IT- und Medienrecht

Schadenersatzpflicht des Mutterkonzerns bei Inverkehrbringen einer gesetzeswidrigen Abschaltvorrichtung in Dieselmotoren

Aktenzeichen  61 O 496/18

Datum:
2.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 45129
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249, § 826
ZPO § 32, § 287
VO (EG) 715/2007 Art. 3 Abs. 10, Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Eine Motorsteuerungssoftware, die den Betrieb des Fahrzeugs auf dem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkennt und die Abgasbehandlung in den sog. Modus 1 versetzt, ist eine Abschaltvorrichtung, die gegen Art. 5 Abs. 2 iVm Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 verstößt und damit gesetzeswidrig ist. (Rn. 45 und 49) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einen Konzern trifft eine sekundäre Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von einer Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es ist sittenwidrig, wenn die mit dem Einsatz einer gesetzeswidrigen Abschaltvorrichtung einhergehende Täuschung dem Zweck dient, zur Kostensenkung rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine Haftung aus § 826 BGB gegen den Mutterkonzern scheidet nicht deswegen aus, weil die VO (EG) Nr. 715/2007 nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen dient oder Ansprüche des Käufers gegen den Verkäufer bestehen (entgegen LG Köln BeckRS 2016, 115442).  (Rn. 54 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
5 Der Schaden entfällt nicht durch das Aufspielen eines nachträglich entwickelten Software-Updates. (Rn. 64 – 66) (redaktioneller Leitsatz)
6 Im Rahmen des Schadensersatzanspruches aus § 826 BGB muss der Geschädigte sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. (Rn. 67 und 68) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 22.271,42 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2018 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 22.02.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 27 % und die Beklagte 73 % zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.435,49 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Da die Beklagte nicht Vertragspartnerin der Klagepartei beim Kauf des streitgegenständlchen Fahrzeugs war, kommen nur deliktische Ansprüche der Klagepartei gegen die Beklagte in Betracht.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Regensburg ist örtlich gem. § 32 ZPO zuständig, da der behauptete Schaden bei der Klagepartei, die im Bezirk des Gerichts wohnt, eingetreten ist. Damit ist der Erfolgsort der behaupteten unerlaubten Handlung im Bezirk des Landgerichts Regensburg.
II.
Die Klage ist überwiegend begründet.
1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Anhand des vorgelegten Kaufvertrages (Anlage K1) und der Angaben der Klägerin im Termin, bestehen für das Gericht keine Zweifel, daran, dass die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug erworben hat.
2. Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ergibt sich aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB.
a) Die Beklagte hat der Klagepartei in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt. Die Handlung, durch die die Beklagte die Klagepartei geschädigt hat, war das Inverkehrbringen – unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung – von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte.
Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beklagte das gesamte Fahrzeug hergestellt hat. Sie hat jedenfalls den manipulierten Motor durch Verkauf an Seat in den Verkehr gebracht, wobei sie ohne jeden Zweifel damit rechnete, dass der Motor in Fahrzeuge, die für den Verkauf an Kunden bestimmt sind, eingebaut wird.
Es kann daher im Ergebnis dahingestellt bleiben, inwieweit die Beklagte einen bestimmenden Einfluss auf Seat hat.
Durch die Handlung der Beklagten hat die Klagepartei einen Vermögensschaden erlitten. Dieser besteht darin, dass sie in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen PKW erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat. Dass es sich bei diesem Vertrag um einen für die Klagepartei wirtschaftlich nachteiligen handelt, zeigt schon die Überlegung, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb jedenfalls mit der Untersagung des Betriebs des Fahrzeugs durch die Zulassungsbehörden für den Fall der Entdeckung der Manipulation rechnen müsse. Die Klagepartei hat nicht das bekommen, was ihr aus dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug, das für den Betrieb auf öffentlichen Straßen zulassungsfähig ist.
Die streitgegenständliche Programmierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig. In der Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge. Bei verständiger Auslegung muss die von der Beklagten installierte Programmierung als Abschalteinrichtung angesehen werden. Denn sie setzt die zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung im Modus 1 für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung etwa für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den sogenannten Modus 0, nämlich den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße, zu Gunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Modus abschaltet. Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem vorhanden ist oder aber lediglich eine Einwirkung auf einen innermotorischen Vorgang erfolgt. Schon die Testzykluserkennung in Verbindung mit einer ausschließlich im Testzyklus erfolgenden Einwirkung auf die Abgasrückführung ist ein Verstoß gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen. Zudem liegt auf der Hand, dass auch eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist und einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller ermöglicht, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten Tricks und Manipulationen jedweder Art Tür und Tor geöffnet würden und eine Vergleichbarkeit selbst unter den dem realen Fahrbetrieb fernen, genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr herzustellen wäre. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden.
b) Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen. Zwar setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15 -). Davon ist aber für die hier zu treffende Entscheidung auszugehen. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, nicht einmal ansatzweise nachgekommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten trifft sie eine entsprechende sekundäre Darlegungslast. Die Beklagte selbst weist zutreffend darauf hin, dass eine solche sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der (primär) darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGHZ 140, 156, 158 f, juris). Das ist hier der Fall: Die Klagepartei hat naturgemäß keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Er hat den ihm insoweit zuzumutenden Vortrag erbracht. Die Beklagte hingegen (und wer wenn nicht sie?) hat jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so der Klagepartei zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können. Zu einer substantiierten Darlegung hätte umso mehr Anlass bestanden, als es sich bei der Einführung einer manipulierten, auf Verzerrung der Prüfstandwerte ausgerichteten Motorsteuerungssoftware um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Reichweite und – wie die wirtschaftlichen Folgen des sogenannten Abgasskandals zeigen – ebenso großen Risiken handelt, bei der kaum anzunehmen ist, dass sie von einem am unteren Ende der Betriebshierarchie angesiedelten Entwickler in eigener Verantwortung getroffen worden ist. Deshalb muss in der hier zur Entscheidung stehenden prozessualen Lage mangels substantiierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon ausgegangen werden, dass diese Entscheidung vom Gesamtvorstand angeordnet oder doch jedenfalls „abgesegnet“ worden ist.
c) Die Beklagte hat der Klagepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt. Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren Inverkehr brachte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und die ihrer Tochterunternehmen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen. Die Beklagte weiß ohne jeden Zweifel, dass die von ihr manipulierten Motoren in Kraftfahrzeugen eingebaut werden, die für den Verkauf bestimmt sind und dass es bei Kraftfahrzeugen auch absolut üblich ist, dass sie nicht nur einmal, sondern mehrmals, dann als Gebrauchtwagen, verkauft werden. Damit nimmt die Beklagte auch billigend in Kauf, dass immer wieder für die Kunden nachteilige Verträge über die Fahrzeuge mit den manipulierten Motoren geschlossen werden.
d) Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten. Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen (BGHZ 10, 232); besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich (Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., Rn. 4 zu § 826 und Rn. 2 ff zu § 138). Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, a.a.O., Rn. 4 zu § 826). Der BGH (Urteil vom 3.12.2013 – XI ZR 295/12 -, NJW 2014, 1098, zitiert nach juris) hat hierzu ausgeführt: Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH, Urteile vom 20. November 2012 – VI ZR 268/11, WM 2012, 2377 Rn. 25 und vom 4. Juni 2013 – VI ZR 288/12, WM 2013, 1310 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urteile vom 20. November 2012 – VI ZR 268/11, a.a.O. und vom 4. Juni 2013 – VI ZR 288/12, a.a.O., jeweils m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen hat der BGH im dort zu entscheidenden Fall das Verhalten von Fondsinitiatoren, die Anlegern einen Weiterveräußerungsgewinn verschwiegen hatten, als sittenwidrig eingestuft.
Unter Anwendung dieser Grundsätze muss auch das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig angesehen werden. Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit und lässt das teilweise in den Medien verharmlosend als „Schummelei“ bezeichnete Vorgehen weder als „Kavaliersdelikt“ noch als „lässliche Sünde“ erscheinen. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, so dass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing und die Beklagte darauf hoffen konnte, niemals erwischt zu werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Beklagte in Kauf nahm, dass die Kunden ein Fahrzeug erwerben, dass nicht nur einen gewöhnlichen Mangel hat, sondern sich dieser dadurch qualifiziert, dass den Kunden die Untersagung der Betriebserlaubnis für das Fahrzeug droht, wenn sie jetzt nicht ihrerseits tätig werden und in dem Fahrzeug eine neue Software einbauen lassen. Ein solches die Verbraucher täuschendes Verhalten ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen, nicht übermäßig strengen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen und ebenso verwerflich wie in der Vergangenheit etwa die Beimischung von Glykol in Wein oder von Pferdefleisch in Lasagne. Das Verhalten der Beklagten wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines PKW für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der Beklagten nachteilig beeinflusst worden ist. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt.
e) Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheidet – entgegen der etwa vom Landgericht Köln (Urteil vom 7.10.2016 – 7 O 138/16 -) vertretenen Auffassung – nicht deshalb aus, weil die oben genannte Verordnung nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen dient. Denn die Haftung aus § 826 BGB hängt nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche Normen der Schädiger gehandelt hat.
Unerheblich ist auch, ob die betroffenen Fahrzeugkäufer bei Nichtanwendung des § 826 BGB nicht rechtlos gestellt würden, weil sie in aller Regel über Rechtsschutzmöglichkeiten im Verhältnis zum Verkäufer verfügen würden (so aber LG Köln, a.a.O.). Denn das Bestehen von kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten keinesfalls aus. Das bedeutet keine Ausweitung des Deliktsrechts, sondern lediglich dessen konsequente Anwendung.
f) Im übrigen widerspricht hier die Haftung der Beklagten aus Delikt auch nicht den grundsätzlichen Wertungen des Kaufrechts. Denn dass das Fahrzeug der Klagepartei in das der von der Beklagten manipulierte Motor eingebaut war, einen Mangel hat, weil ihm konkret gerade weil es den manipulierten Motor hat, der Entzug der Zulassung drohte, steht außer Frage. Es genügt nicht, dass ein Fahrzeug nur fahrbereit und technisch sicher ist.
Dieser Mangel ist auch nicht unerheblich. Unterstellt man zu Gunsten der Beklagten, dass der Mangel b mit einem geringen Kostenaufwand zu beseitigen sei, wäre der Mängelbeseitigungsaufwand in der Tat im Verhältnis zum Kaufpreis äußerst geringfügig. Damit läge nur eine unerhebliche Pflichtverletzung vor. Für die Beantwortung der Frage der Erheblichkeit ist jedoch nicht allein auf das Verhältnis des Mangelbeseitigungsaufwands zum Kaufpreis abzustellen, sondern es ist eine umfasste Interessenabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles durchzuführen. Diese ergibt im konkreten Fall, dass der Mangel erheblich ist, weil die grundsätzliche Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugs eine wichtige Eigenschaft des Fahrzeugs ist, die hier fehlte. Das Vorbringen der Beklagtenseite, das mit einem ganz geringfügigen Aufwand der Mangel behoben werden könnte, ist nicht nachvollziehbar, denn dann wäre zu fragen, warum rechtswidrige Software überhaupt eingesetzt worden ist.
Letztlich spricht viel dafür, dass den Käufern aus kaufrechtlicher Sicht auch unzumutbar sein könnte, eine Nachbesserung in Form des Updates durchzuführen zu lassen. Zwar erklärt die Beklagte, dass das Update keine negativen Folgen für die Fahrzeuge habe. Das Gericht hat an dieser Argumentation aber Zweifel, denn es fragt sich, warum die Beklagte keine Garantien auf das Softwareupdate gibt, wenn es angeblich offensichtlich ist, dass das Update keine negativen Folgen für das Fahrzeug hat. Außerdem könnte man durchaus auch die Meinung vertreten, dass es den einmal getäuschten Kunden unzumutbar sein könnte, nun demselben Hersteller und denselben Behörden vorbehaltslos zu vertrauen.
Letztlich müssen die Fragen nicht abschließend geklärt werden, weil jedenfalls durch die Haftung der Beklagten aus Delikt grundsätzliche Wertungen aus dem Kaufrecht nicht unterlaufen werden.
3. Es kann dahinstehen, ob auch ein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 BGB und § 263 StGB bzw. § 27 EG-FGV bzw. aus § 831 BGB vorliegt.
4. Die Beklagte hat als Rechtsfolge des Schadensersatzanspruches den Kaufpreis sowie den Wertersatz für das in Zahlung gegebene Fahrzeug Zug um Zug gegen Herausgabe des Pkw’s zu erstatten.
Nach § 249 BGB ist im Rahmen des Schadensersatzes der Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Hätte die Beklagte den mit der manipulierten Software versehenen Motor nicht in den Verkehr gebracht, wäre er nicht in den streitgegenständlichen PKW eingebaut und der PKW so nicht verkauft worden. Dann hätte die Klagepartei den Kaufvertrag über dieses von ihm erworbene Fahrzeug nicht geschlossen. Also ist sie bei konsequenter Anwendung des Schadensersatzrechts so zustellen, wie sie ohne den Kaufvertrag stehen würde. Die Klagepartei ist nicht nur so zu stellen, wie wenn das Fahrzeug den Mangel nicht hätte, weil sie mit dieser Betrachtung gezwungen wäre, das Fahrzeug mit dem manipulierten Motor zu behalten.
Damit hat die Beklagte der Klagepartei den gezahlten Kaufpreis zu erstatten, also 26.830,- €. Zug um Zug ist die Klagepartei verpflichtet, das Fahrzeug herauszugeben.
5. Der Schaden ist auch nicht dadurch entfallen, dass die Klagepartei das von der Beklagten entwickelte Software-Update aufspielen konnte, weil dadurch nach Überzeugung des Gerichts der Schaden nicht vollständig kompensiert wurde.
Zwar trägt die Beklagte vor, dass mit dem Update das Fahrzeug nunmehr nur noch in dem Modus betrieben werde, der vorher nur auf dem Prüfstand eingeschaltet war. Daher bestehe keine Gefahr mehr, dass die Zulassung entzogen werden könnte. Die Beklagte erklärt auch, dass das Update von den Behörden freigegeben worden sei. Es sei bescheinigt worden, dass es keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug habe. Der Kläger hat bisher auch noch keine konkreten negativen Auswirkungen des Updates bemerkt, verweist aber darauf, dass das Update zu erhöhtem Co2 Ausstoß führen könne und trotz des Update ein Wertverlust eingetreten sei.
Nachträgliche Entwicklungen sind grundsätzlich bei der Beurteilung des Schadens einzubeziehen. Der Schaden entfällt aber nur dann, wenn er durch eine nachträgliche Entwicklung vollständig kompensiert wird. Im vorliegenden Fall kann der nachträgliche Einbau des Updates den Schaden, der durch den nachteiligen Vertrag für die Klagepartei eingetreten ist, nicht vollständig kompensieren. Dies folgt schon aus den Unsicherheiten, die in der öffentlichen Diskussion über die Folgen des Updates entstanden sind. Das Update ist nicht unumstritten, auch wenn die Beklagte nachteilige Folgen bestreitet und die Klägerin in der persönlichen Anhörung keine konkreten negativen Auswirkungen berichtete. Die Gefahr negativer zukünftiger Folgen verbunden mit dem sich fortsetzenden negativen Makel, ein Auto zu besitzen, das vom „Abgasskandal“ betroffen war, genügt, um keine vollständige Kompensation annehmen zu können.
6. Im Rahmen des Schadensersatzanspruches hat die Klagepartei sich die gezogenen Nutzungen anzurechnen lassen.
Die vom Vertreter der Klagepartei vertretene Ansicht, dass sich Verbrechen nicht auszahlen dürften und die Beklagt jetzt keine Gesetzestreue einfordern dürfe, wenn sie sich selbst nicht an die Gesetzte gehalten hat, überzeugt nicht. Der Kläger hat das Fahrzeug ohne jeden Zweifel bisher ohne Problem nutzen können. Dadurch hat er einen Vorteil erzielt, weil er, wenn er diesen Vertrag nicht geschlossen hätte, sich anderswo ein Fahrzeug hätte kaufen müssen. Der Gedanke der Rache ist dem Rechtsstaat fremd. Die Beklagte wird auch, wenn sich der Kläger Nutzungsvorteile anrechnen lassen muss, nicht unbillig entlastet.
Die Laufleistung von 63.067 km zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist unbestritten. Gem. § 287 ZPO legt das Gericht eine Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges von ca. 250.000 km zugrunde. Daraus errechnet sich ein Vorteilsausgleich in Höhe von 4.558,58 € wie folgt: Kaufpreis 26.830,- € × Laufleistung von 38.262 km : Restlaufleistung 225.195 km = 4.558,58 €.
Damit hat die Beklagte der Klagepartei einen Betrag von 22.271,42 € zu erstatten. Hinsichtlich des überschießenden Betrages ist die Klage abzuweisen.
7. Die Pflicht zur Verzinsung dieses Betrages ab 22.02.2018 ergibt sich aus §§ 286 II Nr. 3, 288 BGB.
8. Die Kreditkosten sind nicht zu erstatten.
Die Beklagte hat den Anfall der Kreditkosten bestritten und die Klägerin hat keinen diesbezüglichen Nachweis geführt.
9. Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet. Die Klagepartei hatte der Beklagten im Schreiben vom 07.02.2018 das Fahrzeug wirksam angeboten.
10. Die Anwaltskosten sind nicht zu erstatten.
Die Beklagte hat den Anfall der Anwaltskosten bestritten und die Klägerin hat keinen diesbezüglichen Nachweis geführt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO und für die Streitwertfestsetzung war § 3 ZPO maßgeblich.


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