IT- und Medienrecht

Kein Anspruch auf Widerruf bzw. Unterlassen einer Meinungsäußerung

Aktenzeichen  Au 7 K 16.327

Datum:
3.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 121044
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1004 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Wird eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, durch den Charakter einer Stellungnahme oder des Dafürhaltens oder Meinens geprägt, handelt es sich insgesamt um eine Meinungsäußerung. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Bürgermeister als besonders in der Öffentlichkeit stehendes Organ der Gemeinde muss auch provozierende, polemisch und überspitzt formulierte Kritik an seiner Arbeit hinnehmen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Für die vorliegende Klage ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet.
Streitgegenständlich ist ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch in Form eines Anspruchs auf Unterlassung und Widerruf von Äußerungen. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog. Die bürgerlich-rechtliche Vorschrift ist auch bei ehrverletzenden Äußerungen, die ein öffentlich-rechtliches Verhältnis betreffen, heranzuziehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2009 – 4 C 09.2144 – juris Rn. 10). Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sind öffentlich-rechtlicher Natur nur solche Klagen entsprechend § 1004 BGB auf Unterlassung und Widerruf ehrverletzender Äußerungen, die von einem Träger öffentlicher Verwaltung bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben, gestützt auf vorhandene oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Befugnisse, abgegeben werden. Dagegen ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet, wenn die beanstandeten Äußerungen nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern nur gelegentlich einer nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Tätigkeit gemacht werden, wenn sie allein Ausdruck einer persönlichen Meinung oder Einstellung sind (s. auch VGHBW, B.v. 12.12.2001, VBlBW 2002, 251 = FSt. 18/2002 Nr. 273).
Danach sind die beanstandeten Äußerungen über den Kläger nicht nach privatem, sondern nach öffentlichem Recht zu beurteilen (VG Würzburg, U.v. 27.11.2002 – W 2 K 02.828 – juris Rn. 44). Dieser beruft sich vorliegend lediglich auf seine organschaftlichen Rechten als Bürgermeister und nicht auf Rechtspositionen, die ihm als Privatperson zustehen. Der Kläger hat als Bürgermeister die in den Art. 34 ff. Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung/GO) geregelten Aufgaben zu erfüllen und insbesondere den Vorsitz im Gemeinderat zu führen und dessen Beschlüsse zu vollziehen (Art. 36 Satz 1 GO). Bei der Erfüllung dieser Aufgaben kann er durch ehrverletzende Äußerungen in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein.
Der Beklagte hat die streitgegenständliche Äußerung ebenfalls nicht als Privatmann, sondern ausschließlich in seiner Eigenschaft als Mitglied des Gemeinderats also als Mitglied eines Gemeindeorgans (s. Art. 29, 30 GO) erhoben. Dass der Beklagte allein – ohne die Unterstützung des restlichen Gemeinderats auftrat – nimmt ihm nicht seine in seiner Mitgliedschaft im Gemeinderat wurzelnde Stellung als vorliegend „abgespaltenes Teilstück“ dieses Organs, macht ihn nicht gleichsam automatisch zu einem Privatmann, der sich in einer zivilrechtlich zu beurteilenden Auseinandersetzung mit einem anderen Organ befindet (vgl. VG Würzburg, U.v. 27.11.2002 – W 2 K 02.828 – juris Rn. 47).
II.
Die Klage ist zulässig, führt in der Sache jedoch nicht zum Erfolg.
Bei der vorliegenden Verwaltungsstreitsache handelt es sich um einen Kommunalverfassungsstreit, da die Parteien des Rechtsstreites zum Zeitpunkt der Klageerhebung Organe bzw. Organteil einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, nämlich der Gemeinde, waren.
1. Die vom Kläger umgestellte Klage ist statthaft.
Zunächst wurde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers eine allgemeine Leistungsklage erhoben. In der Niederlegung des Amtes des Beklagten ist allerdings ein für die Hauptsache erledigendes Ereignis zu sehen. Dies ist insbesondere deswegen der Fall, weil der durch den Kläger geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung und Widerruf nach dem Ausscheiden des Beklagten aus dem Gemeinderat nicht mehr bestehen kann. Eine für einen Unterlassungsanspruch notwendige Widerholungsgefahr kann vom Beklagten nicht mehr ausgehen, da er in der Funktion als Gemeinderat keine Äußerungen mehr tätigen kann. Ein Anspruch auf Widerruf – den der Beklagte als Mitglied des Gemeinderats und gemäß Klageantrag im Rahmen einer Gemeinderatssitzung erfüllen sollte – kann aus eben diesem Grund nicht mehr erfüllt werden.
Dementsprechend war die Klage richtigerweise umzustellen auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.
Diese ist grundsätzlich zwar nur für die Konstellationen einer ursprünglichen Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage statthaft. Von der Obergerichtlichen Rechtsprechung ist sie aber aufgrund der besonderen zeitlichen Konstellation ebenso für den Fall der Erledigung einer allgemeinen Leistungsklage anerkannt (vgl. VG Magdeburg, U.v. 25.10.2012, Az.: 9 A 164/11, VG München, U.v. 22.12.2011, Az.: M 17 K 11.3337, BayVGH, U.v. 14.1.1991, Az.: 2 B 90.1756 alle nach juris).
2. Neben der auch für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO muss für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein besonderes Feststellungsinteresse gegeben sein.
Zur Begründung eines besonderen Feststellungsinteresses kommt hier ein Rehabilitationsinteresse des Klägers in Betracht. Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht immer dann, wenn sich aus der angegriffenen Äußerung eine für Außenstehende erkennbare und fortdauernde Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 4 ZB 16.1610 – juris Rn. 17).
So stellt sich der Fall hier dar.
Die durch den Beklagten in der E-Mail an alle Gemeinderatsmitglieder vom 26. Oktober 2015 und dem sich darauf beziehenden Flugblatt getätigten Äußerungen – der Bürgermeister habe die Gemeinderatsmitglieder in Sachen Bahnunterführung „…“ immer wieder falsch informiert und dreist belogen, die Gemeinderatsmitglieder selbstherrlich übergangen, die Mitarbeit der Gemeinderatsmitglieder nachweislich missachtet und diese belogen – sind geeignet das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit herabzusetzen und seinen Ruf als Bürgermeister dauerhaft zu schädigen.
III.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses – dies war die Amtsniederlegung des Beklagten am 10. Oktober 2016 – stand dem Kläger kein Anspruch auf Widerruf bzw. Unterlassung gegen den Beklagten zu.
Voraussetzung für das Bestehen eines solchen Anspruchs ist das Vorliegen eines rechtswidrigen hoheitlichen Eingriffs in ein subjektiv-öffentliches Recht des Klägers. Als subjektiv-öffentliches Recht kann sich der Kläger auf sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) berufen, das auch den Ehrschutz einer Person umfasst. Vorliegend hat der Beklagte jedoch nicht rechtswidrig in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen.
1. Um einen Eingriff festzustellen, ist zwischen wahren und unwahren Tatsachenbehauptungen, sowie Meinungsäußerungen zu unterscheiden.
a) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert (vgl. BVerfGE 90, 241 (247) = NJW 1994, 1779). Gerade unabhängig von den subjektiven Auffassungen des sich Äußernden soll etwas als objektiv gegeben hingestellt werden. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (vgl. BVerfGE 90, 241 (247) = NJW 1994, 1779). Das gilt auch für Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander durchdringen. Bei der Abwägung fällt dann die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (vgl. BVerfGE 90, 241 (248f.) = NJW 1994, 1779; BVerfG NJW 1996, 1529, beck-online).
Für die Bewertung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil kommt es also entscheidend auf die Beziehung des Äußernden zum Inhalt der Aussage an. Weist diese ein überwiegend subjektives Gepräge auf, liegt ein Werturteil und damit eine Meinungsäußerung vor, steht hingegen die objektive Beziehung des Äußernden zur Wirklichkeit im Vordergrund, liegt eine Tatsachenbehauptung vor.
b) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist zunächst, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (vgl. BVerfGE 43, 130 (136) = NJW 1977, 799).
Bei der streitgegenständlichen Äußerung handelt es sich – entsprechend den Ausführungen in der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügung – nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil. Die Äußerung ist vor allem durch die subjektive Beziehung des Beklagten zu deren Inhalt geprägt. Sowohl aus der E-Mail vom 26. Oktober 2015, als auch aus dem Flugblatt geht hervor, dass der Beklagte nicht die Wirklichkeit abbilden will, sondern vielmehr persönliche und subjektive Schlussfolgerungen zieht.
Der Beklagte verwendet hierfür Phrasen wie „Für mich läuft diese ganze Entwicklung auf eine entscheidende Frage hinaus“, „wir müssen glaube ich, nicht lange mutmaßen, was genau damit gemeint ist“ oder „Aber so viel weiß ich“. Dies zeigt, dass gerade nicht die wirklichen Geschehnisse, sondern der subjektive Standpunkt des Beklagten zu den Geschehnissen im Fokus steht. Das wird auch besonders verdeutlicht durch die von „starken“ Adjektiven dominierten Ausdrucksweise des Beklagten wie z.B. „vorsätzlich falsch informiert“, „dreist belogen“, „selbstherrlich übergangen“, „selbstgerechter Alleingang“ und „ungeheuerlicher Vertrauensbruch“. Diese enthalten bereits eine eindeutige (negative) Wertung.
Es handelt sich bei der Äußerung also gerade nicht um eine zusammenfassende Darstellung eines Tatsachenkomplexes, sondern um eine Bewertung der Geschehnisse rund um die politische Frage des geplanten Umbaus bzw. Neubaus der Bahnunterführung.
Daran ändert es auch nichts, dass einzelne Teile der Aussage einem Beweis zugänglich sind. Jede beanstandete Äußerung ist in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist (BGH NJW 2002, 1192, beck-online). Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, durch den Charakter einer Stellungnahme oder des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird, handelt es sich insgesamt um eine Meinungsäußerung (BVerfG vom 11.11.1992 NJW 1993,1845, BayVGH U.v. 25.10.1995 – 4 B 94.4010, BeckRS 1995, 14114, beck-online). Es kommt also auf den Kern bzw. das Gesamtgepräge der Äußerung an. Letztendlich muss daher die streitgegenständliche Äußerung als Werturteil qualifiziert werden, da wesentlicher Kern der Äußerung keine auf ihre Richtigkeit überprüfbare substantiierte Aussage, sondern lediglich eine subjektive Bewertung des Verhaltens des Klägers in seiner Funktion als Bürgermeister in Sachen „Bahnunterführung …“ ist (vgl. BGH NJW 2002, 1192, beck-online).
2. Handelt es sich wie hier um eine Meinungsäußerung, sind daran mehrere Folgen geknüpft.
a) Zum einen muss der geltend gemachte Widerrufsanspruch allein deswegen scheitern. Es entspricht festen Rechtsprechungsgrundsätzen, dass mit Widerrufsklagen allein Tatsachenbehauptungen bekämpft werden können, nicht jedoch subjektive Wertungen, die nur falsch oder richtig, nicht aber wahr oder unwahr sein können. Werturteilen kann lediglich mit der Unterlassungsklage begegnet werden (BayVGH NVwZ 1986, 327, beck-online m.w.N.; BayVGH U.v. 25.10.1995 – 4 B 94.4010, BeckRS 1995, 14114, beck-online).
b) Zum anderen gilt für den ebenso geltend gemachten Unterlassungsanspruch, dass Werturteile grundsätzlich vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst sind.
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist indes nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen bzw. in den Grundrechten anderer. Erweist sich die Äußerung als Werturteil, geht die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vor, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, scharf oder verletzend formuliert ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingestuft wird (BVerfG NJW 1994, 1779). Im „Kampf um das Recht“ darf ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seine Kritik anders hätte formulieren können (BVerfG StV 1991, 458). Zurücktreten muss die Meinungsfreiheit im Bereich des Ehrschutzes allerdings immer dann, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt (BVerfG NJW 1999, 2262/2263).
Bei der hier streitgegenständlichen Äußerung handelt es sich um eine durchaus provozierende, polemisch und überspitzt formulierte Kritik an der Arbeit des Klägers als Bürgermeister seiner Gemeinde insbesondere im Zusammenhang mit dem Um- bzw. Neubau der Bahnunterführung „…“. Nichtsdestotrotz sind die vorliegend streitgegenständlichen Äußerungen noch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wenn eine Äußerung – wie hier – herabsetzende Wirkung gegenüber Dritten entfaltet, so wird sie erst dann zu einer von Art. 5 GG nicht mehr gedeckten Schmähung, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, B.v. 12.12.1990 – 1 BvR 839/90 – juris).
Das Bundesverfassungsgericht macht hierzu in einem Kammerbschluss vom 8. Februar 2017 (Az.: 1 BvR 2973/14, juris) folgende Ausführungen:
Zu beachten ist, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungswegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben (BVerfG, B.v. 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Der Beklagte überschritt hier mit der streitgegenständlichen Äußerung diese Schwelle nicht und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers muss vorliegend hinter der Meinungsfreiheit des Beklagten zurückstehen.
Sowohl aus dem Kontext der E-Mail vom 26. Oktober 2015 und dem sich darauf beziehenden Flugblatt sowie aus dem Parteivortrag und den Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass es dem Beklagten mit seiner Äußerung nicht lediglich darum ging, den Kläger zu diffamieren, sondern dass der Äußerung immer noch eine Auseinandersetzung mit der Sache „Bahnunterführung …“ zugrunde liegt. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger und der Beklagte zwei sich ausschließende Varianten des Aus- bzw. Neubaus der betroffenen Bahnunterführung favorisieren und es sich um ein kommunalpolitisch seit über einem Jahrzehnt stark umstrittenes Thema in dieser Gemeinde handelt, dabei Investitionen der Gemeinde im Bereich von mehreren 100.000 EUR im Raum stehen, hierüber insbesondere im Gemeinderat häufig diskutiert wurde und sogar ein Bürgerbegehren initiiert wurde, das in einem Bürgerentscheid endete, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte mit seinen gleichwohl scharfen Äußerungen lediglich die Diffamierung des Klägers im Sinn hatte. Eine Schmähung muss daher im Ergebnis ausscheiden.
Gerade im Hinblick auf den der Äußerung zugrunde liegenden Sachverhalt, der öffentlichkeitswirksam über mehrere Jahre diskutiert wurde und es sich nicht zuletzt wegen der enormen Kosten, um ein hoch umstrittenes Thema handelt, muss das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers vorliegend zurücktreten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Bürgermeister als besonders in der Öffentlichkeit stehendes Organ der Gemeinde – er vertritt diese insbesondere in der Öffentlichkeit (Art. 38 Abs. 1) – im Rahmen des Schutzes durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht mehr in Kauf nehmen muss, als etwa ein Gemeinderatsmitglied. Dies muss insbesondere für eine Wahlkampfsituation oder in Bezug auf einen – wie hier – politisch hoch umstrittenen Themenkomplex gelten.
Auch die Tatsache, dass die durch den Zeugen … bestätigte Aussage, wonach diesem vom Gemeinderat und dem Kläger im Vorfeld des Erwerbs eines Grundstückes die Durchführung „einer großen Lösung“ – gemeint war zumindest der Um-/Aus-/ oder Neubau der Bahnunterführung in einer Weise, dass diese mit den Lkws des Zeugen befahrbar ist – mit Hinweis auf die Beschlusslage aus dem Jahre 2001 zugesagt wurde und die schriftliche Aussage des Klägers vom 18. August 2015, in der er ausdrücklich klarstellt, es habe keine Zusage zu „einer großen Lösung“ gegeben – gemeint war wohl die aktuell in der Diskussion stehende große Lösung –, als durchaus nicht miteinander vereinbar oder sogar in Widerspruch stehend ausgelegt werden können, führt dazu, dass auch eine schärfere Kritik („vorsätzlich falsch informiert“, „dreist belogen“) als möglicherweise auf kommunalpolitischer Ebene allgemein üblich, als noch vertretbar zu werten ist.
IV.
Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
V.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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