IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Vergabeverfahren, Zuschlag, Ausschreibung, Angebot, Vergabe, Klage, Nachweis, Auftragsvergabe, Streitgenossen, Zeuge, Ablauf, Zweifel, Firma, Kosten des Verfahrens, entgangenen Gewinn

Aktenzeichen  11 O 2091/1

Datum:
9.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 164749
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Das Gericht folgt der klägerischen Rechtsauffassung zunächst insoweit, als das Gericht dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch nach den §§ 280 I,241 II und 311 II Nr. 1 BGB bejaht. Im Rahmen des Vergabeverfahrens ist es zu einem Übertragungsfehler im Verantwortungsbereich der Streitgenossen gekommen, den sich die Beklagte gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Die damit verbundene Verletzung des Vergabeverfahrens begründet einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt der vorvertraglicher Pflichtverletzung. Die Beklagte war als Verantwortliche des Vergabeverfahrens gegenüber allen Bietern zur sorgfältigen Durchführung des Vergabeverfahrens insbesondere zu einer korrekten Auswertung der abgegebenen Angebote verpflichtet.
II.
Der Klage musste aber gleichwohl der Erfolg versagt bleiben, weil es dem Kläger nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass ihm wegen des festgestellten Übertragungsfehlers ein Vermögensschaden entstanden ist. Der Kläger macht mit seiner Klage ausschließlich den entgangenen Gewinn aus dem nicht erhaltenen Auftrag geltend und schuldet deshalb zunächst den Nachweis, dass er bei korrekter Durchführung des Vergabeverfahrens auch tatsächlich den Zuschlag erhalten hätte. Dies ist dem Kläger jedoch nicht gelungen; das Gericht ist im Gegenteil sogar davon überzeugt, dass der Kläger auch ohne Übertragungsfehler keinen Zuschlag erhalten hätte.
Das Gericht hat zum Ablauf des Vergabeverfahrens den Zeugen M Dieser hat sehr glaubwürdig und detailliert den Ablauf des Vergabeverfahrens geschildert. Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit waren unter keinem Gesichtspunkt erkennbar, wobei das Gericht insoweit einen besonders kritischen Maßstab angesetzt hat, weil der Zeuge als Streitgenossen durchaus Interesse am Verfahrensausgang hatte. Auch von den Parteien wurden im Rahmen der abschließenden Besprechung des Beweisergebnisses in der mündlichen Verhandlung keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit geäußert.
Nach den Ausführungen des Zeugen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Streitgenossen am Ende des Vergabeverfahrens nicht die Auftragsvergabe an den Kläger vorgeschlagen hätten.
Der Zeuge hat zwar zunächst dargelegt, dass ohne den streitgegenständlichen Übertragungsfehler das Angebot des Klägers im Preisspiegel tatsächlich an 1. Stelle gewesen wäre. Er hat hierzu vorgetragen, dass in diesem Fall das Angebot des Klägers, das rechnerisch günstigste Angebot aller Anbieter gewesen wäre. Er hat weiter ausgeführt dass dieses Angebot auch das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des § 127 I S. 1 GWB gewesen wäre, weil hinsichtlich der sonstigen Kriterien der Auftragsvergabe die Firma M und der Kläger gleichwertig waren.
Der Zeuge hat allerdings auch überzeugend darauf hingewiesen, dass er aufgrund des in der Ausschreibung enthaltenen Massefehlers gleichwohl keine Vergabeempfehlung zu Gunsten des Klägers vorgelegt hätte. Dies deswegen, weil bei Korrektur des Massefehlers das Angebot der Firma M erheblich günstiger als das des Klägers gewesen wäre. Auf die Auswirkungen des Übertragungsfehlers wäre es in diesem Fall überhaupt nicht angekommen.
Der Zeuge erläuterte ferner, dass er im Rahmen der Erstellung des Preisspiegels Vergabe rechtlich nicht berechtigt war, die Massevorgaben der Ausschreibung zu ändern und deshalb auch den Massefehler nicht korrigieren durfte. Das habe zwangsläufig dazu geführt – was mit dem Kläger im Rahmen des Bietergesprächs auch besprochen worden sei – das der erstellte Preisspiegel hinsichtlich der zu erwartenden Gesamtkosten nach Auftragsausführung irreführend war.
Nach dem der vom Zeugen eingeräumte Übertragungsfehler bei der Wertung der Angebote ohnehin zu einer Vergabeempfehlung zu Gunsten der Firma M erbracht hatte, habe der Massefehler für die Vergabeempfehlung keine Rolle gespielt.
Bei Korrektur des Übertragungsfehlers hätte sich dagegen die Situation gegeben, dass der Preisspiegel zu Gunsten des Anbieters gesprochen hätte, der vorhersehbar mit den tatsächlichen Gesamtkosten nicht mehr der günstigste Anbieter gewesen sei. Aufgrund dessen hätte er daher ohne Übertragungsfehler den Kläger im Preisspiegel an 1. Stelle gesetzt, allerdings wegen der vorhersehbaren höheren Gesamtkosten keine Vergabeempfehlung zu seinen Gunsten ausgesprochen.
Abgesehen davon, dass der Kläger nach diesen Feststellungen schon nicht den von ihm geschuldeten Beweis geführt hat, dass er den Zuschlag ohne den streitgegenständlichen Übertragungsfehler erhalten hätte, ist das Gericht nach der Aussage des Zeugen M sogar gegenteilig davon überzeugt, dass der Kläger keinen Zuschlag erhalten hätte. Das Gericht sieht keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Beklagte nach den Hinweisen des Zeugen M und aufgrund fehlender Vergabeempfehlung das Vergabeverfahren ohne Zuschlag zunächst abgebrochen hätte um nachfolgend ein neues Vergabeverfahren mit zutreffenden Massevorgaben durchzuführen.
III.
Auch die Ausführungen des Klägervertreters im nachgereichten Schriftsatz vom 28.07.2017 rechtfertigen kein anderes Ergebnis.
Die Ausführungen zum wirtschaftlichsten Angebot sind zwar insoweit zutreffend, als die Mehrkosten für die notwendige Massekorrektur keine Folgekosten der Auftragsdurchführung sind. Vorliegend ist jedoch entscheidend, dass es an einer Schädigung des Klägers fehlt, weil – wie dargestellt – dieser den Zuschlag auch ohne den Übertragungsfehler nicht erhalten hätte.
Auf den Ausschlussgrund der Mischkalkulation kommt es vorliegend nicht an.
Schließlich greifen im Ergebnis auch die Ausführungen zur Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist grundsätzlich zulässig. Der Vergabestelle bleibt es grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt (BGH, Beschluss vom 20. März 2014 – X ZB 18/13 -, Rn. 21, juris).
Ob dies im hier streitgegenständlichen Verfahren zu einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten geführt hätte kann vorliegend dahingestellt bleiben. Dieser Anspruch hätte sich vorliegend allerdings – wie regelmäßig – (vgl. BGH aaO unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 – X ZR 143/10, BGHZ 190, 89 Rn. 16 – Rettungsdienstleistungen II; Scharen in Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl., 13. Los Rn. 54). Einen solchen Schaden macht der Kläger vorliegend jedoch nicht geltend.
Der geltend gemachte weitergehende Schadensersatzanspruch auf Erstattung des positiven Interesses würde die Feststellung eines besonderen Ausnahmetatbestands erforderlich machen, der „etwa dann in Betracht käme, wenn der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit, ein Vergabeverfahren aufzuheben, in rechtlich zu missbilligender Weise dazu einsetzt, durch die Aufhebung die formalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens an einen bestimmten Bieter oder unter anderen Voraussetzungen bzw. in einem anderen Bieterkreis vergeben zu können (BGH aaO). Eine solche Absicht lässt sich vorliegend jedoch nicht feststellen.
IV.
Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 91 I, 709 ZPO.


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