IT- und Medienrecht

Verkehrssicherungspflichten bei einem jahrhundertealten Klostergebäude

Aktenzeichen  34 O 1063/17

Datum:
22.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40955
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286, § 823 Abs. 1
StGB § 13 Abs. 1, § 229
BayBO Art. 48
GVG § 23, § 71 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Höhe der von den Verkehrssicherungspflichten jeweils zu gewährleistenden Sicherheitsstandards ist bei erkennbar alten Gebäuden und Gebäudeteilen (hier: Türschwelle in einem Jahrhunderte alten Kloster) geringer als bei neueren Anlagen. Die unmarkierte, jedoch gut ausgeleuchtete und deutlich erkennbare Türschwelle in Höhe von 4 bis 5 cm stellt für sich bereits keinen Verstoß gegen die Sicherungspflichten der Hausherrin dar. Dies gilt erst recht, wenn es sich um eine unter Denkmalschutz stehende Klosteranlage handelt, bei deren Betreten einem Besucher bereits augenfällig wird, dass die Gebäude und Räumlichkeiten – bislang – noch nicht barrierefrei umgestaltet wurden. (Rn. 20 – 24)
2. Die in Art. 48 Abs. 2 BayBO sowie in den einschlägigen DIN-Normen aufgestellten Anforderungen an ein barrierefreies Bauen gelten unstrittig nicht für ein Jahrhunderte altes Klostergebäude. Zwar kann die zuständige Bauaufsichtsbehörde nach Art. 48 Abs. 4 BayBO bei bestehenden Gebäuden die Herstellung eines gleichwertigen Zustands verlangen, soweit dies technisch möglich und dem Eigentümer wirtschaftlich zumutbar ist. Die Vorschrift richtet sich jedoch lediglich an die Bauaufsichtsbehörde und entfaltet keinerlei Schutzwirkung auf private Dritte. (Rn. 26)
3. Hat ein verunfallter Besucher bereits bei Betreten des erkennbar alten Gebäudekomplexes die fehlende Barrierefreiheit wahrgenommen, ist selbst dann, wenn die Hausherrin gegen ihre Verkehrssicherungspflicht verstoßen haben sollte, ein haftungsausschließendes ganz überwiegendes Mitverschulden des Besuchers an dem Sturz anzunehmen. (Rn. 27)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird bis zur Klageerweiterung vom 12.10.2017 auf 22.086,46 € und anschließend auf 24.390,46 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, sodass sie abzuweisen war.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Memmingen sachlich gemäß §§ 23, 71 Abs. 1 GVG i.V.m. §§ 1, 5 ZPO und örtlich gemäß §§ 12, 17 Abs. 1 bzw. 32 ZPO zuständig.
II.
Die Klage ist in Ansehung der Hauptforderung aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 Abs. 1 StGB vollumfänglich unbegründet, da keine Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte verletzt wurden.
1. Die Beklagte ist passivlegitimiert, da etwaige Verkehrssicherungspflichten auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrsöffnung beruhen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11.12.1984 – VI ZR 218/83) und die Beklagte unstreitig die streitgegenständlichen Räumlichkeiten des Klosters für den Besucherverkehr geöffnet hat. Ob und inwieweit auch den Freistaat Bayern als Eigentümer des Klosters etwaige Verkehrssicherungspflichten treffen, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben.
2. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung auf Grund Verletzung etwaiger Verkehrssicherungspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 Abs. 1 StGB besteht gegen die Beklagte nicht.
a) Eine Verletzungshandlung der Beklagten im Sinne einer Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht liegt nicht vor.
aa) Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung Anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, dass jeder, der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen hat. Da eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muss nicht für alle denkbaren entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Vielmehr sind nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer und bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.1984 – VI ZR 218/83). Da diese Erwartungen bei erkennbar alten Gebäuden und Gebäudeteilen, so auch der streitgegenständlichen Türschwelle, im Allgemeinen geringer sind als bei neueren Anlagen, muss sich dies auch bei der Bestimmung der Höhe der von den Verkehrssicherungspflichten jeweils zu gewährleistenden Sicherheitsstandards auswirken (OLG Hamm, Urteil vom 17.09.1996 – 9 U 54/96). Jedoch sind auch bei älteren Gebäuden jedenfalls die dringenden Sicherheitsbedürfnisse ohne Einschränkung zu erfüllen. Ferner sind Maßnahmen der Verkehrssicherung auch dann geboten, wenn diese baupolizeilichen Vorschriften widersprechen, die gerade zum Zweck der Sicherheit der Benutzer erlassen worden sind. Auch hierbei ist jedoch dem Alter des zu beurteilenden Gebäudeteils Rechnung zu tragen. Ein Abweichen von baupolizeilichen Regelungen indiziert grundsätzlich nur dann eine besondere Sicherungsbedürftigkeit, wenn die einschlägige Vorschrift zum Zeitpunkt der Errichtung oder Veränderung des Bauwerks oder Bauteiles bereits gegolten hat (OLG Hamm, a.a.O.).
bb) Die Anwendung dieser Grundsätze führt hier zu dem Ergebnis, dass bereits eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte nicht vorliegt. Weder die von der Klägerin gerügte Höhe der unmarkierten Türschwelle an sich noch die Beleuchtung der Räumlichkeiten lassen einen Verstoß erkennen.
Das Gericht hat sich im Rahmen des Ortstermins am 08.02.2018 (vgl. Protokoll vom 08.02.2018, Bl. 68/70 d.A.) einen eigenen Eindruck von den Räumlichkeiten und der streitgegenständlichen Türschwelle verschafft (vgl. auch Lichtbilder, Anlage K 1) und dabei festgestellt, dass die Breite der Türschwelle 1,33 m beträgt und sie auf der linken Seite der Türe – in Richtung Klosterpforte gesehen – 5 cm sowie in der Mitte und auf der rechten Seite 4 cm hoch ist, d.h. insgesamt leicht schräg ist. Die streitgegenständliche Türschwelle ist auf Grund der großen Fenster auf beiden Seiten des Türdurchgangs gut ausgeleuchtet und der Türdurchgang ist auf Grund der deutlich erkennbaren zu den Öffnungszeiten des Klostermuseums offenstehenden doppelflügligen Türe und der relativen Enge im Vergleich zu den sehr breiten Gängen davor und dahinter als solcher zweifelsfrei zu erkennen. Auch das in Laufrichtung der Klägerin (vgl. Pfeil auf dem zweiten Lichtbild der Anlage K 1) auf der linken Seite nach der Tür aufgestellte Bücherregal ist relativ klein und keinster Weise den Blick an sich ziehend gestaltet, so dass auch hierdurch keine Ablenkung erfolgen konnte.
Wie die Klägerin im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung (vgl. Protokoll vom 08.02.2018, Bl. 68/70 d.A.) auch einräumt, hat sie den Türdurchgang durchaus wahrgenommen und auch das Bücherregal nicht als ablenkend empfunden, jedoch die Türschwelle übersehen.
Bereits durch die Stufen bei Betreten des jahrhundertealten Klostergebäudes – sei es über die Klosterpforte oder über den Kircheninnenraum der Basilika – wird einem Besucher augenfällig, dass die Klosteranlage – bislang – noch nicht barrierefrei umgestaltet wurde. Auch der Zugang zu dem Klostermuseum im 1. OG des Gebäudes, aus dem die Klägerin kam, ist lediglich über Treppen möglich, da kein Aufzug vorhanden ist. Deshalb durfte und konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass sämtliche Türschwellen im Gebäude barrierefrei ausgestaltet sind und musste damit rechnen, dass derartige „Schwellen“ – wie es bereits der Wortlaut nahelegt – vorhanden sind. Auch die Höhe der Schwelle – zwischen 4 cm und 5 cm (vgl. oben) – liegt nach Auffassung des Gerichts nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, so dass auch hiermit zu rechnen ist.
Dass die Klägerin durch eine zum Unfallzeitpunkt herrschende und reflektierende Sonneneinstrahlung abgelenkt war, mag sein, ändert jedoch nichts an der Auffassung des Gerichts, dass die streitgegenständliche Türe auf Grund der oben ausgeführten Erwägungen deutlich zu erkennen und damit auch auf Grund des Alters des nicht barrierefrei umgestalteten Gebäudes mit einer Türschwelle zu rechnen war. Ein Warnhinweis oder eine Markierung der Türschwelle war und ist – jedenfalls nach Auffassung des Gerichts – nicht erforderlich.
cc) Hinsichtlich der auf dem von Klägerseite vorgelegten Lichtbild (Anlage K 16) erkennbaren mit einer schwarz-gelben Markierung versehenen Türschwelle wurde bereits nicht vorgetragen, wo im Kloster sich diese Stelle befindet und zu welchen Zeitpunkt dieser Zustand so vorgelegen haben soll, so dass ein Augenschein hierauf nicht erstreckt werden konnte. Es wurde darüber hinaus auch nicht vorgetragen, dass dieser Zustand zum Unfallzeitpunkt bereits so vorlag und die Klägerin auf Grund dessen davon ausgehen konnte, dass sämtliche Türschwelle in der gleichen Art und Weise markiert sind. Dies wird bereits durch das vorgelegte Lichtbild widerlegt, da dort im Hintergrund ebenfalls eine offensichtlich nicht markierte Türschwelle zu erkennen ist.
dd) Die in Art. 48 Abs. 2 BayBO sowie in den einschlägigen DIN-Normen aufgestellten Anforderungen an ein barrierefreies Bauen gelten unstrittig nicht für das jahrhundertealte Klostergebäude. Nach Art. 48 Abs. 4 BayBO kann die zuständige Bauaufsichtsbehörde bei bestehenden Gebäuden die Herstellung eines gleichwertigen Zustands verlangen, soweit dies technisch möglich und dem Eigentümer wirtschaftlich zumutbar ist. Ob dies angesichts der unter Denkmalschutz stehenden Klosteranlage möglich und zumutbar ist, bedarf an dieser Stelle keiner Klärung, da sich die Vorschrift lediglich an die Bauaufsichtsbehörde richtet und keinerlei Schutzwirkung auf private Dritte entfaltet.
b) Schließlich würde ein Anspruch selbst bei unterstellter Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auch auf Grund eines weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB ausscheiden. Dies kommt zwar lediglich ausnahmsweise ist Betracht, wenn der Geschädigte einen überragenden Beitrag zur Schadensentstehung geleistet hat. Nach Auffassung des Gerichts liegt ein solcher Fall jedoch vor, da die Klägerin bereits nach eigenen Angaben den Türdurchgang wahrgenommen hat und damit auch mit einer Türschwelle – entsprechend den obigen Erwägungen – hätte rechnen müssen. Damit ist der Sturz auf eine allgemeine Unachtsamkeit zurückzuführen, die der Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.
3. Weitere Anspruchsgrundlagen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
4. Die Klage ist auch in Ansehung der Nebenforderungen gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB und bezüglich des Feststellungsantrags unbegründet, da diese das Schicksal der Hauptforderung teilen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
IV.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
V.
Der Streitwert wurde auf Grundlage der §§ 63, 39ff. GKG, 3ff. ZPO festgesetzt.
Verkündet am 22.02.2018


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