IT- und Medienrecht

Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs im sog. Diesel-Abgasskandal

Aktenzeichen  41 O 97/20

Datum:
13.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21687
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 166 Abs. 1, § 195, § 199 Abs. 1, § 247 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 286 Abs. 1 S. 1, § 288 Abs. 1, § 291, § 826, § 831

 

Leitsatz

1. Die Beklagte haftet dem Kläger gemäß §§ 826, 831, 31, 249 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz, da sie ihm in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt hat.  (Rn. 12 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verjährung des Anspruchs ist nicht eingetreten.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.147,32 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 % seit dem 16.03.2015 bis zum 25.03.2020 sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.03.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Skoda Yeti, Fahrzeugidentifikationsnummer … zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwälte H. & Partner mbB, in Höhe von 492,54 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/2 und die Beklagte 1/2 zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 8.210,53 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
I.
Das Landgericht Bamberg ist gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig, Erfolgsort der von Klägerseite vorgetragenen unerlaubten Handlung ist der Wohnsitz des Klägers, da dort der vorgetragene Vermögensschaden eingetreten ist.
Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO für den Antrag zu Ziffer 2. liegt angesichts der in Ziffer 1. beantragten Zug-um-Zug-Verurteilung im Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO vor.
Die Voraussetzungen der Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) liegen vor.
II.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus §§ 826, 831, 31, 249 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 4.147,32 € zu, da diese ihm in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt hat.
a) Die Handlung der Beklagten, durch die der Kläger geschädigt worden ist, war das (rechtsgeschäftliche) Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung der Motorsteuerungssoftware (dazu unter b)), die bewirkt, dass der Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand erkannt und die Abgasbehandlung des Fahrzeugs in den sogenannten Modus 1 versetzt wird.
b) Durch diese Handlung der Beklagten hat der Kläger einen Vermögensschaden erlitten. Dieser besteht darin, dass er in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen Pkw erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen hat. Es steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der vorgelegten Urkunden, namentlich dem Fahrzeugschein (Anlage K 2), der Rechnung (Anlage K 1) und der Erklärung des Christian Löhrlein (Anlage K 15), der informatorischen Erklärung des Klägers sowie dem unbestrittenen Besitz des Klägers am streitgegenständlichen Pkw fest, dass der Kläger den Pkw über seinen Bruder erworben hatte, wobei offen bleiben kann, ob ein unmittelbarer Erwerb oder ein Zwischenerwerb seines Bruders stattfand. Dass es sich bei diesem Vertrag um einen für den Kläger wirtschaftlich nachteiligen handelt, zeigt schon die Überlegung, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb jedenfalls mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das KBA rechnen müsse. Der Kläger hat nicht das bekommen, was ihm aus dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug (LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, 3 O 139/16).
Die von der Beklagten vorgenommene Programmierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig. In der Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge. Bei verständiger Auslegung ist die von der Beklagten installierte Programmierung als Abschalteinrichtung anzusehen. Denn sie setzt die zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung im Modus 1 für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung etwa für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den sogenannten Modus 0, nämlich den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße, zu Gunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Modus abschaltet. Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem vorhanden ist oder aber lediglich eine Einwirkung auf einen „innermotorischen Vorgang“ erfolgt. Schon die Testzykluserkennung in Verbindung mit einer ausschließlich im Testzyklus erfolgenden Einwirkung auf die Abgasrückführung ist ein Verstoß gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen. Zudem liegt auf der Hand, dass auch eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist und einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller ermöglicht, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten Manipulationen jedweder Art Tür und Tor geöffnet würden und eine Vergleichbarkeit selbst unter den dem realen Fahrbetrieb fernen, genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr herzustellen wäre. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden (LG Hildesheim, a.a.O.).
c) Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen. Der objektive Tatbestand des § 826 BGB – rechtsgeschäftliches Inverkehrbringen eines Motors unter Verschweigen der Programmierung der Motorsteuerung – wurde von Personen verwirklicht, deren Verhalten sich die Beklagte gemäß §§ 166, 831 BGB zurechnen lassen muss, nämlich von ihren Mitarbeitern.
d) Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten. Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen (BGHZ 10, 232); besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich (Palandt-Sprau, BGB, § 826 Rn. 4 und § 138 Rn. 2 ff.). Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt-Sprau, § 826 Rn. 4).
Der BGH (Urteil vom 03.12.2013, XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098) hat hierzu ausgeführt: Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH, Urteil vom 20.11.2012, VI ZR 268/11, WM 2012, 2377 Rn. 25, und vom 04.06.2013, VI ZR 288/12, WM 2013, 1310 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urteil vom 20.11.2012, VI ZR 268/11, und vom 04.06.2013, VI ZR 288/12, jeweils m.w.N.).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verhalten der Beklagten sittenwidrig: Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, so dass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing und die Beklagte darauf hoffen konnte, niemals erwischt zu werden. Ein solches die Verbraucher täuschendes Verhalten ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen, nicht übermäßig strengen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen. Das Verhalten der Beklagten wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines Pkw für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der Beklagten nachteilig beeinflusst worden ist. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt (LG Hildesheim, a.a.O.). Im Übrigen nimmt das Gericht insofern Bezug auf das Urteil des BGH vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 (NJW 2020, 1962, beck-online) und schließt sich dessen Argumentation an.
e) Die Beklagte hat dem Kläger den Schaden vorsätzlich zugefügt. Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass den betreffenden verantwortlichen Mitarbeitern der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und Käufer der mit den betreffenden Motoren ausgerüstete Fahrzeuge für sie jeweils wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen. Den Verantwortlichen waren auch die oben genannten objektiven Umstände bekannt, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen.
Für die Zurechnung des Vorsatzes sind der Beklagten als Unternehmen nach § 166 Abs. 1 BGB die Kenntnisse aller Mitarbeiter zuzurechnen, die bei der Bearbeitung des inkriminierten Geschäfts mitgewirkt haben (Münchener Kommentar zum BGB, § 826 BGB Rn. 39; KG Berlin, BeckRS 2015, 15908 Rn. 51 f.). Das In-Verkehr-Bringen des streitgegenständlichen Motors bewirkte die Beklagte im rechtsgeschäftlichen Verkehr, auch wenn eine Veräußerung nicht direkt an den Kläger, sondern vermittels weiterer Beteiligter (hier zuletzt: Voreigentümerin des Fahrzeuges) erfolgte. Aus Gründen des Verkehrsschutzes ist es sachgerecht, einer juristischen Person im rechtsgeschäftlichen Verkehr in weiterem Umfang das Wissen von Mitarbeitern hinsichtlich solcher Vorgänge zuzurechnen, deren Relevanz für spätere Geschäftsvorgänge innerhalb des Organisationsbereichs dem Wissenden erkennbar ist und die deshalb dokumentiert und verfügbar gehalten oder an andere Personen innerhalb des Organisationsbereichs weitergegeben werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2001, VI ZR 12/00). Nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Organisation wäre es bei der massenhaften Verwendung der streitgegenständlichen Software in Neufahrzeugen zwingend geboten gewesen, eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen und den Vorstand über die maßgeblichen Umstände zu informieren.
Darüber hinaus ist der Beklagten auch über § 31 BGB das Verhalten ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter zuzurechnen. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, trotz entsprechenden Hinweises der Klägerseite nicht nachgekommen. Der Kläger hat naturgemäß keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Er hat den ihm insoweit zuzumutenden Vortrag erbracht. Die Beklagte hingegen hat jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so dem Kläger zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können. Der Vortrag der Beklagten, sie kläre die genaue Entstehung der Software derzeit auf und nach dem derzeitigen Ermittlungsstand sei die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf „nachgeordneter Arbeitsebene“ getroffen worden, ist unzureichend und genügt § 138 Abs. 1 ZPO, wonach die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben, nicht (LG Hildesheim, a.a.O.). Deshalb ist vorliegend mangels substantiierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon auszugehen, dass die Entscheidung vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls gebilligt worden ist. Im Übrigen nimmt das Gericht insofern Bezug auf das Urteil des BGH vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 (NJW 2020, 1962, beck-online) und schließt sich dessen Argumentation an.
f) Der Vermögensschaden des Klägers wurde durch das vorsätzliche und sittenwidrige Verhalten der Beklagten verursacht. Die Haftung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die oben genannte EU-Verordnung Nr. 715/2007 nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen dient. Verletzte Verhaltensnorm ist vorliegen das Verbot, einen anderen durch Täuschung über maßgebliche Umstände zu einem ihm nachteiligen Vertragsabschluss zu bewegen. Der Schutzzweckzusammenhang ist gegeben.
g) Rechtsfolge der gegen die guten Sitten verstoßenden vorsätzlichen Schädigung ist ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz. Der Kläger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB). Insoweit ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Kläger, wie jeder verständige Kunde und wie von ihm in Rahmen der informatorischen Anhörung auch glaubhaft dargelegt, bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis den Vertrag nicht geschlossen hätte. Demgemäß kann der Kläger beanspruchen, so gestellt zu werden, als habe er den Kaufvertrag über den Pkw nicht abgeschlossen (BGH Urteil vom 18.01.2011 – VI ZR 325/09). Im Übrigen nimmt das Gericht insofern Bezug auf das Urteil des BGH vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 (NJW 2020, 1962, beck-online) und schließt sich dessen Argumentation an.
Daher hat der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises. Allerdings hat der Kläger als Käufer die ihm erwachsenen Vorteile (Nutzung) auszugleichen. Dies bedeutet eine inhaltliche Beschränkung des Schadenersatzanspruches, die diesem von vornherein anhaftet. Es liegt auch auf der Hand, dass der Kläger die entsprechenden Vorteile gezogen hat, da er einen entsprechenden Kilometerstand des Fahrzeuges vorgetragen hat.
Unter Berücksichtigung des Vortrages des Klägers ist. dabei von einem Kilometerstand von 100.776 km (196.776 km abzüglich 96.000 km) auszugehen. Gegenteiliges hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht vorgetragen.
Der Wert der gezogenen Nutzungen ist gemäß § 287 ZPO mit 7.852,68 € zu schätzen. Es gelten dabei die gleichen Grundsätze für ein Gebrauchtfahrzeug, wie für ein Neufahrzeug. Die Gesamtlaufleistung des gerichtsbekannt robusten Fahrzeuges ist mit 250.000 Kilometern anzusetzen. Bei Gebrauchtfahrzeugen ergibt sich die Höhe des Nutzungswertes aus einer Multiplikation des Bruttokaufpreises und der zurückgelegten Fahrstrecken geteilt durch die zu erwartende Restlaufleistung (zu erwartende Gesamtlaufleistung minus Tachostand beim Kauf). Für die gefahrenen Kilometer ergibt sich somit der oben genannte Betrag.
Nach Abzug der Nutzungen in Höhe von 7.852,68 € ergibt sich der Zahlbetrag in Höhe von 4.147,32 €.
h) Verjährung des Anspruchs ist nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre und beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Dies war nach unwiderlegter Schilderung des Klägers erst Anfang 2017 der Fall, als der Kläger durch ein Schreiben der Beklagten Kenntnis erlangte, weshalb Verjährung nicht vor Ablauf des Jahres 2020 eintreten konnte. Dafür, dass die Beklagte dem Kläger das Schreiben im Februar 2016 bereits übersandt hätte, hat sie trotz Beweislast keinen Beweis angetreten. Im Übrigen ist es zwar zutreffend, dass die Thematik um die Abschaltsoftware bereits 2015 und 2016 in den Medien präsent war und die Beklagte am 22.09.2015 eine ad-hoc-Mitteilung dazu veröffentlichte. Alleine eine – von der Beklagten auch nicht hinreichend substantiiert auf den Kläger bezogen dargelegte – Kenntnis der Betroffenheit des eigenen Fahrzeuges genügt aber noch nicht für die Kenntnis sämtlicher anspruchsbegründender Umstände. Gegenstand der ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 war auch die Aussage, dass die „beanstandete Software weder Fahrverhalten, Verbrauch noch Emissionen“ beeinflusse. Damit konnte der Kläger zu diesem Zeitpunkt das Ausmaß der Betroffenheit noch nicht absehen. Die Beklagte kann dem Kläger auch nicht entgegenhalten, dass dieser auf die Aussage der Beklagten nicht hätte vertrauen dürfen und das Ausmaß der Betroffenheit entgegen der Mitteilung der Beklagten hätte erkennen müssen. Hinzu kommt, dass als anspruchsbegründende Umstände auch der Verstoß gegen die guten Sitten und die vorsätzliche Vermögensschädigung durch die Beklagte Gegenstand der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers gewesen sein müssten. Diesbezüglich wurden die internen Hintergründe erst im weiteren Zeitablauf, jedenfalls noch nicht 2015 und 2016, mit hinreichender Sicherheit der Tatsachen öffentlich bekannt und sind auch bis heute noch nicht vollständig aufgeklärt. Dass diese aufgrund der Existenz der Abschaltsoftware bereits 2015 möglicherweise hätten vermutet werden können, genügt insofern nicht.
2. Der Zinsanspruch hinsichtlich des Rückzahlungsbetrages ergibt sich bis zur Klageerhebung aus § 849 BGB. Unter Entziehung einer Sache im Sinne des § 849 BGB fällt auch die Hingabe von Geld, hier dem Kaufpreis (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 26.11.2007, Az. II ZR 167/06). Zu beachten ist hierbei jedoch, dass der Kläger Zinsen nur aus dem zurückzuzahlenden Betrag, nicht aus dem gesamten Kaufpreis beanspruchen kann. Insoweit bestimmt § 849 BGB eindeutig, dass der „Verletzte“ Zinsen (nur) aus dem zu „ersetzenden Betrag“ verlangen kann.
Die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugs- und Prozesszinsen in beantragter Höhe ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 291, 288 Abs. 1, 247 Abs. 1 BGB. Die Beklagte wurde durch das Schreiben vom 19.03.2020 ab dem 26.03.2020 in Verzug gesetzt.
3. Der Feststellungsantrag zum Bestehen eines Annahmeverzuges ist unbegründet. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges gemäß §§ 293 ff. BGB liegen nicht vor. Der Kläger hat die Rückgabe des Fahrzeuges der Beklagten nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Art und Weise angeboten.
Das im Aufforderungsschreiben vom 19.03.2020 liegende Angebot des Klägers genügt den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Angebot gemäß § 295 Satz 1 BGB nicht. Der Kläger hat das Fahrzeug zwar Zug um Zug gegen Erfüllung der geltend gemachten Forderung auf Rückzahlung des Kaufpreises angeboten. Allerdings hatte der Kläger keine ausreichende Nutzungsentschädigung angeboten, da er diese auf einer Gesamtlaufleistung von 400.000 km berechnete. Die geltend gemachte Forderung hat die tatsächlichen Ansprüche des Klägers damit deutlich überschritten. Dementsprechend ist der Annahmeverzug zu verneinen, weil der Kläger die von ihm zu erbringende Leistung – ausreichenden Wertersatz für gezogene Gebrauchsvorteile – nicht angeboten hat (OLG Koblenz NJW 2009, 151; OLG Karlsruhe NJW 2008, 925).
4. Im Rahmen des geschuldeten Schadensersatzes kann der Kläger von der Beklagten nach §§ 826, 249 Abs. 1 BGB auch Zahlung der entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, jedoch nur in Höhe von 492,54 €.
Ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 4.147,32 € war nur eine 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer anzusetzen. Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3, die die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle darstellt, auf eine 2,0 Gebühr ist der gerichtlichen Überprüfung hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr nicht entzogen. Eine Erhöhung über die Regelgebühr hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Das vorliegende Verfahren ist eines von vielen gleichartigen Verfahren, die von den Klägervertretern betreut werden. Es wird überwiegend mit entworfenen Textbausteinen gearbeitet. Eine umfangreiche oder schwierige Tätigkeit kann nicht gesehen werden (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 27.12.2016, 5 U 82/16).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für den Kläger aus § 709 S. 1 und 2 ZPO und für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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