IT- und Medienrecht

Pflicht pharmazeutischer Unternehmen zur Rabattgewährung  für verschreibungspflichtige „Lifestyle“-Arzneimittel zu Gunsten privater Krankenversicherungen

Aktenzeichen  1 U 1648/19

Datum:
17.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 54764
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AMRabG § 1 S. 1
ZPO § 256 Abs. 1
SGB. V § 31 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 1 S. 7, § 34 Abs. 1 S. 8, § 130a Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Private und gesetzliche Krankenversicherungen können hinsichtlich der Pflicht zur Rabattgewährung ungleich behandelt werden. Keine Bedenken bestehen hinsichtlich der vom Landgericht vorgenommenen Auslegung des § 1 AMRabG, nach welcher der Abschlagsanspruch auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt ist, während die gesetzlichen Krankenkassen den Anspruch unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 2 und 5 SGB V auch für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel geltend machen können.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

23 O 12038/18 2019-03-28 LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.03.2019, Az. 23 O 12038/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist ebenso wie das in Ziffer 1 genannte Urteil im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin, die Arzneimittel importiert, begehrt von der beklagten privaten Krankenversicherung die Feststellung, nicht dazu verpflichtet zu sein, für bestimmte sog. „Lifestyle“- Medikamente Herstellerrabatte nach § 1 Satz 1 AMRabG zu gewähren. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass eine derartige Verpflichtung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen nicht bestehe und der Gesetzgeber des AMRabG eine weitgehende Gleichstellung von gesetzlich Krankenversicherten und Privatversicherten angestrebt habe. Die Beklagte verteidigt sich dagegen unter Anderem mit dem Argument des vom AMRabG verfolgten Zieles der Kosteneinsparung für die Versichertengemeinschaft, das verfehlt würde, wenn der Rabattanspruch nur für zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegebene Arzneimittel gelten würde. Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Endurteils des Landgerichts München I vom 28.03.2019 Bezug genommen.
II.
Das Landgericht hat zur Begründung des der Klage stattgebenden Urteils ausgeführt, die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO seien gegeben. Insbesondere habe die Klägerin ein rechtliches Interesse an alsbaldiger negativer Feststellung ihres Rechtsverhältnisses zur Beklagten; auf eine Leistungsklage der Beklagten müsse sie es nicht ankommen lassen. In der Sache bestehe keine Verpflichtung der Klägerin, der Beklagten Herstellerrabatte nach § 1 Satz 1 AMRabG, § 130a Abs. 1 SGB V für verschreibungspflichtige Lifestyle-Medikamente im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V (hier: Xenical, Viagra, Cialis, Levitra, Champix, Azzlure, Bocouture und Vistabel) zu gewähren. Denn § 1 Satz 1 AMRabG beinhalte eine Rechtsgrundverweisung auf § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V, weshalb Abschläge nur für solche verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu gewähren seien, für die nach § 130a SGB V Herstellerrabatte auch gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen anfielen, was bei Lifestyle-Medikamenten aufgrund §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 34 Abs. 1 Satz 7 und 8 SGB V nicht der Fall sei. Zweck des § 1 AMRabG sei ein bezahlbarer Krankenversicherungsschutz für Privatversicherte, wobei aber die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht außer Acht gelassen werden dürfe. Weder dem Wortlaut noch den Materialien zu § 1 AMRabG lasse sich eindeutig entnehmen, ob der Gesetzgeber eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung auf § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V habe vornehmen wollen. Die Gesetzesystematik spreche jedoch dafür, dass der Gesetzgeber jedenfalls im Grundsatz einen Gleichlauf zwischen der Pflicht der pharmazeutischen Unternehmen zur Gewährung von Herstellerrabatten in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung herstellen wollte. Dem stehe nicht entgegen, dass der Anwendungsbereich des § 1 AMRabG auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt sei, während von den Herstellerrabatten nach § 130a Abs. 1 SGB V auch bestimmte nicht verschreibungspflichtige, aber erstattungsfähige Medikamente – insbesondere die in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V genannten – erfasst seien. Maßgeblich für die Annahme einer Rechtsgrundverweisung spreche dagegen der Verweis in § 1 Satz 1 AMRabG auch auf § 130a Abs. 3 SGB V (Ausschluss der Rabattpflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung für Festbetrags-Arzneimittel im Sinn des § 35 SGB V), der sich nur so erklären lasse, dass der Gesetzgeber einen möglichst identischen Anwendungsbereich hinsichtlich der von der Rabattpflicht erfassten Medikamente in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung erzielen wollte. Der Verweis auf § 130a Abs. 3 SGB V spreche auch deshalb für eine Rechtsgrundverweisung, weil dort nicht die Abschlagshöhe geregelt sei, sondern bestimmte Medikamente von der Pflicht zur Gewährung von Herstellerrabatten ausgenommen seien.
III.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 03.04.2019 zugestellte Endurteil mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05.04.2019, eingegangen am 08.04.2019, Berufung eingelegt und diese am 31.05.2019 begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass mit dem Verweis in § 1 Satz 1 AMRabG auf § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und b SGB V allein die sich ergebende Abschlaghöhe in Bezug genommen werde. Der Wortlaut der Vorschrift deute nicht darauf hin, dass ein Abschlag nur dann zu gewähren sei, wenn für das gleiche Arzneimittel auch eine gesetzliche Krankenkasse einen Abschlag erhalten hätte. Der Verweis erfolge ausdrücklich nicht auf die insoweit maßgeblichen Normen der §§ 31, 34 SGB V. Aber selbst unter der Annahme, dass § 1 Satz 1 AMRabG eine Rechtsgrundverweisung vornehme, folge daraus nicht, dass die Kostenträger keine Abschläge für Lifestyle-Medikamente geltend machen könnten. Denn auch § 130a SGB V verweise nicht auf die Regelungen über die Leistungsansprüche der Versicherten nach §§ 31, 34 SGB V, insbesondere werde § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V nicht erwähnt. Das Tatbestandsmerkmal in § 130a Abs. 1 Satz SGB V „zu ihren Lasten abgegebene Arzeimittel“ sei bei der entsprechenden Anwendung auf die Kostenträger nach dem AMRabG zu verstehen als „Arzneimittel, für die Kosten erstattet wurden“. Ein anderes Ergebnis ließe sich nur dann vertreten, wenn in § 130a Abs. 1 Satz 1 SGB V von „abgebbaren“ anstatt von „abgegebenen“ Arzneimitteln die Rede wäre. Das Landgericht vermenge die systematische Differenzierung der Rechtsverhältnisse Kostenträger – Versicherter und Kostenträger – Pharmahersteller. Für die gesetzlichen Krankenversicherer entstünde bei Lifestyle-Medikamenten keine Kostenbelastung, die durch die Gewährung von Abschlägen gemildert werden müsste. Die Auffassung des Landgerichts würde zudem zur Folge haben, dass die privaten Krankenversicherer vor der Rabatteinforderung zu prüfen hätten, ob die Leistungsvoraussetzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung vorlägen; das sei weder praktikabel noch vom Gesetzgeber gewollt gewesen. Eine Abschlaggewährung für ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung „entsprechend“ § 130a Abs. 1 SGB V könne nur heißen, dass Rabatte zu gewähren sind, wenn dieses nach seinen Regularien die Kosten der Arzneimittel zu erstatten habe, was in Bezug auf die Beklagte bei allen Lifestyle-Medikamenten der Fall sei.
Die telelogische Auslegung stütze das vom Landgericht für richtig gehaltene Ergebnis ebenfalls nicht. Der Zweck des AMRabG, Einsparungen für Versicherte im Bereich der privaten Krankenversicherung zu erreichen, dürfe nicht unter Rückgriff auf Verhältnismäßigkeitsgrundsätze nivelliert werden. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber eine möglichst geringe Belastung der pharmazeutischen Unternehmer bezweckt habe. Eine Privilegierung der Hersteller von Lifestyle-Medikamenten durch Ausnahme von der Rabattpflicht sei nicht gerechtfertigt, weil die Versichertengemeinschaft auch durch die Kosten dieser Arzneimittel belastet würde und insoweit ein relevantes Einsparpotential vorhanden sei. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordere nicht, eine Norm stets grundrechtseingriffsminimierend auszulegen und zwischen verschiedenen Gruppen verschreibungspflichtiger Medikamente zu differenzieren. Die Klägerin behaupte selbst nicht, durch die von der Beklagten begehrten Abschläge unverhältnismäßig belastet zu werden; tatsächlich betrage der Anteil der streitigen Rabatte für Lifestyle-Medikamente lediglich durchschnittlich 0,13% am Gesamtvolumen der nach § 1 AMRabG geltend gemachten Abschläge. Die Gesetzesbegründung liefere ebenfalls keinen Hinweis darauf, den Anspruch auf Rabattgewährung auf die Fälle zu beschränken, bei denen in der gesetzlichen Krankenversicherung die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch des Versicherten vorgelegen hätten und ein Rabatt angefallen wäre.
Die Argumentation des Landgerichts sei unzutreffend, wonach sich aus der Verweisung in § 1 AMRabG auf § 130a Abs. 3 SGB V ergebe, dass der Gesetzgeber die Pflicht zur Gewährung von Herstellerrabatten in der privaten Krankenversicherung im Wesentlichen an die Rechtslage in der gesetzlichen Krankenversicherung habe angleichen wollen. Denn die Sonderregelung des § 130a Abs. 3 SGB V erfasse nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel, während Gegenstand des vorliegenden Verfahrens verschreibungspflichtige Arzneimittel seien. Außerdem schließe die Annahme einer Rechtsgrundverweisung auf § 130a Abs. 3 SGB V nicht aus, dass im Übrigen eine Rechtsfolgenverweisung vorliege.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der Gesetzgeber habe mit dem AMRabG die Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht privilegieren, sondern ihnen lediglich in dem gleichen Umfang einen Anspruch auf Gewährung von Herstellerrabatten zubilligen wollen, wie sie zuvor bereits den gesetzlichen Krankenversicherungen zugestanden hätten; das ergebe sich eindeutig aus den Gesetzesmaterialien. Der von der Beklagten begehrte Herstellerrabatt für verschreibungspflichtige Arzneimittel stelle eine verfassungsrechtlich nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung und Privilegierung dar. Es stehe der Beklagten jedenfalls bei dem Abschluss von Neuverträgen frei, mit den Versicherten zu vereinbaren, die Kosten für Lifestyle-Arzneimittel – wie bei den gesetzlichen Krankenversicherungen und im Bereich der beamtenrechtlichen Beihilfe – nicht zu erstatten. Die Beklagte müsse sich fragen lassen, warum sie ihre Versichertengemeinschaft im Interesse einzelner Mitglieder an erhöhter Lebensqualität mit den Kosten für Lifestyle-Medikamente belasten wolle. Wenn sie zugunsten ihrer Versicherten freiwillig von dem Leistungsspektrum der Unternehmen der gesetzlichen Krankenversicherung abweiche, könne sie die damit verbundenen Kosten nicht über die Erstattung eines Herstellerrabattes auf die Pharmaunternehmen abwälzen. Im Ergebnis wäre das ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter. Der Gesetzgeber des § 1 AMRabG habe dessen Anwendungsbereich bewusst auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt, weil die Kosten für nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel von der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht erstattet würden, was den beabsichtigten Gleichlauf zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung hinsichtlich der Herstellerrabatte ebenfalls verdeutliche.
Die Beklagte erwidert hierauf, nach § 4 Abs. 3 MB/KK müssten private Krankenversicherer grundsätzlich die Aufwendungen für vom Arzt verschriebene Arzneimittel erstatten. Eine Einschränkung der Leistungspflicht sei nur unter den engen Voraussetzungen des § 203 Abs. 3 VVG möglich, die in diesem Fall aber nicht vorlägen. Die umfassende Erstattung von verschreibungspflichtigen Lifestyle-Arzneimitteln bei privat Krankenversicherten begünstige im Übrigen die Pharmaindustrie, der ein weiterer Markt mit zusätzlichen Gewinnchancen eröffnet werde. Die Verpflichtung zur Gewährung von Abschlägen nach § 1 Satz 1 AMRabG fiele demgegenüber nicht ins Gewicht. Die Klägerin würde sich trotz zu gewährender Rabatte sicherlich auch nicht beschweren, wenn § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V aufgehoben und Lifestyle-Medikamente zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden könnten, weil sich ihr Umsatz in diesem Bereich dann vervielfachen würde.
Eine Art. 3 GG widersprechende Ungleichbehandlung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung resultiere aus der Gewährung von Abschlägen für Unternehmen der privaten Krankenversicherung in Bezug auf Lifestyle-Medikamente nicht, weil es mangels Kostenbelastung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung schon an einem vergleichbaren Sachverhalt fehle. Der Gesetzgeber behandele private und gesetzliche Krankenversicherer im Bereich der Rabattgewährung ohnehin nicht vollständig gleich, weil unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 2 und 5 SGB V auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel unter den Rabattanspruch fielen, während der Anwendungsbereich des § 1 AMRabG auf verschreibungspflichtige Medikamente begrenzt sei. Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
B.
I.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch aus § 1 Satz 1 AMRabG i.V.m. § 130a Abs. 1 SGB V auf Gewährung von Abschlägen für die streitgegenständlichen Lifestyle-Arzneimittel.
1. Zur Begründung kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen werden. Dem Wortlaut des § 1 Satz 1 AMRabG ist nicht eindeutig zu entnehmen, inwieweit es sich bei der Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer zur Gewährung von Abschlägen „entsprechend § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V“ um eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung handelt, bzw. ob das Tatbestandsmerkmal des § 130a Abs. 1 Satz 1 SGB V „für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel“ bei der entsprechenden Anwendung der Vorschrift erfüllt sein muss oder nicht. Sowohl die Gesetzessystematik als auch die Materialien im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drucks. 17/3698, S. 60-61) sprechen allerdings für die Annahme einer Rechtsgrundverweisung mit der Folge, dass ein Anspruch der privaten Krankenversicherer gegenüber den Pharmaunternehmen auf Rabattgewährung nur für diejenigen verschreibungspflichtigen Arzneimittel besteht, die nach den Vorschriften der §§ 31, 34 SGB V auch zu Lasten der Krankenkassen abgegeben werden. Insbesondere der Verweis in § 1 Satz 1 AMRabG (auch) auf § 130a Abs. 3 SGB V – insoweit liegt eindeutig eine Rechtsgrundverweisung vor – ist ein starkes Indiz dafür, dass der Gesetzgeber die Pflicht zur Gewährung von Herstellerrabatten gegenüber den Unternehmen der privaten Krankenversicherung im Grundsatz so regeln wollte, dass sie in ihrem Umfang den für die gesetzlichen Krankenkassen geltenden Bestimmungen entspricht. Ein vollständiger „Gleichlauf“ hinsichtlich der Pflicht zur Rabattgewährung besteht zwar auch bei der vom Landgericht vorgenommenen Auslegung des § 1 AMRabG nicht, weil der Abschlagsanspruch auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt ist, während die gesetzlichen Krankenkassen den Anspruch unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 2 und 5 SGB V auch für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel geltend machen können. Hierbei handelt es sich jedoch um Ausnahmeregelungen, die das gefundene Auslegungsergebnis nicht entscheidend infrage stellen können. Richtig ist, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen § 34 Abs. 1 Satz 79 SGB V i.V.m. den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V bei der Verordnung von Lifestyle-Arzneimitteln keine Kostenbelastung entsteht, die durch eine Verpflichtung der Pharmaunternehmen zur Abschlagsgewährung gemildert werden müsste. Allerdings stünde es den privaten Krankenversicherungen jedenfalls beim Abschluss von Neuverträgen frei, ebenfalls einen Ausschluss von der Erstattungspflicht für derartige Medikamente zu vereinbaren, wie dies in verschiedenen landesrechtlichen Beihilfebestimmungen bereits seit langem vorgesehen ist. Es ist für die privaten Krankenversicherer auch nicht unzumutbar oder unpraktikabel, vor der Geltendmachung von Rabatten nach § 1 Satz 1 AMRabG zu prüfen, ob die betreffenden Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 34 Abs. 1 Satz 7- 9 SGB V i.V.m. den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V einem Leistungsausschluss unterliegen. Ebenso wenig greift das Argument der Beklagten, die Sonderregelung des § 130a Abs. 3 SGB V erfasse lediglich nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und falle daher von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des § 1 AMRabG. Bereits ein Blick in die von dem Gemeinsamen Bundesausschuss auf Grundlage des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erstellte und fortlaufend aktualisierte Liste von Medikamenten, für die Festbeträge gelten, zeigt, dass diese Behauptung unzutreffend ist. Für die Auslegung des § 1 AMRabG kommt es auch nicht entscheidend darauf an, welchen Anteil die streitgegenständlichen Arzneimittel an den Gesamtumsätzen der Klägerin ausmachen. Schließlich ist umgekehrt eine unzumutbare Belastung der privaten Krankenversicherungen und / oder der bei ihnen Versicherten infolge des Nichtbestehens eines Anspruchs auf Gewährung von Herstellerabschlägen für verschreibungspflichtige Lifestyle-Arzneimittel nicht ersichtlich.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde nach §§ 47, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO festgesetzt, wobei sich der Senat an der Wertangabe der Klägerin in der ersten Instanz orientiert hat. Hinreichende Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung des klägerischen Interesses an der negativen Feststellung des Rechtsverhältnisses ließen sich auch unter Berücksichtigung des (streitigen) Vortrags der Beklagten hinsichtlich der auf die streitgegenständlichen Arzneimittel entfallenden Umsatzerlöse der Klägerin bzw. ihrer Muttergesellschaft nicht gewinnen.
III.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor. Der Rechtsstreit wirft die Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ob pharmazeutische Unternehmen privaten Krankenversicherern Abschläge nach § 1 Satz 1 AMRabG für verschreibungspflichtige „Lifestyle“-Arzneimittel im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 7 und 8 SGB V zu gewähren haben.


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