.05.2018, Az. 19 O 9546/16, S. 27 f.).
Die Beklagte erhöhte im August 2008 zudem erneut die Preise, obwohl sie im Januar 2008 einen Kronzeugenantrag beim Bundeskartellamt gestellt hatte, in dessen Folge das Bundeskartellamt Ermittlungen u.a. gegenüber den Streithelferinnen aufnahm. Wenn die Beklagte ungeachtet des Eindrucks kartellamtlicher Ermittlungen die Preise im selben Jahr ein zweites Mal erhöht, so ist dies ein Indiz dafür, dass sie hinsichtlich der gestiegenen Rohstoffpreise unter Kostendruck stand. Der Umstand der zweiten Preiserhöhung im Jahr 2008 spricht damit auch die Erforderlichkeit der ersten Preiserhöhung aufgrund der gestiegenen Rohstoffkosten. Ebenfalls gegen eine von dem Informationsaustausch bedingte Preiserhöhung spricht, dass Kartellaußenseiter wie Ferrero zu Januar 2008 ebenfalls ihre Preise erhöhten (vgl. hierzu die Berichterstattung in der Lebensmittelzeitung, Anlage B 8).
e) Nach alledem vermag die Kammer dem klägerischen Parteivortrag keine indiziellen Umstände zu entnehmen, die für sich betrachtet eine gesicherte Grundlage für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines bei der Klägerin bzw. der Zedentin infolge des hier in Rede stehenden Informationsaustauschs eingetretenen kausalen Schadens liefern. Auch in der Gesamtschau aller zu berücksichtigenden Umstände ist die Kammer nicht mit der nach § 287 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit von einem ursächlich mit dem Kartellverstoß zusammenhängenden Schaden überzeugt, sodass die Klage allein aus diesem Grund vollumfänglich unbegründet ist.
V. Zumindest hinsichtlich des Produkts … greift vorliegend wegen der Vorteilsausgleichung der passing-on-Einwand, den die Beklagte erhoben hat, durch. Die Beklagte hat einen unstreitigen Sachverhalt vorgetragen, mit dem eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung zumindest ernsthaft in Betracht kommt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die unstreitig jeweils gestiegenen und der Höhe nach unstreitigen Einkaufs-Nettopreise der Klägerin dadurch kompensiert wurden, dass ein etwaiger kartellbedingter Schaden an die Endkunden der … weitergewälzt wurden.
1. Um erfolgversprechend eine Vorteilsausgleichung geltend zu machen, muss der beklagte Kartellteilnehmer zunächst anhand der allgemeinen Marktverhältnisse auf dem relevanten Absatzmarkt, insbesondere der Nachfrageelastizität, der Preisentwicklung und der Produkteigenschaften, plausibel dazu vortragen, dass eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung zumindest ernsthaft in Betracht kommt. Weiter ist darzutun und gegebenenfalls nachzuweisen, dass der Weiterwälzung keine Nachteile des Abnehmers gegenüberstehen, insbesondere kein Nachfragerückgang, durch den die Preiserhöhung (ganz oder teilweise) kompensiert worden ist. Der Kartellteilnehmer hat auch darzulegen, wie sich gegebenenfalls eigene Wertschöpfungsanteile des weiterverkaufenden Abnehmers auf den Vorteilsausgleich auswirken. Soweit sich Preiserhöhungen auf den eigenen Wertschöpfungsanteil des Weiterverkäufers beziehen, können sie nicht als kartellbedingt angesehen werden (vgl. BGH NJW 2012, 928 Rn. 69 – ORWI).
2. Die Beklagte hat – unstreitig – vorgetragen, die Klägerin habe sich gegenüber der Beklagten Mitte Januar 2008 mit den Preiserhöhungen der Beklagten einverstanden erklärt. Die Klägerin habe ihren Ladenverkaufspreis für das Produkt „…“ mit Wirkung zum 15.01.2008 von 1,79 € auf 1,89 € angehoben. Nach erneuten Preisverhandlungen mit der Beklagten habe die Klägerin eine erneute Listenpreiserhöhung zum 04.08.2008 akzeptiert. Die zweite Erhöhung des Ladenverkaufspreises um 10 Cent sei zeitgleich mit dem Wirksamwerden der erneuten Erhöhung des Einkaufspreises mit der Beklagten erfolgt (vgl. die von der Klägerseite vorgelegte tabellarische Übersicht gemäß Anlage K 23). Mit dem Produkt „…“ erzielte die Klägerin in dem Zeitraum vor der ersten Preiserhöhung im Januar 2008 eine Spanne von 0,4688 € an. In den nachfolgenden Zeiträumen war die Spanne der Klägerin höher. Die Preiserhöhungen hinsichtlich der Verkaufspreise nach der Akzeptanz der Preiserhöhungen hinsichtlich der Einkaufspreise erfolgte unstreitig jeweils im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang.
Die Beklagte trägt weiter vor, die durch die Preiserhöhungen erfolgte Schadensweiterreichung zeige sich besonders deutlich in der Margenentwicklung (vgl. Anlage K 23) der Klägerin, die als solche unstreitig ist. Die Klägerin habe die Erhöhungen der Netto-Netto-Einkaufspreise, die im Schnitt etwa 0,06 € betragen haben, durch Anhebung der Verkaufspreise um jeweils 0,10 € mehr als ausgeglichen und einen etwaigen Schaden somit in vollem Umfang an ihre Kunden weitergegeben.
Die Klägerin hat zwar den weiteren Vortrag der Beklagten, dass es infolge der Preiserhöhung der Netto-Einkaufspreise für das Produkt „…“ nicht zu einem Nachfragerückgang bei der Klägerin gekommen sei, auf Seite 11 des Schriftsatzes vom 29.08.2016 ohne nähere Ausführungen bestritten. Unstreitig hat aber die Klägerin von der Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen Produkte in den Jahren 2008 und 2009 gegenüber dem Vergleichsjahr 2007 eine in etwa gleichbleibende Menge bezogen.
3. Die Beklagte ist hinsichtlich der in der ORWI-Rechtsprechung des BGH aufgestellten Maßstäbe ihrer Darlegungslast hinsichtlich des passing-on-Einwands nachgekommen. Soweit die Klägerin hinsichtlich der Schadensweiterwälzung pauschal behauptet, die Festsetzung der Ladenverkaufspreise bei der Klägerin würde ausschließlich auf autonomen Motiven und einer eigenen wirtschaftlichen Entscheidung beruhen, die von zahlreichen Faktoren beeinflusst werde (vgl. Seite 4 des Schriftsatzes vom 03.12.2020), die positive Umsatz- und Margenentwicklung sei allein auf ihr kaufmännisches Geschick zurückzuführen und daher vorliegend nicht relevant (vgl. Seite 34 des Schriftsatzes der Klägerin vom 02.02.2018) und soweit seitens der Klägerin überdies ohne weitere Ausführungen der fehlende Nachfragerückgang bei der Klägerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Produkte bestritten wird (vgl. Seite 11 des Schriftsatzes vom der Klägerin vom 29.08.2016; wobei unstreitig die Abnahme von Produkten 2008 und 2009 gegenüber 2007 im Wesentlichen gleich geblieben ist), so ist sie damit ihrer sie nach der ORWI- und der Schienenkatell-IV-Rechtsprechung des BGH treffenden sekundären Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Deshalb gilt der auf die vollständige Schadensweitergabe an ihre Kunden bezogene Sachvortrag der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
Im Einzelnen:
a) Der Klägerin obliegt vorliegend eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich des passing-on-Einwands der Beklagtenseite, die dann greift, wenn die beweisbelastete und primär darlegungspflichtige Beklagte außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind. Die Bejahung einer sekundären Darlegungslast des Kartellgeschädigten setzt aber eine umfassende Prüfung ihrer Erforderlichkeit und Zumutbarkeit voraus, bei der sorgfältig abzuwägen ist, inwieweit dem Geschädigten insbesondere eine Darlegung zu wettbewerblich relevanten Umständen abverlangt werden kann, an deren Geheimhaltung er ein schützenswertes Interesse hat. Außerdem wäre es mit der unionsrechtlich gebotenen effizienten Durchsetzung des Kartelldeliktsrechts unvereinbar, wenn die Annahme einer sekundären Darlegungslast zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führte (vgl. BGH NJW 2012, 928 Rn. 71 – ORWI).
An der Erforderlichkeit einer Mitwirkung der Klagepartei fehlt es, wenn die Beklagten sich mittels Streitverkündung vor einer doppelten Inanspruchnahme schützen können. Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn der Schaden auf einen unüberschaubaren Personenkreis weitergewälzt wurde. In einem solchen Fall ist eine Streitverkündung unzumutbar (vgl. BGH NJW 2012, 928 Rn. 74 – ORWI).
Vorliegend besteht ein unüberschaubarer Kundenkreis der Klägerin, da es sich um eine hohe Vielzahl von Endkunden eines Supermarktes handelt, die einzelne … kaufen, weshalb eine Erforderlichkeit für die sekundäre Darlegungslast ihrerseits besteht und der Beklagten Streitverkündungen gegenüber Endkunden der Klägerin unzumutbar sind.
Eine sekundäre Darlegungslast des Geschädigten besteht auch, da eine Schadensweiterreichung hier besonders wahrscheinlich ist. Denn bereits das Bundeskartellamt hat in dem Bußgeldbescheid gegen die Streithelferin … die Erhöhung der Regalpreise im Einzelhandel als Folge der Preiserhöhung der Beklagten bestätigt (vgl. Anlage K 11, Rn. 98). Zudem hat die Beklagte unter Verweis auf das Vertikalverfahren des Bundeskartellamts und die tatsächlich erfolgten, überkompensatorischen Erhöhungen der Verkaufspreise der Klägerin (vgl. die Markterhebung der GFK gemäß Anlage B 2) die hohe Wahrscheinlichkeit einer etwaigen Schadensweitereichung der Klägerin auf ihre Kunden dargelegt (vgl. Schriftsatz vom 20.09.2017, S. 2 f.). Die Klägerin untermauert diese hohe Wahrscheinlichkeit mit der Vorlage der eigenen Verkaufspreise, deren überkompensatorische Erhöhungen und mit der Margenentwicklung in Anlage K 23 zudem selbst.
Eine sekundäre Darlegungslast des Kartellgeschädigten im Hinblick auf die näheren Umstände seiner Preiskalkulation kommt zwar grundsätzlich nicht in Betracht, wenn zum einen bei einer Abwälzung des Schadens allenfalls marginale, kaum verlässlich und nur mit großem Aufwand feststellbare Auswirkungen einer Schadensabwälzung auf die Angebotspreise des nachgelagerten Markts zu erwarten sind und zum anderen wegen mangelnder Durchsetzung möglicher Schadensersatzansprüche der Abnehmer auf der nachgelagerten Marktstufe eine unbillige Entlastung des Schädigers droht (vgl. BGH NZKart 2020, 539 Rn. 62 – Schienenkartell IV). Im Gegensatz zur Fallgestaltung im Schienenkartell, bei dem die Entgelte auf dem nachgelagerten Markt des öffentlichen Personennahverkehrs einem hochkomplexen Preisbildungsmechanismus unterliegen, ist jedoch bei … nicht von einer komplexen Preisgestaltung auf der nachgelagerten Marktstufe auszugehen.
b) Nach dem teils unstreitigen, jedenfalls aber wegen des unsubstantiierten Einwands der Klägerseite, die Erhöhung der Verkaufspreise aufgrund der eigenen Geschäftstüchtigkeit erwirtschaftet zu haben, und wegen des unsubstantiierten Bestreitens des fehlenden Nachfragerückgangs bei der Klägerin, sind die Voraussetzungen für eine ernsthaft in Betracht kommende Schadensweitergabe an die nachgelagerte Marktstufe erfüllt.
Die Beklagte hat dargelegt, dass aufgrund der Berücksichtigung von Einkaufspreis und Marge für den Endverbraucherpreis eine hundertprozentige Weiterwälzung der Preiserhöhung auf die Endverbraucher ernsthaft in Betracht kommt. Darüber hinaus sprechen auch die Marktverhältnisse wie Nachfrageelastizität (aa.), Preisentwicklung (bb.) und Produkteigenschaften für eine Schadensweitergabe. Die Klägerin hat auch keinen rechtserheblichen Sachverhalt vorgetragen, der einer Vorteilsausgleichung entgegenstünde.
aa) Süßwaren besitzen eine niedrige Nachfrageelastizität. Dies folgt aus ihrer Eigenschaft als Impulsartikel, die sich durch eine niedrige Preiselastizität auszeichnen (vgl. Feistel, in: Strategisches Kundenbindungsmanagement, 2008, S. 129). Der Kunde von Impulsartikeln entschließt sich „spontan und ungeplant“ für den Kauf des jeweiligen Produktes, was sich schon aus dem von der Klägerin in Bezug genommenen Bußgeldbescheid gegen die Streithelferin Ritter ergibt (vgl. Anlage K 11, Rn. 45). Hierbei sind ökonomische Überlegungen zweitrangig; oftmals wird der Impuls durch besondere „Verzehranlässe“ bedingt. Dies kennzeichnet sich bei Süßwaren zum Beispiel dadurch, dass der Kunde insbesondere die kassenplatzierten Einzelartikel kauft (vgl. Anlage K 11, Rn. 47, 53), obwohl der Erwerb einer in der Süßwarenabteilung angebotenen Packung im Hinblick auf den Preis pro Einzelstück günstiger wäre. Mangels Planung eines Kaufs von Impulsartikeln erfolgt auch kein Vergleich von Alternativen (vgl. Feistel, in: Strategisches Kundenbindungsmanagement, 2008, S. 129). Ein Kunde wird daher von dem Kauf eines Schokoriegels nicht abgebracht, nur weil der Preis geringfügig – vorliegend jeweils um 0,10 € – gestiegen ist.
bb) Die Verkaufspreiserhöhungen der Klägerin erfolgten auch jeweils im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Erhöhung der Netto-Einkaufspreise. Ausweislich der Anlage K 23 hat sich auch die Marge der Klägerin so entwickelt, dass sie in dem Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Preiserhöhung mit einer Spanne von 0,5282 € die höchste Marge während des gesamten von ihr betrachteten Zeitraums erzielen konnte.
cc) Weiter indiziert der intensive Wettbewerb auf der Marktstufe der Einzelhändler eine Schadensweitergabe durch die Klägerin (vgl. BGH, NJW 2012, 928, Rn. 47 – ORWI) aufgrund der bei hohem Wettbewerb in der Regel bestehenden hohen Kostenempfindlichkeit des Wettbewerbers aufgrund niedriger Gewinnmargen.
dd) Schließlich sind für die Klägerin und die Zedentin auch keine Nachteile ersichtlich, die der Schadensweiterwälzung entgegenstünden. Zu solchen Nachteilen zählt insbesondere der Nachfragerückgang aufgrund der Preiserhöhung (vgl. BGH, NJW 2012, 928, Rn. 69 – ORWI). Einen Nachfragerückgang oder einen Kundenwechsel zu einem anderen Lebensmitteleinzelhändler hat die Klägerin nicht behauptet; sie hat lediglich ohne weitere Ausführungen einen fehlenden Nachfragerückgang unsubstantiiert bestritten. Die Beklagte hat aber ausführlich mit Hilfe einer Grafik (vgl. Seite 11 des Schriftsatzes der Beklagten vom 27.05.2016) dargelegt, dass der Absatz von „…“ sich in den Jahren 2008 und 2009 gegenüber dem Vergleichsjahr 2007 gegenüber der Klägerin nicht reduziert hat. Die Klägerin ist dem nicht entgegengetreten.
ee) Nach alledem kommt nach dem Vortrag der Beklagten eine Schadensweiterwälzung der Klägerin der Preiserhöhungen an ihre Endkunden zumindest hinsichtlich des streitgegenständlichen „…-Produkts aufgrund der unstreitig gestiegenen Verkaufspreise um zweimal 0,10 € ernsthaft in Betracht.
VI. Da es insbesondere bereits an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens fehlt, wie unter IV. ausgeführt, kommt es hier nicht mehr darauf an, ob die im Schriftsatz der Beklagten vom 07.01.2020 erhobene Einrede der Verjährung die Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruchs hindert. Die zwischen den Parteien erörterten Streitpunkte, wann die dreijährige Regelverjährungsfrist für Ansprüche aus den Zeiträumen 2007 bis 2009 (vgl. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB) hier aufgrund der Kenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen begonnen hat, wann die Verjährungsfrist gemäß § 33 Abs. 5 GWB i.V.m. § 204 Abs. 2 S. 1 BGB gehemmt wurde und ob durch die Klageerhebung ab Rechtshängigkeit ein weiterer Hemmungstatbestand nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB greift, obwohl die Klage erst mit Schriftsatz der Klägerin vom 02.02.2018 als bestimmt gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO anzusehen ist, können hier dahinstehen.
C.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO und wegen der geringfügigen Teilklagerücknahme auf § 269 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 2 ZPO.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 3 ZPO.


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