IT- und Medienrecht

Kein Schadensersatz des Käufers eines vom Abgasskandal betroffenen Kraftfahrzeuges

Aktenzeichen  34 O 725/17

Datum:
17.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 48621
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
StGB 263
EG-FGV 27
RL 2007/46/EG Art. 12, Art. 18

 

Leitsatz

1. Selbst wenn die in einem Kraftfahrzeug eingebaute Software gegen öffentlich-rechtliche Abgasvorschriften verstößt, ist hierin per se noch kein sittenwidriges Handeln mangels der erforderlichen besonderen Verwerflichkeit zu erblicken. Soweit nämlich die Überprüfung der Abgaswerte durch öffentliche Prüfstellen vorgenommen wird, so führt dies nicht explizit gerade zu einer Sittenwidrigkeit im Verhältnis zum Käufer selbst. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die entsprechende Verordnung des EU-Rechts (VO (EG) Nr. 715 2007) dient zumindest vorrangig der Verbesserung der Luftqualität. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Verhaltensnorm mit allgemein schützendem öffentlich-rechtlichen Charakter. Ein Gebot der guten Sitten gerade im Verhältnis zum Käufer eines mit einer manipulierten Motorsteuerungssoftware versehenen Kraftfahrzeugs mit individuellem Schutzzweck lässt sich aus der Verordnung nicht ableiten. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 41.192,29 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet, so dass sie vollumfänglich abzuweisen war.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Memmingen örtlich gemäß § 32 ZPO bzw. zumindest auf Grund rügelosen Einlassens gemäß § 39 ZPO und sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr.1, 71 Abs. 1 GVG zuständig.
II.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB auf Rückabwicklung, da der Vortrag zu den vermeintlichen Täuschungshandlungen der Beklagten als nicht ausreichend substantiiert angesehen werden muss.
1. Der Kläger kann von der Beklagten keine Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags vom 23.06.2010 vor dem Hintergrund eines Anspruchs aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB (Betrug) verlangen.
a) Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass die unzutreffende Mitteilung über die Abgaswerte durch die Beklagte sowie die hierzu durchgeführten Maßnahmen tatsächlich Einfluss auf seine Kaufentscheidung gehabt hatte. Der Kläger trägt lediglich pauschal vor, dass er das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er von der „Manipulationssoftware“ und dem damit im Straßenbetrieb höheren Schadstoffausstoß gewusst hätte. Für die Einstufung in Schadstoffklassen spielt jedoch nicht nur der streitgegenständliche Stickoxidausstoß, sondern insbesondere auch der Ausstoß von Kohlenstoffmonoxid und der Partikelausstoß eine Rolle. Für das Gericht nachvollziehbar trägt der Kläger weiter vor, dass auch auschlaggebend der Dieselverbrauch des Fahrzeugs war. Es widerspricht nach Auffassung des Gerichts der allgemeinen Lebenserfahrung, dass zum damaligen Zeitpunkt – 2010 und damit weit vor Aufkommen des sog. „Abgasskandals“ – ausgerechnet der Stickoxidausstoß das Hauptkriterium bei Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs dargestellt haben soll.
b) Es fehlt von Klägerseite weiter an Vortrag, wer konkret auf Seiten der Beklagten wie über welche Tatsachen getäuscht haben soll und wie dies zu einem Vermögensschaden geführt haben könnte. Pauschale Bezugnahmen auf Presseberichte oder laufende Ermittlungsverfahren können in einem Zivilprozess konkrete, auf den jeweiligen Fall bezogene Tatsachenbehauptungen nicht ersetzen. Das Gericht sieht sehr wohl, dass es dem Kläger (derzeit) nicht möglich ist, mehr Details über konzerninterne Vorgänge vorzutragen als dies durch die sehr umfangreiche und nachvollziehbare Darstellung der betrieblichen Lebensläufe der aufgelisteten Entscheidungsträger im VW-Konzern bereits erfolgt ist. Soll die erhobene Schadensersatzforderung erfolgreich sein, ist aber genau das erforderlich. Spekulationen oder Mutmaßungen können dagegen die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Zivilprozessordnung nicht außer Kraft setzen. Soweit ersichtlich, sind die Behörden, insbesondere die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland erst mitten in der Aufarbeitung des sog. „Dieselskandals“. Solange es aber – zum Beispiel durch strafgerichtliche Verurteilungen – nicht feststeht, wer ganz konkret für welche Täuschungen verantwortlich ist, ist es für „frühe Kläger“, also diejenigen, die zu den ersten einer Klagewelle stehen, immer schwierig, konkrete (insbesondere konzerninterne) Tatsachen vorzutragen. Im vorliegenden Fall gilt insofern nichts anderes als in anderen vergleichbaren Fällen (zum Beispiel bei Anlegerverfahren im Bereich des sog. „Grauen Kapitalmarktes“, vgl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2017 – 13 U 566/17). Zudem müsste es gerade auf Grund der klägerseits behaupteten Täuschungshandlung der Beklagten zu einem Irrtum und einer hierauf beruhenden Vermögensverfügung gekommen sein. Ein solcher Zusammenhang ist mithin nicht erkennbar.
c) Darüber hinaus ist eine Schädigung des Vermögens des Klägers durch Täuschungshandlungen der Beklagten nicht schlüssig und hinreichend dargelegt. Der Kläger hat schließlich ein Neufahrzeug erworben und dieses auch genutzt. Durch Mitteilung nicht zutreffender Abgaswerte ist dem Kläger kein konkreter Schaden, wie zum Beispiel erhöhte Steuern oder Nachrüstungskosten usw., entstanden. Es ist auch mehr als fraglich, ob auf Grund der nunmehrigen Diskussion um generelle Diesel-Fahrverbote durch einen Sachverständigen überhaupt ein eigenständiger merkantiler Minderwert bezogen auf die durch den sog. „Abgasskandal“ betroffenen Diesel-Fahrzeuge bestimmt werden kann.
d) Es bestehen daneben erhebliche Bedenken im Hinblick auf das Vorliegen des Schädigungsvorsatzes. Die Klägerseite trägt aber auch für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands die Darlegungs- und Beweislast. Sie hat also darzulegen, wer aus dem VW-Konzern für die Entwicklung und den Einsatz der fraglichen Software verantwortlich war und wer hiervon vor Vertragsschluss der Klägerseite Kenntnis hatte. Nur in einem solchen Fall können aber auch die Voraussetzungen für eine etwaige Haftung der Beklagten gemäß § 31 BGB vertreten durch den Vorstand bzw. dessen Repräsentanten festgestellt werden. Im Rahmen des subjektiven Tatbestands nach § 263 StGB fehlt es an der erforderlichen Stoffgleichheit des Schadens. Es ist nicht substantiiert vorgetragen, dass gerade durch eine von Beklagtenseite erfolgte Täuschung zu einer Schädigung der Klägerseite geführt hätte, die auf der anderen Seite zu einem ebensolchen Vermögensvorteil der Beklagten geführt hätte.
3. Auch auf einen Anspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB kann der Kläger nicht seine Klageanträge stützen.
a) Der Kläger ist auch insoweit für sämtliche Tatbestandsmerkmale darlegungs- und beweisbelastet. Selbst wenn man hier einen Schaden der Klägerseite durch Kauf des streitbefangenen Pkws unterstellen würde, woran aber bereits erhebliche Zweifel bestehen (s.o.), so hat die Klägerseite nicht hinreichend dargelegt, dass eine etwaige Schädigung seiner Person sittenwidrig wäre. Aus dem Vortrag des Klägers ist nicht ersichtlich und auch nicht schlüssig dargelegt, dass die Beklagte mit dem Vorsatz gehandelt hätte, den Kläger sittenwidrig zu schädigen. Die Beklagte könnte allerdings nur dann ein haftungsbegründender Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung gemacht werden, wenn der Kläger gerade deswegen den Vertrag abgeschlossen hätte, weil er hierzu sittenwidrig veranlasst worden ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kaufentscheidung des Klägers durch das Abgasverhalten des Fahrzeugs im Hinblick auf die Labor- und Alltagsbedingungen beeinflusst wurde.
b) Selbst unterstellt, dass die eingebaute Software gegen öffentlich-rechtliche Abgasvorschriften verstößt, ist hierin per se noch kein sittenwidriges Handeln mangels der erforderlichen besonderen Verwerflichkeit zu erblicken. Soweit nämlich die Überprüfung der Abgaswerte durch öffentliche Prüfstellen vorgenommen wird, so führt dies nicht explizit gerade zu einer Sittenwidrigkeit im Verhältnis zum Kläger selbst. Die entsprechende Verordnung des EU-Rechts (VO (EG) Nr. 715 2007) dient zumindest vorrangig der Verbesserung der Luftqualität. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Verhaltensnorm mit allgemein schützendem öffentlich-rechtlichen Charakter. Ein Gebot der guten Sitten gerade im Verhältnis zum Kläger mit individuellem Schutzzweck lässt sich aus der Verordnung nicht ableiten (LG Ellwangen/Jagst, Urteil vom 10.06.2016 – 5 O 385/15).
c) Selbst wenn man hier einen Schaden des Klägers durch Erwerb eines von dem sog. „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs bejahen wollte, so hat der Kläger dennoch ein voll funktionsfähiges und fahrbereites Fahrzeug erworben.
d) Auch der Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten ist nach Auffassung des Gerichts nicht schlüssig dargelegt. Die Klägerseite hat schon nicht substantiiert vorgetragen, dass relevante Vertreter der Beklagten, deren Wissen ihr zuzurechnen wäre, von den Unregelmäßigkeiten vor Vertragsschluss (2010) Kenntnis erlangt haben. Eine nunmehr von Klägerseite behauptete etwaige Kenntnis von dem Einsatz der „Manipulationssoftware“ durch einzelne Vorstandsmitglieder bereits vor Aufkommen des Skandals im Herbst 2015 und insbesondere durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden Winterkorn im Mai 2014 ist jedenfalls nichts ausreichend. Zudem ist hiermit immer noch keine schlüssige Aussage darüber getroffen, wie und warum es zum Einsatz der streitgegenständlichen Software gekommen ist und insbesondere nicht darüber, wer für diesen Einsatz verantwortlich war.
4. Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der nicht bestehenden Hauptforderung.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
V.
Der Streitwert wurde nach §§ 63, 39 ff. GKG, 3 ff. ZPO festgesetzt.


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