IT- und Medienrecht

Kein Unterlassungsanspruch gegen Vertrieb von Werbeblocker-Software für Internetseiten

Aktenzeichen  33 O 5017/15

Datum:
22.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2016, 06816
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 5, Art. 12, Art. 14
UWG aF UWG aF § 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 10
UWG UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Der Annahme einer geschäftlichen Handlung steht nicht entgegen, dass Internetnutzern Software unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird, wenn dies der Absatzförderung weiterer Dienstleistungen des eigenen Unternehmens dient. (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwischen dem Anbieter einer Werbeblocker-Software und dem Betreiber einer werbefinanzierten Internetseite besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis. (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Anbieten, Bewerben und Vertreiben einer Werbeblocker-Software für Internetseiten stellt grundsätzlich weder eine unlautere gezielte Behinderung des Betreibers einer werbefinanzierten Internetseite noch eine allgemeine Marktbehinderung dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Kosten.

Gründe

A. Die Klage ist zulässig
Der Unterlassungsantrag und die hierauf bezogenen Folgeantrage auf Auskunftserteilung und Schadensersatzfeststellung sind jedenfalls in der zuletzt gestellten Fassung hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts erkennbar abgegrenzt sind, sich die Beklagte deshalb erschöpfend verteidigen kann, und die Entscheidung darüber, was der Beklagten verboten ist, nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr., vgl. nur BGH NJW 2011 2657 – Double-opt-in-Verfahren). Ob die gestellten Anträge möglicherweise zu weit sind, ist hingegen eine Frage der Begründetheit Schließlich besteht für die vorliegende Klage auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis ist klar zu trennen von der Berechtigung des materiellen Klagebegehrens und fehlt grundsätzlich nur bei objektiv sinnlosen Klagen, d. h. wenn der Kläger kein schutzwürdiges Interesse an dem begehrten Urteil haben kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31 Aufläge, Vor § 253 Rdnr 18). Das ist vorliegend ersichtlich nicht der Fall
B. Die Klage ist nicht begründet.
Der Klägerin stehen die mit hiesiger Klage verfolgten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadensersatz gegen die Beklagte nicht zu, weil die Beklagte die Klägerin mit dem Anbieten, Bewerben und Vertreiben ihrer Software „Adblock Plus“ nicht im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG a. F. bzw. § 4 Nr. 4 UWG n. F. gezielt behindert. Insoweit unterscheidet sich die zum Zeitpunkt der Begehung der angegriffenen Handlung geltende Rechtslage (UWG a. F.) nicht von der zum Zeitpunkt der Verkündung geltenden Rechtslage (UWG n. F.) gemäß dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 02.12.2015 (BGBl I S 2150 vom 09 10.2015), in Kraft getreten am 10 12 2015 (Art 2).
I.
Das streitgegenständliche unentgeltliche Anbieten, Bewerben und Vertreiben der Software „Adblock Plus“ durch die Beklagte ist eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a. F./n. F.:
1. Eine geschäftliche Handlung ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a.F/n. F. jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt Die Handlung muss objektiv geeignet sein, den Absatz oder Bezug des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern (vgl. Kohler/Bornkamm/Kö/7/er, UWG, 34. Auflage, § 2 Rdnr. 37), und sie muss darüber hinaus bei objektiver Betrachtung auch darauf gerichtet sein, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen der Verbraucher (oder sonstigen Marktteilnehmer) den Absatz oder Bezug zu fördern (vgl. Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 34. Auflage, § 2 Rdnr. 48).
2. Streitgegenständlich ist – nach Präzisierung des Unterlassungsantrags in der mündlichen Verhandlung – nur der von der Beklagten kostenlos angebotene Werbeblocker „Adblock Plus“ einschließlich der „Whitelist-Funktion. Dass die Beklagte beim Anbieten, Bewerben und Vertreiben ihrer Software „Adblock Plus“ mit „Whitelist-Funktion unternehmerisch handelt, weil dies eine auf eine gewisse Dauer angelegte, selbstständige wirtschaftliche Betätigung darstellt, die zumindest auch darauf gerichtet ist, Dienstleistungen – nämlich das „Whitelisting“ – gegen Entgelt zu vertreiben (vgl. Köhler/Bomkamm/Köhler, UWG, 34. Auflage, § 2 Rdnr. 21 mit Verweis auf u. a. BGH GRUR 2009, 871 – Ohrclips), liegt auf der Hand. Das Anbieten, Bewerben und Vertreiben der Software „Adblock Plus“ kann nicht getrennt von dem ebenfalls von der Beklagten angebotenen „Whitelisting“ betrachtet werden, es handelt sich dabei vielmehr um ein einheitliches Geschäftsmodell. Dieses unternehmerische Handeln der Beklagten zugunsten ihres eigenen Unternehmens dient der Förderung des Absatzes ihrer „Whitelisting-Dienstleistungen (so auch die Beklagte auf S 54 ihrer Duplik vom 05.01.2016, Bl. 333 d. A.: „Die Beklagte bietet dagegen mit ihrem Werbeblocker und mit der Dienstleistung der Freischaltung akzeptabler Werbung eigene Leistungen an, die neben der Förderung der eigenen geschäftlichen Interessen und wettbewerblichen Entfaltung auch dem Interesse derjenigen Verbraucher dienen, die jede oder nur besonders störende Werbeformen blockieren möchten.’), denn mit der kostenlosen Zurverfügungstellung ihrer Software „Adblock Plus“ maximiert sie deren Verbreitungsgrad und schafft so einen Anreiz für die Internetseitenbetreiber, sich mit der von ihr ebenfalls (zumindest teilweise entgeltlich) angebotenen Freischaltmögiichkeit in Form des „Whitelisting“ zu befassen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte den Internetnutzern ihre Software unentgeltlich zur Verfügung stellt, denn auch die Abgabe kostenloser Werbegeschenke und Give-aways kann ein Handeln im geschäftlichen Verkehr darstellen, wenn sie – wie vorliegend – der Absatzförderung weiterer Dienstleistungen des eigenen Unternehmens dienen (vgl. EuGH GRUR 2009, 410 Silberquelle/Maselli zur parallelen Fragestellung beim Handeln im geschäftlichen Verkehr im Markenrecht, dazu Köhler/Bornkamm/Kö/7/er, UWG, 34 Auflage, § 2 Rdnr. 21) Damit weist das Handeln der Beklagten auch den erforderlichen Marktbezug auf, denn dieses Handeln kann seiner Art nach auf die Marktteilnehmer (Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer) einwirken und damit das Marktgeschehen beeinflussen (vgl. Köhler/Bomkamm/Köhler, UWG, 34. Auflage, § 2 Rdnr 35, im Ergebnis so auch LG München I, Urteil vom . 27.05.2015, Az 37 O 11673/14 = MMR 2015, 660 und LG München I, Urteil vom 27.05.2015, Az : 37 O 11843/14 = BeckRS 2015, 09563, zwischen dem unentgeltlichen Angebot an Nutzer und dem Angebot der entgeltlichen Freischaltung an „größere Parteien“ differenzierend Köhler in WRP 2014, 1017).
II.
Die Parteien sind Mitbewerber, zwischen ihnen besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG a. F./n. F.:
1. Mitbewerber ist nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG a. F./n.F jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren und Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, d. h. im Absatz behindern oder stören kann. Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es hierfür aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist daher anzunehmen, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (vgl. BGH GRUR 2015, 1129 – Hotelbewertungsportal) Unerheblich ist dabei, ob die Beteiligten unterschiedlichen Branchen angehören (st. Rspr., vgl. nur Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 34. Auflage, § 2 Rdnr 100 mit Verweis U. a. auf BGH GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee und BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker).
2. Nach diesen Maßstäben besteht zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits ein konkretes Wettbewerbsverhältnis. Die Parteien versuchen zwar nicht, gleichartige Waren oder Dienstleistungen abzusetzen. Durch den Vertrieb der Werbeblocker-Software und die damit einhergehende Förderung des Absatzes der „Whitelisting“-Dienstleistungen der Beklagten wird jedoch der Wettbewerb der Klägerin beeinträchtigt. Die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin als (auch) werbefinanzierter Internetseitenbetreiber ist durch ihr Auftreten auf zwei verschiedenen Märkten gekennzeichnet: Zum einen bietet die Klägerin gegen Entgelt Werbeplätze für die Platzierung von Anzeigen an, woraus sie sich – u. a. – finanziert. Zum anderen präsentiert sie den Internetnutzern unentgeltlich (einen Teil) ihrer journalistischen Inhalte. Auf diesem Markt tritt die Beklagte mit dem angegriffenen Verhalten mit der Klägerin in Wettbewerb Die von ihr (unentgeltlich) angebotene Werbeblocker-Software „Adblock Plus“ stellt zwar eine andersartige gewerbliche Leistung dar als diejenige, die die Klägerin ihren Lesern präsentiert. Die Beklagte wendet sich mit ihrem (unentgeltlichen) Angebot aber ebenso wie die Klägerin wenn auch mit umgekehrter Zielrichtung – an Internetnutzer Während die Klägerin möglichst viele Leser zu erreichen versucht, die sich ihre Internetseite und insbesondere die darauf geschaltete Werbung anschauen, wendet sich die Beklagte an Internetnutzer, die den Internetauftritt der Klägerin lieber werbefrei konsumieren mochten Eine geringere Anzahl von Internetnutzern, die auch die auf der Internetseite der Klägerin geschalteten Werbeinhalte abrufen, kann aber die Attraktivität dieser Anzeigen und damit deren Absatz behindern (vgl. BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker) Das Absatzmodel! der Beklagten beeinträchtigt also die Einnahmen der Klägerin auf diesem Markt. Dass – im Unterschied zu der der Entscheidung BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker zugrundeliegenden Konstellation – der Vertrieb der Werbeblocker-Software „Adblock Plus“ vorliegend unentgeltlich erfolgt, ändert nach Auffassung der Kammer am Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses nichts, denn der Internetnutzer bleibt trotzdem „Abnehmer“ der Beklagten, insofern sprechen also beide Parteien denselben „Kunden“ an (im Ergebnis ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bejahend auch Hoeren in K&R 2013, 757, a A LG München I, Urteil vom 27.05.2015. Az 37 O 11673/14 = MMR 2015, 660 und LG München I, Urteil vom 27.05.2015, Az. 37 O 11843/14 = BeckRS 2015, 09563, jeweils mit Verweis auf Köhler in WRP 2014, 1017).
III.
Das von der Klägerin beanstandete unentgeltliche Anbieten, Bewerben und Vertreiben der Software „Adblock Plus“ durch die Beklagte stellt keine gezielte Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG a. F./§ 4 Nr. 4 n. F. dar:
1. Eine wettbewerbswidrige Behinderung in diesem Sinne setzt stets eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten eines Mitbewerbers voraus. Die Behinderung kann sich auf alle Wettbewerbsparameter des Mitbewerbers wie beispielsweise Absatz, Bezug, Werbung, Produktion, Finanzierung oder Personal beziehen Da aber grundsätzlich jeder Wettbewerb die Mitbewerber zu beeinträchtigen vermag, müssen weitere Umstände hinzutreten, damit von einer unzulässigen individuellen Behinderung gesprochen werden kann Insoweit ist eine Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls geboten, bei der die sich gegenüberstehenden Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher, der sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker).
2. Als „gezielt“ ist eine Behinderung ganz allgemein dann anzusehen, wenn bei objektiver Würdigung aller Umstände die Maßnahme in erster Linie nicht auf die Förderung der eigenen wettbewerblichen Entfaltung, sondern auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung eines Mitbewerbers gerichtet ist. Es muss also ein Eingriff in die wettbewerbliche Entfaltung eines Mitbewerbers erfolgen. Ein solcher Eingriff und damit eine gezielte Behinderung ist im Allgemeinen in zwei Formen möglich, nämlich zum einen dann, wenn die Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitbewerber der eigentliche Zweck der Maßnahme ist, und zum anderen dann, wenn die Maßnahme dazu führt, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistung am Markt nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können (vgl. Köhler/Born.kamm/Kö/7/er, UWG, 34. Auflage, § 4 Rdnr. 4.8 m. w. N.).
3. Eine Verdrängungsabsicht in dem Sinne, dass die Beklagte den Zweck verfolgt, die Klägerin an ihrer wettbewerblichen Entfaltung zu hindern und dadurch vom Markt zu verdrängen, kann nicht angenommen werden. Es liegt zwar im Interesse der Beklagten und entspricht ihrem Geschäftsmodell, wenn aufgrund einer möglichst hohen Verbreitung ihrer Software „Adblock Plus“ ein faktischer Druck auf die Klägerin ausgeübt wird, das „Whitelisting“-Angebot der Beklagten zu nutzen Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Geschäftsmodell der Beklagten, das sich sowohl aus dem für die Nutzer kostenlosen Angebot dieser Software als auch aus dem für Webseitenbetreiber und Werbevermarkter zumindest teilweise kostenpflichtigen Angebot der „Whitelist“ zusammensetzt, in erster Linie nicht der Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin, sondern vor allem auch der Förderung der eigenen geschäftlichen Interessen und wettbewerblichen Entfaltung der Beklagten dient Das Angebot der Beklagten soll die Klägerin nicht vom Markt verdrängen, sondern fußt gerade auf der Existenz und Funktionsfähigkeit deren (auch) werbefinanzierter Internetseite (so auch LG München I, Urteil vom 27.05.2015, Az 37 O 11673/14 = MMR 2015, 660 und LG München I, Urteil vom 27.05.2015, Az.- 37 O 11843/14 = BeckRS 2015, 09563, jeweils mit Verweis auf Köhler in WRP2014, 1017).
4. Das Anbieten und Vertreiben der Werbeblocker-Software „Adblock Plus“ mit „Whitelisting-Funktion durch die Beklagte führt schließlich auch nicht dazu, dass die Klägerin ihre Leistung am Markt nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann.
a) Zwar hat das in Rede stehende Geschäftsmodell für Internetseitenbetreiber wie die Klägerin, die nicht am „Whitelisting“ der Beklagten teilnehmen möchten, durchaus nicht unerhebliche nachteilige Folgen, denn den jeweiligen „Adblock Plus“-Nutzern wird – bei Aktivierung der Software und entsprechenden Filtereinstellungen – die auf der Internetseite der Klägerin zum Abruf vorgehaltene Werbung nicht mehr angezeigt, wodurch der Klägerin unmittelbar Werbeeinnahmen entgehen.
b) Darin liegt aber kein unmittelbarer Eingriff der Beklagten in Gestalt einer unlauteren produktbezogenen Behinderung, denn die Beklagte wirkt mit dem Angebot und Vertrieb ihrer Software „Adblock Plus“ nicht unmittelbar auf das Produkt der Klägerin, nämlich deren Internetseite, ein Die Software der Beklagten ermöglicht es den einzelnen Internetnutzern lediglich, die von der Klägerin bei Aufruf deren Seite zur Ausspielung vorgesehene Werbung für Dritte oder auch in eigener Sache (ganz oder teilweise) nicht abzurufen. Hierin liegt kein Eingriff in die Serverstruktur der Klägerin oder deren Seitengestaltung als solche, sondern die Software beeinflusst lediglich die Anzeige und Darstellung der klägerischen Internetseite, und zwar nicht allgemein, sondern nur auf dem Computer des jeweiligen „Adblock Plus“-Nutzers, der über Einsatz und Gebrauch der Werbeblocker-Funktion jeweils nach seinem Gutdünken entscheidet (vgl. BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker) Gleiches gilt, soweit durch die vom jeweiligen Nutzer installierte und aktivierte Software Download und Anzeige nicht nur werblicher, sondern auch sonstiger Seiteninhalte unterdrückt werden. Ob – wie die Klägerin im Schriftsatz vom 26.02.2016 behauptet – die Software der Beklagten in ihrer technischen Wirkung auf die Server der Klägerin eingreift, spielt für die Frage der Behinderung keine Rolle, denn auch die Klägerin behauptet nicht, dass dieser – unterstellte – Eingriff über die beschriebenen Auswirkungen beim Nutzer der Software selbst hinaus weiteren Dritten gegenüber sich auswirkende Beeinträchtigungen hätte.
c) Auch ein unlauterer mittelbarer produktbezogener Eingriff ist nicht gegeben, denn die Beklagte vertreibt keine Waren oder Dienstleistungen, die geeignet sind. Dritten einen unberechtigten kostenlosen Zugang zu einer von der Klägerin entgeltlich angebotenen Leistung zu verschaffen Die von der Beklagten über den unentgeltlichen Vertrieb ihrer Software „Adblock Plus“ dem Internetnutzer angebotene technische Möglichkeit zur Unterdrückung unerwünschter Werbung hindert die Klägerin nicht daran, ihre Leistungen auf dem Markt in angemessener Weise zur Geltung zu bringen Zwar läuft der Einsatz des Werbeblockers dem Interesse der Klägerin zuwider, nicht nur mit redaktionellen Beiträgen, sondern insbesondere auch mit auf ihrer Seite geschalteten Werbeanzeigen möglichst viele Leser zu erreichen, da hiervon die Höhe ihrer Werbeeinnahmen abhängt Das allein macht das Angebot und den Vertrieb der Leistungen der Beklagten aber noch nicht wettbewerbsrechtlich unlauter. Ein wettbewerbswidriges Verhalten wäre vielmehr nur dann gegeben, wenn sich die Beklagte dabei nicht wettbewerbseigener Mittel bediente (vgl. BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker) Das ist jedoch nicht der Fall, denn die Beklagte bietet lediglich ihr eigenes Softwareprodukt auf dem Markt an Dass sie ihre Software kostenlos zur Verfügung stellt, kann nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen, denn ein Mittel wird nicht allein durch ein kostenloses Angebot wettbewerbsfremd. Der Online-Markt bietet – wie auch das Online-Angebot der Klägerin zeigt – eine Vielzahl von unmittelbaren und mittelbaren Finanzierungsmöglichkeiten, aus denen sich ein Unternehmer die für sein Produkt oder seine Dienstleistung attraktivste aussuchen kann (so auch Hoeren in K&R 2013, 757). Die Beklagte schafft mit ihrer Software „Adblock Plus“ nicht etwa eine Möglichkeit zur Umgehung technischer Schutzmaßnahmen der Klägerin, sondern ermöglicht dem jeweiligen Nutzer ihrer Software, darüber zu entscheiden, welche Inhalte letztlich auf dessen Endgerät geladen und dargestellt werden sollen. Da zwischen dem jeweiligen Internetnutzer und der Klägerin mit dem Aufruf von deren Internetseite mangels verkehrsüblicher Erwartungshaltung auch kein „faktisches Vertragsverhältnis“ bzw. kein Vertragsschluss durch „sozialtypisches Verhalten“ etwa dergestalt zustande kommt, dass sich der Leser zugleich mit dem für ihn kostenlosen Aufruf der Internetseite der Klägerin zum Abruf der dort vorgehaltenen Anzeigenwerbung verpflichtet, stellt das Handeln der Beklagten auch kein „Verleiten zum Vertragsbruch“ dar
d) Eine unlautere Werbebehinderung kann ebenfalls nicht angenommen werden, denn die von der Klägerin zur Ausspielung vorgesehene Werbung erreicht, wenn der Werbeblocker der Beklagten zum Einsatz kommt, nur denjenigen Internetnutzer nicht, der sich bewusst dafür entschieden hat, keine Werbung abrufen zu wollen (vgl. BGH GRUR 2004, 877 -Werbeblocker)
e) Auch der verfassungsrechtliche Schutz, den die Klägerin aus Art. 5, 12 und 14 GG genießt, gebietet unter den gegebenen Umständen keinen weiter reichenden Schutz (im Ergebnis so auch LG München I, Urteil vom 27 05.2015, Az 37 O 11673/14 = MMR 2015, 660 und LG München I, Urteil vom 27.05.2015. Az.: 37 O 11843/14 = BeckRS 2015, 09563):
aa) Die Grundrechte sind zwar in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat In den grundrechtlichen Bestimmungen des GG verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt (sog mittelbare Drittwirkung, vgl. dazu grundlegend BVerfG NJW 1958, 257 – Lüth).
bb) Die Klägerin handelt bei der Onlineschaltung ihrer redaktionellen und sonstigen Inhalte im Rahmen ihrer durch die Pressefreiheit gemäß’ Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Aufgabenstellung (vgl. BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker), denn der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst den gesamten Inhalt eines Presseorgans, darunter auch Werbeanzeigen (vgl. BVerfG GRUR 2001, 170 – Benetton-Werbung I). Darüber hinaus streitet für die Klägerin auch die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG NJW 2014, 613), die auch die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin schützt, nicht aber die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, denn das Vermögen und bloße Erwerbschancen sind keine Rechtspositionen im Sinne der Eigentumsgarantie Mit den Grundrechten der Klägerin kollidieren die Berufsfreiheit der Beklagten und die Grundrechte der Internetnutzer aus Art 2 Abs. 1 GG auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auf negative Informationsfreiheit.
cc) Die Pressefreiheit schützt einerseits den Einzelnen vor staatlichen Beeinträchtigungen bei der Herstellung und Verbreitung von Presseerzeugnissen. Neben dieses Individualgrundrecht tritt die institutionelle Garantie der freien Presse als selbstständige Gewährleistung. Das Grundrecht bezweckt in erster Linie die Abwehr staatlicher Eingriffe, darüber hinaus hat die Pressefreiheit aber auch Schutzfunktion, d. h., das Grundrecht erlegt dem Staat als objektive Grundsatznorm Schutzpflichten auf Die entsprechende Schutzpflicht trifft nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Gerichte (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Schmidt, 16. Auflage, Art. 5 GG Rdnr. 45 ff. m. w. N. insbesondere auf BVerfG NJW 1966, 1603 -Spiegel). Die Berufsfreiheit schützt die Freiheit der Auswahl und der Ausübung von erwerbsbezogenen Tätigkeiten in allen denkbaren Formen als Teilhabe am Wettbewerb. Zu letzterem zählt auch die Vertrags- und Dispositionsfreiheit des Unternehmers (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Schmidt, 16. Auflage, Art 12 GG Rdnr. 9 m. w. N.)
dd) Die Pressefreiheit als solche wird durch die beanstandete Wettbewerbsmaßnahme der Beklagten nicht berührt Bei der institutionellen Garantie der Presse durch Art 5 Abs. 1 S. 2 GG geht es nicht darum, den Bestand eines Presseorgans gegen (zulässigen) Wettbewerb zu schützen (vgl. BGH GRUR 2004, 602 – 20 Minuten Köln), ein Anspruch eines Presseorgans auf ungestörte geschäftliche Betätigung lasst sich hieraus nicht herleiten. Der Schutz der Presse als einer meinungsbildenden Institution gebietet grundsätzlich keinen Bestandsschutz über die Zuerkennung zivilrechtlicher Ansprüche. Auch Unternehmen des Medienbereichs müssen sich den Herausforderungen des Marktes stellen, der von der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung und der Innovation lebt (vgl. zur Rundfunkfreiheit BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker) Entsprechendes gilt auch für die grundrechtlich geschützte Position der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 GG. Hinzu kommt, dass es der Klägerin unbenommen bleibt, beispielsweise mit technischen Neuerungen einer Ausblendung der Werbebeiträge entgegenzuwirken, ihr Angebot für Werbeblocker-Nutzer zu beschränken oder auf andere Refinanzierungsmöglichkeiten zurückzugreifen, wie sie dies mit der Einführung einer teilweisen Bezahlschranke mittlerweile bereits getan hat.
ee) Daraus folgt, dass die ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen der Beklagten am Weiterbetrieb ihres offenbar erfolgreichen Geschäftsmodells nicht hinter die Interessen der Klägerin zurücktreten müssen. Denn nicht zuletzt auch mit Blick auf die genannten Grundrechtspositionen der Internetnutzer kann die von der Beklagten angebotene Werbeblocker-Software „Adblock Plus“ mit „Whitelistung“-Funktion nicht darauf verkürzt werden, dass die Beklagte hierdurch an den Werbeinnahmen Dritter ohne nennenswerte eigene Anstrengung partizipiert. Zum einen sind die Seitenbetreiber aufgrund der Möglichkeit einer Freischaltung akzeptabler Werbung in Form des „Whitelisting“ tatsächlich wirtschaftlich besser gestellt als bei vollständiger Blockierung sämtlicher Werbung (so auch Köhler in WRP 2014, 1017), und besteht schon kein Anspruch auf Erzielung von Werbeeinnahmen in einer bestimmten Höhe. Eine „Zwangslage“ auf Seiten der Internetseitenbetreiber entsteht hierdurch -jedenfalls so lange die Beklagte nicht über eine entsprechende Marktmacht etwa im Sinne einer marktbeherrschenden Stellung verfügt – nicht. Zum anderen ist ganz maßgeblich auch auf die Interessen der jeweiligen Internetnutzer abzustellen, die auch bei der von der Beklagten angebotenen und vertriebenen Werbeblocker-Software eine jeweils gänzlich autonome Entscheidung treffen, ob und in welchem Ausmaß sie (Werbe-) Inhalte auf ihre Endgeräte herunterladen wollen. An dieser eigenständigen Nutzerentscheidung andern fortlaufende Weiterentwicklungen zur Optimierung der in Rede stehenden Software bzw. der Filterlisten durch die Beklagte oder Dritte ebenso wenig wie etwaige von der Beklagten vorgenommene Voreinstellungen, denn Internetnutzer, die in der Lage sind, den Werbeblocker der Beklagten herunterzuladen, sind – wie die vorgelegten Anlagen zeigen – grundsätzlich auch in der Lage, diesen ihren jeweiligen Vorstellungen entsprechend zu konfigurieren.
IV.
Eine allgemeine Marktbehinderung gemäß § 3 Abs. 1 UWG a. F./n. F. ist ebenfalls nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Der Vertrieb der Werbeblocker-Software durch die Beklagte erschwert zwar die geschäftliche Tätigkeit von Betreibern werbefinanzierter Internetseiten, bedroht diese aber nicht existentiell (vgl. BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker und allgemein zu den Voraussetzungen einer allgemeinen Marktbehinderung Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 34 Auflage, § 4 Rdnr. 5.3 ff). Den Seitenbetreibern bleibt die Möglichkeit, etwa durch Teilnahme am „Whitelisting“ oder Beschränkung ihres Angebots für Werbeblocker Nutzer weiterhin Werbeeinnahmen zu generieren
C. Soweit der nachgelassene Schriftsatz des Klägervertreters vom 26 02 2016 über die nach § 283 ZPO gewährte Schriftsatzfrist hinausgehend neuen Sachvortrag enthalt, der keine Erwiderung auf etwaigen neuen Sachvortrag in den Schriftsätzen der Beklagtenseite vom 05.01.2016 ist (etwa „Die Software der Beklagten greift in ihrer technischen Wirkung noch „hinter“ dem physikalischen Übergabepunkt des Datenpaketes auf dem Server der Klägerin ein und beschädigt das angefragte Datenpaket noch vor dem Sendevorgang, indem sie die orchestrierte Serverkommunikation der Klägerin entsprechend beschädigt.“ oder,,. . und bei der Neuauslieferung von Updates überschreibt sie bestimmte Abweichungen, die ein Nutzer vorgenommen hat, wiederum mit ihren Standardeinstellungen „), war er gemäß § 296 a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen, eine Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO hinsichtlich des neuen Vortrags war nicht geboten (vgl. Zoller/Greger, ZPO, 31 Auflage, § 156 Rdnr. 4).
D. Soweit der nachgereichte Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 16.03.2016 anderes als bloße Rechtsausführungen enthält, war auch dieser gemäß § 296 a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen (Zöller/Greger, ZPO, 30. Auflage, § 132 Rdnr. 4), eine Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO hinsichtlich des neuen Vortrags war nicht geboten (vgl. auch BGH NJW 2000, 142 f und Zöller/Greger ZPO, 30. Auflage, § 156 Rdnr 4).
E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S 1 und 2 ZPO.


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