IT- und Medienrecht

Verletzung der Räum- und Streupflicht in stark frequentiertem Bereich

Aktenzeichen  154 C 20100/17

Datum:
8.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 46285
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,- € gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, da diese ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht hinreichend nachgekommen ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Gericht ist auch nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte keine Kontrolle am streitgegenständlichen Supermarktparkplatz durchführte und  ihrer Streupflicht nicht nachgekommen ist. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hinsichtlich des Verschuldensgrades der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein gewerbliches Unternehmen handelt, dessen Aufgabe es ist, die Räum- und Streupflicht wahrzunehmen. Die Beklagte hat ihre Pflichten erheblich verletzt, indem sie nicht selbständig ihrer Kontrollpflicht nachgekommen ist. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.11.2017 sowie weitere 258,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.11.2017 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfallereignis vom 03.03.2015 resultieren, soweit sie nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist für Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.500,00 € festgesetzt.

Gründe

i. Die zulässige Klage ist größtenteils begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere hat die Klägerin ein Feststellungsinteresse hinsichtlich des Feststellungsantrags Wird die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens aus einer bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung beantragt, so reicht für das Feststellungsinteresse die Möglichkeit eines Schadenseintritts aus, die nur verneint werden darf, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Urteil vom 16.01.2001, Az. VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431).
Hier steht der weitere Verlauf der Verletzung der Klägerin unstreitig noch nicht abschließend fest.
2. Die Klage ist größtenteils begründet.
a. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,- € gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.
aa. Eine Rechtsgutsverletzung liegt durch die unstreitigen Verletzungen der Klägerin an dem rechten Mittelfinger vor.
bb. Diese ist durch die fahrlässige Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten entstanden.
Die Verkehrssicherungspflicht, insbesondere der Winterdienst wurde unstreitig auf die Beklagte übertragen.
Ihrer Verkehrssicherungspflicht ist die Beklagte nicht ausreichend nachgekommen.
(1) Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass an der von der Klägerin behaupteten Stelle durch überfrierende Nässe glatt war.
(a) Die Klägerin hat bei persönlicher Anhörung diesbezüglich geschildert, dass sie gegen 8:00 Uhr mit dem Rad zum Einkaufen gefahren sei. Es sei sonnig, aber kalt gewesen. Es hätte kein Schnee gelegen. Sie sei über Straßen und Fahrradwege gefahren. Es sei leicht feucht gewesen, habe jedoch keine Glätte oder überfrierende Nässe gegeben. Ihr Fahrtweg zum Tengelmann betrage ca. 700 bis 800 Meter. An den Fahrradständern sei sie ausgerollt, dann habe sie gebremst. Dabei sei das Hinterrad nach links weggerutscht und seitlich auf dem Boden zu liegen gekommen. Sie selbst sei auch zu Boden gestürzt. Mit der rechten Hand sei sie zuerst aufgekommen. Der Bäcker aus der Ihle-Bäckereifiliale sei zu Hilfe gekommen. Der Bäcker habe gesagt, dass es total glatt sei, als er zu ihr gelaufen gekommen sei.
Es sei keine spiegelglatte Eisfläche gewesen, sondern überfrierende Nässe. Sie habe davon gar nichts gesehen. Wenn es eine Eisfläche gewesen wäre, ging die Klägerin davon aus, dass sie sie gesehen hätte. Der Bereich sei zu dieser Zeit im Schatten gewesen.
Die Angaben der Klägerin waren sachlich, schlüssig und nachvollziehbar. Ein besonderer Belastungseifer war nicht erkennbar. Das Gericht hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die Unwahrheit gesagt haben könnte.
(b) Der Vertreter und Ehemann der Beklagten, Herr VaH gab in der Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 05.02.2018 an, dass alles trocken und gestreut gewesen sei. Es könne höchstens sein, dass die Pflanzen gegossen worden seien oder dass die Putzfrau Wasser ausgeschüttet habe.
Mit dem Bäcker habe er gesprochen. Dieser habe ihm gesagt, dass nur das Fahrrad gerutscht sei, nicht jedoch die Frau.
In der mündlichen Verhandlung am 07.05.2018 gab Herr VeH an, dass sie an dem Tag kontrolliert hätten, ob es glatt war. Sein Mitarbeiter …H S^^H habe um ca. 5:00 Uhr kontrolliert, wie der Zustand vor Ort war. Es sei kein Schnee und kein Frost vorhanden gewesen. Es habe genug Splitt gelegen. Es könne nicht nass gewesen sein, da es nicht geregnet habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 24.07.2018 schließlich gab Herr VeH an, dass er erst vor ein paar Monaten erfahren habe, dass Herr S^^H an dem Tag gefahren sei. Dann wiederum hat er angegeben, sie seien nicht hingefahren, weil kein Schnee gelegen habe und es nicht glatt gewesen sei.
Herr Ve^| Angaben waren in sich widersprüchlich und nicht glaubhaft. So hat er zunächst angegeben, dass die Beklagte nur Rausfahren würde, wenn die Gemeinde sie in der Früh anrufe. Auch in dem vorgerichtlichen Schreiben an die Versicherung wurde dies so vorgetragen. Erstmals in der mündlichen Verhandlung am 07.05.2018 hat der Herr dann angegeben, der Mitarbeiter S^^H habe an dem Tag kontrolliert, ob es glatt sei. In der mündlichen Verhandlung am 24.07.2018 gab er schließlich wieder an, dass sie nicht hingefahren seien, weil es nicht glatt gewesen sei. Auch die Äußerung des Herrn VeM, dass er nicht gewusst habe, dass der Mitarbeiter der Klägerin, Herr S^^H, an diesem Tag gefahren sei, ist wenig glaubhaft. Entweder die Beklagte fährt tatsächlich jeden Tag und kontrolliert, dann weiß sie aber auch dass jeden Tag ein Mitarbeiter rausfährt. Oder sie fährt nur bei Anruf der Gemeinde, dann wäre es tatsächlich überraschend, wenn ein Mitarbeiter losfährt, ohne hierzu aufgefordert zu werden.
Außerdem wurde von Beklagtenseite zunächst vorgetragen, für das streitgegenständliche Objekt werde kein Protokoll geführt. Sodann wurde der Vortrag dahingehend geändert, dass nur dann Buch geführt werde, wenn Streumaßnahmen ergriffen würden. Im Termin am 24.07.2018 wurde dann vorgetragen, es werde für die Privatkunden nur aufgeschrieben, was die Beklagte zusätzlich zu den pauschal verabredeten Leistungen erbringt.
(c) Der Zeuge N^ …H hat ausgesagt, dass er gesehen habe, wie die Klägerin gefallen sei. Dann sei er raus gegangen und habe ihr geholfen. Er könne sich nicht daran erinnern, ob es glatt gewesen sei. Er könne sich auch nicht daran erinnern, ob er mit der Klägerin gesprochen habe. Es sei jedoch richtig, dass er ihr angeboten habe, dass er ein Zeuge für sie sein könne. Er könne sich auch daran erinnern, dass kleine Steinchen am Boden gewesen seien.
An den Angaben des Zeugen N^ …H bestehen erhebliche Zweifel. Zum einen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.02.2018 vorgetragen, dass sie den Zeugen am 05.02.2018 angesprochen und nach seinem Vornamen gefragt habe. Dabei habe der Zeuge der Klägerin mitgeteilt, dass er durch eine vorhergehende Ansprache des Herrn Ve^ verunsichert worden sei.
Des Weiteren glaubt das Gericht der Klägerin, dass der Zeuge N^ …H, als er der Klägerin aufgeholfen hat, ebenfalls gesagt hat, dass es glatt war. Es erscheint dem Gericht als unwahrscheinlich, dass sich der Zeuge nicht daran erinnern kann, ob es glatt war, sich hingegen schon daran erinnern kann, dass Steinchen herumlagen. Auch erscheint es dem Gericht als unplausibel, dass sich der Zeuge N^ …H der Klägerin als Zeuge angeboten hat, wenn er gar keine Angaben dazu machen kann, ob es glatt war oder nicht. Auch die Tatsache, dass der Zeuge zu dem ersten Termin, zu dem er geladen war, nicht gekommen ist, ist ein Indiz dafür, dass er eigentlich lieber nicht vor Gericht als Zeuge ausgesagt hätte.
(d) Der Zeuge …H S^^H hat ausgesagt, dass er seit 20 Jahren für die Beklagte arbeite. Sie würden jeden Tag von November bis März kommen. An der Stelle, an der die Klägerin gestürzt sei, kontrolliere er immer als erstes. Wenn die Gemeinde anrufe, fahre er zunächst zum Bahnhof und dann zu den Supermärkten. Wenn die Gemeinde nicht anrufe, fahre er gleich zu den Supermärkten. Um 5.00 Uhr hole er das Fahrzeug aus dem Lager. Für die ganze Runde brauche er 2 bis 3 Stunden. Er selbst schreibe keine Zettel. Das mache Herr Ve^. Dieser wisse, was er (der Zeuge) mache. Die Beklagte habe ungefähr 6 Mitarbeiter, aber eine Frau Sch^^H kenne er nicht.
Bei den Angaben des Zeugen S^^H hat das Gericht keine Anhaltspunkte für eine Falschaussage. Die Aussage war sachlich und in sich schlüssig.
Allerdings stimmen die Angaben wiederum nicht mit den Angaben des Herrn VeH überein. Die einzige mögliche Erklärung für den widersprüchlichen Vortrag des Herrn VeH wäre gewesen, wenn er gar nicht gewusst hätte, dass die Mitarbeiter der Beklagten jeden Tag Kontrollfahrten machen. Dies hat nun wiederum der Zeuge S^^H ausgeschlossen, indem er angegeben hat, dass Herr VeH wisse, was er mache und dies auch aufschreibe.
(e) Es ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, dass es glatt war, weil keine andere Person gestürzt sei oder die Glätte nicht in dem Geschäft angezeigt worden sei. Keine der Parteien hat dazu vorgetragen, was nach dem Sturz der Klägerin an der Glättestelle passierte. Möglicherweise hat sich die überfrierende Nässe im Laufe des vormittags aufgelöst. Vielleicht sind sogar andere Personen gestürzt, haben sich jedoch nicht gemeldet. Oder es wurde doch noch (vielleicht von einer anderen Person) gestreut. Egal was sich im weiteren Verlauf an der Stelle zugetragen hat, es lässt keinen zwingenden Rückschluss zu, dass es nicht zum Zeitpunkt des Sturzes der Klägerin glatt gewesen sein kann.
(f) Eine Glätte durch überfrierende Nässe hält das Gericht auch nicht dadurch für ausgeschlossen, dass die Mindesttemperatur für München unstreitig an diesem Tag zwischen 0,2 und 0,4 Grad Celsius betrug.
Zum einen sagt die Mindesttemperatur in München noch nicht aus, dass die Temperatur in Grasbrunn die identische gewesen sein muss. Zum anderen schließt die bloße Tatsache, dass die allgemeine Temperatur über 0 Grad lag, einzelne glatte Stellen nicht aus. Zumal die Klägerin nicht behauptet hat, es hätte eine richtige Eisfläche vorgelegen, sondern nur überfrierende Nässe. Es ist allgemein bekannt, das Kraftfahrzeuge schon bei 4,0 Grad plus ein Warnsignal abgeben, dass es an einzelnen Stellen glatt sein kann. Nach Angaben der Klägerin und dem Zeugen N^ …H lag die streitgegenständliche Stelle am Morgen im Schatten. Zudem sind die allgemeinen Temperaturangaben jeweils nur Durchschnittsangaben. Die genaue Temperatur an einzelnen Stellen, an denen sich keine Messeinrichtung befindet, können hiervon abweichen.
Für diese Feststellungen war die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Zum einen hat die Klägerin glaubhaft geschildert, dass es glatt gewesen ist. Zum anderen ist die allgemeine Temperatur an diesem Tag unstreitig. Für die Beurteilung, dass einzelne Glättestellen auch bei diesen Temperaturen nicht ausgeschlossen sind, waren die Fachkenntnisse eines Sachverständigen nicht notwendig. Auch für eine Person ohne wetterspezifische Fachkenntnisse dürfte klar sein, dass die Temperatur auf dem gesamten Gebiet der Stadt München nicht an jeder Stelle identisch ist.
(g) In der Gesamtschau der glaubhaften Angaben der Klägerin, die die Beklagte nicht widerlegt hat, und der allgemeinen Mindesttemperatur in München von nur knapp über dem Gefrierpunkt, ist das Gericht somit zur Überzeugung gelangt, dass zum streitgegenständlichen Zeitpunkt an der streitgegenständlichen Stelle eine Glätte durch überfrierende Nässe vorlag.
(2) Das Gericht ist auch nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte am 03.03.2015 keine Kontrolle am streitgegenständlichen Supermarktparkplatz durchführte und nicht ihrer Streupflicht nachgekommen ist.
Zwar hat der Zeuge S^^H grundsätzlich glaubhafte Angaben dazu gemacht, dass er jeden Tag zu den betreuten Örtlichkeiten fährt und dort streut, wenn es glatt ist (s. o.). Allerdings ist diese Aussage nicht geeignet, den in mehrerlei Hinsicht widersprüchlichen und unglaubhaften Vortrag des Beklagtenvertreters Herr VeH zu „heilen“. Dem Vortrag der Beklagtenpartei konnte aufgrund der Widersprüchlichkeiten, die von Herrn VeH nicht aufgeklärt werden konnten, sondern im Gegenteil immer noch widersprüchlicher wurden, kein Glauben geschenkt werden.
(3) Die Beklagte wäre jedoch verpflichtet gewesen, an diesem Tag eine Kontrolle an dieser Stelle durchzuführen und bei Feststellung der Glättestelle zu streuen.
Es handelt sich um ein Datum Anfang März. Zu dieser Zeit ist allgemein der Winter in München und Umgebung noch nicht vorbei. Es kann zu Schnee und Eisglätte kommen.
Bei der konkreten Temperatur an diesem Tag war auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es an einzelnen Stellen glatt sein kann. Insbesondere nachdem nur die Temperatur für München vorgetragen wurde, nicht jedoch die Temperatur für Grasbrunn oder Vaterstetten, wo der streitgegenständliche Unfallort liegt.
Die Beklagte wäre auch nicht deshalb von ihrer Kontrollpflicht befreit, wenn die Gemeinde Vaterstetten an diesem Tag eine Streupflicht für nicht notwendig erachtete hätte. Selbst bei Wahrunterstellung, dass niemand von der Gemeinde Vaterstetten an diesem Tag die Beklagte telefonisch aufforderte, ihrer Räum- und Streupflicht nachzukommen, ist dies für den vorliegenden Fall irrelevant. Die Gemeinde kann selbstverständlich nur für die Flächen Vorgaben machen, für die sie die Verkehrssicherungspflicht hat. Das streitgegenständliche Grundstück steht jedoch nicht im Eigentum der Gemeinde Vaterstetten, sondern einer privaten Person. Diese hat ihre Verkehrssicherungspflicht auf die Beklagte übertragen. Die Beklagte kann auch nicht eine ihr obliegende Kontrollpflicht für die von ihr betreuten Flächen von der Meinung der Gemeinde Vaterstetten abhängig machen. Nur weil auf den Flächen der Gemeinde möglicherweise keine Glätte vorhanden ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass auf anderen von der Beklagten betreuten Flächen keine Glätte vorhanden sein kann.
Auch dem Vertrag zwischen der Eigentümerin des Grundstücks und der Beklagten ist nichts dazu zu entnehmen, dass die Beklagten nur bei Benachrichtigung durch die Gemeinde Vaterstetten tätig werden soll.
Der Beklagten war eine Kontrolle aller von ihr betreuten Flächen auch zumutbar, da sie ein gewerbliches Unternehmen betreibt, dass gerade die Ausübung des Winterdienstes übernommen hat. Diese Situation ist nicht mit einer Privatperson vergleichbar, die für ihr Privatgrundstück möglicherweise trotz Berufstätigkeit und anderen Verpflichtungen die Räum- und Streupflicht hat.
Es liegt auch kein Fall einer vereinzelten Glättestelle vergleichbar zu der zitierten Entscheidung des BGH (Urteil vom 12.06.2012, Az. VI ZR 138/11, NJW 2012, 2727) vor. In dem vom BGH entschiedenen Fall handelte es sich um eine 20 cm x 30 cm große Eisfläche auf einem zwei Meter breiten Weg auf einem Privatgrundstück an einem Sonntagvormittag. Vorliegend geht es um eine ca. 9 qm große Fläche vor dem Eingangsbereich eines Supermarktes an einem Werktag. Insbesondere aufgrund der hohen Anzahl von Personen, die einen Supermarkt aufsuchen, und aufgrund der konkreten Örtlichkeit am Eingangsbereich sind die Anforderungen an die Überprüfung einer möglichen Glätte hier besonders hoch.
Die Streupflicht gilt auch nicht nur für „Eisglätte“, wie sie der Beklagtenvertreter bezeichnet hat, womit mutmaßlich eine entsprechend dicke ununterbrochene Eisflächen gemeint sein dürfte, sondern auch für überfrierende Nässe. Im Übrigen handelt es sich bei jeder Form von gefrorenem Wasser um Eis.
Auch der Einwand, dass noch genug Splitt von vorangegangenen Streumaßnahmen an der Stelle gelegen habe, verfängt nicht. Die Klagepartei hat vorgetragen, dass kein Splitt vorhanden gewesen sei. Die Beklagte hat dies nicht widerlegen können.
cc. Das Gericht ist aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin auch davon überzeugt, dass die Glätte die kausale Ursache für den Sturz der Klägerin war.
dd. Der Klägerin steht somit ein Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB zu.
(1) Gemäß § 253 Abs. 2 BGB kann bei einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind unter anderem die Art, Dauer und Schwere der Beeinträchtigung des Wohlbefindens des Geschädigten, der Verschuldensgrad des Schuldners und die weiteren Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen.
(2) Als Folgen ihres Sturzes hat die Klägerin bei persönlicher Anhörung geschildert, dass sie unmittelbar nach dem Unfall Schmerzen gehabt habe und der Finder am Nachmittag auf die doppelte Breite angeschwollen gewesen sei. Es sei ein Fingerbruch mit Kapselriss festgestellt worden. Sie habe sechs Wochen eine Schiene getragen, die den Mittelfinger, den Ringfinger und den kleinen Finger umfasst habe. Danach habe sie eine kleinere Schiene nur noch am Mittelfinger getragen. Danach sei mit der Wärme- und Ergotherapie begonnen worden. Auch zu Hause habe sie Übungen gemacht.
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 05.02.2018 gab die Klägerin an, noch keine vollständige Faust machen zu können. Sie habe einen Kräfteverlust und tue sich beispielsweise schwer dabei, Flaschen zu öffnen. Bei einem festen Händedruck verspüre sie immer noch Schmerzen.
(3) Das Gericht hält angesichts der Schwere der Verletzung und der auch drei Jahre später immer noch anhaltenden Schmerzen und Beeinträchtigungen der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,- € für angemessen. Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe war außerdem zu berücksichtigen, dass es sich um eine Verletzung an dem Mittelfinger der rechten Hand handelte, dass auch die Nachbarfinger teilweise mitbetroffen waren und dass die Beweglichkeit der ganzen Hand teilweise eingeschränkt ist durch die Beeinträchtigung des Mittelfingers.
Ferner war hinsichtlich des Verschuldensgrades der Beklagten zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein gewerbliches Unternehmen handelt, dessen Aufgabe es ist, die Räum- und Streupflicht wahrzunehmen. Die Beklagte hat ihre Pflichten erheblich verletzt, indem sie sich auf die Angaben der Gemeinde Vaterstetten verlassen hat und nicht selbständig ihrer Kontrollpflicht nachgekommen ist.
Die Stelle, an der die Klägerin gestürzt ist, ist eine Örtlichkeit, die von einer Vielzahl von Personen aufgesucht wird. Der glatte Bereich lag zudem unmittelbar vor den Fahrradständern im Bereich des Zugangs zum Supermarkt, an dem alle Besucher des Supermarktes vorbei gehen müssen, und nicht an einem weniger stark frequentierten Bereich auf dem Parkplatz.
Ein höheres Schmerzensgeld kam nach Ansicht des Gerichts nicht in Betracht, da die Verletzung des Mittelfingers weniger einschränkend ist als beispielsweise die Verletzung eines Daumens.
(4) Ein Mitverschulden der Klägerin im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.
Die Klägerin hat glaubhaft geschildert, dass die glatte Fläche bei der Anfahrt mit dem Fahrrad nicht erkennbar war. Zu diesem Zeitpunkt fuhr sie ohnehin nur noch langsam, da sie wenige Meter weiter absteigen und ihr Fahrrad abstellen wollte. Auf ihrer Wegstrecke gab es keine anderen Glättestellen, sodass auch kein Grund für sie bestand, von einer Fahrt mit dem Fahrrad Abstand zu nehmen.
b. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zinsen seit Rechtshängigkeit gemäß §§ 291, 288 Abs. 2 BGB und auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war erforderlich und zweckmäßig. Die Höhe der Rechtsanwaltskosten wurde nicht bestritten.
c. Die Klägerin hat ferner einen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfallereignis vom 03.03.2015 resultieren.
Die Beklagte ist für den Sturz der Klägerin verantwortlich. Und es ist noch nicht absehbar, wie sich die Verletzung der Klägerin weiter entwickeln wird.
II.
Die Klage ist unbegründet soweit Verzugszinsen seit 26.10.2015 beantragt wurden.
Die Klägerin hat weder vorgetragen noch ist ersichtlich, warum sich die Beklagte seit dem 26.10.2015 in Verzug befinden sollte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die Kosten waren vollständig der Beklagten aufzuerlegen, da die Teilklageabweisung hinsichtlich der Zinsen zwischen dem 26.10.2015 und dem 09.11.2017 verhältnismäßig geringfügig war und keine höheren Kosten veranlasst hat.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
V.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 63 Abs. 2 S. 1, 48 Abs. 2 S. 1 GKG festgesetzt. Der Feststellungsantrag wurde mit einem Streitwert von 1.500,- € bewertet.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben