Kosten- und Gebührenrecht

Fiktive Terminsgebühr, Verwaltungsgerichte, Antrag auf mündliche Verhandlung, Kostenfestsetzungsbeschluß, mündlich Verhandlung, Entscheidung durch Gerichtsbescheid, Kostenfestsetzungsverfahren, Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, Prozeßbevollmächtigter, Kosten des Erinnerungsverfahrens, Prozeßverhalten, Gebührenrechtliche, Verwaltungsgerichtsverfahren, Bundsverwaltungsgericht, Erstattungsfähige, Rechtsmißbrauch, Baugenehmigungsbescheid, Gebührentatbestand, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung, Prozeßkostenhilfeverfahren

Aktenzeichen  RO 2 M 20.1471

Datum:
11.12.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38236
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84
RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV

 

Leitsatz

Anspruch nur für die Partei, die einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen könnte.

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.
Der Kläger (Erinnerungsführer) wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten vom 18.06.2020, mit dem die dem Kläger im Verfahren RO 2 K 18.671 erwachsenen notwendigen und zu erstattenden Aufwendungen auf 729,23 EUR festgesetzt wurden.
Der Kläger erhob am 03.05.2018 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg gegen einen Baugenehmigungsbescheid vom 19.10.2017, den das Landratsamt R* … der Beigeladenen als Tekturgenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses erteilt hat. Mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2020 – RO 2 K 18.671 – hob das Verwaltungsgericht Regensburg den angefochtenen Baugenehmigungsbescheid auf und verpflichtete den Beklagten, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Gerichtsbescheid wurde rechtskräftig. Der Streitwert wurde mit Beschluss vom 28.01.2020 auf 7.500,- EUR festgesetzt.
Mit Schreiben vom 07.05.2020 beantragten die Klägerbevollmächtigten Kostenfestsetzung gegen den Verfahrensgegner. In dem Antrag enthalten ist die Festsetzung einer 1,2 Terminsgebühr nach § 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG in Höhe von 547,20 EUR. Mit Schreiben vom 13.05.2020 wies der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Klägerbevollmächtigten darauf hin, dass eine Terminsgebühr nicht zu erstatten sei, weil der Kläger vollumfänglich obsiegt habe und mangels Beschwer keinen zulässigen Antrag auf eine mündliche Verhandlung hätte stellen können. Der Bevollmächtigte des Klägers habe es nicht in der Hand, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen, weshalb ihm ein Anspruch auf die Terminsgebühr nicht zustehe. Dieser in weiten Teilen der Rechtsprechung sowie der Literatur vertretenen Auffassung schließe sich der Urkundsbeamte an.
Mit Schriftsatz vom 14.05.2020 erwiderten die Klägerbevollmächtigten, die Terminsgebühr sei erstattungsfähig. Es sei unerheblich, ob der Kläger vollumfänglich obsiegt habe. Das Entstehen einer anwaltlichen Gebühr sei nicht vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig zu machen. Der obsiegende und der erfolglose Prozessbevollmächtigte seien gebührenrechtlich immer gleichzustellen. Würde man der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung konsequent folgen, würde die Terminsgebühr nur beim Bevollmächtigen einer Partei entstehen, nicht aber bei dem der anderen Partei. Die im Schreiben vom 14.05.2020 zitierte Rechtsprechung sei durch einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) vom 27.02.2020 – 8 C 18.1889 – überholt. Dort sei eindeutig entschieden, dass auch für den Prozessbevollmächtigten der obsiegenden Partei eine Terminsgebühr angesetzt werden könne, wenn ein Gerichtsbescheid ergangen sei.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.06.2020 – RO 2 K 18.671 – setzte der Urkundsbeamte die dem Kläger erwachsenen notwendigen und zu erstattenden Aufwendungen ohne die beantragte Terminsgebühr auf 729,23 EUR fest. In den Gründen wird ausgeführt, dass der von der Klägerseite zitierten Rechtsprechung nicht gefolgt werde. Bezug genommen wird hingegen auf eine Entscheidung des 5. Senats des BayVGH vom 24.10.2018 – 5 C 18.1932 -, wonach der Rechtsanwalt die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nur geltend machen könne, wenn er eine Partei vertritt, die vollumfänglich oder zumindest teilweise unterlegen ist. Mit der durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vorgenommenen Ergänzung des Wortlauts der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG „… und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann …“ solle eine gesetzgeberische Absicht zum Ausdruck gebracht werden, die eine klare, umsetzbare und inhaltliche Veränderung gegenüber dem alten Rechtszustand herbeiführe. Diese könne nur darin gesehen werden, dass die fiktive Terminsgebühr nur mehr dann anfallen soll, wenn ein solcher Antrag auf mündliche Verhandlung auch zulässigerweise gestellt werden könne. Nur die in einem Gerichtsbescheid ganz oder teilweise unterliegende Partei verfüge über die Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung zulässigerweise zu beantragen. Hinsichtlich der Gebührengleichheit werde auf obergerichtliche Entscheidungen hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 03.07.2020 erklärten die Klägerbevollmächtigten, die Festsetzung der zu erstattenden Kosten werde angefochten. Es sei eine Terminsgebühr als erstattungsfähig festzusetzen. Zur Begründung werde auf den Schriftsatz vom 14.05.2020 verwiesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.06.2020 in Ziffer I abzuändern und weitere Kosten in Höhe von 651,17 EUR (1,2 Terminsgebühr 547,20 EUR nebst 19% Mehrwertsteuer) als erstattungsfähig festzusetzen.
Der Urkundsbeamte legte das Schreiben der Klägerbevollmächtigten als Antrag auf Entscheidung des Gerichts über den Kostenfestsetzungsbeschluss aus und hörte den Beklagten im Rahmen des Abhilfeverfahrens an. Dieser äußerte sich jedoch nicht.
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab und legte sie mit Schreiben vom 14.08.2020 der Kammer zur Entscheidung vor. Im Vorlageschreiben wird zur Begründung im Wesentlichen dargelegt, dass es im Ermessen der in einem Gerichtsbescheid unterlegene Partei stünde, mittels ihres Verhaltens in der Streitsache über das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr auf der Gegenseite zu bestimmen, sofern man dem Beschluss des BayVGH vom 27.02.2020 – 8 C 18.1889 – folgen würde. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung solle nicht dazu nutzbar sein, das finanzielle Risiko zu ändern. Auch würde es für den Unterlegenen keine Kostengründe mehr geben, einen Gerichtsbescheid anzuerkennen oder mündliche Verhandlung zu beantragen. Ein solches Prozessverhalten würde nicht zur Entlastung der Gerichte und zur Reduktion des Verfahrensaufwandes beitragen. Diese sei aber durch das Kostenmodernisierungsgesetz beabsichtigt. Anders könne die Lage zu beurteilen sein, wenn bei einer Verpflichtung eines Beklagten zur Verbescheidung die obsiegende Partei in den Gründen des Gerichtsbescheids beschwere. Ein solcher Ausnahmefall liege jedoch nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Akte aus dem Klageverfahren RO 2 K 18.671 verwiesen.
II.
Das Rechtsschutzbegehren des Klägers stellt einen Antrag auf Entscheidung des Gerichts (Erinnerung) nach §§ 165, 151 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dar. Hierüber entscheidet vorliegend die Kammer, da diese auch die zugrunde liegende Kostenentscheidung im Gerichtsbescheid vom 28.01.2020 – RO 2 K 18.671 – getroffen hat.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet:
Die Kammer schließt sich der Rechtsauffassung im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss an, wonach die von der Klägerseite geforderte fiktive Terminsgebühr nicht für erstattungsfähig erklärt werden kann.
Die Terminsgebühr entsteht nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zum RVG (VV RVG) dann, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Mit der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG soll verhindert werden, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter allein aus einem gebührenrechtlichen Interesse heraus die an sich legitime Durchführung einer mündlichen Verhandlung „erzwingt“ (OVG Berlin-Bbg, B.v. 24.06.2020 – OVG 3 K 135.19 -, juris Rn. 3).
Vorliegend wurde das zugrunde liegende Verfahren RO 2 K 18.671 durch Gerichtsbescheid rechtskräftig entschieden. Dabei wurde dem Klagebegehren des Klägers vollinhaltlich entsprochen und der angefochtene Baugenehmigungsbescheid aufgehoben. Da der Kläger vollumfänglich obsiegt hat, konnte er keinen (zulässigen) Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen. § 84 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 VwGO bezeichnen den Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid ausdrücklich als Rechtsbehelf. Ein solcher ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich nur zulässig, wenn der Rechtsbehelfsführer eine Beschwer durch die ergangene Entscheidung geltend machen kann. Ein Antrag des Klägers wäre mangels Beschwer daher unzulässig gewesen. In dieser Situation entsteht die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nicht. Die Frage wird in der Rechtsprechung allerdings nicht einheitlich beantwortet. Die Kammer folgt insoweit der Rechtsauffassung des 5. Senats des BayVGH, die er in seinem Beschluss vom 24.10.2018 (Az. 5 C 18.1932 – juris) dargelegt hat. Der 5. Senat hat in dieser Entscheidung, die eine Erinnerung des dortigen Beklagten betraf, zunächst dargelegt, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 162 Abs. 1 VwGO nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig sind. Stets erstattungsfähig sind nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, die sich nach dem VV RVG bemessen. Nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG entsteht die Terminsgebühr für die tatsächliche Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen oder außergerichtlichen Terminen und Besprechungen. Darüber hinaus regelt das Vergütungsverzeichnis Ausnahmetatbestände, zu denen auch Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG zählt, in denen eine – fiktive – Terminsgebühr auch ohne die Wahrnehmung eines Termins gezahlt wird. Nach dieser Regelung entsteht die Terminsgebühr auch dann, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Des Weiteren führt der 5. Senat aus:
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Beklagten hat bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur derjenige Rechtsanwalt einen Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG, der im konkreten Fall einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung hätte stellen können. Da die Beklagte in erster Instanz vollumfänglich obsiegt hatte, wäre ein dennoch gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung mangels Beschwer unzulässig gewesen. Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2018 wurde daher ihrem Bevollmächtigen zu Recht keine fiktive Terminsgebühr zugesprochen.
Der Einwand des Bevollmächtigten der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe in unzulässiger Weise einen klaren gesetzlichen Wortlaut mit Verweis auf vermeintlich festgestellte gesetzgeberische Motive missachtet, greift nicht. Denn der Wortlaut in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob nur ein zulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung den Gebührentatbestand erfüllt, d.h. die Terminsgebühr nur derjenige Prozessbevollmächtigte beanspruchen kann, dessen Partei das Recht auf mündliche Verhandlung zusteht, oder ob auch ein lediglich theoretisches Antragsrecht und somit ein Antragsrecht irgendeines Beteiligten ausreicht (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, VV 3104 Rn. 38). Der Regelungsinhalt ist daher – wie vom Verwaltungsgericht vorgenommen – durch Auslegung zu ermitteln.
Ein lediglich theoretisches Antragsrecht ist mit Sinn und Zweck der mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ergänzten Ausnahmevorschrift nicht vereinbar. Der Gebührentatbestand in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG soll ebenso wie die übrigen Nummern diese Absatzes verhindern, dass für den Anwalt ein gebührenrechtlicher Anreiz entsteht, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Der Rechtsanwalt soll die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, 19171 Rn. 13; Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, VV 3104 Rn. 38a). Auch die Entstehungsgeschichte der in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG getroffenen Regelung spricht für dieses Normverständnis. Während nach der bis zum 31. Juli 2013 gültigen Vorgängerfassung die fiktive Terminsgebühr bereits entstand, „wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird“, wurde mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz im Jahr 2013 (BGBl. I S. 2586) Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG insoweit ergänzt, als die Gebühr nur entsteht, wenn durch Gerichtsbescheid entschieden wird „und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11471 [neu] S. 275) sollte die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann. Dies ist jedoch nur dem Beteiligten möglich, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist. Ein ohne Beschwer gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung wäre durch Beschluss als unzulässig abzulehnen (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 84 Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 37; BVerwG, U.v. 14.3.2002 – 1 C 15.01 – juris Rn. 10). Würde man der Auffassung des Bevollmächtigen der Beklagten folgen, wonach für die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr das Antragsrecht irgendeines Beteiligten ausreichen soll, wäre die Ergänzung des Gebührentatbestands um den Zusatz „und ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden kann“ obsolet, da die Terminsgebühr in diesem Fall in Übereinstimmung mit der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Rechtslage allein dadurch entstehen würde, dass der Instanzenzug mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid abgeschlossen wurde. Die an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Vorschrift führt zwar dazu, dass trotz gleicher Beteiligung am Prozess nur der unterliegende Beteiligte eine fiktive Terminsgebühr beanspruchen kann. Für diese Ungleichbehandlung besteht aber ein rechtfertigender sachlicher Grund, weil nur die zumindest teilweise unterlegene Partei über die Möglichkeit verfügt, zulässigerweise eine mündliche Verhandlung zu beantragen und damit das Verfahren im Gebühreninteresse zu verlängern (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, 19171 Rn. 16).
Der in diesem Sinn vorgenommenen teleologischen Einschränkung stehen die vom Bevollmächtigten der Beklagten dargelegten gesetzgeberischen Motive des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes nicht entgegen. Die mit diesem Gesetz bezweckte Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung an die gestiegenen Kosten und an die allgemeine Einkommensentwicklung war nur eines von mehreren Zielen des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, das auch anderweitige strukturelle Änderungen und Korrekturen zum Inhalt hat (vgl. BT-Drs. 17/11471 [neu] S. 2).“
Dem folgend und übertragen auf das vorliegende Verfahren konnte auf Seiten des Klägers keine fiktive Terminsgebühr entstehen, da er durch den Gerichtsbescheid vom 28.01.2020 – RO 2 K 18.671 – in keiner Weise beschwert ist. Ein ohne Beschwer gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung (ausschließlich zum Zweck der Generierung einer Terminsgebühr zu Lasten der im Gerichtsbescheid unterlegenen Partei) wäre als unzulässig abzulehnen gewesen.
Die von den Klägerbevollmächtigten unter Berufung auf eine Entscheidung des 8. Senats des BayVGH vertretene Gegenmeinung vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Sie bedeutet letztendlich, dass der Verzicht auf einen von vornherein unzulässigen Antrag ohne Weiteres zum Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr zu Lasten der kostentragenden Partei führt.
Der 8. Senat des BayVGH hat in einer Entscheidung vom 27.02.2020 – 8 C 18.1889 – u. a. ausgeführt, die oben dargestellte Rechtsmeinung lasse außer Acht, dass es rechtlich umstritten sei, ob ein unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss verworfen werden könne; im Verwaltungsprozessrecht sei diese Frage bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt; das insoweit teilweise herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.03.2002 (Az. 1 C 15.01 – juris Rn. 10) treffe zu dieser Frage keine Aussage.
Dies überzeugt nicht. Zum einen erschließt sich nicht, dass eine in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärte prozessuale Frage die Annahme rechtfertigen soll, dass eine fiktive Terminsgebühr entstehe. Sofern es für ausschlaggebend erachtet wird, ob über einen unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung ohne Durchführung einer solchen durch Beschluss oder nach ihrer Durchführung durch Urteil zu entscheiden ist, wäre die Frage im Rahmen des Erinnerungsverfahrens zu klären. Eine solche Klärung und Festlegung lässt sich der Entscheidung des BayVGH vom 27.02.2020 aber nicht entnehmen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die in der Rechtsprechung nicht einheitlich behandelte Frage, in welcher Entscheidungsform über einen unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung zu befinden ist, nicht bedeutet, dass ein solcher Antrag als zulässig zu behandeln wäre oder auch nur das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr zu Lasten der im Gerichtsbescheid unterlegenen Partei rechtfertigen könnte. Selbst wenn man eine Entscheidung durch Urteil für geboten halten wollte, wäre darin nicht die Sachentscheidung aus dem Gerichtsbescheid zu wiederholen, sondern die Unzulässigkeit des Antrags auf mündliche Verhandlung auszusprechen (so BFH, U.v. 12.08.1981 – I B 72/80 -, juris Rn. 9 für den Fall eines verfristeten Antrags). Dies würde nicht nur für einen verfristet gestellten Antrag gelten, sondern entsprechend auch für die Behandlung eines Antrags auf mündliche Verhandlung, der aus sonstigen Gründen – etwa wegen eines Formmangels oder wegen fehlender Beschwer – unzulässig ist (vgl. Clausing in Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 84 Rn. 43). Die weiteren Kosten des Verfahrens wären dann jedoch konsequenterweise – sei es nach § 154 Abs. 1 VwGO, sei es nach § 155 Abs. 4 VwGO oder in entsprechender Anwendung des § 154 Abs. 2 VwGO – der Partei aufzuerlegen, die den Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat und damit unterlegen ist. Auch dies spricht dafür, dass eine fiktive Terminsgebühr, die aufgrund des Obsiegens der Klagepartei im Gerichtsbescheid zwangsläufig zu Lasten der dort unterliegenden Partei ginge, nicht gerechtfertigt ist durch den Verzicht auf einen Antrag, mit dem die antragstellende Partei unterlegen wäre. Jedenfalls aber wäre es rechtsmissbräuchlich, für eine so veranlasste mündliche Verhandlung Gebühren auf der Grundlage einer privilegierenden Ausnahmevorschrift zu beanspruchen (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 24.06.2020 – OVG 3 K 135.19 -, juris Rn. 4).
Zudem enthält zwar die vom BayVGH bei der Entscheidung vom 27.02.2020 in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 14.03.2002 – 1 C 15.01 – (juris Rn. 10) keine ausdrückliche Aussage dazu, ob ein mangels Beschwer unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen werden kann. Das BVerwG führt in dieser Entscheidung aber sehr wohl aus, dass die im Gerichtsbescheid vollumfänglich obsiegende Partei keine mündliche Verhandlung erzwingen kann. Wörtlich heißt es hierzu in dieser Entscheidung:
„Das verbietet eine Auslegung und Anwendung des § 130 a VwGO, die – wie im Ausgangsverfahren – dazu führt, dass der Berufung (hier des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten) zu Lasten des Klägers im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung stattgegeben wird, obwohl der Kläger in erster Instanz durch Gerichtsbescheid obsiegt hat und keine Möglichkeit hatte, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Denn für den Kläger war es in dieser Situation mangels einer Beschwer nicht statthaft, einen Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO [Anm.: gemeint wohl Nr. 2] zu stellen; dazu wären nur die in erster Instanz unterlegene Beklagte (oder der Bundesbeauftragte als Vertreter eines öffentlichen Interesses auch ohne Beschwer) befugt gewesen.“
Damit geht auch das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich davon aus, dass eine im Gerichtsbescheid vollumfänglich obsiegende Partei keine mündliche Verhandlung erzwingen kann, woraus wiederum der Schluss zu ziehen ist, dass ein Verzicht auf einen entsprechenden Antrag nicht zu einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG führen kann. Denn insoweit greift dann auch die vom 8. Senat des BayVGH in der Entscheidung vom 27.02.2020 herangezogene Gesetzesbegründung (bei der möglicherweise § 84 Abs. 2 Nrn. 2 u. 4 VwGO übersehen wurden), wonach die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränkt werden soll, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten „eine mündliche Verhandlung erzwingen kann“, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist.
Die weitere Begründung der genannten Entscheidung des BayVGH, es sei zu berücksichtigen, dass die Frage, ob eine Beschwer vorliege, nicht in jedem Fall ohne weiteres zu beurteilen sei und solche Fragen nicht in das Kostenfestsetzungsverfahren verlagert werden dürften, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Beispielhaft genannt wird der Fall, dass ein Beklagter, zu dessen Gunsten eine Klage als unzulässig abgewiesen wurde, diese als zulässig ansehen und ein klageabweisendes Sachurteil anstreben könnte. Auch sei es möglich, dass ein scheinbar vollumfassend obsiegender Kläger die Auffassung vertritt, der Gerichtsbescheid erschöpfe sein Klagebegehren nicht vollständig. Hinzufügen könnte man Entscheidungen, die den Beklagten zwar zur Verbescheidung eines klägerischen Antrags nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichten, die Begründung des Gerichtsbescheids jedoch beschwerende Feststellungen für die Klagepartei enthält. Bei den dargelegten Konstellationen handelt es sich jedoch um – hier nicht vorliegende – Ausnahmefälle, die das generelle Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nicht zu rechtfertigen vermögen. Zuzustimmen ist darin, dass das Kostenfestsetzungsverfahren soweit wie möglich von derartigen Fragen frei zu halten ist. Allerdings lässt sich etwa mit Blick auf § 162 Abs. 1 VwGO ohnehin nicht vermeiden, dass sich bei der Prüfung, welche Aufwendungen der Beteiligten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, zuweilen auch komplexe Fragen in Bezug auf das abgeschlossene Hauptsachverfahren stellen, z.B. bei Aufwendungen für Privatgutachten. Auch bezüglich der nach Art. 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO stets erstattungsfähigen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts können sich hinsichtlich deren Entstehung und Berechtigung schwierige Rechtsfragen im Kostenfestsetzungsverfahren stellen, wie auch das vorliegende Verfahren zeigt. Zuzustimmen ist auch darin, dass das Entstehen und die Erstattungsfähigkeit anwaltlicher Gebühren nicht vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig sind. Vorliegend geht es jedoch nicht um den Erfolg in der Sache, sondern um die Frage, ob der in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG normierte Gebührentatbestand erfüllt ist. Hierfür ist ausschlaggebend, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden kann, mit dem eine mündliche Verhandlung erzwungen werden kann. Dies ist nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.03.2002 – 1 C 15.01 – (juris) nicht der Fall. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass über einen unzulässigen Antrag nach mündlicher Verhandlung mit Urteil zu entscheiden ist, führt dies – wie bereits dargelegt – nicht dazu, dass der im Gerichtsbescheid unterlegene Beteiligte der dort obsiegenden Partei eine Terminsgebühr erstatten müsste.
Soweit auf eine Ungleichbehandlung der Prozessvertreter je nach Obsiegen oder Unterliegen im Gerichtsbescheid verwiesen wird, bestehen die insoweit geltend gemachten rechtsstaatliche Bedenken nicht. In der Sache führt die an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG zwar dazu, dass trotz gleicher Beteiligung am Prozess nur der unterliegende Beteiligte, nicht aber der obsiegende Part eine (fiktive) Terminsgebühr beanspruchen kann. Für diese Ungleichbehandlung besteht aber ein rechtfertigender sachlicher Grund, weil nur der zumindest teilweise unterlegene Beteiligte über die Möglichkeit verfügt, zulässigerweise eine mündliche Verhandlung zu beantragen und zu erzwingen und damit das Verfahren im Gebühreninteresse zu verlängern. Nur diesem muss daher ein gebührenrechtlicher Anreiz zum Verzicht auf einen sachlich nicht notwendigen Antrag geboten werden. Eben deshalb ist die Differenzierung auch nicht systemwidrig (NdsOVG, B.v. 16.08.2018 – 2 OA 1541/17 -, juris Rn. 16).
Die Voraussetzungen für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG sind demnach vorliegend nicht erfüllt (so auch OVG Berlin-Bbg, B.v. 24.06.2020 – OVG 3 K 135.19 -, juris; NdsOVG, B.v. 16.08.2018 – 2 OA 1541/17 -, juris; VG Regensburg, B.v. 08.10.2020 – RO 11 M 20.2241 -; B.v. 01.08.2018 – RN 5 M 18.1069 -, juris).
Da anderweitige Einwendungen gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten nicht erhoben wurden, war die Erinnerung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebühren-, aber nicht auslagenfrei (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, § 165 Rn. 10;). Zwar kann nicht auf § 66 Abs. 8 Gerichtskostengesetz (GKG) zurückgegriffen werden, da es vorliegend nicht um den Ansatz von Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) geht. Das Kostenverzeichnis in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG enthält jedoch für das vorliegende Erinnerungsverfahren nach § 165 VwGO i.V.m. § 151 VwGO keinen Gebührentatbestand.


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