Aktenzeichen W 8 K 22.30417
VwGO § 161 Abs. 3
VwGO § 75
ZPO § 114
RVG § 30 Abs. 2
RVG § 33
Leitsatz
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtkosten werden nicht erhoben.
Gründe
Aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Parteien ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Das Verfahren ist daher in rechtsähnlicher Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Gemäß § 161 Abs. 2 VwGO hat das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes lediglich über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, die Kosten dem Beteiligten aufzuerlegen, der bei einer Entscheidung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen und deshalb nach Maßgabe der §§ 154 ff. VwGO kostenpflichtig geworden wäre. Eine Verpflichtung des Gerichts, allein im Hinblick auf die noch offene Kostenentscheidung ansonsten erforderliche Feststellungen zu treffen, Beweise zu erheben oder schwierige Rechtsfragen zu klären, besteht nicht. Bei der Billigkeitsentscheidung kann auch berücksichtigt werden, inwieweit das erledigende Ereignis auf den Willensentschluss eines Beteiligten zurückzuführen ist (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 161 Rn. 15 ff).
Billigem Ermessen entsprach es hier, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Beklagte hat mit dem begehrten Weiterbetreiben des Asylverfahrens durch die Ladung zur Anhörung das erledigende Ereignis für die Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) herbeigeführt. Außerdem wäre die Untätigkeitsklage voraussichtlich auch erfolgreich gewesen, weil die Beklagte ohne zureichenden Grund über 20 Monate nicht über den Asylantrag entschieden und den Kläger noch nicht einmal ordnungsgemäß vollständig angehört hatte (vgl. zum Ganzen zuletzt etwa VG Minden, U.v. 14.2.2022 – 1 K 6191/21.A – juris; VG Würzburg, U.v. 10.2.2022 – W 5 K 21.30952 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 9.2.2022 – 8 K 2764/21 – juris; siehe zu weiteren Nachweisen Asylmagazin 3/2022, S. 93).
Die Kostentragungspflicht der Beklagten ergibt sich zudem aus § 161 Abs. 3 VwGO. Danach fallen in den Fällen des § 75 VwGO die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Dies war vorliegend der Fall. Anlass zur Abweichung von der grundsätzlichen Regelung zur Kostentragung nach § 161 Abs. 3 VwGO bestand nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalles nicht. Denn liegt ein Fall des § 75 VwGO vor, so tritt eine Kostenüberbürdung nach § 161 Abs. 3 VwGO nur dann nicht ein, wenn – anders als hier – die Beklagte einen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung hatte und dem Kläger dieser Grund bekannt war oder bekannt sein musste (BVerwG, B.v. 23.7.1991 – 3 C 56/90 – Buchholz 310, § 161 VwGO Nr. 91). Der Kläger konnte im Hinblick auf die Gesamtdauer des Asylverfahrens bis zur Klageerhebung von über 20 Monaten mit einer Entscheidung der Beklagten rechnen (vgl. auch die Fristen in Art. 31 der RL 2013/32/EU – Verfahrensrichtlinie). Soweit die Behörde – wie vorliegend – dem Kläger nichts Gegenteiliges unter Angabe des Grundes mitteilt, ist jedenfalls spätestens innerhalb eines Jahres ab Antragstellung mit einer Entscheidung zu rechnen (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 161 Rn. 36).
Aufgrund der Einstellung des Verfahrens bedarf es vorliegend keiner Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag mehr, da dieser in der Regel voraussetzt, dass die Frage der Rechtsverfolgung noch beabsichtigt ist (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 166 Rn. 14).
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Der Gegenstandswert war mangels erforderlicher Antragstellung nach § 33 RVG nicht ausdrücklich festzusetzen. Der Einzelrichter weist aber darauf hin, dass er in der vorliegenden Konstellation einer auf bloßer Bescheidung beschränkten asylrechtlichen Untätigkeitsklage abweichend vom üblichen Gegenstandswert von 5.000,00 EUR (§ 30 Abs. 1 Satz 1 RVG) gemäß § 30 Abs. 2 RVG einen reduzierten Streitwert von lediglich 2.500,00 EUR für angemessen erachtet. Denn das Bundesverwaltungsgericht, dem sich der Einzelrichter anschließt, hat mittlerweile höchstrichterlich entschieden, dass der Streitwert in derartigen Fallkonstellationen lediglich auf 2.500,00 EUR festzusetzen ist, weil die Voraussetzungen dafür auch bei Umständen bejaht werden können, die – wie hier – in einer Mehrzahl von Fällen bestehen (siehe BVerwG, Streitwertbeschluss vom 11.7.2018 – 1 C 18/17 – juris mit Anmerkung Mayer FD-RVG 2018, 408101; ebenso OVG Bln-Bbg, B.v. 18.3.2019 – OVG 2 L 32.18 – juris unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung im B.v. 26.10.2017 – OVG 6 K 74.17 – juris; ebenso etwa VG München, B.v. 29.6.2020 – M 31 M 17.45582 – juris; anderer Ansicht VG Würzburg, B.v. 17.11.2021 – W 2 M 21.31184 – juris).