IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Schaden, Abgasskandal, Fahrzyklus, Dieselmotor

Aktenzeichen  71 O 1897/19

Datum:
25.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5837
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 311 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.969,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Pkw Skoda Fabia mit der Fahrgestellnummer an die Beklagte.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung der Klägerin in Höhe von 729,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2019 an die Klägerin zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 34%, die Beklagte trägt 66%.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 9.800,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig.
Der Antrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde, ist zulässig, das Feststellungsinteresse ergibt sich aus § 756 Abs. 1 ZPO.
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises ihres Fahrzeugs Zug-um-Zug gegen Herausgabe dieses Pkw. Allerdings muss sie sich die gezogenen Gebrauchsvorteile für die mit dem Pkw zurückgelegte Fahrtstrecke anrechnen lassen.
a) Ein Anspruch aus § 311 BGB besteht allerdings nicht. Die EU-Übereinstimmungsbescheinigung richtet sich nicht an den Verbraucher; es ist nicht ersichtlich – geschweige denn vorgetragen -, dass diese der Klägerin überhaupt bekannt war. Aus einem bloßen guten Renommee der Beklagten als Mutter der Fahrzeugherstellerin kann kein Schuldverhältnis im Sinne von § 311 Abs. 2 BGB entstehen.
b) Der klägerische Anspruch ergibt sich aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog. Die Beklagte hat der Klägerpartei in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
(1) Die Handlung, durch die die Beklagte die Klagepartei geschädigt hat, war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs, deren Motorsteuerung so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im NEFZ erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte, wobei die Beklagte das Vorhandensein der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung verschwieg. An der Unzulässigkeit der installierten Einrichtungen ist spätestens seit der vom KBA angeordneten Rückrufaktion nicht mehr zu zweifeln.
(2) Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen.
(a) Im Rahmen der Repräsentantenhaftung wird auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren, wobei es nicht notwendigerweise auf die satzungsgemäße Vertretung der juristischen Person ankommt.
(b) Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt. Die bloße Behauptung der Beklagten, „nach dem derzeitigen Erkenntnisstand“ – wohlgemerkt der Beklagten betreffend interne Vorgänge! – sei davon auszugehen, dass die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu entwickeln und zu verwenden, unterhalb der Vorstandsebene getroffen worden sei, genügt nicht zur Entkräftung.
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt liegt jedoch unzweifelhaft vor. Ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar.
(3) Die Beklagte hat der Klagepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt. Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher ausgeschlossen, so dass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte. Dasselbe gilt für die Verwendung des Motors, in dem die Software implementiert war.
Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss ebenso davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren in den von ihr hergestellten Fahrzeugen verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und ihrer Tochterunternehmen sowie die Käufer von betroffenen Gebrauchtwagen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
(4) Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten. Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit (siehe zum Ganzen statt vieler LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az. 3 O 139/16, VuR 2017, 111).
(5) Der Klagepartei ist durch die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag ein Schaden entstanden, der einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs auslöst gemäß §§ 249 ff. BGB.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also die Ausstellung der unrichtigen Bescheinigung, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, führt dies zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber wie die Klägerin infolge des der Beklagten zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte die Beklagte offengelegt, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge gerade keinem genehmigten Typ entsprechen, hätten deren Erwerber davon abgesehen, diese Fahrzeuge zu kaufen.
Letzlich kommt es auf das konkrete Motiv der Klägerin beim Fahrzeugkauf nicht an. Aus Sicht des Gerichts ist jeder Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterliegt. Keinem Erwerber lässt sich unterstellen, ihm wäre gleichgültig, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß produziert und in den Verkehr gebracht worden ist oder nicht. Die Investition in ein neues Fahrzeug, das diese Eigenschaft nicht aufweist, ist aus Sicht des jeweiligen Erwerbers dann zweckwidrig, selbst wenn man unterstellt, dass das haftungsträchtige Verhalten zu keinerlei in Geld zu bemessender Einbuße geführt hat.
Hierin liegt auch kein allgemeiner Vermögensschutz, der im Deliktsrecht ja gerade nicht gelten soll, sondern es wird konkret auf den Vertragsschluss als Schaden abgestellt.
(6) Damit kann auch das durchgeführte Softwareupdate den einmal eingetretenen Schaden, nämlich die Bindung an den so nicht gewollten Vertrag, nicht beseitigen.
Unabhängig von der Frage, ob dieses im Hinblick auf seine höchst umstrittenen Folgen überhaupt technisch geeignet ist, den Schaden zu beseitigen, kommt es auf dessen Wirkung nicht an. Maßgeblich für die Frage des Schadens ist der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs. Der Schadenseintritt war zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Dem Deliktsrecht ist eine Nacherfüllungsverpflichtung und eine damit korrespondierende Pflicht zur Hinnahme der Nacherfüllung, wie sie das Kaufrecht vorsieht, fremd.
Hinzu kommt, dass die Klägerin das Softwareupdate nicht aus Gründen der Schadensbeseitigung hat durchführen lassen, sondern weil das Fahrzeug von der vom KBA angeordneten Rückrufaktion betroffen war und anderenfalls eine Betriebsuntersagung gedroht hätte. In der Durchführung des Updates kann daher kein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gesehen werden.
(7) Da es hier nicht um den Schutz des Vermögens geht, sondern der Vertrag als solcher den zu beseitigenden Schaden darstellt, hat die Klägerin zwar Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, muss sich aber die erlangten Gebrauchsvorteile im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB in Abzug bringen lassen.
Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zug-um-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist im vorliegenden Fall auf 1.830,87 € festzusetzen. Die Berechnung nimmt das Gericht dabei im Rahmen der Schätzung gemäß § 287 ZPO nach folgender Formel vor (vgl. BGH, Entscheidung vom 09.12.2014, VIII ZR 196/14):
Bruttokaufpreis (€) x gefahrene Strecke (km)
Restleistung bei Vertragsschluss (km)
Das Gericht geht im Rahmen der Berechnung weiter aufgrund einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 300.000 km aus (so auch LG München I, Az. 23 O 23033/15).
Die Nutzungsentschädigung beläuft sich daher auf 9.800,00 € (Kaufpreis) x 50.496 (von der Klägerin gefahrene km) : 270.287 (Gesamtlaufleistung abzüglich Kilometer beim Kauf) = 1.830,87 €.
Es verbleibt daher ein Rückzahlungsbetrag an die Klagepartei in Höhe von 7.969,13 €. c)
Der Anspruch ist nicht verjährt.
(a) Es gilt die regelmäßige Drei-Jahres-Frist nach § 195 BGB. Diese beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Die Beklagte, der die Einrede der Verjährung zugute käme, ist für die dafür maßgeblichen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. Der streitgegenständliche Anspruch ist bereits mit Kaufvertragsschluss, spätestens jedoch mit Verjährung der kaufvertraglichen Mängelrechte entstanden. Allerdings hat die Klagepartei zur Überzeugung des Gerichts bis Ende des Jahres 2015 weder von allen anspruchsbegründenen Umständen Kenntnis erlangt, noch ist dem Kläger insofern grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen.
(b) Die Klagepartei hatte von den anspruchsbegründenden Umständen, insbesondere von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Abgasskandal, im Jahr 2015 noch keine positive Kenntnis erlangt.
Die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (BGH, Urteil vom 15.3.2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187).
Zunächst beruht die Behauptung der Beklagten, die Klagepartei habe bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis von der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Umschaltlogik und allen anderen anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt, lediglich auf der Mutmaßung der Beklagten, dass durch öffentliche Bekanntmachungen, öffentliche Berichterstattung und die Schaffung einer eine Website zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit durch die Beklagte im Jahr 2015 der Abgasskandal allgemein bekannt gewesen sei und deshalb auch der Klagepartei nicht verborgen geblieben sein könne.
Dieser Sachvortrag lässt jedoch jeden individuellen Bezug zur Klagepartei vermissen. Insbesondere hat die Beklagte nicht einmal vorgetragen, dass die Fahrzeugidentifikationsnummer des klägerischen Fahrzeugs im Jahr 2015 in die Suchmaske der zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit vom Abgasskandal geschalteten Website eingetragen und eine Abfrage gestartet worden sei. Nicht einmal allgemein trägt die Beklagte vor, wie viel Prozent der betroffenen Fahrzeugidentifikationsnummern im Jahr 2015 überhaupt tatsächlich bereits auf der Homepage überprüft wurden, wie stark die Homepage also zu diesem frühen Zeitpunkt des Skandals von den getäuschten Fahrzeugeigentümern angenommen wurde. Eine andere Erkenntnismöglichkeit der Klagepartei von der individuellen Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Jahr 2015 trägt die Beklagte auch nicht vor. Ihre Behauptung, der Kläger habe Kenntnis von der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Umschaltlogik gehabt, dürfte bereits vor diesem Hintergrund als Äußerung „ins Blaue hinein“ unbeachtlich sein.
Die informatorische Anhörung der Klägerin hat keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass diese im Jahr 2015 positive Kenntnis davon hatte, dass das streitgegenständliche Fahrzeug überhaupt vom Abgasskandal betroffen ist. Sie hat – für das Gericht absolut nachvollziehbar und überzeugend – dargestellt, dass sie erst 2016 oder 2017, nämlich mit dem Anschreiben durch die Beklagte zur Durchführung des Software-Updates, erfahren habe, dass dieser Skandal auch ihr Fahrzeug betreffe.
Es gibt keinen Anlass, am grundsätzlichen Wahrheitsgehalt der Aussage der Klägerin zu zweifeln. Die Klägerin hat sich im Termin als durchschnittlich nachrichtenaffin gezeigt, an automobilen Themen war sie eher wenig interessiert. Aus Sicht des Gerichts bedurfte es aber jedenfalls im Jahr 2015 schon einer überdurchschnittlichen Aufmerksamkeit für Automobilthemen, um aus den damaligen ersten Meldungen bereits positive Kenntnis der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu erlangen. Die Klägerin war bei Jahresende 2015 gerade gut zwei Jahre lang Halterin des streitgegenständlichen Fahrzeugs, sie hatte kein Interesse an einem Pkw-Kauf oder sonst Anlass, Themen aus der Automobilbranche mit erhöhtem Interesse zu verfolgen. Weiter war – gerichtsbekannt – zunächst in den Medien von Fahrzeugen der Marke VW, kurz darauf von Fahrzeugen der Marke Audi die Rede. Die Marke Skoda spielte in der gesamten Berichterstattung, insbesondere zu Beginn der medialen Aufarbeitung Ende 2015, eine untergeordnete Rolle. Dies setzt sich dem Grunde nach bis zum heutigen Tage fort.
(c) Die Klagepartei muss sich auch nicht entgegen halten lassen, dass eine fehlende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umständen im Jahr 2015 zumindest grob fahrlässig war.
Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn die oben genannten Umstände dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt hat oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (BGH, Urteil vom 15.3.2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187).
Der Gläubiger ist zwar nicht gehalten, umfängliche Nachforschungen über die anspruchsbegründenden Tatsachen und die Person seines Schuldners anzustellen, aber es besteht die Obliegenheit, sich zumindest über diejenigen Umstände zu informieren, bei denen dies mühelos und ohne erheblichen Kostenaufwand möglich ist, so dass das Unterlassen von Ermittlungen geradezu unverständlich erscheint. Dabei sind jedoch die konkreten Umstände des Einzelfalls zu beachten: Im Vertragsrecht können von einem Vertragspartner regelmäßig weitergehende Nachforschungen erwartet werden als von dem Geschädigten im Deliktsrecht, auch ist die Nachforschungsobliegenheit eines Unternehmers weitergehender als jene eines Verbauchers. Eine generelle Obliegenheit des Gläubigers, Presseveröffentlichungen zu verfolgen, besteht dabei nicht (MüKoBGB/Grothe, 8. Aufl. 2018, BGB § 199 Rn. 31 m.w.N.).
Vorliegend hätte die Klagepartei also, um noch im Jahr 2015 eine schlüssige Klage erheben zu können, zwischen dem 22. September 2015 und dem 31. Dezember 2015 die Presseberichterstattung so umfassend verfolgen müssen, dass er zumindest die folgenden Punkte erfahren hätte:
– Es gibt einen Abgasskandal.
– Der streitgegenständliche Fahrzeughersteller ist betroffen.
– Der streitgegenständliche Motortyp ist betroffen.
– Die individuelle Betroffenheit kann (ausschließlich) über eine Homepage des Herstellers abgeprüft werden.
– Laut Hersteller ist das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen.
– Mitarbeiter des Herstellers haben die Software absichtlich programmiert.
– Dies ist dem Hersteller zuzurechnen.
– Zweck der Software war eine Kostensenkung zulasten eines erhöhten Schadstoffausstoßes (sittenwidriges Gepräge).
Dazu, dass auch die zuletzt genannten Punkte durch sorgfältiges Verfolgen der Presseberichterstattung bereits im Jahr 2015 für die Klagepartei erkennbar gewesen wären, hat die Beklagte schon nicht hinreichend substanziiert vorgetragen.
Während mit Blick auf die Zurechnung nach § 31 BGB analog mittlerweile eine Vielzahl von Anknüpfungstatsachen durch Parallelverfahren bekannt ist, war dies im Jahr 2015 noch nicht so, so dass damals für eine schlüssige Klage ein weitergehender Sachvortrag zu fordern war, als dies heute der Fall ist. Dies wäre allenfalls durch Kombination verschiedenster Pressequellen im Jahr 2015 möglich gewesen. Ein derart sorgfältiges Verfolgen der Presseberichterstattung stellte aber jedenfalls keine Obliegenheit der Klagepartei dar. Die Klagepartei ist Verbraucher, die Beklagte vorsätzlich handelnder deliktischer Schädiger. Einem Verbraucher ist schlicht nicht zuzumuten, Skandale eines jeden Herstellers zu verfolgen, dessen Produkte er jemals erworben hat. Auch muss ein Verbraucher schlicht aufgrund des öffentlich bekannten Bestehens eines solchen Skandals noch nicht davon ausgehen, dass ihn der Hersteller absichtlich geschädigt hat, folglich muss er die Berichterstattung auch nicht mit Blick hierauf gezielt verfolgen. Diese Situation ist auch nicht vergleichbar mit Fällen, in denen das Fahrzeug erst in den Jahren nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals erworben wurde, da man sich beim Neuerwerb eines Pkws üblicherweise deutlich umfassender informiert, als bei Skandalen zu Herstellern, deren Produkt man bereits erworben hat.
Mit Blick auf den Fahrlässigkeitsvorwurf ist auch äußerst fraglich, ob von der Klagepartei überhaupt erwartet werden konnte, die Homepage der Beklagten als Informationsquelle zu nutzten. Zu beachten ist dabei, dass hier nicht etwa eine Information von einem (selbst gewählten) Vertragspartner abzufragen war, sondern vielmehr dem Geschädigten zugemutet wurde, sich an den Hersteller, der sie getäuscht und vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, zu wenden und sich auf dessen Angaben zu verlassen. Eine dahingehende Obliegenheit scheint unbillig. Eine andere Quelle zur individuellen Betroffenheit gab es aber nicht, insbesondere hatte das KBA im Jahr 2015 die Fahrzeughalter noch nicht angeschrieben. Vor diesem Hintergrund erscheint es keinesfalls unverständlich, dass die Klagepartei im Jahr 2015 die Berichterstattung noch nicht hinreichend verfolgt hat, um alle anspruchsbegründenen Umstände zur Kenntnis zu nehmen, sofern dies im Jahr 2015 überhaupt schon möglich war.
Insoweit vermag das Gericht auch nicht der vom Oberlandesgericht München in einem Hinweisbeschluss vom 03.12.2019 (Az. 20 U 5741/19) geäußerten Auffassung zu folgen, dass in Fällen wie den vorliegenden von einem Verjährungsbeginn noch im Jahr 2015 jedenfalls wegen grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers auszugehen sei. Die bloße Möglichkeit der Kenntniserlangung vom – gerichtsbekannt – in den Medien damals bereits recht präsenten „Abgasskandal“ genügt gerade nicht. d)
Der Zinsanspruch folgt nicht aus §§ 286, 288 BGB, weil das Schreiben vom 25.03.2019 keine wirksame Mahnung darsellt. Indem die Klägerin hier ausdrücklich erklären ließ, dass die Klägerin nicht bereit sei, vom Kaufpreis eine Nutzungsentschädigung in Abzug bringen zu lassen, hat sie zum Ausdruck gebracht, zur Annahme einer geringeren Zahlung – wie sie aber nach den obigen Ausführungen eben nur zu leisten ist – nicht bereit zu sein.
Es fallen aber ab Rechtshängigkeit Zinsen gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB an. 2.
Der Feststellungsantrag ist unbegründet.
Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB liegen nicht vor, da die Klägerseite den Abzug von Nutzungsersatz ablehnt und damit den Pkw nicht in verzugsbegründender Weise anbietet.
3. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind als Teil des deliktischen Schadens, § 249 BGB, (nur) in der tenorierten Höhe aus dem zusprechenden Klageantrag zu 1) samt Verzugszinsen zu ersetzen.
Bei der Berechnung ist lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV, § 13 RVG (eine Gebühr: 456,00 €) zuzüglich Pauschale und Mehrwertsteuer anzusetzen. Dies ergibt einen Gesamtbetrag von 729,23 €.
Dass beide anwaltlichen Vertreter viel schreiben, macht aus dem Rechtsstreit keine Angelegenheit großen Umfangs, andernfalls hätten Rechtsanwälte es in der Hand, durch exzessiven Umgang mit der „copy and paste“-Technik hohe Gebühren zu generieren.
Weiter handelt es sich auch nicht um eine Angelegenheit hoher Schwierigkeit. Vielmehr ist das Verfahren ein Massenverfahren, bei dem die Schriftsätze zu mehr als 95% aus Textbausteinen bestehen, was allenfalls den Ansatz der Mittelgebühr rechtfertigt.
Die Verzinsung auch dieses Anspruchs ergibt sich ebenfalls aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
4. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
a) Dies gilt zum einen hinsichtlich der in Abzug gebrachten Gebrauchsvorteile wie auch dem Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs und der geltend gemachten Verzugszinsen vor Rechtshängigkeit, s.o.
b) Zinsen nach § 849 BGB ab Kaufvertragsschluss bzw. Bezahlung des Kaufpreises schuldet die Beklagte nicht.
§ 849 BGB ist bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Beklagte hat weder eine Sache der Klagepartei entzogen noch beschädigt. Der Kaufpreis ging vielmehr an den Verkäufer.
Außerdem ist § 849 BGB zwar über den bloßen Wortlaut hinaus auch auf die Entziehung von Geldmitteln anzuwenden (BGH, Versäumnisurteil vom 26. 11. 2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084), allerdings ist der Anwendungsbereich auf die Überlassung von Geldern ohne gleichzeitig nutzbare Gegenleistung zu beschränken. Der Zinsanspruch nach § 849 BGB soll nämlich mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte eine nutzbare Gegenleistung erhalten hat, auch wenn diese später im Rahmen eines Schadensersatzanspruches an den Schädiger übereignet wird. Denn durch einen Fahrzeugkauf, den die Klagepartei in jedem Fall beabsichtigte und nach dem sie das Fahrzeug auch nutzte, hätte sie auch ohne die Täuschung der Beklagten den Kaufpreis nicht gewinnbringend anlegen können.
Ein allgemeiner Rechtsgedanke dahingehend, dass Schadensersatzansprüche ab dem Zeitpunkt der Entstehung zu verzinsen seien, ist dem deutschen Recht fremd (Wagner, in: MüKo, § 849 Rn. 4).
c) Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen, soweit mehr als der tenorierte Betrag beantragt war.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1 ZPO.
Angesichts der Höhe der beantragten, aber nicht ausgeurteilten Deliktszinsen von 2.125,39 € sowie der weiteren Nebenforderungen war ein fiktiver Streitwert zu bilden und anhand dessen die Obsiegens- und Unterliegensquote zu ermitteln (vgl. hierzu MüKo-Schulz, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 92 Rn. 4). Dieser fiktive Streitwert (9.800,00 € zuzüglich der Deliktszinsen und eingeklagte Rechtsanwaltskosten) beträgt 13.277,14 €. Hiervon obsiegt die Klägerin in Höhe von 8.698,43 € (7.969,13 € in der Hauptsache zuzüglich 729,23 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten), mithin von etwa 66%.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708, 709, 711 ZPO.
IV.
Der Gebührenstreitwert bemisst sich nach dem Wert der Hauptsache, Nebenforderungen und Zug-um-Zug-Leistungen sind nicht zu berücksichtigen.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben