IT- und Medienrecht

Nachbesserung vor Rücktritt auch bei Fahrzeugen des Abgasskandals

Aktenzeichen  25 O 14912/16

Datum:
18.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 156075
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 311, § 323 Abs. 5, § 346, § 434, § 437 Nr. 2, § 440

 

Leitsatz

1. Ein Fahrzeug der Emissionsklasse “Euro 5” hat nicht die übliche Beschaffenheit, wenn es auf Grund der verbauten Software auf dem Prüfstand den Stickoxidausstoß reduziert, die Vermeidung schädlicher Emissionen im Straßenverkehr aber nicht mit derselben Effektivität erfolgt (so LG Ellwangen, Urt. v. 14.11.2016 – 5 O 2/16). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gelegenheit zur Nacherfüllung ist auch in diesen Fällen nicht entbehrlich. Der erhöhte Abgasausstoß im gewöhnlichen Fahrbetrieb führt zu keiner funktionellen Beeinträchtigung in der Nutzung und die betroffenen Fahrzeuge sind nach den Vorgaben des Kraftfahrtbundesamtes umzurüsten. (Rn. 34 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst bei Verlust der Vertrauensgrundlage wegen arglistiger Täuschung entfällt die Nacherfüllungsmöglichkeit des Verkäufers nicht, wenn besondere Umstände vorliegen (so BGH BeckRS 2008, 02391), die erwarten lassen, dass eine ordnungsgemäße Nachbesserung stattfinden wird. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 19.500,- € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 437 Nr. 2, 440, 323 Abs. 1, Abs. 2, 348 BGB zusteht.
1. Die Parteien haben einen Kaufvertrag gem. §§ 433, 474 BGB über das streitgegenständliche Fahrzeug geschlossen, das zur Überzeugung des Gerichts einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aufweist. Eine Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.
Zwar ist das Fahrzeug sicher und zudem auch nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch geeignet ist, da die Zulassung und die allgemeine Betriebserlaubnis nicht widerrufen wurden. Das Fahrzeug eignet sich unstreitig für den Fahrbetrieb und somit für die gewöhnliche Verwendung.
Das Fahrzeug hat jedoch keine Beschaffenheit, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die ein Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Auch nach den Darlegungen der Streithelferin der Beklagten, die auf den Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 01.06.2016 (Anlage B 2) Bezug genommen hat, aus der sich das Vorhandensein einer „Optimierungssoftware“ ergibt, war die Motorsoftware zum Zeitpunkt der Übergabe des streitgegenständlichen Pkw an den Kläger so eingestellt, dass sie im Prüfstandbetrieb andere Emissionswerte vortäuscht als im normalen Straßenverkehr eingehalten werden können, selbst wenn eine dem Prüfmodus entsprechender Fahrt erfolgt. Liegt bei einem Fahrzeug hingegen eine solche Manipulation nicht vor, besteht die Gewähr dafür, dass die Vermeidung schädlicher Emissionen im Straßenverkehr mit derselben Effektivität wie auf dem Prüfstand erfolgt, was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Ein Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das laut Herstellerangaben die Emissionsklasse „Euro 5“ einhalten soll, kann aber erwarten, dass diese eingehalten wird. Diese Erwartung wird enttäuscht durch den Umstand, dass das Ergebnis im Prüfstand nur aufgrund einer speziellen in dem Fahrzeug verbauten Software erzielt wird, die den künstlichen Fahrzyklus erkennt und einen Betriebsmodus einschaltet, der den Stickoxidausstoß reduziert (LG Ellwangen, Urteil vom 14. November 2016 – 5 O 2/16 -, Rn. 20, juris).
2. Dem wirksamen Rücktritt steht jedoch entgegen, dass der Kläger der Beklagten im anwaltlichen Schreiben vom 16.08.2016 (Anlage K 3) keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat.
Nach § 323 Abs. 1 BGB kann der Gläubiger im Fall einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung des Schuldners vom Vertrag zurücktreten, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat. Vorliegend hat die Klägerin jedoch den Rücktritt erklärt und das Fahrzeug zur Abholung angebotenen, ohne der Beklagten vorher die Gelegenheit zur Mangelbeseitigung gewährt zu haben.
Die Einräumung einer Gelegenheit zur Nacherfüllung war vorliegend nicht entbehrlich. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 440 S. 1 Alt. 3 BGB nicht vor. Nach § 440 S. 1 Alt. 3 BGB bedarf es außer in den Fällen des § 281 Abs. 2 und § 323 Abs. 2 der Fristsetzung unter anderem auch dann nicht, wenn dem Käufer die Nacherfüllung unzumutbar ist. Dabei ist die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung – im Gegensatz zu der Vorschrift des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB – allein aus der Perspektive des Käufers zu bestimmen und kann sich aus der Person des Verkäufers, der Art der Mangelhaftigkeit sowie den mit der Nacherfüllung verbundenen Begleitumständen ergeben (vgl. Faust in Beck“scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth, Stand 01.08.2014, § 440 Rn. 35 ff.). Dies zugrunde gelegt kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass der Klägerin die von der Beklagten angebotene Nacherfüllung unzumutbar war, was zugleich bedeutet, dass auch nach der allgemeinen Vorschrift des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB die Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht entbehrlich ist.
a) Der von dem Kläger beanstandete Mangel in Form des erhöhten Abgasausstoßes im gewöhnlichen Fahrbetrieb führt zu keinerlei funktionellen Beeinträchtigung in der Nutzung des Fahrzeugs. Insbesondere verfügt das Fahrzeug nach wie vor über alle erforderlichen Genehmigungen zur Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr, deren Widerruf nicht zu erwarten war und ist. Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung hatte das Kraftfahrt-Bundesamt bereits den Bescheid vom 14.10.2015 (vgl. Anlage B 1 und B 2) erlassen, mit dem die … verpflichtet wurde, bei allen Fahrzeugen mit dem hier streitgegenständlichen Aggregat EA 189 EU5 die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen und den Nachweis zu führen, dass nach Entfernen der unzulässigen Abschalteinrichtung alle technischen Anforderungen der relevanten Einzelrechtsakte der Richtlinie 2007/46/EG erfüllt werden. Darüber hinaus war es zu einer Einigung zwischen dem Kraftfahrt-Bundesamt und der hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs gekommen. Der Klägerin war es daher möglich und auch zumutbar, das streitgegenständliche Fahrzeug bis zu einer vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigten Mängelbeseitigung zu nutzen.
b) Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass eine Nacherfüllung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp zum Zeitpunkt des Rücktritts zeitlich noch nicht fixiert war. Der Kläger war und ist nach wie vor in der Lage, das Fahrzeug bis zu diesem Zeitpunkt ohne für ihn spürbare Beeinträchtigungen weiter nutzen. Erhebliche, über die bloße Zeitspanne bis zur tatsächlichen Vornahme der Nachbesserungsarbeiten hinausgehende Unannehmlichkeiten oder sonstige Nachteile, die mit der angebotenen Nacherfüllung durch die Beklagte einhergehen, sind nicht ersichtlich. Die von dem Kläger zu setzende Nacherfüllungsfrist hätte daher eine Zeitspanne umfassen müssen, die es der Beklagten ermöglicht hätte, auf die von der … nach Genehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt ihr zur Verfügung gestellten Software zu warten
c) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund der behaupteten arglistigen Täuschung des Herstellers über den tatsächlichen Schadstoffausstoß des Fahrzeugs im Fahrbetrieb, die die Beklagte sich nach Auffassung des Klägers entgegenhalten lassen müsse. Zwar kann bei Täuschung über einen Mangel durchaus ein Verlust der Vertrauensgrundlage gegeben sein, der eine Nacherfüllung deswegen als unzumutbar erscheinen lässt. Dass dies auf die Beklagte zutrifft, lässt sich aber entgegen der klägerischen Betrachtung gerade nicht sagen. Zwar behauptet der Kläger, dass die Beklagte selbst um die manipulierte Software wusste, was die Beklagte bestreitet. Substantiierten Sachvortrag dazu, woher die Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 21.02.2015 Kenntnis von den vorgenommenen Manipulationen gehabt haben soll, liefert der Kläger nicht. Aus den in Bezug genommenen Spiegel-Artikel vom 21.09.2015 bzw. vom 28.09.2014 (Anlagen K 4 und K 7) sowie den in Bezug genommenen Artikeln des Handelsblattes vom 15.10.2014 bzw. vom 24.09.2015 (Anlagen K 8 und K 9) ergibt sich hierzu nichts, abgesehen davon, dass ein Zeitungsartikel kein ausreichender Beweis wäre. Eine positive Kenntnis der Beklagten von den vorgenommenen Manipulationen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist damit nicht gegeben.
d) Auch aus dem Vortrag des Klägers, die … habe den Mangel öffentlich anerkannt und eingeräumt, dass sie bewusst ein manipuliertes Steuergerät eingesetzt habe in der Absicht, die Prüforgane zu täuschen, ergibt sich keine nachvollziehbare Kenntnis der Beklagten hiervon. Umstände, aus denen sich ergibt, dass die Beklagte sich ein etwaiges Wissen des Herstellers um die Software im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Kläger zurechnen lassen muss, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Dass davon auszugehen sei, dass das Vertragshändlernetz von den Manipulationen wusste, stellt keinen ausreichend substantiierten Sachvortrag dar. Insofern ist zu betonen, dass die Beklagte als Verkäuferin zwar für die Mängel eines Produkts im Rahmen des Gewährleistungsrechts einzustehen hat, nicht aber für jegliches (Fehl-)Verhalten des Herstellers haftbar gemacht werden kann.
Überdies ist zu bedenken, dass ein Verlust der Vertrauensgrundlage auf Seiten des getäuschten Käufers, der Grund für den Wegfall der Nacherfüllungsmöglichkeit des Verkäufers in Fällen der arglistigen Täuschung ist, dann nicht anzunehmen ist, wenn besondere Umstände vorliegen (vgl. BGH Urteil vom 09. Januar 2008, VIII ZR 210/06, zit. nach juris), die erwarten lassen, dass eine ordnungsgemäße Nachbesserung stattfinden wird. Vorliegend sind solche besonderen Umstände darin zu sehen sind, dass die Nachbesserungsarbeiten der Beklagten in enger Zusammenarbeit des Herstellers mit dem Kraftfahrtbundesamt und damit unter staatlicher Aufsicht erfolgen bzw. am 09.11.2016 erfolgt sind. In diesem Zusammenhang haben das Kraftfahrtbundesamt und der Hersteller einen übergeordneten Maßnahmenplan sowie darauf aufbauend konkrete Umsetzungsvereinbarungen getroffen, um die Nachbesserungsarbeiten an den betroffenen Fahrzeugen zu gewährleisten. Dementsprechend wurde mit Bescheid vom 10.08.2016 des Kraftfahrt-Bundesamtes (Anlage B 5) festgestellt, dass die von der … zur Nachbesserung erstellten Software geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit auch des streitgegenständlichen Fahrzeugs herzustellen.
e) Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass eine durchzuführende Nachbesserung nicht dauerhaft und wertminderungsfrei erfolgen wird.
Konkreter Sachvortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers zu der von ihm behaupteten Wertminderung fehlt. Insbesondere trägt der Kläger auch mit Schriftsatz vom 15.05.2017 (Bl. 512/513) – trotz des ausführlichen Hinweises in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2017 (Bl. 468) – überhaupt nichts zu dem von ihm lediglich pauschal behaupteten merkantilen Minderwert vor.
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht vor. Auf die weitere streitige Frage, ob der Rücktritt wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ausgeschlossen ist, kam es nicht mehr an.
3. Soweit der Kläger seinen Anspruch auf §§ 311, 241 Abs. 2 BGB stützt und hierbei die Grundsätze zum Prospekthaftungsrecht im Kapitalanlagerecht heranzieht, scheitert dies bereits an dem fehlenden substantiierten Sachvortrag des Klägers zu unrichtigen Prospektangaben. Weiter ist angesichts des Klägervortrages nicht zu erkennen, in welchen konkreten Unterlagen der Beklagten er ein „Prospekt“ im Sinne der Prospekthaftung sieht. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als „Prospekt“ im Sinne der Prospekthaftung eine marktbezogene schriftliche Erklärung zu verstehen ist, die für die Beurteilung einer (Kapital-)Anlage erhebliche Angaben enthält oder den Anschein eines solchen Inhaltes erweckt. Die Angabe muss dabei tatsächlich oder zumindest dem von ihr vermittelten Eindruck nach den Anspruch erheben, eine das Publikum umfassende informierende Beschreibung der Anlage zu sein. Schließlich gibt es auch angesichts des ausreichenden Schutzes der kaufvertraglichen Gewährleistungsrechte kein Bedürfnis dafür, die Grundsätze zum Prospekthaftungsrecht im Kapitalanlagerecht auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation auszudehnen.
4. Mangels Hauptanspruchs hat der Kläger keinen Zinsanspruch aus den §§ 288 Abs. 1, 286 BGB oder § 291 BGB. Auch die weiter mit der Klage geltend gemachten Ansprüche auch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind daher nicht begründet.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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