Kosten- und Gebührenrecht

Beschwerdewert der Streitwertbeschwerde bei vergleichsweiser Kostenverteilung – Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung bei § 45 Abs. 2 GKG

Aktenzeichen  21 W 1088/17

Datum:
6.9.2017
Fundstelle:
JurBüro – 2017, 636
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 32 Abs. 1, Abs. 2
GKG § 45 Abs. 2, Abs. 4
BGB § 387
ZPO § 3

 

Leitsatz

1 Begehrt der Rechtsanwalt mit seiner Beschwerde eine Erhöhung des festgesetzten Streitwerts aus eigenem Recht, steht der Zulässigkeit seiner Beschwerde nicht entgegen, dass sich die beantragte Erhöhung wegen der in einem Vergleich vereinbarten Kostenverteilung im Kostenfestsetzungsverfahren im Verhältnis zu seinem Mandanten nur in einer Größenordnung von unter 200 € auswirkt. Für den Rechtsanwalt ist der festgesetzte Streitwert (auch) im Verhältnis zu seinem Mandanten gemäß § 32 Abs. 1 RVG bindend.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Berücksichtigung einer Hilfsaufrechnung im Rahmen des § 45 Abs. 2 GKG ist es ohne Unterschied, ob die Aufrechnung vorprozessual oder im Verfahren erklärt wurde. Entscheidend ist, dass im Prozess der Anspruch vorrangig dem Grunde nach in Abrede gestellt wurde und sich der Beklagte hilfsweise mit einer Aufrechnung mit Gegenforderungen verteidigt hat. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 O 2644/17 2017-05-30 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägervertreterin vom 16.06.2017 wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 30.05.2017, Az. 3 O 2644/17, dahingehend abgeändert, dass der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren und für den Vergleich vom 30.05.2017 auf 19.393,93 € festgesetzt wird.

Gründe

I.
Die Klägerin, ein Factoringunternehmen, hat aus abgetretenem Recht Vergütungsansprüche aus einem Projektvertrag ihrer Kundin (der Streitverkündeten) geltend gemacht. Die Beklagte hat sich mit zahlreichen Einwänden verteidigt. Unter anderem hat sie geltend gemacht, dass eine zu erstellende „App“ nicht rechtzeitig bzw. nicht fehlerfrei fertiggestellt worden sei, wodurch ihr Gewinn von 7.058,16 € entgangen sowie ein Mehraufwand von 1.355,75 € entstanden sei. Mit den Gegenforderungen habe sie vorprozessual aufgerechnet (Bl. 38 d.A.). Im Termin vom 30.05.2017 haben sich die Parteien verglichen. Das Landgericht hat den Streitwert für das Verfahren und den Vergleich nach Anhörung der Parteien auf 10.980,02 € festgesetzt. Gegen die Streitwertfestsetzung hat die Klägervertreterin mit Schriftsatz vom 16.06.2017 im eigenen Namen Beschwerde eingelegt. Sie meint, die hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen müssten streitwerterhöhend berücksichtigt werden. Streithelfer- und Beklagtenvertreter haben einer Abänderung des Streitwertes widersprochen. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 05.07.2017 nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 1 GKG zulässige Streitwertbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur begehrten Abänderung des Streitwertbeschlusses des Landgerichts.
1. a) Die Tatsache, dass der im Termin anwesende Unterbevollmächtigte der Klägerin gegen die Streitwertfestsetzung keine Einwände erhoben hat, hindert die Klägervertreterin nicht, die Festsetzung mittels Beschwerde anzugreifen. Denn ein Rechtsmittelverzicht wurde nicht erklärt. Ebenso wenig steht die Tatsache, dass sich die im Vergleich vereinbarte Kostenquote an dem vom Landgericht angenommenen Streitwert orientiert, einer Beschwerde bzw. Abänderung des Streitwerts entgegen.
b) Auch der Einwand des Beklagtenvertreters, dass der Beschwerdewert nicht erreicht sei, erweist sich als nicht stichhaltig. Es mag sein, dass sich die beantragte Erhöhung des Streitwertes wegen der im Vergleich vereinbarten Kostenverteilung im Kostenfestsetzungsverfahren im Verhältnis zum Beklagten nur in einer Größenordnung von unter 200 € auswirkt. Zu berücksichtigten ist jedoch, dass die Klägervertreterin die Abänderung aus eigenem Recht begehrt. Für sie ist der festgesetzte Streitwert (auch) im Verhältnis zu ihrer Mandantin, der Klägerin, bindend, § 32 Abs. 1 RVG (vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 2. Aufl., Rn. 4 zu § 32 RVG). Selbst bei Vernachlässigung der Mehrwertsteuer macht dies einen Unterschied von rund 480 € in der Gebührenabrechnung.
2. Die Gegenforderungen, mit denen sich die Beklagte im Prozess verteidigt hat, sind bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen.
Gemäß § 45 Abs. 2 GKG erhöhen Hilfsaufrechnungen mit streitigen Gegenforderungen den Streitwert, wenn über sie eine Entscheidung ergeht. Die Regelung ist entsprechend anzuwenden, wenn der Rechtsstreit durch Vergleich beendet wird, § 45 Abs. 4 GKG. Vorliegend haben die Parteien mit dem Vergleich ausdrücklich auch die – von der Klagepartei und der Streithelferin bestrittenen – Gegenforderungen der Beklagten geregelt und miterledigt, somit kommt es nur darauf an, ob eine Hilfsaufrechnung vorliegt oder nicht. Von einer Hilfsaufrechnung ist dann auszugehen, wenn die Forderung in erster Linie mit anderen Einwänden bestritten wird. Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat zum einen die Aktivlegitimation der Klägerin in Abrede gestellt und zwar für sämtliche geltend gemachten Rechnungen (vgl. Klageerwiderung vom 29.03.2017, S. 2 „Berechtigung der Klägerin“). Zum anderen hat sie den jeweils in Rechnung gestellten Zeitaufwand bestritten (vgl.. S. 7, 16 ff, 23 der Klageerwiderung), Ungereimtheiten beanstandet und vorgetragen, dass nicht nachvollzogen werden könne, ob die Leistungen erbracht worden seien. Es ist somit nicht zutreffend, dass die Forderungen der Klägerin teilweise unstreitig gestellt worden seien. Die Beklagte hat vielmehr primär bestritten, dass die Klägerin einen Anspruch auf die klageweise geltend gemachten Forderungen hat und darüber hinaus, also hilfsweise, eingewandt, dass die Forderungen durch Aufrechnung mit Gegenforderungen erloschen seien.
Der Senat vermag keinen Unterschied zu erkennen, ob eine Aufrechnung vorprozessual oder im Verfahren erklärt wurde (so auch Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl., Rn. 42 zu § 45 GKG). Entscheidend ist vielmehr, dass im Prozess der Anspruch vorrangig dem Grunde nach in Abrede gestellt wurde und sich die Beklagte hilfsweise mit einer Aufrechnung mit Gegenforderungen verteidigt hat. Darüber hinaus lässt die Klageerwiderung erkennen, dass die Gegenforderungen dem klägerischen Anspruch vorsorglich nochmals im Prozess entgegen gehalten werden und diesen zu Fall bringen sollten (vgl. S. 23/24 der Klageerwiderung), falls die anderen Einwände nicht greifen, was als nochmalige, innerprozessual erklärte Hilfsaufrechnung zu verstehen ist.
Der Senat hat auch erwogen, ob der Aspekt der wirtschaftlichen Identität oder der bloßen „Verrechnung“ von Ansprüchen einer Addition entgegen steht (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 31. Aufl., Rn. 16 zu § 3 ZPO, Stichwort „Aufrechnung“), dies ist jedoch u.a. wegen des Einwandes der mangelnden Aktivlegitimation der Klägerin nicht der Fall.
III.
Gemäß § 68 Abs. 3 GKG ist das Beschwerdeverfahren gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.


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