IT- und Medienrecht

Vorläufiger Rechtsschutz auf Akteneinsicht

Aktenzeichen  9 CE 21.853

Datum:
7.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16355
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 44a, § 100 Abs. 1, § 123

 

Leitsatz

Fehlen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses für einen Antrag nach § 123 VwGO, weil die verfolgte Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht mehr erforderlich ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 17 E 21.198 2021-03-03 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500‚00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt gegenüber der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung von Akteneinsicht in Akten zu einem Baugenehmigungsverfahren der Beigeladenen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … Gemarkung F. (W. H. Weg …). Auf den südöstlichen Nachbargrundstücken FlNr. … und … derselben Gemarkung jenseits des W.er Weges beabsichtigt die Beigeladene zwei Doppelhäuser mit je vier Wohneinheiten zu errichten. Auf den bei der Antragsgegnerin am 25. November 2020 bzw. nach Änderungen nochmals am 18. Januar 2021 eingereichten entsprechenden Bauantrag der Beigeladen wurde dieser mit Bescheid vom 16. März 2021 die Baugenehmigung erteilt.
Den Antrag der Antragstellerin vom 11. Januar 2021, im Hinblick auf das eingeleitete förmliche Baugenehmigungsverfahren vollständige Akteneinsicht zu gewähren, hatte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12. Januar 2021 mit der Begründung abgelehnt, dass die Beigeladene keine Beteiligung der Öffentlichkeit nach Art. 66a BayBO oder von sonstigen Personen, die nicht Nachbar im baurechtlichen Sinne seien, beantragt habe.
Den am 2. Februar 2021 gestellten Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Erteilung vollständiger Akteneinsicht durch Übersendung der ihr vorliegenden Bauunterlagen zu dem Bauvorhaben der Beigeladenen zu verpflichten, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. März 2021 als unbegründet abgelehnt. Es sei kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO gewähre keinen einklagbaren Anspruch auf Akteneinsicht. Ein solcher oder ein Anspruch auf ermessensfreie Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch ergebe sich auch nicht auf der Grundlage von Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, obwohl die Antragstellerin als Nachbarin und somit Beteiligte angesehen werden könne. § 44a VwGO stehe der von der Sachentscheidung isolierten Geltendmachung der Akteneinsicht entgegen. Das Zuwarten des Verfahrensabschlusses führe zu keinem rechtlichen Nachteil und sei der Antragstellerin zumutbar. Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayDSG scheide als Rechtsgrundlage ebenfalls aus; diese Norm sei nach Art. 39 Abs. 2 BayDSG gegenüber Art. 29 BayVwVfG subsidiär. § 44a VwGO gelte auch insoweit. Es fehle zudem an der Geltendmachung eines Anordnungsgrundes. Es bestehe keine Dringlichkeit. Die Hauptsache würde außerdem, ohne das schwere, unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile in Rede stehen, vorweggenommen werden.
Hiergegen richtet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. § 44a VwGO stehe der selbständigen Geltendmachung der Akteneinsicht in die vollständigen Bauantragsunterlagen nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG nicht entgegen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör erfordere und beinhalte das Akteneinsichtsrecht. Die Gewährung der Akteneinsicht durch die Behörde führe gerade zur Verfahrensbeschleunigung und zur Entlastung der Gerichte, außerdem zur Waffengleichheit der Beteiligten und damit umfassendem Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG. Der ablehnende Beschluss sei widersprüchlich, da das Verwaltungsgericht die Antragstellerin als Beteiligte im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG ansehe und die Akteneinsicht zur Geltendmachung nachbarlicher Rechte erforderlich sei. Es bestehe jedenfalls ein Akteneinsichtsrecht nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG analog oder Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayDSG, da die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse habe. Sie habe ihre Absicht kundgetan, gegen das Bauvorhaben vorgehen zu wollen. Der Anordnungsgrund sei glaubhaft gemacht. Rechtsschutz in der Hauptsache sei im Hinblick auf die zeitlich eingeschränkte Möglichkeit, gegen die mittlerweile erteilte Baugenehmigung vorzugehen, zu spät. Eine Klage hiergegen habe keine aufschiebende Wirkung. Die Bauarbeiten könnten voranschreiten. Den Eilantrag mit dem Argument der Möglichkeit eines Eilantrags gegen die Baugenehmigung abzulehnen, sei widersprüchlich. Die Akteneinsicht diene der Abschätzung des Prozessrisikos. Die Vorwegnahme der Hauptsache sei im Interesse des Rechtsschutzes erforderlich, zumal kein begründetes Interesse der Antragsgegnerin an der Verweigerung der Akteneinsicht entgegenstehe. Die Antragstellerin habe gegen die Baugenehmigung rechtzeitig Klage erhoben, aber unstreitig noch keine Akteneinsicht erhalten. Dass die Bevollmächtigte der Antragstellerin in einem anderen Verfahren Akteneinsicht genommen habe, müsse sich die Antragstellerin im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht nicht zurechnen lassen.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vollständige Akteneinsicht durch Übersendung der der Antragsgegnerin vorliegenden Bauunterlagen zu dem Bauvorhaben der Fa. … … GmbH auf den Baugrundstück FlNr. … … Gemarkung F. zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin habe nach Zustellung der Baugenehmigung keinen Antrag auf Akteneinsicht in die Verfahrensakten des Baugenehmigungsverfahrens gestellt. In dem Klageverfahren eines weiteren Nachbarn gegen die Baugenehmigung habe die ebenfalls Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht beantragt. Die Antragsgegnerin habe inzwischen dem Verwaltungsgericht die Behördenakten im Original vorgelegt.
Ein Anspruch aus Art. 29 Abs. 1 BayVwVfG stehe der Antragstellerin jedenfalls nicht mehr zu und es fehle am Rechtsschutzbedürfnis, weil eine Baugenehmigung ergangen sei und im dagegen gerichteten Klageverfahren Akteneinsicht beansprucht werden könne. Bis zum Eintritt der Rechtskraft habe § 44a VwGO entgegengestanden. Nach Rechtskraft der Baugenehmigung sei von der Antragstellerin ein berechtigtes Interesse nicht glaubhaft gemacht. Die Hauptsache dürfe hier auch nicht vorweggenommen werden. Die Bevollmächtigte der Antragstellerin habe die Akteneinsicht in einem anderen Verfahren gewährt erhalten. Das sich hieraus ergebende Wissen müsse sie aus berufsrechtlichen Gründen auch für die Antragstellerin verwenden.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Der Antrag nach § 123 VwGO ist bereits unzulässig, jedenfalls aber auch unbegründet.
Es kann dabei offenbleiben, ob bereits § 44a VwGO der Zulässigkeit des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO wegen des Begehrens der Gewährung einer unselbständigen Verfahrenshandlung entgegenstand (vgl. BVerwG, U.v. 22.9.2016 – 2 C 16.15 – juris Rn. 15 ff.; BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 7 CE 19.343 – juris Rn. 12 m.w.N.) oder im Interesse der Erlangung hinreichend effektiven Rechtsschutzes ggf. nicht zur Anwendung hätte kommen dürfen (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2013 – 3 CE 13.1453 – juris Rn. 25 m.w.N.; Stelkens/Schenk in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 44a Rn. 30 ff.). Ebenso kann dahinstehen, ob zugunsten der Antragstellerin ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde oder ob der Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend besonders hohen Hürden unterliegt, weil die von den Antragstellern begehrte Akteneinsicht eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeutet hätte (vgl. HessVGH, B.v. 3.3.2016 – 4 B 403/16 – juris Rn. 10, 11). Denn es fehlt der Antragstellerin für ihren Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mittlerweile am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag, weil die hier verfolgte Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht mehr erforderlich ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 34). Darüber hinaus liegen schon nach den allgemeinen Anforderungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung nicht (mehr) vor, da die erforderlichen Dringlichkeitsgründe, die eine vorläufige Regelung im Wege einer gerichtlichen Eilentscheidung nötig machen (sog. Anordnungsgrund) hier nicht glaubhaft gemacht wurden (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2020 – 9 CE 20.1968 – juris Rn. 16).
Die von der Antragstellerin sinngemäß angeführte Begründung für ihren Eilantrag, die im Baugenehmigungsverfahren begehrte Akteneinsicht habe der Abschätzung des Prozessrisikos gedient, weshalb sie hinsichtlich ihres Akteneinsichtsgesuchs nicht auf ein Klage- oder Antragsverfahren gegen die Baugenehmigung verwiesen werden könne, kann diesen nach erfolgter Erteilung der Baugenehmigung und nachdem die Antragstellerin nach den von ihr vorgelegten Nachweisen hiergegen rechtzeitig Klage erhoben hat (Az. AN 17 K 21.00698), keinesfalls mehr tragen. Die Kenntnis vom Inhalt der Behördenakten zum Baugenehmigungsverfahren kann sich die Antragstellerin zudem, so noch nicht geschehen, nunmehr im von ihr angestrengten Klageverfahren gemäß § 100 Abs. 1 VwGO verschaffen. Sie hat ausweislich der von ihr vorgelegten betreffenden Klageschrift vom 16. April 2021 auch bereits Akteneinsicht beantragt. Nachdem das Verwaltungsgericht daraufhin ausweislich seines ebenfalls von der Antragstellerin vorgelegten Schreibens vom 22. April 2021 dazu aufgefordert hat, die Klage binnen 4 Wochen nach erfolgter Akteneinsicht zu begründen, hat die Antragstellerin nichts dargelegt und ist auch sonst nichts ersichtlich, was darauf hindeuten würde, dass das Verwaltungsgericht die Akteneinsicht verweigert hat bzw. sie von ihm nicht gewährt werden sollte, sobald dem Gericht die Behördenakten vorgelegt worden sind. Letzteres ist nach der Antragserwiderung der Antragsgegnerin zwischenzeitlich geschehen, sodass die Akteneinsicht nach § 100 Abs. 1 VwGO vom Gericht zu veranlassen ist bzw. war. Die Antragstellerin hat im Übrigen auch nicht bestritten, dass ihrer Bevollmächtigten in einem weiteren von ihr vertretenen Nachbarstreitverfahren (AN 17 K 21.00680) bereits Akteneinsicht gewährt worden ist. Warum damit vorliegend nicht zugleich dem Akteneinsichtsrecht der Antragstellerin Genüge getan ist, sondern es aus Gründen der anwaltlichen Schweigepflicht (vgl. § 43a Abs. 2 Satz 3 BRAO) und berufsrechtlichen Gründen notwendig sein sollte, durch die Bevollmächtigte in dieselben Akten zweimal Einsicht zu nehmen, weil sonst Tatsachen im Rahmen der anwaltlichen Vertrauensbeziehung innerhalb des ausdrücklich oder konkludent bestimmten Verschwiegenheitsrahmens vom Mandanten mitgeteilt oder in einem inneren Zusammenhang damit in Erfahrung gebracht würden (vgl. BVerwG, U.v. 10.4.2019 – 7 C 23.18 – juris Rn. 29), ist bei der vorliegenden Sachlage von der Antragstellerin nicht nachvollziehbar dargetan.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da sich die Beigeladene im Beschwerdeverfahren nicht beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben