Aktenzeichen 34 SchH 9/15
ZPO ZPO § 104 Abs. 1 S. 1, § 1035 Abs. 3 S. 3
VV RVG Nr. 2300
RPflG RPflG § 11 Abs. 2, § 21 Nr. 1
Leitsatz
1. Fordert die Partei eines Schiedsvertrags über ihre anwaltlichen Vertreter die Gegenseite zum Zweck der Konstituierung eines Schiedsgerichts erfolglos zur Schiedsrichterbestellung auf, kann eine Geschäftsgebühr für das Aufforderungsschreiben nicht auf der Grundlage der Kostengrundentscheidung des gerichtlichen Bestellungsbeschlusses im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden. (amtlicher Leitsatz)
2 Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers beim Oberlandesgericht ist nicht die sofortige Beschwerde, sondern die befristete Erinnerung nach § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG statthaft. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Auf die Erinnerung des Antragsgegners wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 12. Januar 2016 dahin abgeändert, dass die von dem Antragsgegner an den Antragsteller gemäß § 104 ZPO nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 18. November 2015 zu erstattenden Kosten auf
430,78 €
(in Worten: vierhundertdreißig 78/100 Euro)
nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB hieraus seit 25. November 2015 festgesetzt werden.
2. Im Übrigen wird die Erinnerung des Antragsgegners verworfen.
3. Von den Kosten des Erinnerungsverfahrens tragen der Antragsgegner 25% und der Antragsteller 75%.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 18.11.2015 bestellte der Senat als Gericht des ersten Rechtszugs einen (zweiten) Schiedsrichter zur Durchführung eines Schiedsverfahrens zwischen den Parteien. Die Kosten des Bestellungsverfahrens wurden dem Antragsgegner auferlegt und der Streitwert des gerichtlichen Verfahrens auf 8.000 € (ca. 1/3 des behaupteten materiellen Anspruchs) festgesetzt.
Der Rechtspfleger des Oberlandesgerichts hat mit Beschluss vom 12.1.2016, dem Antragsgegner zugestellt am 21.1.2016, die vom Antragsgegner an den Antragsteller zu erstattenden Kosten auf 1.673,62 € nebst Zinsen festgesetzt. Der Betrag beinhaltet neben einer 0,75 Verfahrensgebühr nach Nr. 3327 VV RVG aus einem Streitwert von 8.000 € zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer im Betrag von zusammen 430,78 € eine 1,3 Geschäftsgebühr für das außergerichtliche Verfahren nach Nr. 2300 VV RVG von netto 1.024,40 € (inklusive Pauschale und Umsatzsteuer 1.242,84 €) bei einem zugrunde gelegten Wert von 24.993 €. Die Rechtsbehelfsbelehrung bezeichnet für den Fall, dass der Beschwerdewert 200 € übersteigt, die binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Oberlandesgericht oder dem Bundesgerichtshof einzulegende sofortige Beschwerde, andernfalls die binnen einer Frist von zwei Wochen bei dem Oberlandesgericht einzulegende Erinnerung als statthaftes Rechtsmittel. Als Fristbeginn wird für beide Varianten auf die Zustellung der Entscheidung abgestellt.
Mit seiner „Beschwerde“ vom 22.1.2016, eingelegt zum Oberlandesgericht am selben Tag, wendet sich der Antragsgegner und Erinnerungsführer gegen die Festsetzung außergerichtlicher Kosten. Eine Geschäftsgebühr sei nicht in Ansatz zu bringen, weil ein Einvernehmen nicht hergestellt worden sei; der angenommene Streitwert sei nicht nachvollziehbar. Nach Hinweis des Rechtspflegers auf den Gebührentatbestand der Nr. 2300 VV RVG und der Ankündigung, eine 1,3-fache Gebühr aus einem Streitwert von 8.000 € im Weg der Abhilfe festzusetzen, hat der Antragsgegner sein Einverständnis zu diesem Vorgehen erklärt. In Reaktion auf die Stellungnahme des Antragstellers und Erinnerungsgegners, der auf den umfassenderen Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit hingewiesen hat, hat er sich jedoch erneut insgesamt gegen die Festsetzung außergerichtlicher Kosten gewandt und geltend gemacht, diese hätten eingeklagt werden müssen. Schließlich hat er mit Schriftsatz vom 14.4.2016, eingegangen bei Gericht am 18.4.2016, die vollständige Abweisung des Kostenfestsetzungsantrags verlangt mit der Begründung, der Antragsteller nehme von der Durchführung eines schiedsrichterlichen Verfahrens mittlerweile Abstand. Die Kosten des nicht weiter verfolgten Verfahrens seien mangels Notwendigkeit insgesamt nicht erstattungsfähig.
Der Antragsteller hat unter dem 29.5.2016 seinen Kostenfestsetzungsantrag teilweise zurückgenommen und sich mit der Festsetzung außergerichtlicher Kosten nach einem Streitwert von 8.000 € einverstanden erklärt. In diesem Umfang handele es sich um notwendige Kosten des Verfahrens, weil die Gegenseite vor einem gerichtlichen Bestellungsverfahren zwingend unter Fristsetzung zur Bestellung eines Schiedsrichters aufgefordert werden müsse.
Mit Beschluss vom 12.7.2016 hat der Rechtspfleger der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache dem zuständigen Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Der als Erinnerung auszulegende Rechtsbehelf ist nur teilweise zulässig und in diesem Umfang auch in der Sache erfolgreich.
1. Gegen den nach § 104 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 21 Nr. 1 RPflG ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers beim Oberlandesgericht ist nicht die sofortige Beschwerde nach § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG, sondern die befristete Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG statthaft (vgl. BayObLG NJW-RR 2000, 141; OLG Koblenz MDR 2010, 777; Senat vom 5.7.2011, 34 SchH 6/10 n. v.; vom 4.1.2013, 34 SchH 6/11 juris; vom 8.7.2016, 34 Sch 11/13 BeckRS 2016, 12875; Zöller/Herget ZPO 31. Aufl. § 104 Rn. 9; MüKo/Schulz ZPO 4. Aufl. § 104 Rn. 122), weil nach § 567 Abs. 1 ZPO als allgemeiner verfahrensrechtlicher Vorschrift Beschlüsse des Oberlandesgerichts nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind. In diesem Sinne ist die Eingabe des Antragsgegners auszulegen, denn er verlangt eine inhaltliche Überprüfung des Kostenfestsetzungsbeschlusses. Nichts anderes gilt hinsichtlich des nachträglich um die vollständige Abweisung des Kostenfestsetzungsantrags erweiterten Ziels, das nur unter gleichzeitiger Aufhebung der Entscheidung Erfolg haben könnte.
Über die befristete Erinnerung entscheidet abschließend der Senat (vgl. Senat vom 8.7.2016; BayObLG NJW-RR 2000, 141). Seine Zuständigkeit folgt aus § 11 Abs. 2 Sätze 5 und 6 RPflG i. V. m. § 28 RPflG (vgl. Senat vom 8.7.2016 m. w. N.).
2. Die Erinnerung ist nur insoweit zulässig, als sie sich gegen die Festsetzung einer Geschäftsgebühr nebst Pauschale für die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit richtet.
a) Innerhalb der bis einschließlich 4.2.2016 laufenden zweiwöchigen Notfrist des § 11 Abs. 2 Sätze 1 und 7 RPflG i. V. m. § 567 Abs. 1 Satz 2 ZPO wurde die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 7 RPflG i. V. m. § 567 Abs. 2 ZPO nur mit Blick auf die Festsetzung vorgerichtlicher Kosten eingelegt. Trotz unterbliebener Antragsformulierung ergibt sich das beschränkte Ziel des Rechtsbehelfs aus dem Inhalt der erhobenen Rügen.
b) Die nach Fristablauf vorgenommene Erweiterung des Rechtsbehelfs hingegen ist verfristet. Die verlängerte Frist nach § 11 Abs. 2 Satz 7 RPflG i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO gilt nicht, weil der Grund, auf den die Erweiterung gestützt wird, nicht geeignet wäre, eine Nichtigkeits- oder Restitutionsklage (§§ 579, 580 ZPO) zu tragen.
Dass die Rechtsbehelfsbelehrung insofern unrichtig ist, als sie bei entsprechendem Wert anstelle der befristeten Erinnerung die sofortige Beschwerde als statthaften Rechtsbehelf bezeichnet, hat sich in dem Fristversäumnis nicht ausgewirkt, denn die als solche einzuhaltende zweiwöchige Frist ab Zustellung der Entscheidung ist in der Belehrung genannt. Die gesetzliche Vermutung fehlenden Verschuldens, § 11 Abs. 2 Satz 3 RPflG, ist durch die Umstände des konkreten Einzelfalls daher widerlegt; eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist kommt – zumal ohne Antrag, § 11 Abs. 2 Satz 2 RPflG – nicht in Betracht.
3. Die Erinnerung ist im Umfang ihrer Zulässigkeit begründet und führt zur entsprechenden Änderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses.
a) Der Kostenfestsetzung steht allerdings nicht zwingend entgegen, dass der Antragsteller von der Durchsetzung seines (behaupteten) Anspruchs im schiedsrichterlichen Verfahren Abstand genommen und den Zivilrechtsweg beschritten hat.
Grundlage der Festsetzung ist die rechtskräftige Kostengrundentscheidung im Senatsbeschluss vom 18.11.2015, die im Festsetzungsverfahren nach § 104 ZPO lediglich hinsichtlich der Höhe des zu erstattenden Kostenbetrags ausgefüllt, jedoch keiner inhaltlichen Überprüfung unterzogen wird (vgl. BGH NJW-RR 2008, 1082; NJW 1962, 36/37). Unabhängig davon ist die Grundentscheidung sachlich richtig, da der Antragsteller im Bestellungsverfahren voll obsiegt hat (§ 91 Abs. 1 ZPO).
b) Der Kostenfestsetzungsbeschluss kann jedoch schon deshalb, weil er über den im Erinnerungsverfahren wirksam beschränkten Festsetzungsantrag (§ 308 Abs. 1 ZPO entsprechend; § 103 Abs. 2 Satz 1, § 104 Abs. 1 Satz 1 ZPO) hinausgeht, hinsichtlich des Mehrbetrags keinen Bestand haben (vgl. OLG München, 11. Zivilsenat, JurBüro 1995, 427 f.; Musielak/Flockenhaus ZPO 13. Aufl. § 103 Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 74. Aufl. § 104 Rn. 5).
Der Ansatz einer Geschäftsgebühr aus dem Wert der außergerichtlich geltend gemachten Forderung ist zudem wegen des unterschiedlichen Gegenstands von außergerichtlicher Tätigkeit und gerichtlichem Verfahren nicht zulässig (näher unter Buchst. c).
c) Der Festsetzungsbeschluss ist über den Umfang der Antragszurücknahme hinaus dahingehend abzuändern, dass die Festsetzung einer Geschäftsgebühr – zusätzlich zur rechtskräftig festgesetzten Verfahrensgebühr – insgesamt unterbleibt. Dem steht das vorübergehende Einverständnis des Erinnerungsführers mit der Festsetzung einer Geschäftsgebühr aus einem reduzierten Streitwert nicht entgegen; diese Erklärung kann nicht als Prozesserklärung im Sinne einer teilweisen Rücknahme der Erinnerung ausgelegt werden (vgl. Zöller/Greger vor § 128 Rn. 25).
aa) Zum prozessualen Erstattungsanspruch aus der Kostengrundentscheidung gehören zwar nicht nur die durch das gerichtliche Verfahren ausgelösten Kosten, sondern auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen und aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit den Prozesskosten zugerechnet werden (Bork in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 91 Rdn. 39; Zöller/Herget vor § 91 Rn. 12, § 91 Rn. 13 „Vorbereitungskosten“; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 103 Rn. 17 mit § 91 Rn. 270, 276; MüKo/Schulz § 91 Rn. 40 f.). Danach kann im Verfahren nach § 104 ZPO bei unmittelbarer Prozessbezogenheit der vorgerichtlichen Anwaltstätigkeit auch eine hierfür angefallene Geschäftsgebühr festgesetzt werden (bejahend: BGH NJW 2014, 3163/3164 – Vertretung vor der Vergabekammer; OLG Köln NJW-RR 2010, 431 – Vertretung im notwendigen Schlichtungsverfahren; verneinend: BGH NJW 2006, 2560 – anwaltliches Mahnschreiben; BGH Rpfleger 2006, 165/166 – Abmahnung; 2006, 164/165 – Kosten des Schiedsgutachtens; NJW 2008, 1323 – Anspruchsabwehr; NJW 2008, 2040 – Abwehr einer Abmahnung; OLG Frankfurt NJW 2005, 759 – Abmahnung; vgl. Zöller/Herget § 104 Rn. 21 „Außergerichtliche Anwaltskosten“ und „Geschäftsgebühr“).
Die an die andere Schiedsvertragspartei gerichtete Aufforderung zur Bestellung „ihres“ Schiedsrichters kann jedoch nicht allein deshalb als unmittelbar prozessbezogene Tätigkeit angesehen werden, weil mit ihr (auch) eine prozessuale Voraussetzung für das gerichtliche Bestellungsverfahren nach § 1035 Abs. 3 Sätze 1 und 3 ZPO geschaffen wird, ohne die ein an das Gericht gerichteter Bestellungsantrag ohne weiteres abweisungsreif wäre. Das Aufforderungsschreiben dient – wie das gerichtliche Bestellungsverfahren selbst – vorrangig dem übergeordneten Ziel der Konstituierung des Schiedsgerichts und damit der Durchführung des Schiedsverfahrens, nicht eines gerichtlichen (Bestellungs-)Verfahrens.
Dass gerichtliche Unterstützung bei der Konstituierung erst dann verlangt werden kann, wenn die Partei, die auf die Mitwirkung der Gegenseite bei der Bildung des Schiedsgerichts angewiesen ist, ihren Vertragspartner zu entsprechender Tätigkeit aufgefordert hat, ist darin begründet, dass das Benennungsrecht und – bei bestehender Schiedsvereinbarung (§ 1029 Abs. 2 ZPO) – auch eine entsprechende Mitwirkungspflicht (vgl. BT-Drucks. 16/5274, S. 40) zunächst bei den Parteien liegt. Die Aufforderung, die (behauptete) vertragliche Verpflichtung zu erfüllen, dient daher – nicht anders als ein Mahnschreiben, mit dem die Erfüllung einer Zahlungspflicht eingefordert wird – nicht unmittelbar der Vorbereitung des bei Erfolglosigkeit der außergerichtlichen Maßnahme durchzuführenden gerichtlichen (Bestellungs-)Verfahrens, sondern der Einforderung der Vertragspflicht unter Meidung eines Gerichtsverfahrens (vgl. Schlosser in Stein/Jonas § 1035 Rn. 30; Zöller/Geimer § 1035 Rn. 1a).
Nach wertender Betrachtung (vgl. MüKo/Schulz § 91 Rn. 42) stellen sich die Kosten für das Aufforderungsschreiben daher auch insoweit, als sie aus dem reduzierten Wert des Bestellungsverfahrens berechnet sind, als Kosten der Vorbereitung des Schiedsverfahrens dar.
bb) Hinzu kommt, dass die Anwaltstätigkeit im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Bestellungsverfahren und das Betreiben des schiedsrichterlichen Verfahrens gebührenrechtlich gemäß § 16 Nr. 8 RVG dieselbe Angelegenheit sind. Auf die Tätigkeit im schiedsrichterlichen Verfahren sind gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 RVG nur die Bestimmungen des Teils 3 Abschnitte 1, 2 und 4 des Vergütungsverzeichnisses anzuwenden (Hartmann Kostengesetze 46. Aufl. Vorbem 2.3, 2300 VV RVG Rn. 1; Riedel/Sußbauer RVG 10. Aufl. 2300 Rn. 6; Mayer in Gerold/Schmidt RVG 22. Aufl. § 36 Rn. 9). Der Ansatz der in Teil 2 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses verorteten Geschäftsgebühr kommt danach nicht in Betracht, auch nicht als ersparter fiktiver Teil einer nicht erstattungsfähigen Gebühr aus dem höheren Streitwert (vgl. Zöller/Herget § 91 Rn. 12 a. E. sowie § 104 Rn. 21 „Fiktive Kosten“).
cc) Ob und in welcher Höhe dem Antragsteller ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch zusteht (vgl. BGH NJW 2007, 1458), ist nicht im Festsetzungsverfahren zu entscheiden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. MüKo/Schulz § 104 Rn. 136).
Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben (siehe Senat vom 8.7.2016, 34 Sch 11/13 BeckRS 2016, 12875).