Kosten- und Gebührenrecht

Anhörungsrüge, Unstatthaftigkeit, Vorrang des Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde, Gegenvorstellung

Aktenzeichen  10 B 22.784

Datum:
25.4.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9250
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a

 

Leitsatz

Verfahrensgang

10 B 21.2948 2022-02-10 Bes VGHMUENCHEN VGH München

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird verworfen.
II. Die Gegenvorstellung wird zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1. Mit der Anhörungsrüge und der Gegenvorstellung wendet sich der Kläger gegen den Beschluss des Senats vom 10. Februar 2022 (10 B 21.2948), mit dem dieser die eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Juli 2021 nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig verworfen (I.), dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt (II.), den Beschluss wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt und Anordnungen zur Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheitsleistung getroffen (III.), die Revision nicht zugelassen (IV.) und den Streitwert unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf 249.050,- Euro festgesetzt hat (V.).
a) Die Anhörungsrüge des Klägers ist gemäß § 152a Abs. 4 Satz 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO nicht statthaft ist.
aa) Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge ist das Gericht in der Besetzung der Ausgangsentscheidung zuständig (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 22 CS 15.1055 – juris Rn. 4). Die Entscheidung ergeht daher durch den Senat, weil dieser den mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss vom 10. Februar 2022 erlassen hat.
bb) Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1.) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2.).
Im vorliegenden Fall fehlt es an der Voraussetzung des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist. Die Anhörungsrüge soll prozessual eine Lücke schließen, nicht die regulären Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe ersetzen, die – im Übrigen ausnahmslos − geeignet sind, einen geltend gemachten Gehörsverstoß zu heilen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 152a Rn. 8). Gegen den mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss des Senats nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht dem Kläger gemäß § 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO dasjenige Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte, mithin – mangels Zulassung der Revision − die Nichtzulassungsbeschwerde. Vorrangig ist daher die Einlegung des Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde. Der Beschluss des Senats enthielt insoweit auch die nach § 125 Abs. 2 Satz 5 VwGO erforderliche Rechtsmittelbelehrung(vgl. Senatsakte, 10 B 21.2948, Bl. 66 Rückseite u. Bl. 67). Der Kläger hat im vorliegenden Fall von dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde sogar Gebrauch gemacht (vgl. Senatsakte, 10 B 22.784: „Beschwerde“). Folglich ist die erhobene Anhörungsrüge des Klägers nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.
b) Die Gegenvorstellung des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg.
aa) Die Gegenvorstellung ist ein gesetzlich nicht geregelter, form- und fristloser Rechtsbehelf, der eine Anregung an den iudex a quo darstellt, seine Entscheidung nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern (vgl. Happ, in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor § 124 Rn. 7).
bb) Dabei kann offenbleiben, ob die Gegenvorstellung seit Einführung der Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO durch das Anhörungsrügengesetz generell unzulässig ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.2017 − 6 C 28.16 − juris Rn. 2: „Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen verwaltungsgerichtliche Urteile und Beschlüsse sind in der Verwaltungsgerichtsordnung abschließend aufgeführt; die Gegenvorstellung gehört nicht dazu.“) beziehungsweise unzulässig ist, wenn sie – wie im vorliegenden Fall − die gleiche Zielrichtung verfolgt wie eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 20.2.2017 − 5 B 56.16 − juris Rn. 2 m.w.N.). Jedenfalls hat die Gegenvorstellung des Klägers deshalb keinen Erfolg, weil das Vorbringen keinen Anlass gibt, den angefochtenen Beschluss des Senats zu ändern, insbesondere keinen offensichtlichen Gesetzeswiderspruch oder grobes prozessuales Unrecht aufzeigt (vgl. zu den Anforderungen: BVerwG, B.v. 3.5.2011 – 6 KSt 1.11 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 20.2.2017 – 5 B 56.16 – juris Rn. 3).
(1) Die Klägerseite hat zur Begründung mit Schriftsatz vom 18. März 2022 vorgetragen, dass die Klägerbevollmächtigte, die am 21. Januar 2022 einen Unfall gehabt habe, stationär behandelt worden und bis zum 9. Februar 2022 krankgeschrieben gewesen sei und dann vom 11. Februar bis zum 21. Februar 2022 Corona gehabt habe, was anwaltlich versichert werde, vor Erlass des angegriffenen Beschlusses des Senats Schriftsatzfrist beantragt habe, der Senat jedoch gleichwohl vor Ablauf der beantragten Schriftsatzfrist entschieden und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe. Eine Umdeutung der beantragten Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung sei möglich. Außerdem hätte das Verwaltungsgericht die Berufung von Amts wegen zulassen und Hinweise zur Erforderlichkeit ergänzenden Vortrags erteilen müssen. Dies sei bei „Abwägung“ mit dem von Klägerseite unterlassenen Antrag auf Zulassung der Berufung zu berücksichtigen.
(2) Damit hat die Klägerseite nicht dargelegt, dass einer der Gründe vorliegt, unter denen nach der Rechtsprechung die Gegenvorstellung als begründet erachtet werden könnte.
Wie mit Schreiben vom 21. Februar 2022, vom 2. März 2022 und zuletzt vom 14. März 2022 ausgeführt, hat der Senat mit Beschluss vom 10. Februar 2022 entschieden. Der vollständige und unterschriebene Beschluss des Senats vom 10. Februar wurde am selben Tag zur Bearbeitung an die Geschäftsstelle verfügt, von dieser am 14. Februar 2022 bearbeitet und am 15. Februar 2022 zur Post gegeben (vgl. Senatsakte, 10 B 21.2948, Bl. 68 f.). Bei den Schriftsätzen der Klägerseite vom 17. Februar 2022 und vom 1. März 2022 handelt es sich daher um nachgelagerte Schriftsätze im Anschluss an den Erlass des angegriffenen Beschlusses, die vom Senat nicht mehr zu berücksichtigen waren (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe der vollständigen und unterschriebenen Entscheidung an die zuständige Geschäftsstelle des Spruchkörpers: BVerwG, B.v. 27.4.2005 – 5 B 107/04 u.a. – juris Rn. 7 a.E. m.w.N.; vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe der zur Zustellung bestimmten Ausfertigungen durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle an die Poststelle: Kraft in Eyermann, VwGO, 19. Aufl. 2019, § 116 Rn. 26 f. m.w.N.), weil insofern Bindungswirkung eingetreten war (vgl. zu der Bindungswirkung speziell auch bei den urteilsvertretenden Beschlüssen nach § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO: Happ in Eyermann, VwGO, 19. Aufl. 2019, Vor § 124 Rn. 5 m.w.N.).
Abgesehen davon hatte die Klägerseite nicht nur Gelegenheit, zu der beabsichtigten Verwerfung nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO Stellung zu nehmen, sie hat hierzu tatsächlich Stellung genommen. Der Senat hat mit Schreiben vom 27. Dezember 2021 die Klägerseite darauf hingewiesen, dass die eingelegte Berufung mangels Statthaftigkeit nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig und daher zu verwerfen sein dürfte, und Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 21. Januar 2022. Hierauf hat die Klägerseite reagiert und mit Schriftsatz vom 19. Januar 2022 Stellung genommen. Diesem ist zu entnehmen, dass die Klägerseite eine Umdeutung der eingelegten Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung für möglich hält. Der Senat hat in dem angegriffenen Beschluss die Möglichkeit einer Umdeutung der eingelegten Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung geprüft, ist allerdings entgegen der Auffassung der Klägerseite zu dem Ergebnis gekommen, dass dies im vorliegenden Fall sachlich und zeitlich nicht möglich ist (vgl. BA S. 3). Darin, dass ein Gericht der Rechtsauffassung des Rechtsschutzsuchenden nicht folgt, liegt kein Gehörsverstoß (vgl. zu einer eingelegten „Gegenvorstellung“: BVerfG, B.v. 30.4.2008 – 2 BvR 706/08 – juris Rn. 4 m.w.N.). Die nunmehr mit Schriftsatz vom 18. März 2022 vorgebrachten Einwände der Klägerseite zu der ihrer Auffassung nach fehlerhaften Nichtzulassung der Berufung und der rechtswidrigen Unterlassung von Hinweisen durch das Verwaltungsgericht sowie zu einer „Abwägung“ mit dem unterbliebenen Antrag auf Zulassung der Berufung gehen an der Sache vorbei und sind nicht entscheidungserheblich. Das Zulassungsverfahren eröffnet den Beteiligten gerade die Möglichkeit, die von dem Verwaltungsgericht nicht zugelassene Berufung zu erreichen. So ist nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen, wenn die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen wird. Für die Beantwortung der Frage, ob die eingelegte Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden kann, spielen die von Klägerseite genannten Abwägungsgesichtspunkte keine Rolle.
Im Übrigen hat der Senat der Klägerseite mit Schreiben vom 21. Januar 2022 mitgeteilt, dass er beabsichtige, die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts zu ändern, und Frist gesetzt zur Stellungnahme bis zum 4. Februar 2022. Die Stellungnahmefrist, welche die Klägerseite mit ihren nachgelagerten Schriftsätzen zu verlängern begehrt, betraf damit lediglich die Streitwertfestsetzung. Zu der Änderung des Streitwerts hat die Klägerseite indes bis zum Erlass des vorliegenden Beschlusses – trotz Ankündigung der Ergänzung des Vortrags − keinerlei Ausführungen gemacht. Die Rüge eines Gehörsverstoßes ist jedoch nur dann hinreichend substantiiert, wenn dem Vorbringen entnommen werden kann, was der Betroffene bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, denn nur dann kann geprüft und entschieden werden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.1987 – 1 BvR 332/86 – BVerfGE 75, 201 = juris Rn. 48).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Anhörungsrügeverfahren nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt. Eine Streitwertfestsetzung für das Verfahren zur Prüfung der Gegenvorstellung ist ebenfalls entbehrlich, weil dieses gerichtsgebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO und § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben