IT- und Medienrecht

Nachbarschutz bei Veranstaltung einer öffentlichen Vergnügung

Aktenzeichen  10 ZB 18.310

Datum:
16.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8624
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 19 Abs. 4 S. 1
BImSchG § 3 Abs. 1
BGB § 906
Freizeitlärmrichtlinie Nr. 4.4
GewO § 68 Abs. 2
StVO § 29 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 S. 1 LStVG, die u.a. dem Schutz vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen der Nachbarschaft dient, entfaltet drittschützende Wirkung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung der Erheblichkeit von Lärmimmissionen kann unter Heranziehung der Freizeitlärmrichtlinie für seltene Veranstaltungen mit hoher Standortgebundenheit oder sozialer Adäquanz und Akzeptanz ein Überschreiten der allgemeinen Immissionsrichtwerte als zulässig angesehen werden. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Zumutbarkeit von Immissionen sind der Umfang von Abweichungen von den allgemeinen Immissionsrichtwerten, die Anzahl seltener Veranstaltungen und die Schutzwürdigkeit und Sensibilität des Einwirkungsbereichs zu berücksichtigen. (Rn. 9 und 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Zuschlag für die Informationshaltigkeit eines Geräuschs ist nicht erforderlich, wenn bei einer Musikdarbietung auf einem offenen Platz die Besuchermenge die eigentliche Geräuschkulisse bildet. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein nachbarlicher Anspruch auf Schutzazflagen setzt voraus, dass Verhaltensweisen von Veranstaltungsbesuchern oder Geschehensabläufe nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erheblichen Nachteilen bei dem betroffenen Nachbarn führen können (in Fortführung von BayVGH BeckRS 2013, 58320 Rn. 36). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der Anliegergebrauch wird durch eine straßenverkehrsrechtliche Sondernutzungserlaubnis nur beeinträchtigt, wenn die für das Anliegergrundstück erfordertlichen Zufahrten und Zugänge unzumutbar beeinträchtigt werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 16.491 2017-12-15 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Feststellung, dass die Bescheide der Beklagten vom 5. Juli 2016 zur Durchführung der Veranstaltung „C.“ in der Zeit vom 21. Juli 2016 bis 24. Juli 2016 rechtswidrig waren, weiter. Mit diesen Bescheiden erteilte die Beklagte dem Beigeladenen diesbezügliche Erlaubnisse nach Art. 19 LStVG, § 29 Abs. 2 StVO und § 68 Abs. 1 GewO.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden nur dann vor, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 21.1.2009 – 1 BvR 2524/06 – juris). Solche Zweifel zeigt die Antragsbegründung nicht auf.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die streitgegenständlichen Erlaubnisse subjektive Rechte der Klägerin nicht verletzten. Die Veranstaltung „C.“ sei als seltene Veranstaltung mit hoher Standortgebundenheit oder sozialer Adäquanz und Akzeptanz im Sinne der Nr. 4.4 der Freizeitrichtlinie einzustufen. Die Kriterien der Standortgebundenheit sowie der sozialen Adäquanz und Akzeptanz seien erfüllt. „C.“ sei auf die Verhältnisse am Kanal in Bamberg zugeschnitten und beziehe die örtlichen Begebenheiten mit ein. Auch die soziale Adäquanz könne man dem Kulturfest nicht absprechen, weil derartige Vergnügungen in einem begrenzten Rahmen zum städtischen Leben gehörten und von breiten Teilen der Bevölkerung angenommen, zumindest aber toleriert würden. Die 39 Stände dienten der leiblichen Versorgung der Gäste, auf den Bühnen seien musikalische bzw. künstlerische Darbietungen vorgesehen gewesen. Zudem sei ein Kunsthandwerkermarkt angeschlossen. Eine erhebliche Belästigung der Klägerin i.S.d. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 LStVG liege nicht vor. Gegenüber vorangegangenen Veranstaltungen seien erhebliche zeitliche Einschränkungen vorgenommen worden. Der streitgegenständliche Bescheid enthalte in Bezug auf die Begrenzung der Lautstärke musikalischer Darbietungen eine konkrete überwachbare Auflage, dass 80 dB (A) in 20 m Entfernung nicht überschritten werden dürften. Im Bereich des Anwesens der Klägerin sei tagsüber lediglich ein Beurteilungspegel von 67 dB (A) zu erwarten gewesen. Es seien keine durchgreifenden Mängel der Immissionsprognose zulasten der Klägerin ersichtlich. Bei seltenen Veranstaltungen gehe die Freizeitlärmrichtlinie in Nr. 4.2.2 davon aus, dass vor den Fenstern im Freien eine Lärmbelastung von 70 dB (A) tagsüber grundsätzlich eingehalten werden solle. Erst bei Überschreitungen sei deren Zumutbarkeit explizit zu begründen. Auch die Verschiebung der Nachtzeit um eine Stunde sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe sichergestellt, dass eine ausreichend lange Nachtruhe gewährleistet bleibe. Sie sei rechtlich fehlerfrei davon ausgegangen, dass trotz aller verhältnismäßigen und organisatorischen Lärmminderungsmaßnahmen eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte i.S.d. Nr. 4.1 Freizeitlärmrichtlinie nicht unvermeidbar i.S.v. Nr. 4.4.2 Freizeitlärmrichtlinie war. Hierbei komme es nicht auf die exakte Einordnung des das Anwesen der Klägerin umgebenden Gebietes an. Die von der Klägerin vorgebrachten Aspekte zum Sicherheitskonzept, zu den Rettungswegen und zur Gesamtnutzfläche seien nur insoweit von Bedeutung, als sie drittschützende Normen beträfen. Das Anwesen der Klägerin befinde sich nicht im langgezogenen westlichen Teil des Veranstaltungsgeländes am Kanal, sondern am Rande des von der öffentlichen Vergnügung in Anspruch genommenen Geländes. Zu prüfen sei daher nur, wie sich die eigene Sicherheit der Klägerin und ihres Anwesen während der Dauer der Veranstaltung darstelle. Nördlich, westlich und südlich seien ausreichende Freiflächen vorhanden, so dass ein etwaiger Einsatz von Feuerwehr, Polizei, Krankenwagen nicht mit unzumutbaren Einschränkungen verbunden gewesen wäre. Das Anwesen sei während der Hauptbetriebszeit für Rettungskräfte usw. erreichbar gewesen. Auch eine Aufstellung von Drehleitern sei möglich gewesen. Die zum Schutz der Klägerin verfügten Auflagen seien ausreichend gewesen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich im Jahr 2017 die Rahmenbedingungen für die Durchführung der Veranstaltung „C.“ geändert hätten. Der Kunsthandwerkermarkt sei in südliche Richtung verlegt und im Bereich des Anwesens „Am Kanal 11“ ein Behelfssteg als neuer Rettungsweg vorgesehen worden. Daher könne die Klägerin, unabhängig vom fehlenden Drittschutz, auch kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend machen, weil sich die Veranstaltung nicht mehr in derselben Form wie im Jahr 2016 wiederholen werde.
Zur Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung bringt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass es sich bei „C.“ um keine kulturelle Veranstaltung mit sozialer Adäquanz gehandelt habe. Insbesondere habe dies nicht mit den 39 Ständen, die der leiblichen Versorgung der Gäste dienen sollten, begründet werden können. Durch die Festlegung der Betriebszeiten und des Ausschankendes sei nicht gewährleistet gewesen, dass der Beurteilungspegel von 55 dB (A) zur Nachtzeit eingehalten werde, da es bei einem Ausschankende erst eine Viertelstunde vor Veranstaltungsende erfahrungsgemäß länger dauere, bis die Gäste ausgetrunken und das Festgelände verlassen hätten. Das Verwaltungsgericht habe die Auswirkungen der Veranstaltung zur Nachtzeit nicht berücksichtigt und daher auch nicht rechtmäßig zum Ergebnis gelangen können, dass keine erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen zu erwarten gewesen seien. Das Urteil enthalte auch keine Aussage darüber, ob bei der Immissionsprognose der Zuschlag für die Informationshaltigkeit der Musikwiedergabe gemäß Ziff. 3.2 Freizeitlärmrichtlinie berücksichtigt worden sei. Auch die Voraussetzungen der „Unvermeidbarkeit“ i.S.d. Nr. 4.4.2 Freizeitlärmrichtlinie seien nicht richtig bewertet worden, weil geeignete Ausweichstandorte zur Verfügung gestanden hätten. Die Veranstaltung hätte auch nur auf der von der Klägerin abgewandten Kanalseite stattfinden können, da dort besonders schutzbedürftige bauliche Anlagen nicht existierten. Zudem hätten die Schutzwürdigkeit und die Sensibilität des Einwirkungsbereichs berücksichtigt werden müssen. Die durch Wohnnutzung geprägten baulichen Anlagen, wie auch das von der Klägerin bewohnte Anwesen, hätten eine höhere Schutzwürdigkeit und Sensibilität aufgewiesen als dies auf der gegenüberliegenden Kanalseite der Fall gewesen wäre. Auch hätten die Voraussetzungen für die Verschiebung der Nachtzeit nicht vorlegen. Diese sehe die Freizeitlärmrichtlinie nur in besonders gelagerten Fällen vor. Woraus sich bei vorliegender Gestaltung die Besonderheit des Falles hätte ergeben sollen, sei nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht habe darüber hinaus die von der Klägerin vorgebrachten Aspekte zum Sicherheitskonzept, zu den Rettungswegen und zur Gesamtnutzfläche zu Unrecht nur auf die Frage des Brandschutzes des von der Klägerin bewohnten Anwesens beschränkt geprüft. Das Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs vermittle ihr eine besondere Rechtsstellung, in welcher sie hätte verletzt sein können. Sie sei in eigenen Rechtspositionen betroffen gewesen, weil im Fall einer Panik und plötzlichen Entfluchtung nicht ausgeschlossen hätte werden können, dass es auch zu Schäden an ihrem Gebäude gekommen wäre. Auch bei einer veränderten Konzeption der Veranstaltung sei ein Fortsetzungsfestsetzungsinteresse gegeben, da ein künftiger Verstoß gegen die Rechtspositionen der Klägerin nur dann verhindert werden könne, wenn die Rechtsverletzung in Bezug auf die Vergangenheit festgestellt worden sei.
Mit diesem Vorbringen zieht die Klägerin die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ernsthaft in Zweifel. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Klägerin ihre Drittanfechtungsklage gegen die Erlaubnisse zur Veranstaltung von „C.“ nur auf die Verletzung drittschützender Normen stützen kann. Art. 19 Abs. 4 LStVG, wonach die Erlaubnis für eine Veranstaltung öffentlicher Vergnügungen u.a. zu untersagen ist, wenn es zur Verhütung von Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit oder Sachgüter oder zum Schutz vor erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen für die Nachbarschaft erforderlich erscheint, entfaltet drittschützende Wirkung (Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 19 Rn. 113). Der Begriff des Schutzes vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft entspricht im Wesentlichen der Definition für schädliche Umwelteinwirkungen gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG. Zudem ist der Begriff der wesentlichen Beeinträchtigungen i.S.d. § 906 BGB identisch mit erheblichen Belästigungen und damit schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG (Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 3 Rn. 14a m. w. N.). Nachteile in diesem Sinn sind wirtschaftliche und ideelle Einbußen, insbesondere auch die Wertminderung von Grundstücken und Wohngebäuden. Als Belästigungen werden das normale Maß übersteigende Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens, ohne dass eine Gesundheitsgefahr vorliegen muss, bezeichnet. Beide Einwirkungen „Nachteile und Belästigungen“ müssen erheblich sein. Ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten und damit der Nachteil bzw. die Beeinträchtigung unzumutbar sind, ist aus der Sicht des Betroffenen zu beurteilen. Nach herrschender Auffassung kommt es bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze allerdings nicht auf das Empfinden des individuell Betroffenen, sondern auf das eines verständigen Durchschnittsmenschen in vergleichbarer Lage an (Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 3 Rn. 15 a).
Bezogen auf die angeführten Lärmimmissionen hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass für die Beurteilung der Erheblichkeit der Lärmimmissionen die Freizeitlärmrichtlinie heranzuziehen war (BayVGH, B.v. 13.8.2010 – 10 CE 10.1996 – juris Rn. 16; B.v. 17.10.1996 – 24 CS 96.3415 – juris Rn. 15; HessVGH, U.v. 25.2.2005 – 2 UE 2890 – juris Rn. 53 ff.). Die Freizeitlärmrichtlinie sieht Immissionsrichtwerte vor, oberhalb derer in der Regel mit erheblichen Beeinträchtigungen zu rechnen ist. Für seltene Veranstaltungen mit hoher Standortgebundenheit oder sozialer Adäquanz und Akzeptanz ist vorgesehen, dass diese trotz Überschreitung der allgemeinen Immissionsrichtwerte zulässig sein können. Die Veranstaltung „C.“ war als seltene Veranstaltung mit hoher Standortgebundenheit oder sozialer Adäquanz und Akzeptanz im Sinne der Nr. 4.4 Freizeitlärmrichtlinie einzuordnen. Hohe Standortgebundenheit liegt bei besonderem örtlichem oder regionalem Bezug vor. Hierunter können Feste mit kommunaler Bedeutung – wie die örtliche Kirmes oder das jährliche Fest der Feuerwehr – sowie besondere Vereinsfeiern fallen (vgl. 4.4.1 Freizeitlärmrichtlinie). „C.“ fand im Jahr 2016 bereits das elfte Mal statt und ist somit bereits traditioneller Bestandteil des jährlichen Veranstaltungskalenders der Beklagten. Die soziale Akzeptanz und Adäquanz zeigt sich darin, dass das Fest von der örtlichen Gemeinschaft angenommen wird und offensichtlich für viele Bewohner eine hohen Stellenwert aufweist. Die hohen Besucherzahlen sprechen insoweit für sich. Von dem Großteil der Anwohner wird die Veranstaltung, die nur einmal im Jahr für wenige Tage stattfindet, zumindest geduldet. Die Einordnung der Veranstaltung als seltenes Ereignis setzt im Übrigen nicht voraus, dass es sich bei der Veranstaltung um eine Kulturveranstaltung handelt. Die Zahl der der Versorgung der Gäste dienenden Stände hat daher keine entscheidende Bedeutung.
Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die zu erwartenden Immissionen unvermeidbar und zumutbar im Sinn der Nr. 4.4.2 Freizeitlärmrichtlinie waren. Lokal geeignete Ausweichstandorte standen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zur Verfügung. Sowohl der Name der Veranstaltung „C.“ als auch bestimmte Programmpunkte (Gondelfahrten, venezianische Nacht) zeigen den besonderen räumlichen und auch konzeptionellen Bezug der Veranstaltung zum Kanal. Dass eine Verlagerung auf nur eine Kanalseite, wie von der Klägerin gewünscht, angesichts der prognostizierten Besucherzahlen und des umfassenden Angebots tatsächlich realisierbar gewesen wäre, ist weder substantiiert dargelegt worden noch sonst ersichtlich, weil die gegenüberliegende Kanalseite in noch größerem Umfang als die Kanalseite, an der das Anwesen der Klägerin liegt, mit Ständen und Sitzgelegenheiten belegt war.
Die von der Veranstaltung ausgehenden Immissionen waren der Klägerin unter Berücksichtigung von Schutzwürdigkeit und Sensibilität des Einwirkungsbereichs nach nicht zu beanstandender Einschätzung des Verwaltungsgerichts auch zumutbar. Die Freizeitlärmrichtlinie sieht in Nr. 4.4.2 vor, dass die zuständige Behörde die genannten Voraussetzungen desto intensiver zu prüfen, zu bewerten und zu begründen hat, in je größerem Umfang Abweichungen von den Immissionsrichtwerten nach Nr. 4.1 bis 3 in Anspruch genommen werden und an je mehr Tagen seltene Veranstaltungen stattfinden sollen. Vorliegend hatte die Beklagte berücksichtigt, dass die Veranstaltung an nur vier von nach dieser Richtline insgesamt 18 möglichen Tagen (für derartige Veranstaltungen) stattfand. Ferner blieb der errechnete Beurteilungspegel der von der Veranstaltung ausgehenden Lärmimmissionen unter dem allgemein zugelassenen Beurteilungspegel von 70 dB (A) tagsüber. Auch eine Überschreitung des Beurteilungspegels für die Nacht von 55 dB (A) war nicht zu erwarten. Sichergestellt war dies durch die Festsetzung eines entsprechenden zeitlichen Rahmens für die Veranstaltung. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass bei Festsetzung des Ausschankendes auf 15 Minuten vor Veranstaltungsende nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sich Besucher länger auf dem Veranstaltungsgelände aufhielten, und daher der Nachtrichtwert von 55 dB (A) überschritten worden wäre, begründet dies nicht die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides. Sie bezweifelt damit lediglich, dass die festgesetzten Auflagen zum Veranstaltungsende tatsächlich eingehalten worden sind. Hierbei handelt es sich jedoch um ein Vollzugsproblem (BayVGH, B.v. 5.6.2009 – 10 CS 09.1313 – juris Rn. 13). Die im Bescheid festgesetzten Veranstaltungszeiten waren grundsätzlich geeignet, die Einhaltung des zulässigen Immissionsrichtwerts sicherzustellen. Im Übrigen hat die Beklagte im Zulassungsverfahren darauf hingewiesen, dass inzwischen der zeitliche Abstand zwischen Ausschankende und Veranstaltungsende verlängert worden ist, so dass die Einhaltung der entsprechenden Auflagen in Zukunft (wohl) auch keine Vollzugsprobleme mehr aufwirft.
Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die Verschiebung der Nachtzeit auf 23 Uhr an zwei Veranstaltungstagen in Einklang mit den Regelungen der Freizeitlärmrichtlinie stand. Nach Nr. 4.4.2 Buchst. c Freizeitlärmrichtlinie kann in besonders gelagerten Fällen eine Verschiebung der Nachtzeit von bis zu zwei Stunden zumutbar sein. Die Beklagte hat von dieser Möglichkeit für den Freitag und Samstag der Veranstaltung in der Zeit von 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr Gebrauch gemacht. Begründet hat die Beklagte die Verlagerung der Nachtzeit um eine Stunde an diesen beiden Tagen damit, dass eine achtstündige Nachtruhe gewährleistet sei, weil an den darauf folgenden Tagen in den von der Veranstaltung betroffenen Straßenzügen am frühen Morgen kein Liefer- oder Geschäftsverkehr stattfinde. Besondere zwingende betriebliche Verhältnisse machten zwar eine Verschiebung der Nachtzeit um eine Stunde nicht erforderlich, zu berücksichtigen war jedoch, dass die Veranstaltung ein „Sommerfest“ darstellte und daher insbesondere am Wochenende der Wunsch der Besucher bestand, sich länger im Freien aufzuhalten. Die zu erwarten gewesene Besucherzahl war zwischen 19.00 und 22.00 Uhr am höchsten, so dass auch insoweit dem Charakter der Veranstaltung und den Besucherwünschen Rechnung zu tragen war. Die Beklagte hatte sich dabei an die Empfehlung der Freizeitlärmrichtlinie gehalten, wonach eine Verschiebung des Beginns der Nachtzeit auf Abende vor Samstagen, Sonn- und Feiertagen beschränkt werden soll (4.3.3 Freizeitlärmrichtlinie).
In die Zumutbarkeitsprüfung war zudem einzubeziehen, dass die Freizeitlärmrichtlinie in Nr. 4.4.2 Buchst. a und b Überschreitungen des Beurteilungspegels bis 24.00 Uhr zulässt, wenn deren Zumutbarkeit explizit begründet wird. Die von der Klägerin hinzunehmende Lärmbelastung war daher auch nach der nicht zu beanstandenden Immissionsprognose insoweit geringer, als nach der Freizeitlärmrichtlinie zulässig gewesen wäre (zu diesem Gesichtspunkt vgl. VGH BW, U.v. 4.8.2016 – 8 S 136/14 – juris Rn. 87). Auch die Schutzwürdigkeit und Sensibilität des Einwirkungsbereichs war bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Immissionen zu berücksichtigen. Dies erfolgt jedoch nicht entsprechend des Gebietscharakters des Einwirkungsbereichs, weil der Immissionsgrenzwert von 70 dB (A) tagsüber unabhängig vom Gebietscharakter gilt. Der Schutzwürdigkeit des Gebietes, das auf der Kanalseite, auf der auch das Anwesen der Klägerin liegt, überwiegend von Wohnbebauung geprägt ist, wurde dadurch Rechnung getragen, dass der Tagesrichtwert von 70 dB (A) eingehalten werden musste. Die Immissionsprognose hatte sogar ergeben, dass selbst bei konservativem Ansatz ein Beurteilungspegel von maximal 67 dB (A) zu erwarten gewesen war. Eine geeignete Ausweichfläche am Kanal stand nicht zur Verfügung, weil die Veranstaltung ohne grundlegende Änderung ihres Konzepts nicht komplett auf die andere Kanalseite hätte verlagert werden können. Die Berechnung des Beurteilungspegels erfolgte auf der Grundlage der Sächsischen Freizeitlärmstudie. Durch eine entsprechende Auflage im Erlaubnisbescheid (2.5.1) war sichergestellt, dass bei den musikalischen Darbietungen 80 dB (A) in 20 m Entfernung nicht überschritten werden (Pegelbegrenzung), so dass insgesamt der zumutbare Beurteilungspegel von 70 dB (A) grundsätzlich eingehalten werden konnte. Auch war die Beklagte den Empfehlungen der Freizeitlärmrichtlinie insoweit gefolgt, dass sie auf eine optimale Ausrichtung der Bühnen und auf eine Reduzierung tiefer Frequenzanteile hingewirkt hat (Nr. 4.4.3 Freizeitlärmrichtlinie). Ein Zuschlag für die Informationshaltigkeit eines Geräuschs (Nr. 3.2 Freizeitlärmrichtlinie) wäre nur erforderlich gewesen, wenn es durch das Mithören ungewünschter Informationen zu einer erhöhten Belästigung gekommen wäre. Insoweit hat die Beklagte nachvollziehbar vorgetragen, dass bei zunehmender Besucherzahl auf offenen Plätzen die Informationshaltigkeit der Musikdarbietung sinkt, weil die Besuchermenge die eigentliche Geräuschkulisse bildet. Auch wäre es bei Berücksichtigung der Abstrahlrichtung der Musik und der Limitierung der Einzelschallquellen selbst bei einem Zuschlag für Informationshaltigkeit zur keiner relevanten Erhöhung des prognostizierten Immissionspegels am Anwesen der Klägerin gekommen.
Das Verwaltungsgericht hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die von der Klägerin angesprochenen Aspekte zum Sicherheitskonzept, zu den Rettungswegen und zur Gesamtnutzfläche keine subjektive Rechtsposition der Klägerin betrafen. Sie hat auch im Zulassungsverfahren nicht hinreichend dargelegt, dass sie zum Schutz ihrer subjektiven Rechte einen Anspruch auf weitergehende Schutzauflagen bzw. auf eine Aufhebung der entsprechenden Erlaubnis wegen eines angeblich unzureichenden Sicherheitskonzepts gehabt hätte.
Ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf die Aufnahme weitergehender Nebenbestimmungen in die Erlaubnisbescheide bzw. auf deren Aufhebung hätte vorausgesetzt, dass die Veranstaltung wegen Mängeln am Sicherheitskonzept mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Nachteilen oder Belästigungen für die Nachbarschaft geführt hätte (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 LStVG).
Erforderlich nach den Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts ist eine Schutzauflage zugunsten des Nachbarn nur dann, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines erheblichen Nachteils oder einer erheblichen Belästigung besteht. Der zeitliche Horizont für die zu treffende Prognose ist die überschaubare Zukunft, der geforderte Wahrscheinlichkeitsgrad verlangt weder Gewissheit noch muss der Schadenseintritt unmittelbar bevorstehen. Dies bedeutet, dass die Erlaubnisbehörde bei ihrer Gefahrenprognose nur solche Verhaltensweisen von Veranstaltungsbesuchern oder Geschehensabläufe berücksichtigen muss, die nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erheblichen Nachteilen bei den betroffenen Nachbarn führen können (BayVGH, U. v. 7.8.2013 – 10 B 13.1231 – juris Rn. 36). Erhebliche Nachteile für Rechtspositionen der Klägerin bei der von ihr angenommenen Gesamtevakuierung des Veranstaltungsgeländes, die ihr in einer solchen eher unwahrscheinlichen Ausnahmesituation nicht zuzumuten wären, sind jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Sicherheitskonzept des Beigeladenen, das Bestandteil des Erlaubnisbescheids vom 5. Juli 2016 ist, wäre eine Evakuierung des Veranstaltungsgeländes teilweise am Anwesen der Klägerin vorbei in Richtung H-gasse erfolgt. Im Falle einer Evakuierungsmaßnahme wäre der Anliegergebrauch nur für kurze Zeit eingeschränkt. Die Beklagte hat auch wiederholt glaubhaft dargelegt, dass die Zufahrt von Rettungsfahrzeugen oder Feuerwehrfahrzeugen zum Anwesen der Klägerin jederzeit sichergestellt gewesen wäre.
Im Übrigen wäre der Anliegergebrauch nur dann beeinträchtigt, wenn durch die der Beigeladenen erteilte Sondernutzungserlaubnis nach § 29 Abs. 2 StVO die für das Grundstück der Klägerin erforderlichen Zufahrten und Zugänge unzumutbar beeinträchtigt würden (BayVGH, B.v. 23.7.2009 – 8 B 08.3282 – juris Rn. 37). Der Anliegergebrauch geht grundsätzlich nur soweit, wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums eine Benutzung der Straße erfordert (BVerwG, U.v. 6.8.1982 – 4 C 58.80 – juris). Durch die erteilte Sondernutzungserlaubnis wird jedoch der Zugang zum Grundstück der Klägerin nicht beeinträchtigt, weil die H-gasse nicht mehr zum Bereich der erlaubten Sondernutzung gehört. Diese ist auf den Straßenabschnitt „Am K-“ beschränkt.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2. § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG. Der Regelstreitwert war zu verdoppeln, weil beide Erlaubnisbescheide Gegenstand des Verfahrens sind.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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