IT- und Medienrecht

Schadensersatz wegen des Erwerbs eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagens (hier: VW Golf 1.6 TDI)

Aktenzeichen  15 O 3678/19

Datum:
13.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25297
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826
VO (EG) 2017/715 Art. 3 Nr. 10, Art. 5
ZPO § 286, § 287

 

Leitsatz

1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG Celle BeckRS 2020, 35127; OLG Jena BeckRS 2020, 30910; OLG München BeckRS 2020, 34041; BeckRS 2020, 32848; BeckRS 2020, 34151; BeckRS 2020, 34153; BeckRS 2020, 36057; BeckRS 2020, 38370; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29603; BeckRS 2020, 33045; BeckRS 2020, 33157; BeckRS 2020, 35123; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 25691 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs steht gegen die Herstellerin des Motors ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB auf Zahlung des für den Erwerb des Fahrzeugs aufgewandten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Kraftfahrzeugs zu. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Verfügte der in Deutschland wohnende, aber aus Island stammende Käufer im Jahr 2015 nur über unzureichende Deutschkenntnisse, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er bereits 2015 aufgrund der damaligen Berichterstattung über den Diesel-Abgasskandal von seiner eigenen Betroffenheit Kenntnis hatte, noch dass er ohne grob fahrlässig zu handeln hiervon Kenntnis hätte haben müssen. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 250.000 km; Ersatz von Finanzierungskosten; Verzugszinsen; vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nach Gebührensatz von 1,3 aus geschätztem Erstattungsanspruch im Zeitpunkt des Tätigwerdens; keine Deliktszinsen; kein Feststellungsanspruch. (Rn. 55, 59, 62, 64 – 65, 70 und 75) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.033,22 € zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von 962,99 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2018 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf 1.6 TDI mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.100,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2018 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 9% und die Beklagte zu 91% zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert wird auf 18.264,73 € € festgesetzt.

Gründe

A)
I) Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Dem Kläger steht im tenorierten Umfang ein Anspruch auf Schadensersatz aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen die Beklagte gem. §§ 826, 31 BGB zu. Dem Kläger kann auf dieser Grundlage von der Beklagten die Zahlung von 15.033,22 € zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von 962,99 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen, ihm ist mithin eine Nutzungsentschädigung i. H. v. 5.600,79 € als Vorteil anzurechnen ist, § 249 BGB.
1) Das Gericht schließt sich der Rechtsauffassung des OLG Koblenz, NJW 2019, 2237, 2237, bestätigt durch BGH NJW 2020, 1962 an. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt eine konkludente Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen konkludent die Erklärung abgibt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig (OLG Koblenz, NJW 2019, 2237, 2237 f.; OLG Karlsruhe, ZVertriebsR 2019, 178 Rn. 8).
Ein Hersteller, der ein Kraftfahrzeug in Verkehr bringt, gibt konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist. Der Hersteller bringt insoweit zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck nicht nur im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, sondern auch eingesetzt werden darf, d. h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Das setzt voraus, das nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrbundesamts erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht (vgl. OLG Karlsruhe, ZVertriebsR 2019, 178 Rn. 11).
Ausweislich des bestandskräftigen Bescheids des KBA liegt bei dem Motor des Typs EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 2017/715 (im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) vor. Schon dies genügt dem Gericht, um von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Der dies negierende Vortrag der Beklagten bleibt damit unerheblich.
Ungeachtet dessen liegt auch nach eigener Prüfung des Gerichts eine unzulässige Abschalteinrichtung und nicht nur eine rein innermotorische Maßnahme vor. Auch der BGH hat bereits darauf hingewiesen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt (BGH NJW 2019, 1133). Dem schließt sich das Gericht an.
Nach Art. 5 I VO (EG) Nr. 715/2007 hat der Hersteller von ihm gefertigte Neufahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vgl. Erwägungsgrund 12 der VO [EG] Nr. 715/2007) und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vgl. Erwägungsgrund 6 der VO [EG] Nr. 715/2007) erreicht wird (vgl. BGH, NJW 2019, 1133 Rn. 10 ff.).
Folgerichtig sieht die Verordnung die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, strikt als unzulässig an (Art. 5 II 1 VO [EG] Nr. 715/2007), sofern nicht die ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestände (Art. 5 II 2 VO [EG] Nr. 715/2007) greifen. Eine „Abschalteinrichtung“ ist nach Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
Ausgehend von diesen weitgefassten Bestimmungen handelt es sich auch bei der im Fahrzeug des Klägers installierten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 II VO (EG) Nr. 715/2007 (vgl. auch OLG Koblenz – 2. Zivilsenat, NJW-RR 2018, 376). Denn eine solche Software erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet und schaltet in diesem Fall in den Modus 1, bei dem verstärkt Abgase in den Motor zurückgelangen und sich so der Ausstoß an NOx verringert. Im normalen Fahrbetrieb hingegen aktiviert die Software den Modus 0, bei dem eine Abgasrückführung nur in geringerem Umfang stattfindet; sie ermittelt also aufgrund technischer Parameter die betreffende Betriebsart des Fahrzeugs – Prüfstandlauf oder Echtbetrieb – und aktiviert oder deaktiviert dementsprechend die Abgasrückführung, was unmittelbar die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt.
Soweit Art. 5 II 2 VO (EG) Nr. 715/2007 in bestimmten Fällen die Verwendung von Abschalteinrichtungen gestattet, liegen die hierfür erforderlichen (engen) Voraussetzungen nicht vor. Die vorgesehenen Ausnahmen kommen – nicht zuletzt aufgrund des in Art. 5 I VO (EG) Nr. 715/2007 ausdrücklich benannten Regelungszwecks dieser Vorschrift – von vornherein nicht in Betracht, wenn die betreffende Abschalteinrichtung gerade dazu dient, bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, um auf diese Weise die Einhaltung der (andernfalls nicht erreichten) Emissionsgrenzwerte sicherzustellen.
Aufgrund der beschriebenen Wirkungsweise der Software handelt es sich weder um eine Abschalteinrichtung, die notwendig ist, um den Motor vor einer Beschädigung oder einem Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 II 2 Buchst. a VO [EG] Nr. 715/2007), noch um eine Abschalteinrichtung, die nicht länger arbeitet, als dies zum Anlassen des Motors erforderlich ist (Art. 5 II 2 Buchst. b VO [EG] Nr. 715/2007).
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der von ihr eingesetzten Software nicht um eine rein innermotorische Maßnahme. Funktionen im Emissionskontrollsystem werden durch den Einsatz der Software verändert. Befindet sich das Fahrzeug im Prüfstand, wird der Abgasrückführungs-Modus 1 verwendet, in dem eine erhöhte Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet. Dadurch werden mehr Stickoxide in den Motor zurückgeführt als im Abgasrückführung-Modus 0, der im normalen Fahrbetrieb eingeschaltet ist. Durch den veränderten Modus wird erreicht, dass der Stickoxidausstoß, der das Emissionskontrollsystem erreicht, geringer ist als im normalen Fahrbetrieb. Stickoxide werden also der Messung entzogen. Dadurch wird die Funktion des Emissionskontrollsystems verändert, da die dort ermittelten Messwerte nicht denen im normalen Fahrbetrieb entsprechen. Dies ergibt sich bereits aus der eigenen Beschreibung der Funktionsweise der Softwaresteuerung seitens der Beklagte.
Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, auf die Grenzwerte im tatsächlichen Fahrbetrieb komme es gar nicht an, da sich der Gesetzgeber dafür entschieden habe, die Grenzwerte unter Laborbedingungen zu erheben. Dieses Vorbringen könnte erheblich sein, wenn die unterschiedlichen Bedingungen des Fahrbetriebs alleiniger Faktor für die Unterschiede beim NOx-Ausstoß wären. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Über die unterschiedlichen Bedingungen des Fahrbetriebs hinaus kommt – schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten – bei den betroffenen Fahrzeugen der – rechtswidrige – zusätzliche Faktor der verwendeten Software hinzu, der durch die Änderung des verwendeten Modus Einfluss auf den NOx-Ausstoß nimmt. Die Beklagte hat mit dem Einsatz der Software den Boden der rechtlich Erlaubten verlassen.
Das täuschende Vorgehen der Beklagte zielte in verschiedene Richtungen. Einerseits richtete sich die Täuschung gegen die Genehmigungsbehörde. Dieser wurde vorgespiegelt, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen. Deren Interessen vermag der Kläger aber nicht wahrzunehmen. Darüber hinaus resultiert aus den Täuschungen ein Eingriff in den freien Wettbewerb. Die Beklagte verschaffte sich dadurch, dass sie Fahrzeuge anbot, die die Voraussetzung für den Erhalt der Typengenehmigung aufgrund des Vorhandenseins der Abschalteinrichtung nicht erfüllten, eine Stellung am Markt, die sie ohne das planmäßige Vorgehen nicht oder nur mit einem erheblichen Aufwand und nur zu anderen Preisen hätte erreichen können. Auch wenn der Kläger kein Wettbewerber ist, so ist aber doch zu sehen, dass die Beklagte damit nicht nur auf die Position von Wettbewerbern am Markt, die sich einem Konkurrenten gegenüber sahen, der sich ohne die Täuschung nicht oder nur zu anderen Konditionen hätte betätigen können, Einfluss genommen hat, sondern durch Einflussnahme auf den Wettbewerb, nämlich des Angebots eines Fahrzeugs, das sonst nicht oder nur zu einem erheblich höheren Preis zur Verfügung gestanden hätte, auch auf die Kaufentscheidung des Endverbrauchers. Letztlich wurden also zwangsläufig auch die Kunden der Beklagten getäuscht, die keinerlei Möglichkeiten hatten, die Täuschung zu erkennen.
Nach Auffassung des Gerichts ist es nicht erforderlich, dass sich der Kunde bewusst mit der Frage auseinandersetzt, welche genauen Kriterien für die Erteilung der Typengenehmigung erfüllt sein müssen. Wer ein Fahrzeug erwirbt, um dieses im Straßenverkehr zu verwenden, vertraut darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, wovon die erteilte Typengenehmigung zeugt. Der Kunde weiß, dass der Konstrukteur bzw. Hersteller eines Fahrzeugs kraft seiner Fachkenntnis ihm gegenüber zwangsläufig über einen Wissensvorsprung verfügt. Da der Kunde einen Einblick in die technischen Vorgänge nicht haben kann, bringt er denjenigen, die für die Entwicklung und Zulassung der Fahrzeuge verantwortlich sind, ein besonderes Vertrauen entgegen, das sich auch in der Markenauswahl beim Erwerb eines Fahrzeugs niederschlägt. Dies hat die Beklagte zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil ausgenutzt.
Der Kläger wurde von der Beklagten getäuscht. Die allgemeinen Herstellerangaben und die Typengenehmigung bilden die Grundlage des Erwerbsgeschäftes. Insoweit täuscht die Beklagte auch in diesem Kontext die Beteiligten Kaufs im vorgenannten Sinne. Dem hat die Beklagte nicht Substanzielles entgegengesetzt. Das Inverkehrbringen des Fahrzeugs und das Verschweigen der unzulässigen Abgasabschalteinrichtung hat eine Kausalkette in Gang gesetzt, die bis zur Stilllegung des Fahrzeugs fortwirkt (so auch OLG Karlsruhe, ZVertriebsR 2019, 178). Die Täuschung wirkt damit auch innerhalb von Käuferketten außerhalb des Herrschaftsbereiches der Beklagten fort.
2) Das Verhalten der Beklagten ist auch sittenwidrig iSd § 826 BGB. Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2014, 383 [384]; NJW 2017, 250 [251]; stRspr). Daran gemessen erweist sich das Handeln der Beklagte als objektiv sittenwidrig.
Der Beweggrund für die Verwendung der Software ist (auch) in einer von der Beklagten angestrebte Profitmaximierung zu sehen. Ziel für die Handlung der Beklagten war es, die Höchstgrenzen des NOx-Ausstoßes einzuhalten und so die Typengenehmigung für die Fahrzeuge zu erhalten. Auf diese Weise sollte auf kostengünstigem Weg die Einhaltung der im multikausalen Interesse festgesetzten gesetzlichen Abgasgrenzwerte vorgetäuscht werden. Eine Einhaltung der Werte ohne die Steuerungssoftware war zum Zeitpunkt von deren Einbau entweder gar nicht möglich, mit großen Kosten oder technischen Schwierigkeiten verbunden. Einen anderen Grund für die Verwendung der Software hat die Beklagte weder vorgetragen noch ist ein solcher ersichtlich.
Die technische Lösung musste zudem nach dem Bekanntwerden der Abschalteinrichtung zunächst entwickelt, vom KBA freigegeben und dann auf diverse Fahrzeugvarianten angepasst werden. Wenn dies zum Zeitpunkt der Fahrzeugfabrikation schon problemlos und ohne großen Kostenaufwand möglich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich, warum die Beklagte den Weg der Abschalteinrichtung überhaupt gewählt hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die Täuschung gegen staatliche Behörden, Wettbewerber und Endverbraucher richtete und damit auf unterschiedliche Art eine große Zahl getäuschter Personen als Ziel hatte. Dabei hat sich die Beklagte auch das Vertrauen der Verbraucher in das bei einer unabhängigen Behörde, dem KBA, zu durchlaufende Genehmigungsverfahren zunutze gemacht. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass das Vorgehen der Beklagten systematisch erfolgte. Über Jahre hinweg wurde die Abschalteinrichtung bei mehreren Tochterunternehmen des Konzerns in diversen Fahrzeugvarianten eingesetzt. Beim Landgericht München I sind und waren eine Vielzahl von Verfahren anhängig, die sich mit derselben Problematik befassen wie das vorliegende Verfahren und bei denen die Funktionsweise der Motorsteuerung im Hinblick auf den NOx-Ausstoß jeweils unstreitig ist. Daher ist bekannt, dass neben Fahrzeugen der Marke VW auch Fahrzeuge der Marken Audi, Skoda und Seat betroffen sind, in denen der Motor des Typ EA 189 mit der Motorsteuerungssoftware zum Einsatz kam. Betroffen war entsprechend ein großer Kundenkreis, der ein Fahrzeug mit dem Dieselmotor des Typs EA 189 erworben hat und dessen Arglosigkeit seitens der Beklagten planmäßig ausgenutzt wurde. Die unstreitige Gesamtzahl der betroffenen Fahrzeuge zeigt die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten, das sich nicht auf ein Fehlverhalten in einer Nischentätigkeit beschränkt, sondern den Kernbereich ihres Handelns betroffen hat.
Zu Bedenken sind des Weiteren die Folgen der verwendeten Software für den Kunden. Aufgrund der vom KBA angeordneten Rückrufaktion muss an den Fahrzeugen ein Software-Update durchgeführt werden, dessen Folgen höchst umstritten sind. Ohne Durchführung des Updates droht ein Entzug der Betriebserlaubnis und damit die Stilllegung des Fahrzeugs. Die Verwendung der Abschalteinrichtung gefährdet damit den ureigenen Zweck des Fahrzeugs, die Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr. Das verwendete Mittel ist daher nicht akzeptabel, um den angestrebten Zweck, den Erhalt der Typengenehmigung zu erreichen. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte das bestehende Zulassungssystem ausgenutzt hat, das besonderes Vertrauen für sich an Anspruch nehmen kann. Die Erteilung der Typengenehmigung erfolgt in einem standardisierten Verfahren durch eine staatliche Stelle. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Verbraucher als technischer Laie selbst nicht nachprüfen kann, ob ein Kraftfahrzeug gesetzlichen Vorgaben entspricht. Er hat daher die berechtigte Erwartung, dass der Zulassungsprozess ordnungsgemäß durchlaufen wurde.
Es liegt mithin ein rechtlich nicht erlaubtes, in großem Stil angelegtes Vorgehen der Beklagten aus reinem Gewinnstreben vor. Die Verwerflichkeit wird durch das systematische Vorgehen und den großen betroffenen Personenkreis vertieft. Im Rahmen einer zusammenfassenden Würdigung kommt das Gericht deshalb zu dem Ergebnis, dass das Inverkehrbringen der manipulierten Fahrzeuge und das Verschweigen der Softwaremanipulation gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen.
3) Die Beklagte handelte auch vorsätzlich. Die Verwendung der Software einschließlich der der Sittenwidrigkeit zugrundeliegenden Tatsachen erfolgte auch vorsätzlich. In subjektiver Hinsicht setzt der Schädigungsvorsatz gem. § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Es genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei jener nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss (BGH, NJW 2004, 3706 Rn. 38). Für den Vorsatz genügen das Bewusstsein, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt, sowie die billigende Inkaufnahme des Schädigungsrisikos. Nicht erforderlich ist, dass der Handelnde die Schädigung eines anderen anstrebt oder als sichere Folge des eigenen Handelns akzeptiert (MüKoBGB/Wagner, § 826 Rn. 27). Die Software wurde bewusst in die Motorsteuerung eingebaut, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typengenehmigung zu erhalten. Einen anderen Zweck hatte ihre Verwendung nicht. Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass eine Entdeckung der verwendeten Software dazu führen würde, dass die Betriebserlaubnis der betroffenen Fahrzeuge würde erlöschen können. Die Beklagte hat dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Kunden als möglich erkannt und dennoch billigend in Kauf genommen. Das ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der feststellende Bescheid des KBA hingenommen wurde. Da die Beklagte wusste, dass sie die Typengenehmigung erhalten hatte, obwohl deren Voraussetzungen nicht erfüllt waren, musste sie ein Entdeckungsrisiko fürchten. Dabei ist nicht erklärlich, warum die Beklagte die Vorgänge überhaupt geheim gehalten hat, wenn sie ihr Vorgehen als rechtmäßig eingeordnet hätte. Im Gegenteil begründet gerade dies eine Vermutung für ein vorsätzliches Vorgehen.
Die Beklagte hat auch die Folgen ihres Handelns jedenfalls billigend in Kauf genommen. Da die Behörden bei der Erteilung der Typengenehmigung getäuscht worden waren, konnten die Kunden davon ausgehen ein Fahrzeug zu erhalten, das den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Dass im Falle der Entdeckung der Täuschung seitens des KBA Maßnahmen ergriffen werden mussten, musste der Beklagten klar sein und es war ihr klar. Anders ist ihr Verhalten nach der Entdeckung nicht zu verstehen. Das KBA als zuständige Behörde konnte ein gegen die gesetzlichen Regelungen verstoßendes Verhalten, das noch dazu einen Kernbereich seiner Aufgabe betrifft, nicht einfach hinnehmen. Die Beklagte musste davon ausgehen, dass das KBA in diesem Falle entweder die Typengenehmigung widerrufen oder aber Maßnahmen anordnen würde, um einen gesetzmäßigen Zustand der Fahrzeuge zu erreichen. Damit musste sie zwangsläufig davon ausgehen, dass dem Fahrzeug eine Betriebsuntersagung drohte, wenn dem nicht nachgekommen werden würde, so dass auch diese Schädigungsfolgen vom Vorsatz der Beklagten erfasst waren.
4) Die Beklagte muss sich dabei das Handeln ihrer Mitarbeiter gem. § 31 BGB analog zurechnen lassen. Die Repräsentantenhaftung erstreckt sich für die juristischen Personen über den Vorstand, die Vorstandsmitglieder und die verfassungsmäßig berufenen besonderen Vertreter hinaus auf alle sonstigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (MüKoBGB/Arnold, 8. Aufl. 2018, § 31 Rn. 14; BGHZ 49, 19 = NJW 1968, 391 [392]). Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Hierzu gehört auch der Personenkreis der leitenden Angestellten (BGH, NJW 1998, 1854 [1856]).
Der gem. § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen (BGH, NJW 2017, 250 Rn. 25).
Zur Überzeugung des Gerichts steht schon fest, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung der Beklagten von der Entwicklung und Verwendung der Software zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis hatte und dies gebilligt und, wenn nicht angeordnet, so zumindest nicht unterbunden hat. § 286 ZPO verlangt dabei zur Überzeugungsbildung ein Maß an persönlicher Gewissheit, welches Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; BGH, NJW 1973, 1925; NJW 1993, 935 [937]; NJW 2012, 392; NJW 2014, 71; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 286 Rn. 19). Die Programmierung der Software setzt denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware voraus und schließt die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustands aus (LG Krefeld, ZIP 2017, 1671 = BeckRS 2017, 117776). Angesichts der Dimension der manipulierten Fahrzeuge in Zahl und Qualität hält der Senat es für ausgeschlossen, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung keine Kenntnis von den Manipulationen hatte. Das gilt umso mehr, als – unstreitig – bei allen Motoren der Serie EA 189 ausnahmslos die Manipulation festzustellen ist. Die Bestimmung gesetzlicher Grenzwerte war in ständiger öffentlicher, politischer, umwelttechnischer und wirtschaftlicher Diskussion. Insoweit liegt die Frage auf der Hand, welche Grenzwerte von einem Autobauer technisch zu beherrschen sind und wie dies geschieht. Auch mussten die technischen und wirtschaftlichen Grenzen gegenüber der nationalen wie europäischen Politik kommuniziert werden. Insoweit wird der Leiter der Entwicklungsabteilung einerseits entsprechenden Fragestellungen aus dem Vorstand ausgesetzt gewesen sein, wie er andererseits genau diese Fragen beantworten und dazu sachkundig sein musste. Es erscheint dem Gericht dabei undenkbar, dass dem Leiter der Entwicklungsabteilung von seinen Mitarbeitern die technische Umsetzung in Form einer Abgasabschalteinrichtung verschwiegen wurde. Zu Recht weist das OLG Karlsruhe darauf hin, dass es sich in der Sache um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen handelt, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht (OLG Karlsruhe, ZVertriebsR 2019, 178 Rn. 55). Das sieht das Gericht nicht anders. Aufgrund der Zahl der betroffenen Fahrzeuge handelte es sich auch nicht nur um eine Nischenfrage.
Unabhängig von der Überzeugung des Gerichts ergibt sich aber auch kein anderes Ergebnis aus Darlegungs- und Beweislastgesichtspunkten. Grundsätzlich hat jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und im Bestreitensfall zu beweisen. Insoweit geht auch das Gericht von der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast beim Kläger aus. Der Kläger als Verbraucher hat allerdings keine tieferen Einblicke in die Entscheidungsstrukturen der Beklagten. Die Beklagte hat ihr Bestreiten allein damit begründet, „nach derzeitigem Kenntnisstand“ sei nicht erwiesen, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung im August 2011 von der Software und deren Einsatz gewusst habe. Dies ist als gem. § 138 IV ZPO unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen zu qualifizieren.
Der Kläger hat umfangreich dazu vorgetragen, wer nach seinem Wissensstand zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von den Entscheidungen bei der Beklagten gehabt und diese gebilligt bzw. angeordnet hat. Auch hat er vorgetragen, dass dies im Bewusstsein erfolgte, über die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge zu täuschen. Dabei standen ihm allein öffentlich zugängliche Quellen zur Verfügung. Eine weitergehende Darlegung ist ihm daher nicht möglich. Vor diesem Hintergrund verletzt der Verweis auf den derzeitigen Kenntnisstand die der Beklagten obliegenden Erkundigungs- und Informationsobliegenheiten. Sie muss im eigenen Unternehmensbereich entsprechende Erkundigungen einholen. Sie ist verpflichtet, die ihr zugänglichen Informationen in ihrem Unternehmen und von denjenigen Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (BGH, Urt. v. 19.4.2011 – I ZR 238/98, BeckRS, 2001, 8009). Weshalb der Beklagten entsprechender Vortrag nicht möglich sein soll und welche Aktivitäten sie entfaltet hat, um ihrer Informationspflicht nachzukommen, ist nicht ersichtlich.
Der Beklagten ist es darüber hinaus auch verwehrt sich darauf zurückzuziehen, es sei ihr unzumutbar dazu vorzutragen, welche Personen von der Entwicklung der Umschaltlogik und ihrer Verwendung Kenntnis gehabt hätten. Dass in dem Unternehmen zu einem gewissen Zeitpunkt die Entscheidung zum Einsatz der Software getroffen wurde, ist unstreitig. Ein Unternehmen wie das der Beklagten muss eine Arbeitsorganisation vorhalten, in der wesentliche Entscheidungen dokumentiert und Kommunikationsflüsse nachvollziehbar sind. Dies schreibt sich die Beklagte auch unter Compliance-Gesichtspunkten öffentlich zu. So heißt es im öffentlichen Compliance-Bericht von Volkswagen aus dem Jahre 2014 (https://geschaeftsbericht2014.volkswagenag.com/konzernlagebericht/corporategovernancebericht/compliance.html):
„Compliance ist im V. Konzern ein wesentlicher Teil der Governance, Risk & Compliance (GRC)-Organisation (s. auch Risiko- und Chancenbericht). Dabei verfolgt Volkswagen einen präventiven Compliance-Ansatz und strebt eine Unternehmenskultur an, die die Belegschaft sensibilisiert und aufklärt und so potenzielle Regelverstöße bereits im Vorfeld ausschließt. Konzern-Revision und Konzern-Sicherheit führen die notwendigen investigativen Tätigkeiten regelmäßig aus, überprüfen systematisch die Regeleinhaltung und führen verdachtsunabhängige, stichprobenartige Kontrollen sowie Sachverhaltsermittlungen bei konkreten Verdachtsfällen durch. Das Personalwesen und das Konzern-Rechtswesen setzen die reaktiven Maßnahmen um. Im Sinne eines ganzheitlichen Compliance-Managementsystems sind diese Prozesse eng miteinander verzahnt.“
Ohne strukturierende Arbeits- und Verhaltensanweisungen, die Dokumentation der Arbeitsausführung und ein hierauf bezogenes Kontrollsystem wäre ein Unternehmen wie das der Beklagten nicht zu führen. Es erschließt sich daher nicht, warum die Beklagte nicht dazu vortragen kann, wer wann welche Entscheidung getroffen und an wen kommuniziert hat. Wenn Vorstand und leitende Angestellte tatsächlich nicht informiert gewesen sein sollten – was das Gericht bei einer Entscheidung dieser Tragweite für ausgeschlossen hält – müsste die Beklagte imstande sein, dies anhand der tatsächlich getroffenen Entscheidungen und der versagenden Kontrollmechanismen darzulegen. Das Bestreiten unter Bezugnahme auf den derzeitigen Kenntnisstand ist daher unbeachtlich, so dass von der Kenntnis des Entwicklungschefs seit 2011 auszugehen ist. Die Kenntnis der leitenden Angestellten genügt für eine Zurechnung nach § 31 BGB (s. o.)
Darüber hinaus ist der Beklagten auch die Kenntnis von Vorstandsmitgliedern zuzurechnen. Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, nach derzeitigem Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei oder die Entwicklung oder Verwendung der Software in Auftrag gegeben bzw. davon gewusst habe. Insoweit gelten zunächst die gleichen Erwägungen für die Kenntnis der einzelnen Vorstandsmitglieder wie für den Leiter der Entwicklungsabteilung. Dies gilt umso mehr, als der Vorstand der Beklagten nicht nur mit Juristen und Betriebswirten, sondern auch mit Ingenieuren bis hin zum damaligen Vorstandsvorsitzenden besetzt war. Ausweislich der öffentlichen Geschäftsberichte der Beklagten aus den Jahren 2010-2014 war der damalige Vorstandsvorsitzende zugleich für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlich. Eine Unkenntnis des Vorstandes könnte sich das Gericht nur mit einem bewussten Verschließen der Augen vor den Realitäten erklären, was im subjektiven Unwertgehalt des § 826 BGB der positiven Kenntnis gleichzusetzen wäre.
Die Beklagte trifft allerdings insoweit auch eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht genügt hat. Das Gericht muss die Frage der tatsächlichen Kenntnis also gar nicht abschließend entscheiden. Es besteht eine Vermutung für die Kenntnis des Vorstands, die sich aus den Indizien für eine Kenntnis speist. Die strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Frage nach der Einhaltung der Abgaswerte gekoppelt mit der Zahl der betroffenen Fahrzeuge und der mangelnden Transparenz sind hier ebenso führend wie der Umstand, dass die Vorstandsmitglieder nicht nur fachlich in der Lage waren die Problemlage zu erfassen und die Lösungswege zu erkennen, sondern dies auch in deren Zuständigkeit fiel. Die Beklagte hätte diese Vermutung im Wege der sekundären Darlegung entkräften können. Dies ist ihr jedoch nicht gelungen. Grundsätzlich muss zwar der Kläger alle Tatsachen behaupten und beweisen, aus denen sich sein Anspruch herleitet. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 II ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substanziiert zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast, die die Verteilung der Beweislast unberührt lässt, setzt voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, NJW-RR 2015, 1279 [1280] mwN). So liegt der Fall hier.
Insoweit begründet nach der Auffassung des Gerichts auch das bewusste Organisieren des Nichtwissens eine Zurechnung iSd § 31 BGB. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass es eine solche lückenhafte Organisation gab. Sie hätte dann nämlich darlegen müssen, in welcher Art und Weise sie sicherstellt, dass solche wesentlichen Unternehmensentscheidungen bis auf die Ebene des Vorstandes getragen werden, warum dies im konkreten Fall nicht geschehen ist und welche weiteren Qualitätssicherungsmaßnahmen aus welchen Gründen ebenfalls versagt haben, das heißt welchen Mitarbeitern welche Pflichtverstöße vorzuwerfen sind.
5) Der Kläger hat auch einen Schaden erlitten. Der Schaden liegt in dem Erwerb eines mit der Steuerungssoftware ausgerüsteten Fahrzeugs (vgl. auch OLG Köln, NZV 2019, 249). § 826 BGB erfasst auch reine Vermögensschäden, da er nicht auf die Verletzung bestimmter absoluter Rechtsgüter wie § 823 I BGB abzielt. Unter einem Schaden iSd § 826 BGB ist allerdings auch nicht nur die negative Einwirkung auf die Vermögenslage zu verstehen, sondern die nachteilige Beeinträchtigung jedes rechtlich anerkannten Interesses. Der Schaden kann deshalb auch in der Eingehung einer „ungewollten“ Verbindlichkeit bestehen, selbst wenn dieser einer Forderung auf eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (BGHZ 160, 149 = NJW 2004, 2971 = ZIP 2004, 1593; BGH, NJW-RR 2015, 275 Rn. 19; OLG Karlsruhe, ZVertriebsR 2019, 178 Rn. 17 f.). Dies ist der Fall, wenn die Leistung für die Zwecke des Erwerbers nicht brauchbar ist (BGHZ 161, 361 = NJW-RR 2005, 611 = VersR 2005, 418). Nach Ansicht des Gerichts ist es für die Annahme eines Schadens nicht erforderlich, dass im Rahmen einer Mehrzahl verfolgter Zwecke keiner der Zwecke erreicht wurde. Vielmehr genügt es, dass ein nicht völlig nebensächlicher Zweck nicht erreicht wurde. Es kommt also im Ergebnis nicht zwingend auf einen geringeren Marktwert oder sonstige unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteile an, wenngleich auch diese nach der Auffassung des Gerichts zu verzeichnen sind. Neben etwaigen wirtschaftlichen Nachteilen sind auch die enttäuschte Erwartung und die Zweckverfehlung als Schaden anzusehen. Ausgehend hiervon liegt ein Schaden vor.
Insoweit kann zunächst auf den Beschluss des BGH vom 8.1.2019 (NJW 2019, 1133) verwiesen werden. Aufgrund der rechtswidrig verbauten Abgasabschalteinrichtung drohte die Stilllegung des Fahrzeugs, was für sich genommen schon als Schaden zu betrachten ist. Damit ist die Nutzwerterwartung enttäuscht. Diese wird auch nicht durch eine nachträgliche Maßnahme – das Angebot eines Software-Updates – wieder erfüllt. Der Schaden ist einmal eingetreten. Mag im Kauf- und Gewährleistungsrecht der Kunden auf eine Nachbesserung verwiesen werden, fehlt es an dieser Option für das Recht der unerlaubten Handlung. Die Frage des Software-Updates ist eine solche der Schadensbeseitigung, nicht aber der Schadensbegründung.
Der Kläger hat ein Fahrzeug erworbenen, das zwar primär seinem Erfordernis, am Straßenverkehr teilzunehmen, genügt. Es hat mithin den gewollten Nutzwert im engeren Sinne. Es verfügte aber über eine Einrichtung, bei deren Bekanntwerden die Typengenehmigung für das Fahrzeug nicht erteilt worden wäre. Aufgrund der Einrichtung unterlag es einer Rückrufaktion. Ohne Durchführung weiterer Maßnahmen – nämlich eines Software-Updates – drohte, was unstreitig ist, eine Betriebsuntersagung. Zweck des Erwerbs war aber die uneingeschränkte Teilnahme am Straßenverkehr, ohne dass durch weitere Maßnahmen eine drohende Betriebsuntersagung abzuwehren gewesen wäre. Der Nutzwert ist also eingeschränkt. Dies gilt auch für die weiteren verfolgten Zwecke wie das Bestreben einen individuellen Beitrag zum kollektiven Umweltschutz zu leisten.
Der Schaden des Klägers beschränkt sich auch nicht auf den reinen Nutzwert. Vielmehr muss auch der Vermögenswert, der sich insbesondere im Wiederverkaufspreis niederschlägt, gesehen werden. Es kann als offenkundig, weil allgemein- und gerichtsbekannt angesehen werden, dass der Wiederverkaufswert von betroffenen Dieselmodellen der Beklagten seit dem Bekanntwerden der Handlungsweise der Beklagten gesunken ist. Auch in diesem Vermögensverlust ist ein Schaden zu sehen. Darauf kommt es aber letztlich gar nicht an. Maßgeblich ist, dass der Kläger ein für die Nutzung im Straßenverkehr bestimmtes Fahrzeug erworben hat, das hinsichtlich der Frage der Typengenehmigung und der Betriebszulassung mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten belegt war, was sich zwangsläufig auch auf den Wert des Fahrzeugs auswirkt, da die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen gegenüber vergleichbaren Fahrzeugen, die nicht mit diesem Mangel behaftet sind, geringer ausfällt.
Letztlich liegt ein Schaden in Form der ungewollten Eingehung einer Verbindlichkeit vor. Neben der Frage der drohenden Stilllegung hat der Kläger für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, dass für ihn auch die Umweltfreundlichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein ausschlaggebender Punkt im Rahmen der Kaufentscheidung waren. Insoweit ist der Kläger auch bei der Kaufentscheidung aufgrund der verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung eine von ihm so nicht gewollte Verbindlichkeit eingegangen. Das Fahrzeug hat damit letztlich nicht seinen Erwartungen entsprochen und war für einen weiteren von mehreren denkbaren Zwecken – einen individuellen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten – nicht geeignet. Auch das begründet einen Schaden.
Für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung genügt es, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (BGH, NJW 1995, 2361). Der getäuschte Käufer darf keine Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen haben und seine Verfügung – der Abschluss des Kaufvertrags – muss auf dieser Unkenntnis beruhen. Es muss ein auf der Täuschung beruhender Irrtum vorliegen. Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Gerichts vor. Da es sich um innere Tatsachen handelt kann der Nachweis nur auf der Grundlage von Indizien geführt werden, die hinreichend und nachvollziehbar dargelegt sind. Nach der Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäftes ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsuntersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem überhaupt behoben werden kann. Dies gilt erst recht, wenn ihn der Hersteller oder der Verkäufer hierauf hinweisen würde. Diese Einwirkung auf die Entschließung des Klägers als Käufer genügt für den Kausalzusammenhang zwischen dem Irrtum und der Kaufentscheidung (BGH, NJW 1995, 2361). Daneben sind die Aspekte der Umweltverträglichkeit und mit einem erhöhten NOx-Ausstoß einhergehender Gesundheitsgefahren oder auch Nutzungseinschränkungen im Sinne einer uneingeschränkten Mobilität (Fahrverbote in Gegenwart und Zukunft) Argumente, die bei einem Kaufentschluss für ein Fahrzeug plausibel eine Rolle spielen und so Einfluss auf die Dispositionsfreiheit eines Kunden haben können. Insofern ist auch die Besorgnis des Klägers nachvollziehbar, dass diese Aspekte eine Wiederverkäuflichkeit des Fahrzeugs erschweren können und sich deshalb auch in vermögensrelevanten Folgerungen auswirken.
Der von dem Kläger geltend gemachte Schaden ist auch vom Schutzzweck des § 826 BGB umfasst. Der Schutzzweck der Norm bestimmt sich nicht danach, dass im Falle der Haftung die Gefahr einer exorbitanten Kumulation von Schadensersatzansprüchen droht, wenn ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten erst einmal festgestellt ist. Bei dieser Argumentation wird aus der Schadensfolge ein unzulässiger Rückschluss auf das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen gezogen. Die Höhe des drohenden Schadens bestimmt sich im vorliegenden Fall aus der großen Anzahl der getäuschten Kunden. Allerdings gilt für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen allgemein, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (BGHZ 96, 231 = NJW 1986, 837 Rn. 15). Der Schaden des Klägers liegt innerhalb des Schutzzwecks von § 826 BGB.
Der dem Kläger entstandene Schaden ist auch nicht durch die Durchführung des Software-Updates entfallen. Unabhängig von der Frage, ob dieses im Hinblick auf seine höchst umstrittenen Folgen überhaupt geeignet ist, den Schaden zu beseitigen, kommt es auf dessen Wirkung nicht an. Maßgeblich für die Frage des Schadens ist der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs. Der Schadenseintritt war zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Dem Deliktsrecht ist eine Nacherfüllungsverpflichtung, wie sie das Kaufrecht vorsieht, fremd. Hinzu kommt, dass der Kläger das Software-Update nicht aus Gründen der Schadensbeseitigung hat durchführen lassen, sondern weil das Fahrzeug von der vom KBA angeordneten Rückrufaktion betroffen war und anderenfalls eine Betriebsuntersagung gedroht hätte. In der Durchführung des Updates kann daher kein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gesehen werden.
Der Ersatzanspruch richtet sich bei § 826 BGB auf das negative Interesse. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde. Ohne die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – das Inverkehrbringen des manipulierten Fahrzeugs und das Verschweigen des Einbaus der Abgasabschalteinrichtung – hätte der Kläger den Vertrag nicht geschlossen. In diesem Fall hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erhalten und den Kaufpreis nicht gezahlt. Die Beklagte hat dem Kläger daher den Kaufpreis zurückzuerstatten, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
Der Kläger muss sich im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Er hat das Fahrzeug über einen mehrjährigen Zeitraum genutzt und auf diese Weise einen geldwerten Vorteil erlangt. Auch in Anbetracht einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ist dies nicht unbillig, da der Kläger das Fahrzeug tatsächlich genutzt hat und der Verweigerung des Vorteilsausgleichs keine kompensierende Wirkung zukommt.
Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO zu ermitteln (BGH, NJW 1995, 2159). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Zu vergüten sind die Gebrauchsvorteile bis zur Rückgabe des Fahrzeugs (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl. 2017 Rn. 1186).
Die erwartete Gesamtlaufleistung schätzt das Gericht gem. § 287 BGB auf 250.000 km. Es handelt sich beim streitgegenständlichen Fahrzeug um ein Pkw der Kompaktklasse. Er ist damit nicht mit einer Robustheit wie bei einem Nutzfahrzeug oder Premiumfahrzeug zu erwarten, ausgestattet.
Die Laufleistung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung betrug 73.614 km.
Die abzuziehende Nutzungsentschädigung errechnet sich dann nach der Formel Gebrauchsvorteil = Bruttokaufpreis × gefahrene km / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt.
Der Bruttokaufpreis betrug 20.634,01 Euro. Die gefahrenen km belaufen sich auf 65.714 km (73.614 km in der mündlichen Verhandlung abzüglich 7.900 km im Erwerbszeitpunkt). Die erwartete Restlaufleistung beträgt 242.100 km (250.000 km abzüglich 7.900 km) im Erwerbszeitpunkt. Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 5.600,76 Euro. Da der Kläger den Vorteilsausgleich in seinem Klageantrag lediglich in Höhe von 3.963,58 Euro berücksichtigt hat, unterliegt die Klage in Umfang der Differenz (= 1.637,18 Euro) der Abweisung.
Darüber hinaus kann der Kläger Ersatz der Finanzierungskosten in Höhe von 962,99 Euro aus den vorstehenden Gründen verlangen. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm der Kläger ausweislich des vorgelegten Darlehensantrags ein Nettodarlehensbetrag von 14.202,61 Euro auf und musste hierfür Zinsen in Höhe von 962,61 Euro bezahlen.
6. Schließlich ist der Anspruch auch noch nicht verjährt. Zwar hat der Kläger erst im Jahr 2019 Klage erhoben. Aufgrund der informatorischen Anhörung des Klägers erachtet es das Gericht für durchaus plausibel, dass der Kläger nicht aus den deutschen Medien erfahren hat, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vom Diesel-Abgasskandal betroffen ist. Der Kläger ist geboren in Island und Deutsch ist nicht seine Muttersprache. Auch am 22.06.2020 sprach er zwar für das Gericht in verständlichem Deutsch, allerdings mit starkem Akzent und zahlreichen Grammatikfehlern. Nachdem der Kläger in Deutschland lebt, ist davon auszugehen, dass er Ende 2015 über noch weniger Sprachkenntnisse verfügte. Vor diesem Hintergrund steht weder zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger von seiner Betroffenheit Kenntnis hatte, noch dass er ohne grob fahrlässig zu handeln hiervon Kenntnis haben müssen, § 286 ZPO. Die Beklagte konnte mithin diesen Nachweis nicht führen.
II) Dem Kläger steht ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung zuzüglich der Finanzierungskosten seit 21.12.2018 zu.
Der Kläger kann die Verzinsung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung seit 21.12.2018 gem. §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB verlangen.
Der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2018 zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs bis zum 20.12.2018 aufgefordert. Die Frist ist fruchtlos verstrichen.
III) Der Anspruch auf Zahlung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers besteht gem. §§ 826, 249 Abs. 1 BGB in Höhe von 1.100,51 Euro. Für den Gegenstandswert bzgl. der vorgerichtlichen Tätigkeit ist der Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Klägervertreters maßgeblich. Das Forderungsschreiben des Klägervertreters an die Beklagte datiert vom 16.12.2018. Das Gericht schätzt – ausgehend von einer „linearen“ Verteilung der durch den Kläger mit dem Auto gefahrenen Kilometer – die bis dahin angefallene Nutzungsentschädigung auf 4.295,98 Euro. Damit ergibt sich ein damals berechtigter Forderungsbetrag von 17.301,01 Euro. Aus diesem Wert sind die erstattungsfähigen vorgerichtlichen Kosten zu berechnen.
Das Gericht setzt für die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG die Mittelgebühr von 1,3 an. Zwar mag die Tätigkeit für sich betrachtet überdurchschnittlich umfangreich und schwer gewesen sein, entscheidend ist aber, dass die Kanzlei der Klägervertreter gerichtsbekannt eine Reihe von Geschädigten des Abgasskandals vertritt, so dass sich die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die große Zahl der Mandate relativiert.
Damit ergibt sich folgender Gebührenanspruch. Bei einem Gegenstandswert von 17.301,01 Euro beläuft sich die 1,3 Geschäftsgebühr auf 904,80 Euro. Zuzüglich der Portopauschale von 20,00 Euro gem. Nr. 7002 VV sowie der Umsatzsteuer i.H.v. 19% gem. Nr. 7008 VV ergibt sich ein Gebührenanspruch in Höhe von 1.100,51 Euro.
Der Zinsanspruch folgt ebenfalls aus §§ 826, 31, 249, 288 Abs. 1 BGB.
IV) Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
1) Hinsichtlich eines tatsächlich höheren Nutzungsersatzes wird auf die oben stehenden Ausführungen Bezug genommen.
2) Zinsen nach §§ 849, 246 BGB in Höhe von 4% jährlich ab Zahlung des Kaufpreises kann der Kläger nicht verlangen, da er den bezahlten Kaufpreis nicht ersatzlos weggegeben hat, sondern ihm im Gegenzug Eigentum und Besitz an dem streitgegenständlichen Fahrzeug einschließlich abstrakter Nutzungsmöglichkeit eingeräumt wurden.
Nach § 849 BGB kann zwar in den Fällen, in denen wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist, eine Verzinsung des zu ersetzenden Betrages von dem Zeitpunkt an verlangt werden, der der Bestimmung des Werts zugrunde gelegt wird. Die Norm greift nicht nur bei einer Sachentziehung oder -beschädigung ein, sondern auch in Fällen, in denen dem Geschädigten Geld entzogen wurde (BGH, Urteil v. 12.06.2018, KZR 56/16, juris Rn. 45 m.w.N.). § 849 BGB ist seinem Wortlaut nach nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt zudem nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird (BGH, Urteil v. 26.11.2007, II ZR 167/06, juris Rn. 4, 5).
Der Regelung des § 849 BGB kann dennoch ein allgemeiner Rechtssatz dahin, deliktische Schadensersatzansprüche seien stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen, nicht entnommen werden (BGH, Urteil v. 12.06.2018 – KZR 56/16, juris, Rn. 45 m.w.N.). Der Normzweck geht vielmehr dahin, den endgültig verbleibenden Verlust an der Nutzbarkeit der weggegebenen Sache – als pauschalierten Mindestbetrag – auszugleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, NJW 1983, 1614 f.).
Dieser Normzweck ist im hier vorliegenden Fall nicht betroffen, da zwar der Klagepartei ein Geldbetrag in Höhe des Kaufpreises für das Fahrzeug entzogen wurde, die Entziehung aber nicht ersatzlos erfolgte, sondern dadurch kompensiert wurde, dass die Klagepartei im Gegenzug für die Zahlung des Kaufpreises Eigentum und Besitz am Fahrzeug mit der abstrakten Möglichkeit, dieses jederzeit nutzen zu können, erhalten hat (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 10.09.2019, 13 U 149/18, juris Rn. 99; OLG Koblenz, Urteil vom 28.08.2019 – 5 U 1218/18, BeckRS 2019, 20653 Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.11.2019, 13 U 37/19, juris Rn. 137; einschränkend unter Abzug einer Wertminderung des Fahrzeugs: OLG Koblenz, Urteil v. 16.09.2019, 12 U 61/19, juris Rn. 84; a.A: OLG Oldenburg, Urteil v. 02.10.2019, 5 U 47/19, BeckRS 2019, 23205 Rn. 41; diesen Gesichtspunkt nicht berücksichtigend: OLG Köln, Urteil v. 17.07.2019 – 16 U 199/18, juris Rn. 29). Ein etwaiger Minderwert des Fahrzeuges hat hierauf keinen Einfluss (a.A.: OLG Koblenz, Urteil v. 16.09.2019, 12 U 61/19, juris Rn. 84). Auch war im Zeitpunkt des Kaufs die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeuges nicht durch eine Stilllegung des Fahrzeuges eingeschränkt.
Überdies wäre der der Kaufpreissumme entsprechende Betrag mit der Möglichkeit, hieraus Nutzungen zu ziehen, nicht weiter in dem Vermögen der Klagepartei verblieben, wenn die Klagepartei in Kenntnis des vorliegenden Mangels den hiesigen Kaufvertrag nicht abgeschlossen und stattdessen den Kaufpreis für ein anderes Fahrzeug aufgewandt hätte (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 28.08.2019 – 5 U 1218/18, BeckRS 2019, 20653, Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.11.2019, 13 U 37/19, juris Rn. 139). Würde man die Verzinsungsregelung des § 849 BGB in diesem Fall gleichwohl anwenden, führte dies zu einer dem Schadensersatzrecht fremden Überkompensation, da die Klagepartei durch das schädigende Ereignis wirtschaftlich besser stünde als ohne dieses. Dies widerspräche dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot (vgl. dazu BGH, Urteil v. 04.04.2014 – V ZR 275/12, juris Rn. 20 m.w.N.).
3) Der Feststellungsantrag ist ebenfalls nicht begründet. Die Beklagte befindet sich nicht in Annahmeverzug (§ 293 ff. BGB). Der Kläger hat die Herausgabe des Fahrzeugs Zug um Zug gegen die Zahlung des Kaufpreises mit Schreiben vom 16.12.2018 angeboten. Dieses Angebot entspricht nicht der tatsächlich geschuldeten Leistung, denn die Beklagte hat nur den Betrag zu zahlen, der sich nach Abzug einer angemessenen Nutzungsentschädigung ergibt. Der Kläger wäre ersichtlich nicht bereit gewesen, den zutreffend errechneten Zahlungsbetrag entgegenzunehmen, denn er vertrat auch noch in der Klageschrift die Auffassung, eine Nutzungsentschädigung sei nicht abzuziehen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.09.2007 – 7 U 169/06, NJW 2008, 925/927 m.w.N.).
B)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 709 S. 2 ZPO und §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.
C)
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach dem Interesse der Klägers zum Zeitpunkt der Klageerhebung. Die Nutzungsentschädigung beträgt, ausgehend von der bezifferten Nutzungsentschädigung am 22.6.2020 von 3.963,58 €, am 13.03.2019 3.332,27 Euro. Das Interesse des Klägers betrug daher 18.264,73 €.


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