IT- und Medienrecht

Nutzungsentschädigung für ein vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug

Aktenzeichen  15 O 165/20

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 57270
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Weiden
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826, § 849
VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1
ZPO § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 138 Abs. 3, § 709

 

Leitsatz

Ein Schuldner kann nur in Verzug geraten, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 19.661,56 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.05.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw VW Passat 2.0 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. näher bezeichneten Pkw VW Passat in Verzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.05.2020 freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte ergibt sich aus § 826 BGB.
a) Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
Die Beklagte hat bei den von ihr hergestellten Dieselmotoren vom Typ … durch den Einbau einer Erkennungssoftware bewirkt, dass der Testlauf auf einem Abgasprüfstand erkannt und sich dies auf die Abgasrückführung auswirkt. Dieser Mechanismus zur Einwirkung auf die tatsächlichen Schadstoffemissionen im für die Betriebsgenehmigung des Fahrzeugs relevanten Prüfbetrieb ist als so genannte „Abschalteinrichtung“ rechtswidrig gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) 715/2007 und wird nicht von eine der Ausnahmeregelungen erfasst.
Die nicht hinreichend bestrittene Existenz einer derartigen Abschalteinrichtung ergibt sich nach der Überzeugung des Gerichts aus der vorgelegten Applikationsrichtlinie. Dort heißt es auf Seite 4, dass Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ erfolgen, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-/DeSOx- Events) nur streckengesteuert zu platzieren (in diese Richtung gehend auch OLG Köln, Beschluss vom 12. September 2019 – 15 U 234/18, LG Darmstadt Urt. v. 31.8.2020 – 13 O 88/20).
Ob darüber hinaus die Verwendung eines sog. Thermofensters eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 und in der Folge dessen Einbau durch die Beklagte ein sittenwidriges Verhalten darstellt, kann insoweit offengelassen werden (insoweit ablehnend hinsichtlich des Vorsatzes OLG Nürnberg, Urteil vom 19. Juli 2019 – 5 U 1670/18).
Das Verhalten der Beklagten ist auch als verwerflich anzusehen, da hierdurch der Eindruck erzeugt wird, die Emissionen des Fahrzeugs würden ohne Beeinflussung durch eine künstlich erhöhte Abgasrückführung im Normbereich liegen, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist. Es ist offensichtlich, dass das Verhalten der Beklagten nur dazu diente, sich auf rechtswidrigem Wege Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und dadurch die Unternehmensgewinne zu steigern. Dieses per se legale Ziel wurde jedoch mit verwerflichen Mitteln durch Täuschung der jeweiligen Kunden erreicht.
b) Durch das Verhalten der Beklagten ist dem Kläger ein kausaler Schaden entstanden.
Dieser liegt im Abschluss des Kaufvertrages über ein solches Fahrzeug. Die Feststellung eines Schadens setzt nicht zwingend voraus, dass sich aus dem Vergleich der hypothetischen Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis mit der Vermögenslage infolge dieses Ereignisses ein rechnerisches Minus ergibt. Vielmehr kann sich aufgrund des subjektbezogenen Verständnisses des Schadensbegriffs ein Schaden dadurch ergeben, dass der Betroffene durch ein haftungsbegründendes Verhalten, hier eine Täuschung, einen für ihn ungünstigen Vertrag abschließt, dessen Gegenleistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist, und den er in Kenntnis der wahren Sachlage nicht abgeschlossen hätte.
Insofern ist im Hinblick auf das Vorliegen eines Schadens auch nicht entscheidend, ob das streitgegenständliche von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrbundesamtes erfasst ist oder nicht.
c) Die sittenwidrige, schädigende Handlung ist der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen.
Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch gem. § 31 BGB zuzurechnen. Der Kläger trug hierzu vor, dass die Vorstandsebene Kenntnis von den haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen hatten. Dieser Vortrag ist gem. § 138 III ZPO als zugestanden anzusehen, da er von Beklagten nicht hinreichend substantiiert bestritten wurde. Die Beklagte trifft bezüglich der vorstehenden Behauptung eine sekundäre Darlegungslast. Diese trifft die nicht primär darlegungs- und beweisbelastete Partei ausnahmsweise dann, wenn die eigentlich darlegungs- und beweisbelastete Partei für einen hinreichend substantiierten Vortrag Umstände darzutun hätte, die ihr unbekannt sind, die aber in den Wahrnehmungsbereich der Gegenpartei fallen und die Darlegung der entsprechenden Verhältnisse der Gegenpartei zumutbar ist. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Die Klagepartei ist zu einer weitergehenden Darlegung und einem sachgerechten Beweisantritt nicht in der Lage, da es ihr an entscheidender Kenntnis über die internen Betriebsabläufe der Beklagten mangelt. Diese Betriebsabläufe gehören jedoch zum unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Beklagten, deren Offenbarung der Beklagten ohne Weiteres zumutbar ist. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend nachgekommen.
d) Die Schadenszufügung erfolgte vorsätzlich.
Anders als vorsätzlich ist eine entsprechende Manipulation einer Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht denkbar, insbesondere im Hinblick auf den damit verbundenen Wettbewerbs- und Kostenvorteil.
e) Der Kläger muss sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19). Der anzurechnende Nutzungsersatz berechnet sich wie folgt:
„Vom Kaufpreis in Höhe von 26.950,00 € ist eine Nutzungsentschädigung für die vom Kläger gefahrenen Kilometer in Abzug zu bringen. Das Gericht geht hierbei von einer regelmäßig zu erzielenden Laufleistung bei vergleichbaren Fahrzeugen von 350.000 km aus. Das Fahrzeug hatte zum Zeitpunkt des Erwerbs eine Laufleistung in Höhe von 100 km. Es verbleibt somit eine Restlaufleistung von 349.900 km.“
Der Bruttokaufpreis (26.950,00 €) ist für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (349.900 km) zu teilen und dieser Wert ist mit den gefahrenen Kilometern (94.728 – 100 = 94.628 km) zu multiplizieren, sodass sich eine anzurechnende Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.288,44 € ergibt. Demnach war ein Betrag in Höhe von 19.661,56 € zuzusprechen.
Der von der Beklagten, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, zu erstattende Betrag in Höhe von 22.458,74 € ist ab dem Zeitpunkt der auf den Tag der Rechtshängigkeit der Klage folgenden Tag, d.h. ab dem 20.05.2020, mit Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten (nur in dieser Höhe wurden nach dem Klageantrag Zinsen verlangt) über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß den §§ 288, 291, analog 187 Abs. 1 BGB zu verzinsen.
Schuldnerverzug hinsichtlich der Kaufpreiserstattung seit dem 23.01.2020 liegt auf Seiten der Beklagten nicht vor, da der Schuldner nur in Verzug geraten kann, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19).
Der Kläger hat mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 21.01.2020 die Rückabwicklung ohne eine konkrete Nutzungsanrechnung verlangt. Er hat damit die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252, 19).
Ein zur Begründung von Schuldnerverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot der Gegenleistung ist deshalb nicht gegeben, sodass Zinsen erst ab Rechtshängigkeit zuzusprechen waren.
Soweit der Kläger für das streitgegenständliche Fahrzeug einen höheren Betrag und Zinsen auf den Kaufpreis zu einem früheren Zeitpunkt geltend gemacht hat, war die Klage deshalb als unbegründet abzuweisen.
2. Entsprechend dem Antrag des Klägers war festzustellen, dass sich die Beklagte im Verzug der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs befindet. Dies folgt daraus, dass die Beklagte die ihr im Klageantrag mit einer entsprechenden Nutzungsentschädigung angebotene Zug-um-Zug-Leistung durch ihren Antrag auf Klageabweisung abgelehnt hatte.
3. Zinsen gemäß § 849 BGB waren vorliegend nicht zuzusprechen.
Der Kaufpreis wurde der Klagepartei zur Überzeugung des Gerichts nicht „entzogen“ im Sinne des § 849 BGB. Die Klagepartei erhielt zwar ein mangelhaftes Fahrzeug, da dieses mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war. Dieses Fahrzeug war für die Klagepartei jedoch uneingeschränkt nutzbar. Hätte die Klagepartei den Kaufpreis in Kenntnis der streitgegenständlichen Manipulation nicht für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs eingesetzt, so hätte sie ein anderes Fahrzeug zum täglichen Gebrauch zur Überzeugung des Gerichts erwerben müssen. Der Betrag des Kaufpreises hätte für diesen gedachten Fall der Klagepartei daher auch nicht zur gewinnbringenden Anlage zur Verfügung gestanden, weshalb vorliegend ein Zinsanspruch auch nicht geschuldet war (so auch BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 397/19 mit weiteren Nachweisen).
4. Es besteht ferner ein Anspruch gemäß § 826 BGB auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die sich auf der Grundlage einer 1,3-Geschäftsgebühr und unter Zugrundelegung des ausgeurteilten Betrages von 19.661,56 € auf 1.171,67 € beziffern.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 II Nr. 1. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


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