Aktenzeichen 21 U 5510/19
StGB § 263
WpHG § 15
EG-FGV § 6, § 27
Leitsatz
1. Erwirbt ein Käufer im Juni 2016 ein vom Diesel-Abgasskandal erfasstes Fahrzeug, steht ihm gegenüber der Fahrzeugherstellerin kein Anspruch nach § 826 BGB zu, da es an einem Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Herstellerin und dem Eintritt eines etwaigen Schadens beim Käufer mangelt und zudem zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs ein Schädigungsvorsatz der Herstellerin nicht (mehr) angenommen werden kann. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat der Käufer zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs allgemein von dem sog. Abgasskandal gehört, muss er nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er davon ausgegangen ist, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von der Problematik nicht betroffen sei; der schlichte Hinweis, er habe angenommen, der „Dieselskandal“ betreffe „nicht Audi, sondern VW“, genügt insoweit nicht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vgl. zu einem Kauf nach Bekanntwerden des Abgasskandals auch OLG Koblenz, BeckRS 2019, 32689; OLG Oldenburg, BeckRS 2019, 29688; OLG Stuttgart, BeckRS 2019, 29977. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
31 O 2025/18 2019-08-30 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.08.2019, Az. 31 O 2025/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die der Kläger gegen die Beklagte als Herstellerin eines Fahrzeugs geltend macht, in dessen Motor der Kennung EA 189 eine abgasbeeinflussende Software verbaut worden ist.
Der Kläger erwarb am 01.06.2016 von der S.AG in P. einen gebrauchten PKW Audi Q3 2.0 TDI zum Preis von 22.800,00 Euro, Anlage K 1.
In dem Fahrzeug war eine Motorgerätesoftware verbaut, durch welche die Stickoxydwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden. Ein Software-Update wurde am 23.08.2018 aufgespielt.
Bereits im Herbst 2015 schaltete die Beklagte eine Internetwebseite, auf der sich Kunden mit Hilfe der Fahrzeug-Identifkationsnummer darüber informieren können, ob ihr Fahrzeug von der Manipulation betroffen ist. Dies wurde in den Medien auch bekannt gemacht.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet. Er habe einen wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen. Die Beklagte habe sittenwidrig gehandelt, es bestehe daher ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB.
Er hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er von dem Mangel Kenntnis gehabt hätte. Kenntnis habe er erst mit dem Schreiben der Beklagten von Januar 2017 erlangt (Anlage K2). Das Softwareupdate sei nicht geeignet, den Schaden zu beseitigen. Auch mit dem Update würden die Grenzwerte weiterhin nicht eingehalten.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe den Kläger nicht über Eigenschaften des Motors getäuscht. Die Beklagte habe den Motor nicht hergestellt. Zudem fehle es jedenfalls an einer kausalen Erregung eines Irrtums beim Kläger, da dieser das Fahrzeug erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals erworben habe. Der Kläger habe auch keinen Schaden erlitten.
Wegen der festgestellten Tatsachen und weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verweisen, § 540 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.08.2019 abgewiesen mit der Begründung, nach Anhörung des Klägers sei das Gericht nicht davon überzeugt, dass er den PKW ohne Kenntnis seiner möglichen Betroffenheit vom Dieselskandal erworben hat.
Dagegen richtet sich die vom Kläger eingelegte Berufung, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Anträge vollumfänglich weiter verfolgt. Der Kläger habe keine Kenntnis vom „Dieselskandal“ und erst recht keine Kenntnis von dem an seinem Fahrzeug notwendigen Update gehabt.
Der Kläger beantragte zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.757,72 € sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Rücknahme und Übereignung des PKW Audi Q3 2.0 TDI S Tronic quattro, Fahrzeug-Ident-Nr. …3013.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.348,27 €, sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKW Audi Q3 2.0 TDI S Tronic quattro, Fahrzeug-Ident-Nr. …3013 seit Rechtshängigkeit in Verzug befindet.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Die Berufung sei schon nicht zulässig, da die Rechtsanwendung nur mit formelhaften Pauschalaussagen angegriffen werde. Sie sei auch unbegründet, Ein Schadensersatzanspruch bestehe nicht. Die Beklagte habe nach dem 22. September 2015 umfassende Aufklärung über ihre Website aber auch über die Medien geleistet. Sie habe nach einer Abfrage der Halterdaten beim KBA die Halter im Februar 2016 über das Update und den Zeit- und Maßnahmenplan unterrichtet. Eine Täuschungshandlung oder ein entsprechender Vorsatz der Beklagten sei ebenso wenig gegeben wie ein Irrtum des Klägers.
Hinsichtlich des Parteivortrags in der Berufung im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat am 16.12.2019 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll, Bl. 142/145 d.A., wird verwiesen.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie erschöpft sich nicht in pauschalen Angriffen, sondern greift konkret die Rechtsanwendung des Landgerichts im Hinblick auf die (fehlende) Kenntnis des Klägers von der Betroffenheit des Fahrzeugs vom „Dieselskandal“ an.
2. Die Entscheidung des Landgerichts ist zutreffend und hält den Berufungsangriffen des Klägers stand. Dem Kläger steht gegen die Beklagte bei der vorliegenden Fallkonstellation kein Schadensersatzanspruch zu. Die vom Kläger begehrte Rückabwicklung des Kaufvertrages kommt hier nicht in Betracht.
Der Senat schließt sich bei den sog. Fällen „Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals“ einer Vielzahl anderer obergerichtlicher Entscheidungen an, denen ähnliche Fallgestaltungen zugrundelagen, so u.a. OLG Frankfurt, Urteil vom 06.11.2019, Az. 13 U 156/19; OLG Saarbrücken, Urteil vom 28.08.2019, Az. 2 U 94/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.08.2019, 9 U 9/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019, Az. 10 U 199/19; OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019, Az. 24 U 5/19; OLG Dresden, Urteil vom 24.07.2019, Az. 9 U 2067/18; OLG Celle, Urteil vom 29.04.2019, Az. 7 U 159/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 02.11.2017, Az. 7 U 69/17; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.11.2019, Az. 1 U 32/19 und OLG Koblenz, Urteil vom 25.10.2019, Az. 3 U 948/19.
a. Vertragliche Ansprüche zwischen den Parteien bestehen nicht.
b. Ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB scheitert bereits daran, dass der Senat keinen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Eintritt eines etwaigen Schadens beim Kläger sieht und zudem auch zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Erwerbs des Fahrzeugs, hier im April 2016, ein entsprechender Schädigungsvorsatz bei der Beklagten nicht (mehr) angenommen werden kann. Auf eine konkrete Kenntnis des Klägers, dass gerade der von ihm erworbene Wagen vom Abgasskandal betroffen war, kommt es damit nicht an.
(1) Es kann dahinstehen, ob der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist oder nicht, denn die Beklagte hatte jedenfalls im Zeitpunkt, als der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug erworben hat, ausreichende Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Schadenseintritts getroffen. Die V.AG als Konzernmutter der Beklagten hatte am 22. September 2015 eine an den Kapitalmarkt gerichtete ad hoc Mitteilung herausgegeben, in der sie über die Dieselproblematik informierte und mitteilte, dass „die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden“ sei. Nachdem diese Ad-hoc-Mitteilung gemäß § 15 WpHG vom 22. September 2015 nicht von der Beklagten stammte, sondern von der Konzernmutter und sich an den Kapitalmarkt und nicht die allgemeine Öffentlichkeit richtete, dürfte sie noch nicht genügen, um die – unterstellte – Zurechenbarkeit und den – ebenfalls unterstellten – Vorsatz bei der Beklagten entfallen zu lassen. Hinzu kommt aber eine unmittelbar anschließende umfassende Information der Öffentlichkeit durch die Beklagte selbst: Sie hat in einer Mitteilung vom 2. Oktober 2015 die Presse über die Dieselproblematik informiert und eine in zahlreichen Medien erwähnte Internetwebseite geschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die Thematik Gegenstand einer sehr intensiven Berichterstattung in nahezu allen Zeitungen sowie Fernsehsendern und Onlinemedien in Deutschland, z.B. Bild, Spiegelonline, Sueddeutsche, Welt etc (Berufungserwiderung vom 04. Dezember 2019, S. 7 ff = Bl. 113 ff d.A.). Die Berichterstattung erfolgte zwar überwiegend unter dem Stichwort „VW-Abgasskandal“, es wurde aber regelmäßig auch über die Abfragemöglichkeit für Audi berichtet. Auch die Händler und Vertriebspartner wurden von der Beklagten informiert. Die Beklagte hat weiter in ihrer Berufungserwiderung vorgetragen, dass sie flächendeckend im Februar 2016 unter Nutzung der Datei des Kraftfahrtbundesamts alle betroffenen Halter angeschrieben und informiert hat, soweit diese in Deutschland ansässig sind. Zwar hat der Klägervertreter dies in der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2019 bestritten, doch ist eine Beweisaufnahme insoweit nicht veranlasst, da bereits die unstreitig vorliegende breit gestreute Information der Öffentlichkeit nach dem 22. September 2015 genügt, um den – unterstellten – Zurechnungszusammenhang und den Vorsatz der Beklagten entfallen zu lassen.
Nachdem die Beklagte mithin ausreichende Maßnahmen getroffen hat, um die weiteren Auswirkungen ihres – unterstellt – sittenwidrigen Verhaltens einzudämmen, ist der Zurechnungszusammenhang in Bezug auf Schäden wegen nach Bekanntwerden der Diesel-Thematik verkaufter Fahrzeuge auf diese Weise unterbrochen worden, vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019, Az. 10 U 199/19.
(2) Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrages sieht der Senat auch keinen Schädigungsvorsatz der Beklagten, weil im Hinblick auf die Offenlegung der maßgeblichen Aspekte der Manipulation durch die Pressemitteilungen und die Informationen an die Halter von betroffenen Fahrzeugen nicht (mehr) davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte die Schädigung des Klägers in ihren Willen aufgenommen, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.
(3) Im Übrigen fehlt es hier auch an einem Nachweis, dass eine etwaige Täuschungshandlung der Beklagten konkret kausal für die Willensentschließung des Klägers geworden ist. Die entsprechende Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit der Kläger, vgl. Palandt/Sprau, BGB, 80. Auflage Rn. 18 zu § 826 BGB. Da der Kläger eingeräumt hat, zum Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs allgemein von dem sog. Abgasskandal gehört zu haben, vgl. das Protokolle der mündlichen Verhandlungen vor dem Landgericht vom 26.06.2019, hätte er nachvollziehbar darlegen müssen, aus welchen Gründen er davon ausgegangen ist, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von der Problematik nicht betroffen ist, wobei darauf hinzuweisen ist, dass einer Kausalität der Täuschung für den Vertragsschluss im Regelfall bereits entgegensteht, dass ein objektiver Verdacht bestand, dass der Pkw betroffen sein könnte, der Kläger aber keine Veranlassung gesehen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären. Der Kläger hat hierzu angegeben, er sei damals davon ausgegangen, der „Dieselskandal“ betreffe „nicht Audi, sondern VW“. Angesichts der Tatsache, dass allgemein bekannt ist, dass beide Firmen in einem Konzern verbunden sind und im Übrigen die Berichterstattung in den Medien zwar überwiegend VW, aber auch Audi betraf, ist dies keine hinreichende Darlegung.
Von einer Relevanz der potentiellen Betroffenheit des Fahrzeugs vom Abgasskandal beim Vertragsschluss kann sich der Senat bei dieser Sachlage ebenso wenig überzeugen wie das Landgericht.
c. Angesichts der Ausführungen zu b. kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB von vornherein nicht in Betracht, ohne dass es auf die übrigen Anspruchsvoraussetzungen ankäme. Mithin kam auch die erstinstanzlich beantragte Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte nicht in Betracht.
d. Ein Schadensersatzanspruch besteht auch nicht wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach §§ 6, 27 EG-FGV, weil § 27 EG-FGV schon kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist.
e. Nachdem ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht besteht, können auch die Anträge auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und auf Feststellung des Annahmeverzugs keinen Erfolg haben.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht geboten, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO. Der Senat hat hier einen Einzelfall entschieden und folgt der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Deliktsrecht. Eine Grundsatzbedeutung lässt sich auch nicht darauf stützen, dass derzeit zahlreiche „Diesel-Klagen“ bundesweit bei Gerichten anhängig sind. Grundsatzbedeutung hat eine Sache nur dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist, vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2002, VII ZR 101/02. Daran fehlt es hier, weil der Rechtsstreit lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall betrifft. Auch die Entscheidung des OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019, Az. 13 U 149/18, führt nicht zu einer Zulassung der Revision, da dort die konkreten Angaben der Käuferin streitentscheidend waren. Hinsichtlich der Frage des Vorsatzes der Beklagten hat das OLG Hamm, anders als der Senat hier, allein auf die ad-hoc Mitteilung der Beklagten sowie die Informationsmöglichkeit im Internet abgestellt, so dass auch insoweit der Entscheidung aufgrund des Sachvortrags der Parteien eine andere Fallgestaltung zugrunde lag.