IT- und Medienrecht

Voraussetzungen der Sperrung des Nutzerkontos eines sozialen Netzwerks wegen “Hassrede”

Aktenzeichen  29 O 386/19

Datum:
16.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 53373
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 241
GG Art. 5 ABs. 1

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen der Sperrung des Nutzerkontos eines sozialen Netzwerks wegen “Hassrede”. (Rn. 48 – 71) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die am 16.11.2017 vorgenommene Sperrung des Profils der Klägerin (…) auf … ohne die Angabe von Gründen rechtswidrig war.
2. Es wird festgestellt, dass die am 21.08.2018 vorgenommene Sperrung des Profils der Klägerin (…) auf … rechtswidrig war.
3. Der Beklagten wird aufgegeben, den nachfolgenden wiedergegebenen, am 21.08.2018 gelöschten Beitrag der Klägerin wieder freizuschalten.
„Aktuell trifft sich die patriotische Jugend der Identitären Bewegung, um sich politisch fortzubilden und Gemeinschaft zu leben! Wer die Bilder sieht, der empfindet ein Gefühl der Hoffnung!“
4. Es wird festgestellt, dass die am 03.11.2018 vorgenommene Sperrung des Profils der Klägerin (…) auf … rechtswidrig war.
5. Der Beklagten wird aufgegeben, den nachfolgend wiedergegebenen, am 03.11.2018 gelöschten Beitrag der Klägerin wieder freizuschalten.
6. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen, ob die Sperre gem. Ziff. 1, 2 und 3 durch ein beauftragtes Unternehmen erfolgt, und in letztem Fall, durch welches.
7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
8. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 54 % und die Beklagte 46 % zu tragen.
9. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung von 27.500,00 Euro vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil für sie vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 59.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
A.
I. Das Landgericht München I ist nach Art. 17, 18 EUGVVO international und örtlich zuständig.
II. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der von ihm begehrten Feststellung der Unzulässigkeit der gegen ihn verhängten Sperren, § 256 ZPO. Die gegen sie verhängten Sperrzeiten sind bereits abgelaufen und können daher nicht mehr rückgängig gemacht werden. Allerdings kann die Klägerin im Sinne einer Fortsetzungsfeststellung die Rechtswidrigkeit für die Zukunft festgestellt erhalten, weil die Beklagte an die Tatsache früherer Sperren bei weiteren Sperren in der Zukunft Konsequenzen der Gestalt knüpft, dass sich die Dauer weiterer Sperren verlängert.
Insoweit war über den geltend gemachten Hilfsantrag nicht zu entscheiden.
III. Die Klageerweiterung ist nach § 263 ZPO zulässig. Klageänderungen sind zulässig, sofern die Beklagte – wie nicht – zustimmt oder das Gericht die Klageerweiterung für sachdienlich erachtet. Letzteres ist vorliegend der Fall. Für eine Sachdienlichkeit spricht es, wenn mit der geänderten Klage die noch bestehenden Streitpunkte miterledigt werden können und dadurch ein neuer Prozess vermieden wird, Greger, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 263 Rn. 13. Vorliegend führt die Klageerweiterung zu einer abschließenden Erledigung des Rechtsstreits. Bei den Posts handelt es sich zwar jeweils um neue Lebenssachverhalte, die zugrundeliegenden Rechtsfragen sind jedoch identisch. Die Klageerweiterung ist daher als sachdienlich zuzulassen.
B.
Die Klage ist teilweise begründet.
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Feststellung, dass die gegen sie durch die Beklagte verhängte Sperre ihres …-Profils am 16.11.2017, 21.08.2018 und am 03.11.2018 rechtswidrig war.
1. Die Rechtmäßigkeit der Sperre bestimmt sich auf Grund der in Ziff. 5 der Sonderbedingungen für Deutschland (Anlage K 2) getroffenen Rechtswahl nach deutschem Recht. Die Rechtswahl ist nach Art. 3 Rom I-Verordnung wirksam. Sie unterliegt insbesondere nicht den Beschränkungen nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-Verordnung.
2. Die Sperre des Profils der Klägerin bei der Beklagten verletzt den zwischen den Parteien geschlossenen Nutzungsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB.
a) Dieser Nutzungsvertrag ist als Vertrag sui generis anzusehen. Die Rechtsgrundlage des Vertragsverhältnisses wird im Wesentlichen bestimmt durch die Geschäftsbedingungen der Beklagten, welche die Klägerin bei Anlage ihres Kontos bei der Beklagten akzeptiert hat. Gegenstand der Beurteilung sind insoweit die jeweils gültigen Bedingungen.
b) Die von der Klägerin verfassten Beiträge, welche Anlass für die Sperre waren (vgl. Bl. 6, 58, 140 d.A.) verstießen nicht gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten (Anlage K3), insoweit diese zutreffend ausgelegt werden unter Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 GG, die im Verhältnis unter Privaten allerdings nicht unmittelbar anwendbar ist.
aa) Hinsichtlich der ersten Sperrung am 16.11.2017 hat die Beklagte als Begründung angegeben, dass das Konto gesperrt wurde, weil gegen die Erklärung der Rechte und Pflichten von … verstoßen worden sei. Weiter wird auf die Richtlinien hingewiesen und auf folgende Aktionen, die nicht erlaubt seien:
-Unterstützung gewalttätiger und/oder krimineller Organisationen oder Gruppen
-Glaubwürdige Androhungen von Gewalt anderen gegenüber oder selbstzerstörerisches Verhalten
-Herausgreifen von anderen Einzelpersonen auf der Seite
-Hassrede oder das Herausstellen von Personen basierend auf Rasse, Ethnizität, nationaler Herkunft, Religion, Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Behinderung oder Krankheit
-Explizite Inhalte, einschließlich sadistischer Darstellungen von Gewalt gegenüber Menschen oder Tieren sowie Darstellungen sexueller Übergriffe
-Verkauf von Freizeitdrogen oder Medikamenten
Die Beklagte hat als darlegungs- und beweisbelastete Partei für die Zulässigkeit der Sperrung angeführt, dass die Sperrung aufgrund der Vielzahl der Benutzerkonten der Klägerin zulässig sei. Tatsächlich hat die Klägerin 13 Benutzerkohten bei … unterhalten. Diese Tatsache hat die Klägerin nicht bestritten, gilt damit als unstreitig, § 138 Abs. 3 ZPO. Zwar ist die Klägerin nach Ziffer 4 der Sonderbedingungen nur berechtigt, ein einzelnes Konto zu erstellen, die Beklagte schreibt jedoch selbst, dass sie in Fällen wenn ein Nutzer mehrere Konten habe, alle Konten bis auf das authentischste deaktiviere (Bl. 36, 37 d.A.). Dies ist im Fall der Klägerin gerade nicht erfolgt. Es wurden sämtliche Konten deaktiviert. Zwar hätte die Beklagte den Nutzungsvertrag mit der Klägerin aufgrund dieses Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards außerordentlich kündigen können. Eine derartige Kündigung/Vertragsbeendigung ist jedoch nicht erfolgt. Auch die Beklagte beruft sich nicht hierauf.
Soweit sich die Beklagte weiter darauf beruft, dass die Klägerin auf einigen Konten Inhalte veröffentlicht habe, die als Hassbotschaften unzulässig sei und sie „Wiederholungstäterin“ sei, rechtfertigt auch dies keine Sperrung. Die Beklagte führt nicht aus, dass in Zusammenhang mit der Sperrung am 16.11.2017 eine Hassbotschaft verbreitet worden sei. Dass die Klägerin irgendwann einmal eine Hassbotschaft verbreitet hat, genügt für eine Sperrung nicht aus. Der Vortrag der Beklagten ist unsubstantiiert. Die Beklagte ist damit ihrer Darlegungs- und Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Sperrung nicht nachgekommen.
Im Übrigen hat die Beklagte einen „Fehler“ bei der Sperrung selbst eingeräumt.
Soweit die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet, dass die Klägerin das interne Beschwerdesystem gegen die Sperrung durchlaufen habe, wäre die Beklagte hierfür darlegungs- und beweisbelastet. Das Bestreiten genügt nicht. Die Klägerin kann mangels Speichermöglichkeit die Durchführung des internen Beschwerdeverfahrens gerade nicht nachweisen.
bb) Die Sperrung des Accounts der Klägerin am 21.08.2018 durch die Beklagte war nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls rechtswidrig. Die Beklagte kann sich nicht auf die Unvereinbarkeit des Posts mit ihren Gemeinschaftsbedingungen berufen.
(1) Nach Überzeugung des Gerichts gelten für diesen Verstoß die aktualisierten Nutzungsbedinungen und Gemeinschaftsstandards (Anlage K 1 bis 3) vom 19.04.2018. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts daraus, dass die Klägerin den Gemeinschaftsbedingungen und Nutzungsbedingungen am 20.04.2018 ausdrücklich zugestimmt hat (Anlage B 12). Zudem war die Änderung der Gemeinschaftsbedingungen wirksam. Nach Überzeugung des Gerichts ist es auch nach § 308 Nr. 5 BGB nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Nutzung ihrer Plattform von der Zustimmung zu ihren geänderten Nutzungsbedingungen abhängig macht. Der Klägerin stand es frei, die Zustimmung zu verweigern. Zwar hätte die Klägerin, die Dienste der Beklagten nicht weiter nutzen können. Jedoch ist nicht erkennbar, dass dies für sie einen so schweren Nachteil bedeutete hätte, dass es der Nichtigkeitsfolge bedarf, zumal sie die Verweigerung der weiteren Nutzung gerichtlich überprüfen lassen hätte können (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 18.12.2018, 7 W 66/18).
(2) Die Gemeinschaftsstandards verbieten Inhalte, die als „Hassreden“ ausgelegt werden können (Anlage B 11). Hassreden werden dabei definiert, als direkter Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften [wie] ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Kaste, Geschlecht, Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit. Auch Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren. Als Entmenschlichende Äußerung, wie Anspielungen bzw. Verweise auf oder Vergleiche mit: sexuelle(n) Angreifer(n), Untermenschlichkeit, Gewalt- und Sexualstraftäter(n), andere(n) Straftäter(n) (unter anderem „Diebe“, „Bankräuber“ oder die Aussage, dass alle [Menschen mit geschütztem Merkmal oder quasi-geschütztem Merkmal] „Verbrecher“ seien) und Aussagen über Minderwertigkeit oder Bilder, die implizieren, dass eine Person oder eine Gruppe körperliche, geistige oder moralische Defizite aufweist […] etc.
Die Gemeinschaftsstandards sehen weiter ein Verbot von Inhalten vor, die die Unterstützung von Gruppen zum Ausdruck bringen, die an organisiertem Hass beteiligt seien (Anlage B 11). Es würden Inhalte entfernt, die Gruppen […] unterstützen oder verherrlichen, die an [organisiertem Hass, organisierter Gewalt oder kriminellen Handlungen] beteiligt sind. Hassorganisation sei dabei jedweder aus drei oder mehr Personen bestehender Zusammenschluss, der unter einem Namen, Zeichen oder Symbol organisiert ist und dessen Ideologie, Aussagen oder physische Handlungen Personen aufgrund bestimmter Eigenschaften, wie u.a. ethnische Zugehörigkeit, religiöse Zugehörigkeit, Nationalität, ethnische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, schwere Erkrankung oder Behinderung, angreifen….“ (Anlage B 11).
Zunächst ist festzuhalten, dass die Definition von Hassrede und Hassorganisation eine sehr vage, unscharfe und nicht abgrenzbare ist, die gleichzeitig von ihrem Wortlaut her sehr weit ist. Rein nach dem Wortlaut wären als Hassrede alle Posts erfasst, die sich negativ über eine Person äußern auf Grund der in der Bestimmung genannten Eigenschaften der Person. Als Hassorganisation wären Vereinigungen umfasst, die Personen physisch, ideologisch oder mit Aussagen diskriminieren. Bei der Prüfung, ob der Post der Klägerin gegen das Verbot von Hassbotschaften verstößt oder eine Hassorganisation unterstützt, muss Berücksichtigung finden, dass auf Grund der Meinungsäußerungsfreiheit, die auch auf das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ausstrahlt, die Beklagte nicht schrankenlos jegliche abfällige Äußerung über Personen etwa auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer religiösen Orientierung verbieten kann oder jede Organisation als Hassorganisation eingestuft werden kann. Erforderlich ist ein qualifizierter Schweregrad der Äußerung bzw. der Verstöße der Organisation. Auch muss Berücksichtigung finden, ob die Organisation gezielt Einzelpersonen oder zumindest eine abgrenzbare Personenzahl angreift oder diskriminiert.
Im Rahmen der nach obigen Maßstäben vorzunehmenden Abwägung hinsichtlich der getroffenen Äußerungen ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kommentar der Klägerin eine Kombination von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung beinhaltet. Bei der Aussage „Aktuell trifft sich die patriotische Jugend der Identitären Bewegung“ handelt es sich um eine Tatsache. An diese schließt sich die Meinung der Antragstellerin an „um sich politisch fort-zubilden und Gemeinschaft zu leben! Wer die Bilder sieht, der empfindet ein Gefühl der Hoffnung!“ Im Vordergrund steht dabei die Meinungsäußerung in Form einer Unterstützung der Veranstaltung der Identitären Bewegung.
Meinungsäußerungen sind nur dann unzulässig, wenn sie die Grenze der Schmähkritik überschreiten. Schmähkritik liegt nur vor, wenn eine Äußerung jeglichen sachlichen Bezug vermissen lässt, die inhaltliche Auseinandersetzung zurücktritt und eine Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (OLG Frankfurt NJW 2013, 798 f.).
Bei dem Kommentar der Klägerin handelt es sich um keine Äußerung, die einen beleidigenden, diskriminierenden, rassistischen, rechtswidrigen oder strafbaren Charakter hat. Die Äußerung nimmt lediglich auf die patriotische Jugend der Identitären Bewegung Bezug bzw. kommentiert eine ehemalige Fanseite von …, ein Mitglied der Identitären Bewegung.
Soweit sich die Beklagte auf ein Sperrrecht beruft, da es sich bei der Identitären Bewegung um eine Hassorganisation i.S.d. Gemeinschaftsstandards handelt, folgt ihr das Gericht nicht. Dass die Identitäre Bewegung allein im Zeitraum zwischen August 2017 und August 2018 für mehr als 100 begangene Straftaten verantwortlich sei (Anlage B 19), genügt nach Überzeugung des Gerichts nicht für die Eingruppierung als Hassorganisation. Zum einen lässt sich aus dem Artikel des Handelsblatts nicht herauslesen, in welchem Bezug die Straftaten zur Identitären Bewegung stehen. Zum anderen sagt die Zahl von 100 Straftaten auch nicht über die Art/Schwere der geahndeten Delikten aus. Dass Mitglieder der Identitären Bewegung im Rahmen einer Kampagne „Defend Europe“ geplant haben, auf einer bekannten Flüchtlingsroute in den französischen Alpen einen Zaun zu bauen, ändert hieran nichts. Gleiches gilt für ein von diesen aufgestelltes Banner. Hier ist schon fraglich, ob die Aktionen von „Defend Europe“ dem deutschen Verein überhaupt zurechenbar sind. Die Identitäre Bewegung ist auch nicht deshalb als Hassorganisation einzustufen, da sie unter Beobachtung des Bundesamts für Verfassungschutz steht (Anlage B 8) und als verfassungsfeindlich einzustufen ist. Der Verein der Identitären Bewegung ist bislang gerade nicht als verfassungsfeindlich verboten worden. Auch handelt es sich nicht um eine terroristische Organisation. Jedenfalls gibt es hierfür keinen Vortrag der Beklagtenseite. Ebenso kann die Beklagte nichts aus einem Urteil des VG Ansbach hinsichtlich eines Entzugs der Waffenerlaubnis für ein Mitglied der Identitären Bewegung mangels Zuverlässigkeit für sich herleiten. Beim dem Urteil handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Dass allein die Mitgliedschaft in einer Identitären Bewegung für den Entzug der Waffenerlaubnis ausreicht, geht aus der Entscheidung gerade nicht hervor. Vielmehr war auch die Nähe zur verbotenen HDJ als auch der Umstand, dass der Betroffene des Urteils die Grenze der Meinungsfreiheit strafrechtlich überschritten hat. Insoweit ist nach Überzeugung des Gerichts jeweils im Rahmen einer Einzelfallkontrolle festzustellen, ob der Post das zulässige Maß überschritten hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Meinungsäußerung der Klägerin dürfte daher von Art. 5 GG gedeckt sein und nicht als Unterstützung einer Hassorganisation gelöscht werden.
cc) Die Sperrung des Accounts der Klägerin am 03.11.2018 durch die Beklagte war nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls rechtswidrig. Die Beklagte kann sich nicht auf die Unvereinbarkeit des Posts mit ihren Gemeinschaftsbedingungen berufen.
Weder genügt nach Überzeugung des Gerichts der Wortlaut des Posts noch das hochgeladene Bild für eine Sperrung aus.
Soweit die Klägerin schreibt: „+++ Diktatur-Deutschland? Konto erneut gesperrt. +++ Wieder wurde mein Konto – nachdem es gerade einen Tag online war – gesperrt. Erneut für 30 Tage. Der Grund? Schwachsinnig.“ handelt es sich erkennbar um eine zulässige Meinungsäußerung, die nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstößt. Soweit die Klägerin zusätzlich ein Bild mit vier Personen hochgeladen haben, die das T-Shirts mit dem Logo der Identitären Bewegung tragen, genügt auch dies für eine Sperrung nicht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter bb) Bezug genommen. Das Gericht erachtet die Identitäre Bewegung nicht als Hassorganisation, die zu einer Sperrung berechtigt.
II. Die Klägerin hat gegen die Beklagte jedoch keinen Anspruch auf Feststellung, dass die gegen sie durch die Beklagte verhängte Sperre ihres … Profils am 07.01.2018 rechtswidrig war.
Die Beklagte hat das Profil der Klägerin am 07.01.2018 mit der Begründung gesperrt, dass der gepostete Inhalt nicht ihren Gemeinschaftsstandards entspreche. Die Beklagte entferne Beiträge, die Personen basierend auf Rasse, Ethnizität, nationaler Herkunft, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder Behinderung angreife.
Nach Überzeugung des Gerichts ist der Post der Klägerin: Polen: „Wir sind die Festung gegen den hereinfallenden Islam! Wir werden Europa, dessen Werte, Traditionen und Kulturen verteidigen“ gerade in Zusammenhang mit dem auf Bl. 57 d.A. abgedruckten Bild als Verstoß gegen den Gemeinschaftsstandard der Beklagten zu werten.
Auf dem Bild wird eine vermummte Person mit einer polnischen Flagge einen Molotow-Cocktail auf ein trojanisches Pferd, in dessen Bauch ein Flüchtling (mit einem Sprengstoffgürtel) sitzt. Im Hintergrund ist eine Festung Europa abgebildet. Dieses Bild stellt nach Überzeugung des Gerichts einen klaren Angriff auf einen Flüchtling dar, unabhängig davon ob dieser sich als IS-Attentäter wegen des Sprengstoffes entpuppen sollte. Die Verletzung liegt nicht nur in dem Wurf eines Molotow-Cocktails, sondern der Behauptung, dass (je)der Flüchtling einen Sprengstoffgürtel tragen würde. Das Gewaltmonopol liegt gerade beim Staat. Ausnahmen bestehen insoweit nur für Notwehr- und Nothilferechte. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Nach Überzeugung des Gerichts könnte dieses Bild den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB erfüllen. Die Beklagte muss nach Überzeugung des Gerichts derartige Inhalte auf ihrer Plattform nicht dulden. Aufgrund des strafrechtlichen Charakters des Bildes ist es auch in keinster Weise mehr von der Meinungsfreiheit abgedeckt. Die Sperrung erfolgte damit nach Überzeugung des Gerichts zu Recht. Soweit sich der Klägervertreter mit E-Mail vom 08.01.2018 (Anlage K 25) sich darauf beruft, dass es sich nicht um einen Angriff auf eine Person, sondern um eine Kritik an einer Religion, Islam, handelt, folgt ihm das Gericht nicht. Das genannte Bild ist mehr als ein Angriff auf eine Religion. Der (angedeutete) Wurf eines Molotow-Cocktails auf ein trojanisches Pferd mit einem darin befindlichen Flüchtling, der islamischer Religion ist, ist nach Überzeugung des Gerichts nicht von der Meinungs- oder Religionsfreiheit abgedeckt. Hierbei handelt es sich – wie bereits dargestellt – nicht mehr um eine zulässige Meinungsäußerung, sondern um einen konkreten Aufruf zur Gewalt auf islamische Flüchtlinge.
Die Sperrung war daher nach Überzeugung des Gerichts zulässig.
III. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch Anspruch auf erneute Freischaltung des am 21.08.2018 und am 03.11.2018 gelöschten Beitrags.
Die Löschung dieses Beitrags war rechtswidrig, da dieser nicht gegen die Gemeinschaftsstandards oder sonstige vertragliche Vereinbarungen verstieß (s.o.). Die Klägerin hat aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag sui generis einen rechtlichen Anspruch, dass nicht vertragswidrige Inhalte veröffentlicht werden. Eine technische Einschränkung der Gestalt, dass etwa der Klägerin der Anspruch zu versagen wäre auf Grund der Vielzahl an Beiträgen, die Probleme hinsichtlich der Speicherung der Beiträge bedeuten würde, besteht vorliegend ersichtlich nicht.
Die ebenfalls seitens des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angesprochene Problematik, dass das Gericht bei einer Wiederherstellungsverpflichtung auf den Kontext zu achten habe, stellt sich aus Sicht des Gerichts an dieser Stelle nicht. Der Beklagten wird aufgegeben, einen ganz konkreten Beitrag des Klägers wiederherzustellen. Damit ist der Kontext gewahrt.
III. Die Klägerin hat keinen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte dahingehend, dass es dieser zu untersagen wäre, sie für die Einstellung des in Ziff. 8 bis 10 der Klageanträge genannten Textes erneut zu sperren oder diesen Beitrag erneut zu löschen.
Zwar beantragt die Klägerin hier nicht eine Untersagung einer zukünftigen Sperre wegen der Einstellung eines „sinngemäßen“ Textbeitrags. Aber auch ohne eine solche Erweiterung des Antrags kann die begehrte Unterlassung nicht ausgesprochen werden. Es ist in Fällen künftiger Löschungen von Beiträgen der Klägerin oder darauf gestützter Sperrungen seines Profils jeweils darauf zu schauen, ob der Kontext tatsächlich der gleiche bzw. vergleichbar ist. Hierbei kann nicht auf eine Wortlautidentität alleine abgestellt werden. So wäre etwa denkbar, dass die Klägerin einen wortgleichen Beitrag in einen anderen Beitrag integriert, der für sich genommen rechtswidrig ist und die Beklagte berechtigen würde, den Kläger zu sperren. Auch wäre es möglich, dass die Identitäre Bewegung als verfassungsfeindliche Organisation eingestuft würde, was zu einer grundlegenden Neubeurteilung der Rechtslage führen würde. Auch könnte sich im Rahmen der Rechtsprechung die Einstufung der Identitären Bewegung als Hassorganisation durchsetzen. Daher kann eine entsprechende Untersagung für die Zukunft nicht ausgesprochen werden.
IV. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, dass diese …-Seiten des Klägers nur mit Begründung löscht. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für einen entsprechenden Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte. Zwar ist auch aus Sicht des Gerichts äußerst misslich, dass die Beklagte keine aussagekräftigen Begründungen für das Löschen von Beiträgen, das Sperren von Profilen und die Deaktivierung von Seiten gibt, weil es so unmöglich ist, nachzuvollziehen, welche Erwägungen für denjenigen, der die Entscheidung dazu traf, maßgeblich waren, aber eine Verurteilung durch das Gericht setzt voraus, dass es eine Rechtsgrundlage für einen entsprechenden Anspruch gibt. Eine solche ist aber weder in den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien genannt, noch ergibt sie sich aus dem Gesetz, etwa aus § 241 Abs. 2 BGB oder § 242 BGB.
V. Die Klägerin hat aus § 242 BGB Anspruch auf Auskunft gegen die Beklagte, ob die gegen ihn verhängten Sperren bzw. die Deaktivierung ihres Accounts durch ein von der Beklagten beauftragtes Unternehmen erfolgte und ggf. durch welches.
Die Klägerin bringt unwidersprochen vor, dass in den Medien berichtet worden sei, dass … die Löschung von Beiträgen nicht durch eigene Mitarbeiter bearbeite, sondern auf beauftragte Unternehmen zurückgreife. Ihm sei aber nicht bekannt, ob dies gerade bei ihm der Fall gewesen sei und ggf. durch welches Unternehmen. Es kämen deliktische Ansprüche gegen diese Unternehmen in Betracht.
Die Klägerin befindet sich damit in zu entschuldigender Unkenntnis über die Tatsache, ob Dritte an den ihn betreffenden Sperrungen mitwirkten. Gleichzeitig ist anzuerkennen, dass die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Erlangung entsprechender Informationen hat, da jedenfalls deliktische Ansprüche etwa aus § 826 BGB gegen diese Drittunternehmen nicht vollkommen ausgeschlossen sind. Der Beklagten ist dagegen die gewünschte Auskunft unschwer möglich. Auch werden keine Geheimhaltungsinteressen der Beklagten durch die Verurteilung zu einer entsprechenden Auskunft verletzt.
VI. Die Klägerin hat hingegen keinen Anspruch auf Auskunft gegen die Beklagte, ob diese von der Bundesregierung oder nachgeordneten Stellen Weisungen oder Ratschläge etc. zur Löschung von Beiträgen erhalten hat.
Die Klägerin bringt nicht in ausreichendem Maße vor, dass solche Weisungen, Ratschläge oder Hinweise tatsächlich an die Beklagte erfolgt sind. Nicht ausreichend für einen Auskunftsanspruch ist, dass der die Auskunft Begehrende grundsätzlichen Einblick etwa in die Geschäftspolitik eines Unternehmens erlangen will, wie dies hier der Fall ist.
Im Übrigen scheiden Weisungen der Bundesregierung oder nachgeordneter Stellen an … schon mangels Rechtsgrundlage aus.
VII. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 4.500 € oder eines niedrigeren Betrags nebst Zinsen.
Zwar hat sich die Beklagte durch die beiden gegenständlichen Sperrungen vertragswidrig verhalten (§ 280 BGB). Auch konnte sie sich hinsichtlich ihres Vertretenmüssens dieser Vertragsverletzungen nicht entlasten. Es fehlt jedoch an einem ersatzfähigen Schaden des Klägers.
1. Einen materiellen Schaden bringt die Klägerin nicht substantiiert dar. Zwar mögen ihre Kommunikationsmöglichkeiten in Folge der Sperren eingeschränkt gewesen sein, konkrete finanzielle Schäden dadurch hat die Klägerin aber nicht vorgebracht. Ein Schaden allein unter dem abstrakten Gesichtspunkt des Verlusts von Kommunikationsmöglichkeiten kommt bei einer nicht im unternehmerischen Verkehr stehenden Person nicht in Betracht. Eine berufliche Nutzung der Plattform erfolgt nicht.
2. Ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden auf Grund einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt ebenfalls nicht vor. Der Nutzungsmöglichkeit von … kommt keine grundsätzliche Bedeutung für die Entfaltung der Person zu. Die Klägerin benennt auch keine anerkannte Kategorie innerhalb der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
C.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Ziffer 14. der Klageanträge).
1. Grundsätzlich ist es dem Betroffenen einer Vertragsverletzung zuzumuten, die Rechtsverfolgung selber durchzuführen. Ein Ersatz von Rechtsanwaltskosten ohne dass bereits Verzug eingetreten ist, kommt deliktsrechtlich nur bei Fällen schwieriger Schadensabwicklung in Betracht. Dass hier ein solcher Fall gegeben wäre, ist nicht zu erkennen. Offenbar erfolgte bereits die erste Rückmeldung seitens der Klägerin über seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten. Die Kosten der Einschaltung seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten waren damit keine ersatzfähigen erforderlichen Kosten im Sinne des § 249 BGB.
2. Einen Anspruch gestützt auf Verzug der Beklagten (§§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB) hat der Kläger insoweit ebenfalls nicht. Zwar hat sich die Klägerin anlässlich seiner Sperren bei der Beklagten über eine entsprechende Schaltfläche beschwert, er hat jedoch jeweils noch am selben oder nächsten Tag seine nunmehrigen Prozessbevollmächtigten eingeschaltet. Damit können die Kosten von deren Tätigkeit nicht verzugskausal sein.
3. Hinzu kommt, dass die Einholung einer Deckungszusage per se nicht erstattungsfähig sind. Diese sind bereits im Rahmen der vorgerichtlichen oder gerichtlichen Tätigkeit mit abgegolten. Ein gesonderter Kostenerstattungsanspruch besteht insoweit nicht.
D.
Die Entscheidung über die Kosten erfolgte nach § 92 Abs. 1 ZPO. Bei der konkreten Bemessung des Obsiegens-/Unterliegensanteils hat sich das Gericht anhand der festgesetzten Streitwertbemessung gerichtet. Das Gericht hat sich insoweit an dem Vorschlag der Klägerin Bl. 165 d.A. orientiert.
Über die vorläufige Vollstreckbarkeit war für die Klägerin nach § 709 ZPO zu entscheiden. Die Sicherheitsleistung wurde anhand des gewonnenen Betrages festgesetzt. Für die Beklagte richtet sich die vorläufige Vollstreckbarkeit nach §§ 709, 711 ZPO.


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