IT- und Medienrecht

Unterbringung eines Obdachlosen im Übergangswohnheim

Aktenzeichen  Au 8 K 19.1069

Datum:
22.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27266
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 3 Abs. 1 Nr. 4
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Der für die örtliche Zuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG entscheidende Anlass für die Amtshandlung liegt im Bereich der Gefahrenabwehr dort, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Geht es um die Unterbringung eines Obdachlosen, ist deshalb nicht entscheidend, an welchem Ort eine Unterbringungsmöglichkeit besteht, sondern wo die mit der Obdachlosigkeit verbundene Gefahr für Leben und Gesundheit eintritt. (Rn. 17 und 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2019 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger zur Beseitigung der Obdachlosigkeit unterzubringen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässig erhobene Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat für die Zeit seiner Obdachlosigkeit einen Anspruch auf Unterbringung bei der Beklagten.
1. Streitgegenständlich ist allein die Frage, ob die Beklagte für die Unterbringung des Klägers örtlich zuständig ist.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG ist diejenige Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt.
Der für die örtliche Zuständigkeit entscheidende Anlass für die Amtshandlung liegt im Bereich der Gefahrenabwehr dort, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden (BayVGH, B.v. 7.1.2002 – 4 ZE 01.3176 – juris Rn. 6). Nicht maßgeblich ist somit entgegen der vom Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilten Meinung der örtlichen Sicherheitsbehörde der Gemeinde … die Frage, an welchem Ort tatsächlich eine Unterbringungsmöglichkeit besteht. Aufgrund der örtlichen Zuständigkeit ist die Sicherheitsbehörde vielmehr verpflichtet, die zur Gefahrenabwehr nötigen Maßnahmen zu ergreifen und notfalls die entsprechenden Unterkünfte vorzuhalten bzw. bereitzustellen.
Die Gefahr für Leib oder Leben im Sinn des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG entsteht durch die Obdachlosigkeit. Die Zuständigkeit für die Behebung dieser Gefahr liegt deshalb dort, wo die Obdachlosigkeit eintritt. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat sich der Kläger vor seiner Inhaftierung in … aufgehalten, er hatte dort die Möglichkeit, einen Wohnwagen zu nutzen. Nach der Inhaftierung stand ihm dieser Wohnwagen offenbar nicht mehr zur Verfügung, so dass sich der Kläger nach der Haftentlassung unmittelbar in das Stadtgebiet der Beklagten begeben hat, wo er auch in der Vergangenheit bereits langjährig aufhältig war. Da ihm hier jedoch keine Unterkunft zur Verfügung steht und damit die mit der Obdachlosigkeit verbundene Gefahr für Leben und Gesundheit aktuell auftritt (BayVGH, B.v. 14.8.2019 – 4 CE 19.1546 – juris Rn. 11), ist die Beklagte vorliegend zur Gefahrenabwehr zuständig. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass ein Betroffener durch Gebrauchmachen vom Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) unter Umständen in gewissem Umfang darauf Einfluss nehmen kann, wo die Obdachlosigkeit eintritt (BayVGH, B.v. 7.1.2002 – 4 ZE 01.3176 – juris Rn. 6; B.v. 26.4.1995 – 4 CE 95.1023 – BayVBl 1995, 729). Beim Kläger ist aber nicht ersichtlich, dass er sich ins Stadtgebiet der Beklagten begeben hätte, um dort rechtsmissbräuchlich Obdach zu beantragen. Er hielt sich vielmehr mehr als 20 Jahre dort auf, so dass nicht von einer willkürlichen Auswahl des Ortes, an dem er seine Unterbringung beantragt, ausgegangen werden kann. Unter diesen Umständen ist daher im vorliegenden konkreten Fall die Beklagte als diejenige Behörde örtlich zuständig, in der die Obdachlosigkeit des Klägers derzeit besteht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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