IT- und Medienrecht

Zur Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten bei Selbstbeschaffung eines Kinderkrippenplatz

Aktenzeichen  M 18 K 17.5264

Datum:
18.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25705
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 24 Abs. 2 S. 1, § 36a Abs. 3 S. 1, § 90 Abs. 3
AGSG Art. 45a
BayGO Art. 21 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Für die Geltendmachung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs.2 SGB VIII genügt die Anmeldung bei einer Tageseinrichtung nicht, vielmehr muss der Bedarf des Anspruchsberechtigten gegenüber der Gemeinde bzw. dem zuständigen Jugendhilfeträger geltend gemacht werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle einer zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur die Mehrkosten zu übernehmen, die gerade durch die Selbstbeschaffung entstanden sind. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO analog.
Die zulässige Klage ist im Übrigen unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Differenz zwischen den Aufwendungen für den selbstbeschafften Betreuungsplatz und denjenigen Aufwendungen für einen Betreuungsplatz in einer öffentlich-rechtlich betriebenen Tageseinrichtung, § 113 Abs. 5 VwGO.
Zulässige Klageart ist eine Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO. Die Erstattung von Kosten für die selbstbeschaffte Leistung nach § 36a SGB VIII stellt einen Verwaltungsakt dar, sodass die richtige Klageart für die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs die Verpflichtungsklage ist (vgl. Stähr in Hauck/Noftz, SGB, Stand 12/14, § 36a Rn. 54; Pietzcker in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 42 Rn. 33 m.w.N.; BSG, U.v. 9.2.1989 – 3 RK 19/87 -, juris Rn. 20). Der Klage dürfte zwar im Zeitpunkt der Klageerhebung mangels vorheriger Geltendmachung des Anspruchs gegenüber der Beklagten das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt haben. Aufgrund der eindeutigen inhaltlich ablehnenden Positionierung der Beklagten im Schreiben vom … ist jedoch damit auch von einer vorrangig ergangenen angreifbaren Sachentscheidung – unabhängig von der gewählten Form der Entscheidung – auszugehen.
Die Klage ist unbegründet, da kein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen (Sekundäranspruch) besteht. Ein Sekundäranspruch ist bereits wegen der Erfüllung des Primäranspruchs durch die Beklagte nicht entstanden.
Die Klägerin hatte gegenüber der Beklagten aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII grundsätzlich einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes ab Vollendung des ersten Lebensjahres und damit ab dem 22. August 2015.
Die Klägerin hat ihren Anspruch auf einen Betreuungsplatz jedoch erstmals mit der Klageerhebung am 6. Mai 2015 geltend gemacht. Die Beklagte hat daraufhin fristgerecht (vgl. Art. 45a AGSG) am … zwei Plätze nachgewiesen. Diese Plätze in den Kindertageseinrichtungen I. und L.C. sind mangels entgegenstehenden Vortrags als bedarfsdeckend anzusehen. Hinweise für eine mangelnde Verfügbarkeit oder eine Unzumutbarkeit dieser Plätze in zeitlicher oder örtlicher Hinsicht sind nicht ersichtlich. Aus § 24 Abs. 2 SGB VIII ergibt sich weder ein Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers, noch ist die Höhe des dort zu entrichtenden Teilnahmebeitrags beschränkt (vgl. ausführlich hierzu BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – Leitsätze 2 und 3).
Die Vormerkung der Klägerin am 22. August 2014 sowie die Rückmeldung vom 16. Mai 2015 bei den Kindertagesstätten der Beklagten genügten hingegen für die erforderliche Inkenntnissetzung der Beklagten über den Bedarf nicht (vgl. bereits VG München, B.v. 8.1.2014 – M 18 E 13.4877 – juris Rn. 12). Vielmehr muss der Wille, nicht nur den einrichtungsbezogenen Anspruch aus Art. 21 Abs. 1 BayGO, sondern den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII geltend zu machen, hinreichend deutlich hervortreten. Denn nur in diesen Fällen kann (und muss) die Gemeinde bzw. der örtlich zuständige Jugendhilfeträger erkennen, dass sich der Bedarf des Anspruchsberechtigten nicht lediglich auf die konkret angefragten Einrichtungen beschränkt und im Hinblick auf den durch § 24 Abs. 2 SGB VIII gewährten Rechtsanspruch bislang unerfüllt geblieben ist (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 25). Hingegen ist für die Geltendmachung nicht erforderlich, dass die innerorganisatorische Zuständigkeitsverteilung beachtet wird, vielmehr sind entsprechende Anträge ggf. weiterzuleiten, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 18f). Ebenso wenig bedarf es für die Geltendmachung und damit den Beginn des Fristlaufs nach Art. 45a AGSG weiterer konkretisierender Angaben, so dass auch nicht auf den Rücklauf des von der Beklagten bereitgestellten Formulars abgestellt werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 26).
Dementsprechend wurde die Beklagte durch die reine Anmeldung bei den städtischen Einrichtungen am 21. Juli 2014 sowie die formularmäßige Rückmeldung vom 16. Mai 2015 ohne weitere Ergänzungen nicht über den Bedarf der Klägerin nach § 24 Abs. 2 SGB VIII in Kenntnis gesetzt. Erst mit Klageerhebung, die mit gerichtlichen Schreiben vom 9. Juni 2015 an die Beklagte weitergeleitet wurde, wurde der Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII bei der Beklagten geltend gemacht.
Die Selbstbeschaffung des Platzes bei der privaten Einrichtung durch Vertragsschluss vor dem 6. Mai 2015 erfolgte somit ohne vorherige Inkenntnissetzung der Beklagten. „Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII wurde daher … schon gar nicht erst effektuiert und das staatliche System der Jugendhilfe überhaupt nicht aktiviert, weder primär noch im Wege des Aufwendungsersatzes sekundär. Das Jugendamt kann in einem solchen Fall auch später nicht als reine „Zahlstelle“ in Anspruch genommen bzw. „missbraucht“ werden“ (BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 63 m.w.N.).
Unabhängig von der verspäteten Bedarfsmeldung sind der Klägerin jedoch auch keine erstattungsfähigen Mehrkosten entstanden. Denn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat im Fall der zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes in analoger Anwendung von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nur die Aufwendungen zu übernehmen, die das nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII anspruchsberechtigte Kind bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – Leitsatz 4 – juris Rn. 69 ff.). Sofern folglich – wie vorliegend – kein Recht auf die kostenfreie Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes besteht, beschränkt sich der Sekundäranspruch auf die Mehrkosten, die gerade durch die Selbstbeschaffung entstanden sind. Nicht beansprucht werden können die Aufwendungen, die ohnehin zu tragen gewesen wären. Zu Letzteren gehören die hier streitigen Aufwendungen. Denn die Beklagte hätte den Platz bei der selbstbeschafften Einrichtung S. auch anspruchserfüllend nachweisen können (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 75). Auf den tatsächlichen Nachweis des Einrichtungsplatzes kommt es entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten hierbei nicht an, sondern nur auf eine hypothetische Nachweisbarkeit. Die von den Eltern die Klägerin gewählte Einrichtung S. erhält sowohl staatliche wie auch kommunale Förderung und hätte daher anspruchserfüllend vermittelt werden können. Mehrkosten sind demnach nicht entstanden.
Sofern im Einzelfall der Beitragsschuldner vor unzumutbaren finanziellen Belastungen bewahrt werden muss, ist eine solche Prüfung ausschließlich dem Verfahren nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorbehalten (BVerwG, a.a.O., Rn. 47).
Der Klägerin steht somit kein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht bezüglich der Klageabweisung auf § 154 Abs. 1 VwGO. Bezüglich der übereinstimmenden Erledigungserklärung waren die Kosten nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen der Klägerin aufzuerlegen, da der Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII fristgerecht erfüllt wurde (s.o.).
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 ff ZPO.


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