IT- und Medienrecht

Sofortleistung bei schwerer Mehrfachverletzung

Aktenzeichen  21 O 515/17

Datum:
23.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49969
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AUB 2013 C 17.1212 Ziff. 2.6.1.1
BGB § 305c Abs. 2

 

Leitsatz

Setzen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) für die Zahlung einer Sofortleistung bei einem Polytrauma die Kombination aus mindestens 2 von mehreren genannten Verletzungen voraus, reicht das mehrfache Vorliegen nur einer Verletzung für das Entstehen des Versicherungsanspruchs nicht aus. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert beträgt 25.000,00 €

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Sofortleistung in Höhe von 25.000,00 € aus dem Versicherungsvertrag nebst darauf gestützter Nebenforderungen (Anwaltskosten und Verzinsung). Die unfallbedingte Verletzung der linken Hand mit offener Mehrfachfraktur beider Unterarmknochen im Gelenkbereich erfüllt die Voraussetzungen für die vertraglich vereinbarte Sofortleistung bei Schwerverletzungen nicht.
Von den unter 2.6.1.1. beschriebenen schweren Verletzungen kommt unstreitig nur die im vierten Spiegelstrich beschriebene Variante „schwere Mehrfachverletzung/Polytrauma“ in Betracht. Die im 1. Unterpunkt genannten „Brüche langer Röhrenknochen an 2 unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten“ sind unstreitig nicht erfüllt, weil der vorliegende Bruch von Elle und Speiche am selben Gliedmaßenabschnitt des linken Unterarmes liegt. Auch der Fall „gewebezerstörende Schäden an 2 inneren Organen“ liegt nicht vor. Zwar ist bei dem offenen Bruch ausweislich des Attests vom 09.09.2014 (Anlage K 3) ein „Weichteilschaden Grad II bei offener Fraktur Unterarm links“ diagnostiziert. Bei der insoweit betroffenen Haut (Anlage K 2 beschreibt „Hautperforationsstellen“) handelt es sich jedoch nicht um ein inneres Organ, weil die Haut den Körper nach außen abschließt.
Es greift auch nicht der 3. Unterpunkt: „Kombinationen aus mindestens 2 der folgenden Verletzungen: Bruch eines langen Röhrenknochens, …“. Wie sich aus der Wortwahl „Kombinationen aus mindestens 2 der folgenden Verletzungen“ ergibt, muss für diese Variante eine „Mehrfachverletzung/Polytrauma“ durch den Unfall mit mindestens zwei der genannten vier Verletzungen (Bruch eines langen Röhrenknochens, Bruch des Beckens, Bruch der Wirbelsäule, oder gewebezerstörender Schaden eines inneren Organs) eingetreten sein. Soweit die Klage damit argumentiert, dass vorliegend zwei lange Röhrenknochen gebrochen sind, handelt es sich nicht um eine Kombination aus zwei der vier aufgeführten Verletzungen, sondern um ein mehrfaches Vorliegen einer der vier Verletzungen. Dass allein die mehrfache Verletzung von langen Röhrenknochens nicht den Fall „Mehrfachverletzung/Polytrauma“ erfüllen soll, ergibt sich aus dem 1. Unterpunkt, der für mehrere Brüche langer Röhrenknochen als Anspruchsvoraussetzung regelt, dass diese an „2 unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten“ vorliegen müssen. Dabei gilt dies nicht nur für den Fall, dass ein langer Röhrenknochen mehrfach gebrochen ist, sondern auch für den Fall, dass mehrere lange Röhrenknochen je einmal gebrochen sind, wie der Plural („Brüche langer Röhrenknochen“ statt Singular: „Bruch eines langen Röhrenknochens“) zeigt. Der Bruch von Elle und Speiche im selben Gliedmaßenabschnitt (hier: in Handgelenksnähe) erfüllt zwar die Voraussetzung „Brüche langer Röhrenknochen“, aber nicht die zusätzliche Einschränkung „an 2 unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten“. Damit ist klargestellt, dass das Vorliegen mehrerer knöcherner Verletzungen in einem Gliedmaßenabschnitt für eine „schwere Mehrfachverletzung/Polytrauma“ nicht ausreicht.
Bei der Auslegung der streitgegenständlichen Klausel bleibt kein durch die Auslegungsmethode eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs nicht behebbarer Zweifel, der zur Anwendung der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB führen würde, wonach von der für den Versicherungsnehmer günstigsten Auslegungsmöglichkeit auszugehen ist (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., Seite 84 Rdnr. 31 f. mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
Schließlich ist der Tatbestand einer schweren Mehrfachverletzung auch nicht wegen einer Kombination aus den Verletzungen „Bruch eines langen Röhrenknochens“ und „gewebezerstörende Schäden eines inneren Organs“ erfüllt, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung meinte. Aus den vorgelegten Attesten ergibt sich eine punktuelle Durchdringung der Haut durch den offenen Bruch. Bei der Haut handelt es sich nicht um ein inneres Organ. Soweit der Kläger das Handgelenk als „inneres Organ“ verstehen will, geht dies nur, wenn man das Handgelenk ohne die umgebende Haut betrachtet. Folgte man diesem Ansatz, so wären Elle und Speiche im hier betroffenen Handgelenksbereich als Teil des Handgelenks zu verstehen, weil das Handgelenk ohne diese nicht voll funktionsfähig ist. Dann fehlt es aber an einem zusätzlichen Bruch eines langen Röhrenknochens. Aus der Beschreibung der „Mehrfachverletzung/Polytrauma“ folgt, dass dieselbe unfallbedingte Schädigung nicht zugleich den in den Versicherungsbedingungen genannte Bestandteilen des Skeletts („Röhrenknochen“, „Becken“, „Wirbelsäule“) und einem nach dem Sinnzusammenhang davon zu unterscheidenden „inneren Organ“ zugerechnet werden kann.
Der Anspruch des Klägers ergibt sich schließlich auch nicht aus der Angabe im Durchgangsarztbericht, dass eine Verletzung nach VAV Ziffer 6.4. vorliegt (Anlage K 2). Bei dem VAV handelt es sich um das Verletzungsartenverfahren, das Vorgaben für die unfallmedizinische Behandlung im stationären Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung trifft (vgl. die Darstellung der Landesverbände der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung im Internet unter http://www…de/…jsp“). Hiervon ist die Frage der Leistung aus der privaten Unfallversicherung zu unterscheiden; maßgeblich sind insoweit die vertraglichen Vereinbarungen unter Berücksichtigung der Regelungen des VVG.
Nachdem nach Auffassung des Einzelrichters keine bedingungsgemäße schwere Mehrfachverletzung vorliegt, kann dahingestellt bleiben, ob der Anspruch auf Sofortleistung rechtzeitig geltend gemacht worden ist oder nicht.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er unterlegen ist, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
Der Streitwert folgt der geltend gemachten Hauptforderung.


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