IT- und Medienrecht

Verpflichtung zur Einrichtung einer DNS-Sperre gegen Access-Provider

Aktenzeichen  21 O 15007/18

Datum:
25.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 55749
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
TMG § 7 Abs. 4, § 8 Abs. 3
UrhG § 19a
RL 2001/29/EG Art. 8 Abs. 3
ZPO § 138 Abs. 4
GG § 12 Abs. 1, § 14 Abs. 1

 

Leitsatz

1. § 7 Abs. 4 TMG ist richtlinienkonform (RL 2001/29/EG Art. 8 Abs. 3) dahingehend auszulegen, dass ein Telemediendienst bereits dadurch für eine Rechtsverletzung in Anspruch genommen wird, dass er seinen Kunden den Zugang zu von Dritten öffentlich zugänglich gemachten rechtsverletzenden Inhalten im Internet ermöglicht; es kommt nicht darauf an, ob die rechtsverletzenden Inhalte über den Internetzugang den Telemediendienst de betroffenen Diensteanbieters tatsächlich heruntergeladen wurden.  (Rn. 45 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht die begründete Befürchtung, dass die Betreiber einer Webseite (erneut) mit rechtsverletztenden Inhalten den Hostprovider wechseln und damit ein zuvor erstrittener Titel gegen den bisherigen Hostprovider wirkungslos wird, erscheint es nicht sachgerecht, die betroffenen Rechteinhaber auf ein solches Vorgehen zu verweisen. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 4 TMG und damit auch dafür, dass die mögliche Sperre im Einzelfall geeignet und nicht z. B. wegen „Overblocking“ unzulässig ist, trägt die Klagepartei, während für die Frage der Zumutbarkeit – mangels Einsicht des Rechteinhabers in die Verhältnisse des Diensteanbieters – die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast eingreifen, sodass sich der Diensteanbieter substantiiert auf die Unzumutbarkeit berufen muss. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, mittels einer DNS-Sperre die folgenden Domains zur Nutzung durch ihre Kunden zu sperren, und zwar im Hinblick auf folgende Internetdienste:
1. gegenwärtig „…“ genannter Internetdienst:

und/oder

und/oder
2. gegenwärtig „…“ genannter Internetdienst:

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist für die Klägerinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,-EUR vorläufig vollstreckbar.
BESCHLUSS
Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerinnen haben gegen die Beklagte gem. § 7 Abs. 4 TMG analog einen Anspruch auf Einrichtung einer DNS-Sperre.
1) Die Klägerinnen sind aktivlegitimiert. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerinnen, Inhaberinnen der ausschließlichen Nutzungsrechte zu sein, nicht substantiiert entgegengetreten. Auf den jeweiligen streitgegenständlichen Werken sind die Autoren, mithin die Urheber, sowie die Klägerinnen als ausschließliche Nutzungsrechteinhaberinnen im C-Vermerk bezeichnet – substantiierte Entgegnungen hat die Beklagte hierzu nicht vorgebracht.
Ebenfalls nicht überzeugen kann insoweit der Einwand der Beklagten, dass nicht jede Klägerin für alle Werke die ausschließlichen Nutzungsrechte besitzt. Entscheidend ist insofern nur, dass jede Klägerin für sich einen Anspruch aus § 7 Abs. 4 TMG geltend machen könnte. Denn dann ist auch eine gemeinschaftliche Geltendmachung des Anspruchs zulässig. Dies ist jedoch der Fall.
2) Die Beklagte ist nach dem oben Gesagten auch passivlegitimiert.
Die Kammer rückt insofern von ihrer bisherigen Rechtsansicht ab, dass ein Anspruch aus § 7 Abs. 4 TMG (analog) nicht gegeben sei und schließt sich der inzwischen durch den BGH aufgestellten Rechtsmeinung zur Abkehr vom Unterlassungsanspruch aus Störerhaftung an (vgl. BGH GRUR 2018, 1044 – Dead Island).
Zwar sind nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 TMG nur „Diensteanbieter nach § 8 Abs. 3“ TMG und damit lediglich WLAN-Anbieter (“die Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen“) passivlegitimiert. Der Sperranspruch ist jedoch unionskonform dahingehend fortzubilden, dass er in analoger Anwendung auch gegen Betreiber drahtgebundener Internetzugänge geltend gemacht werden kann (BGH GRUR 2018, 1044 – Dead Island, Rn.49). Diese Auslegung gewährleistet, dass § 7 Abs. 4 TMG den durch § 8 Abs. 1 TMG geschaffenen und ungeachtet der Art der technischen Zugangsvermittlung für alle Zugangsvermittler geltenden Ausschluss der Haftung auf Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassung ausgleichen kann. Das völlige Entfallen von Rechtsbehelfen des Rechtsinhabers gegen Mittelspersonen verstieße gegen Art. 8 Abs. 3 der RL 2001/29/EG und Art. 11 Satz 3 der RL 2004/48/EG und den grundrechtlich vorgesehenen Schutz des geistigen Eigentums (BGH, aaO., Rn. 46).
3) Es liegt die Verletzung eines Rechts am geistigen Eigentum der Klägerinnen vor. Diese Rechtsverletzung liegt darin, dass Werke, an denen die Klägerinnen die ausschließlichen Nutzungsrechte innehaben, auf den angegriffenen Portalen öffentlich zugänglich gemacht wurden i.S.d. § 19a UrhG.
Zur Überzeugung der Kammer konnten Nutzer der streitgegenständlichen Webseiten … und … über die dort eingestellten Hyperlinks auf die streitgegenständlichen Werke der Klägerinnen zugreifen (vgl. Screenshots Anlage K2). Die Klägerinnen haben den Nachweis dafür, dass die Titel abrufbar waren durch Vorlage der entsprechenden Screenshots erbracht. Anhand dieser Screenshots lässt sich nachvollziehen, dass die streitgegenständlichen Werke über die Dienste … bzw. … angeboten wurden, und dass die entsprechenden Links durch Anklicken auch zur Möglichkeit des Downloads der Dateien führte.
Die Beklagte hat dies lediglich pauschal bestritten. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, warum dieser Vortrag in Zweifel zu ziehen sei. Die Kammer hat daher keinen Anlass, an der Richtigkeit des Vortrags der Klägerinnen zu zweifeln, sodass eine Beweisaufnahme zu diesem Punkt nicht erforderlich ist.
4) Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es für den Anspruch nach § 7 Abs. 4 TMG auch nicht darauf an, ob die streitgegenständlichen Werke gerade von Kunden der Beklagten heruntergeladen wurden.
Zwar legt die Formulierung des Gesetztes, dass der Telemediendienst des betroffenen Diensteanbieters von einem Nutzer in Anspruch genommen worden sein muss, diese Auslegung zunächst nahe (bejahend daher wohl Mantz GRUR 2017, 969, 972). Die Auslegung widerspricht jedoch Sinn und Zweck der Vorschrift.
§ 7 Abs. 4 TMG dient unter anderem der Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 8 Abs. 3 RL 2001/29/EG (BT-Drucksache 18/12202 S.12), wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden. Als Vermittler, deren Dienste im Sinne des Art. 8 Abs. 3 der RL 2001/29/EG zur Rechtsverletzung genutzt werden, definiert der EuGH Zugangsanbieter, die ihren Kunden den Zugang zu Schutzgegenständen ermöglichen, die von einem Dritten im Internet öffentlich zugänglich gemacht werden (EuGH Urt. v. 27.03.2014 – C-314/12 – UPC/Constantin, Rn.32). Dabei ist weder ein Vertragsverhältnis zwischen dem Verletzer und dem Vermittler erforderlich (EuGH aaO, Rn.35), noch muss der Rechtsinhaber nachweisen, dass bestimmte Kunden dieses Anbieters tatsächlich auf der betreffenden Website auf die der Öffentlichkeit ohne Zustimmung der Rechtsinhaber zugänglich gemachten Schutzgegenstände zugriffen (EuGH aaO, Rn.36). Die Richtlinie verlangt nämlich, Verstöße gegen das Urheberrecht oder verwandte Schutzrechte nicht nur abzustellen, sondern auch, solchen Verstößen vorzubeugen. Dies setzt aber voraus, dass die Rechtsinhaber tätig werden können, ohne einen tatsächlichen Zugriff nachweisen zu müssen (EuGH aaO, Rn.37-38). Dies gilt umso mehr, als eine Handlung, mit der ein Werk öffentlich zugänglich gemacht wird, schon dann vorliegt, wenn dieses Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ohne dass es darauf ankäme, dass deren Mitglieder tatsächlich Zugang zu diesem Werk hatten (EuGH aaO, Rn.39).
§ 7 Abs. 4 TMG ist dementsprechend richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass ein Telemediendienst bereits dadurch für eine Rechtsverletzung in Anspruch genommen wird, dass er seinen Kunden den Zugang zu von Dritten öffentlich zugänglich gemachten rechtsverletzenden Inhalten im Internet ermöglicht.
Es kommt für den vorliegenden Fall folglich nicht darauf an, ob die rechtsverletzenden Inhalte über den Internetzugang der Beklagten tatsächlich heruntergeladen wurden.
5) Insoweit ist das Handeln der Beklagten auch adäquat kausal für die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen. Durch den Internetzugang, den die Beklagte ihren Kunden zur Verfügung stellt, wird diesen Kunden ein Zugriff auf die streitgegenständlichen Internetdienste Sci-Hub und LibGen überhaupt erst möglich. Dass für eine Rechtsverletzung ein weiterer Willensentschluss des jeweiligen Kunden notwendig ist, ist diesbezüglich unbeachtlich.
6) Die Klägerinnen haben zur Überzeugung der Kammer außer der Inanspruchnahme der Beklagten keine andere Möglichkeit, der Verletzung ihrer Rechte abzuhelfen.
Hierzu hatten die Klägerinnen vorzutragen und zu beweisen, dass sie zumutbare Maßnahmen zur Aufdeckung der Identität des Betreibers der Webseiten unternommen haben. Hier kommt insbesondere die Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden im Wege der Strafanzeige oder auch die Vornahme privater Ermittlungen etwa durch einen Detektiv oder andere Unternehmen, die Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführen, in Betracht (BGH GRUR 2016, 268 – Störerhaftung des Access-Providers, Rn. 87).
Die Klägerinnen haben umfangreich dargelegt, welche Maßnahmen sie getroffen haben, um die Betreiber der Webseiten … bzw. … als primär Verantwortliche zu identifizieren bzw. um gegen die Host-Provider der streitgegenständlichen Webseiten vorzugehen.
Diese Bemühungen hat die Beklagte vollumfänglich – pauschal bzw. mit Nichtwissen – bestritten. Das pauschale Bestreiten bzw. Bestreiten mit Nichtwissen ist allerdings in Anbetracht des detaillierten Sachvortrags der Klägerinnen nicht ausreichend. Die Kammer ist aufgrund der von den Klägerinnen vorgelegten Dokumentation davon überzeugt, dass die Klägerinnen keine Möglichkeit haben, die Betreiber der Webseiten … und … bzw. deren Hostprovider in Anspruch zu nehmen.
a) Die Klägerinnen haben umfangreich dargelegt, welche Maßnahmen sie getroffen haben, um die Betreiber der Webseiten … bzw. … als primär Verantwortliche zu identifizieren.
Die Schilderungen der Klägerinnen zeigen eindrücklich, dass die Webseiten … und … auf einer rechtswidrigen Geschäftsidee beruhen und daher überhaupt kein Interesse an der Zusammenarbeit mit Rechteinhabern oder staatlichen Behörden haben. Im Falle des Portals … ist die Betreiberin offensichtlich sogar unter dem Namen … namentlich bekannt – trotzdem gelang es den Klägerinnen bislang nicht, hinsichtlich dieses Portals irgendetwas zu erreichen.
aa) Hinsichtlich des Portals … haben die Klägerinnen nach ihrem Vortrag erfolglos u. a. mehrere Ermittlungsunternehmen beauftragt, ein Unterlassungs- und Auskunftsurteil erstritten und auch mögliche E-Mail-Accounts der Betreiber kontaktiert.
Hinsichtlich des Portals … haben die Klägerinnen nach ihrem Vortrag vergleichbare Handlungen unternommen; insbesondere seien Ermittlungen in Kasachstan ins Leere gegangen. Auch hier seien etwaige Kontaktversuche gescheitert.
Hinsichtlich beider Portale haben die Klägerinnen nach ihrem Vortrag versucht, die Host-Provider zu erreichen und hier Auskünfte oder Sperrungen durchzusetzen. Beide Portale sind nach Klägerinnenvortrag auf mehreren Host-Portalen verfügbar – meist im osteuropäischen Ausland oder in Übersee auf sog. „Bullet-Proof“-Host Providern.
bb) Soweit die Beklagte die von den Klägerinnen durchgeführten Maßnahmen, insbesondere die Ergebnisse der von den Klägerinnen privat angestellten Ermittlungsmaßnahmen und die Abmahn- und Auskunftsversuche gegen die Host-Provider bestreitet, ist das einfache Bestreiten bzw. das Bestreiten mit Nichtwissen unbeachtlich (§ 138 Abs. 4 ZPO).
Denn auch wenn die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen durch die Klägerin tatsächlich nicht Gegenstand der Wahrnehmung der Beklagten waren, wäre sie durchaus in der Lage, mit zumutbarem Aufwand selbst Erkenntnisse zu den bestrittenen Ermittlungsergebnissen zu gewinnen – insbesondere soweit es um öffentlich zugängliche Informationen, wie etwa ein fehlendes Impressum oder bestehende WHOISEinträge o. ä. geht.
Hinzu kommt, dass die von den Klägerinnen geschilderten Ermittlungsergebnisse und Bemühungen sich mit der allgemeinen Lebenserfahrung decken – es ist gerade nicht Ziel der streitgegenständlichen Webseiten, die mit rechtswidrigen Inhalten Geschäfte machen, für die Rechteinhaber einfach bzw. überhaupt erreichbar zu sein.
Vor diesem Hintergrund ist zur Überzeugung der Kammer ein einfaches Bestreiten bzw. ein Bestreiten mit Nichtwissen durch die Beklagte nicht ausreichend. Vielmehr hätte sie konkret vortragen müssen, warum der Vortrag der Klägerinnen in Zweifel zu ziehen sei.
b) Mit den angestellten Ermittlungen haben die Klägerinnen ihren Nachforschungspflichten Genüge getan. Insbesondere sind sie nicht verpflichtet, etwa gerichtliche Maßnahmen gegen Hostprovider in … („…“) einzuleiten, bevor sie in … gegen die Beklagte als bloße Internetzugangsvermittlerin vorgehen können.
Unabhängig davon, ob es möglich wäre, gegen diesen Host-Provider insbesondere einen vollstreckbaren Auskunftstitel zu erreichen, zeigt bereits die Tatsache, dass die streitgegenständlichen Webseiten auf zahlreichen Servern gehostet sind, dass unproblematisch ein Hostproviderwechsel möglich ist. Dieser wurde nach Klägerinnenvortrag auch bereits mehrfach durchgeführt.
Außerdem zeigt die Tatsache, dass nach Klägerinnenvortrag durch die Betreiber der streitgegenständlichen Dienste außerdem Identitäten verschleiert werden, dass auch ein erfolgreiches Auskunftsersuchen angesichts des Geschäftsmodells der streitgegenständlichen Dienste mitnichten zu einer Einstellung führen würde.
Da folglich die begründete Befürchtung besteht, dass die Seitenbetreiber erneut den Hostprovider wechseln und ein zuvor erstrittener Titel gegen den bisherigen Hostprovider wirkungslos wäre, erscheint es nicht sachgerecht, die Klägerinnen auf ein solches Vorgehen zu verweisen.
Die Kammer ist insoweit im Übrigen der Ansicht, dass die Anforderungen, die § 7 Abs. 4 TMG insoweit an die Klägerinnen stellt, nicht überspannt werden dürfen. § 7 Abs. 4 TMG ist diesbezüglich unionsrechtskonform auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal darf daher nicht dazu führen, dass ein Rechtsbehelf quasi ins Leere läuft. Dies wäre jedoch bei einem kriminellen Geschäftsmodell, wie den streitgegenständlichen Webseiten … und …, in der Regel der Fall. Diese legen es gerade darauf an, nicht ausgeforscht zu werden und weichen für ihre Internetauftritte bewusst in Länder aus, in denen die Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt sind. Wären die Klägerinnen darauf verwiesen, immer weiter nachzuforschen und zahlreiche Rechtsbehelfe gegen die unbekannten Betreiber anzustrengen, wäre ihr Anspruch nach § 7 Abs. 4 TMG gegen derartige Webseiten quasi nutzlos.
7) Die Einrichtung einer DNS-Sperre ist auch zumutbar und verhältnismäßig i.S.d. § 7 Abs. 4 S. 2 TMG.
Die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen nach Abs. 4 und damit auch dafür, dass die mögliche Sperre im Einzelfall geeignet und nicht z. B. wegen „Overblocking“ unzulässig ist, trägt die Klagepartei, während für die Frage der Zumutbarkeit – mangels Einsicht des Rechteinhabers in die Verhältnisse des Diensteanbieters – die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast eingreifen, sodass sich der Diensteanbieter substantiiert auf die Unzumutbarkeit berufen muss (Spindler/Schmitz/Spindler, Telemediengesetz, 2. Aufl. 2018, Rn. 102; Mantz GRUR 2013, 969, 975; BeckOK InfoMedienR/Paal, 23. Ed., Stand 01.02.2019, TMG § 7 Rn. 76a).
a) Die Vornahme einer DNS-Sperre ist verhältnismäßig. Maßgeblich für die dabei erforderliche Interessenabwägung sind einerseits die Rechte der Klägerinnen, die sich insbesondere auf Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 17 Abs. 2 EUGrundrechtecharta berufen können, die das geistige Eigentum schützen. Auf der anderen Seite sind die Berufsfreiheit der Beklagten sowie ihr Recht auf Freiheit der unternehmerischen Tätigkeit aus Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 16 EUGrundrechtecharta zu berücksichtigen. Dazu zählt die Freiheit des Unternehmers, über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen zu verfügen (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2015 – I ZR 174/14 – Rn.35-37, juris).
aa) Die Sperrmaßnahme muss hinreichend effektiv sein, um einen wirkungsvollen Schutz des klägerischen Grundrechts auf Eigentum sicherzustellen, indem unerlaubte Zugriffe auf Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und die Internetnutzer zuverlässig vom Zugriff darauf abgehalten werden (EuGH Urt. v. 27.03.2014, C-314/12, GRUR 2014, 468 Rn.62f. – UPC Telekabel).
Die Beklagte bestreitet die Effektivität der Einrichtung einer DNS-Sperre mit dem Hinweis, dass diese geradezu lächerlich einfach umgangen werden könne. Anweisungen hierzu könnten per Suchmaschine leicht und in großer Zahl gefunden werden.
Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht. Es ist zu beachten, dass bei Einrichtung einer DNS-Sperre für den Nutzer der direkte Zugriff über die „Standardeinstellungen“ des Access-Providers nicht mehr möglich wäre. Ein Nutzer müsste folglich aktiv Maßnahmen treffen, um die Sperre zu umgehen. Erst dann wäre dem Nutzer der Zugriff wieder möglich. Hierdurch steigt für den Nutzer die Hemmschwelle; ihm wird durch die Sperre sein rechtswidriges Tun vor Augen geführt. Um einen Download zu ermöglichen, muss er zusätzliche, aktive Maßnahmen anstrengen. Damit ist die Maßnahme aber auch hinreichend effektiv im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (vgl. auch BGH GRUR 2016, 268 – Störerhaftung des Access-Providers, Rn. 48).
bb) Auch steht die Gefahr eines „Overblocking“ nicht entgegen. Zwar ist eine DNS-Sperre in dieser Hinsicht grundsätzlich bedenklich, da sie den Zugang zur Website insgesamt blockiert, so dass auch legale Inhalte nicht mehr abrufbar sind. Soll sich der Anbieter eines auf Rechtsverletzungen angelegten Geschäftsmodells indes nicht hinter wenigen legalen Angeboten verstecken können, liegt es auf der Hand, dass eine Sperrung nicht nur dann zulässig sein kann, wenn ausschließlich rechtswidrige Informationen auf der Webseite bereitgehalten werden (BGH aaO., Rn.55).
Auf den streitgegenständlichen Websites ist der Anteil legaler Inhalte verschwindend gering. Die Klagepartei beziffert den Anteil legaler oder jedenfalls nicht evident illegaler Inhalte auf weniger als 10 bzw. 4%. Dem ist die Beklagtenpartei nicht substantiiert entgegengetreten.
Im Übrigen ist das Angebot der streitgegenständlichen Webseiten offensichtlich in hochkrimineller Weise auf die massenweise Verletzung von Urheberrechten ausgerichtet. Dies folgt bereits aus der Aufmachung der Seiten und der Tatsache, dass keine Impressumsangaben vorhanden sind (vgl. LG München I, 7 O 17752/17, MMR 2018, 322 – kinox.to). Die Möglichkeit des illegalen Zugangs zu wissenschaftlichen Dokumenten steht bei der Website offenkundig im Vordergrund, so dass die Gefahr des Overblocking in der Gesamtschau nicht wesentlich ins Gewicht fällt.
b) Zur wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Einrichtung einer DNS-Sperre hat die Klagepartei vorgetragen, dass sich die Kosten hierfür nach ihrer Kenntnis aus Parallelverfahren auf 2.000 EUR bis 4000 EUR belaufen. Diese Beträge sind ins Verhältnis zum Gesamtumsatz der Beklagten zu setzen (vgl. LG München I aaO.), der sich weltweit nach eigener Darstellung der Beklagten auf einen zweistelligen Milliardenbetrag beläuft. In dieser Relation betrachtet sind die Kosten vernachlässigenswert.
Die Beklagte hat ihrerseits mögliche Kosten nicht näher dargelegt oder beziffert. Sie hat im Wesentlichen pauschal vorgetragen, dass die zu sperrenden Adressen jeweils manuell eingepflegt werden müssten. Einen die Grenze des Zumutbaren überschreitenden personellen oder zeitlichen Einsatz hat die Beklagte nicht dargelegt. Sie hat sich damit nicht substantiiert auf eine Unzumutbarkeit berufen.
Der Kammer ist im Übrigen aus Parallelverfahren gegen Wettbewerber der Beklagten bekannt, dass DNS-Sperren in der Regel ohne größeren Aufwand umgesetzt werden können.
8) Dem nicht werksbezogenen Antrag der Klägerinnen war daher voll zuzusprechen – auf den werksbezogenen Hilfsantrag kommt es nicht mehr an.
Der BGH sieht im in § 7 Abs. 4 TMG normierten Anspruch auf Sperrung einen echten Leistungsanspruch (vgl. BGH GRUR 2018, 1044 – Dead Island, Rn. 43 und 57). Daher ist er mit dieser Entscheidung auch von einer schutzrechtsbezogenen Betrachtung abgegangen, die mit der Abkehr vom aus Störerhaftung hergeleiteten Unterlassungsanspruch verbunden war (vgl. BGH aaO. Rn. 27; GRUR 2016, 268 – Störerhaftung des Access-Providers).
In der Konsequenz bedeutet dies jedoch auch, dass der Leistungsanspruch auf Sperrung bei Erfüllung der Anspruchsgrundlagen (Rechtsverletzung und sonstige Anforderungen des § 7 Abs. 4 TMG) durch das Gericht zuzusprechen ist – und zwar ohne Begrenzung auf bestimmte Werke. Die Beklagte ist insofern – zum Nachweis rechtsvernichtender Einwendungen wie Erfüllung o. Untergang – auf das Vollstreckungsrecht zu verweisen.
9) Soweit sich die Beklagte ursprünglich auf eine Verurteilung Zugum-Zug gegen Übernahme der mit der Sperre verbundenen Kosten berufen hat, war dies nicht auszusprechen. Soweit die Beklagte sich dabei auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB berufen möchte, fehlt es bereits an einem bestimmten und fälligen Gegenanspruch, da die Beklagte diesen nicht beziffert hat.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens gem. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO. Die Kammer hat sich bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung am Wert des Verfahrens orientiert.
Die Kammer hat die Umstellung der Anträge mit Schriftsatz vom 29.05.2019 als nicht werterhöhend betrachtet, da die wirtschaftliche Bedeutung und damit der Wert des Streitgegenstands gleichwertig ist; zunächst hatten die Klägerinnen einen werksbezogenen (Haupt-)Antrag auf Unterlassung gestellt, nunmehr einen nicht werksbezogenen (Haupt-)Antrag auf Sperrung. Beides hat für die Beklagte im Ergebnis zur Folge, dass sie ihren Nutzern keinen Zugang zu den streitgegenständlichen Domains mehr gewähren darf bzw. diese sperren muss. Der (wirtschaftliche) Wert des Streitgegenstands ändert sich daher nicht.
Verkündet am 25.10.2019


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