Kosten- und Gebührenrecht

Keine Einigungsgebühr bei unbekanntem Aufenthalt des Vollstreckungsschuldners

Aktenzeichen  13 M 507/21

Datum:
23.4.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24561
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GvKostG KV Nr. 207, Nr. 208

 

Leitsatz

Ein Versuch der gütlichen Erledigung nach Nr. 208 GvKostG KV liegt nicht vor, wenn der Schuldner objektiv für einen solchen Versuch nicht erreichbar ist, weil er unbekannt verzogen ist.(Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Auf die Erinnerung der Gläubigerin wird die Kostenrechnung der Gerichtsvollzieherin vom 11.02.2021 (2 DR 286/21) aufgehoben und die Gerichtsvollzieherin angewiesen, eine berichtigte Kostenrechnung ohne Ansatz der Gebühr nach Nr. 208 GvKostG KV und der darauf entfallenden Auslagenpauschale nach Nr. 716 GvKostG KV zu erstellen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Erinnerung betrifft den Ansatz einer Gebühr für den Versuch einer gütlichen Erledigung gemäß Nr. 208 GvKostG KV nebst anteiliger Auslagenpauschale gemäß Nr. 716 GvKostG KV.
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid. Zu diesem Zweck hat sie am 12.01.2021 die Gerichtsvollzieherin mit der Abnahme der Vermögensauskunft beauftragt (Modul G1), sich mit einer gütlichen Erledigung einverstanden erklärt (Module E2 und E4) sowie unter den Voraussetzungen des § 802l ZPO die Einholung von Auskünften Dritter beauftragt (Modul M).
Mit Schreiben vom 21.01.2021 hat die Gerichtsvollzieherin die Schuldnerin zum Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft auf den 16.02.2021 geladen. Das Schreiben konnte der Schuldnerin nicht zugestellt werden, weil sie unbekannt verzogen war.
Die Gerichtsvollzieherin stellte der Gläubigerin daraufhin mit Schreiben vom 11.02.2021 Kosten in Höhe von insgesamt 33,96 € in Rechnung, wobei dieser Betrag auch eine Gebühr in Höhe von 8,00 € für den Versuch einer gütlichen Erledigung gemäß Nr. 208 GvKostG KV und eine hierauf entfallende Auslagenpauschale von 20% gemäß Nr. 716 GvKostG KV umfasste.
Mit Schreiben vom 01.03.2021 hat die Gläubigerin über ihren Prozessbevollmächtigten gebeten, die Gebühr für die gütliche Erledigung nebst hierauf entfallender Auslagenpauschale nicht anzusetzen und eine berichtigte Kostenrechnung zu erstellen. Da das Schreiben der Gerichtsvollzieherin vom 21.01.2021 der Schuldnerin nicht zugegangen sei, liege schon begrifflich kein Versuch einer gütlichen Erledigung vor.
Die Gerichtsvollzieherin hat das Schreiben der Gläubigerin als Erinnerung ausgelegt, dieser nicht abgeholfen und dem Erinnerungsrichter vorgelegt.
Der Bezirksrevisor beim Landgericht Coburg und der Prüfungsbeamte für die Gerichtsvollzieher des Amtsgerichtsbezirks Coburg wurden angehört.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 766 II 3. Fall ZPO, § 5 II S. 1 GvKostG zulässige, und zu Recht als solche behandelte Erinnerung ist begründet.
Ein Versuch der gütlichen Erledigung wurde im konkreten Fall nicht unternommen.
Nach Nr. 207 GvKostG KV erhält der Gerichtsvollzieher für den Versuch einer gütlichen Einigung eine Gebühr von 16 €, die sich nach Nr. 208 GvKostG KV auf 8 € ermäßigt, wenn zugleich ein Auftrag zur Sachpfändung oder zur Abnahme der Vermögensauskunft erteilt wurde. Vorliegend wurden ein Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft und zugleich ein Antrag auf gütliche Erledigung gestellt.
Zwar können grundsätzlich die Gebühren des Abschnitts 6 des GvKostG KV erhoben werden, wenn der Schuldner unbekannt verzogen ist, so dass der Gerichtsvollzieher bei isolierter Beauftragung des Versuchs einer gütlichen Erledigung für den Fall, dass der Schuldner unbekannt verzogen ist, eine (Nichterledigungs-)Gebühr nach Ziff. 604, 207 GvKostG KV in Höhe von 15,00 € abrechnen kann. Das gilt jedoch nicht für den Versuch einer gütlichen Erledigung neben einer Maßnahme nach § 802a II 1 Nr. 2 oder Nr. 4 ZPO, denn Ziff. 604 KV GvKostG verweist ausdrücklich nicht auf Ziff. 208 KV GvKostG (OLG Hamm BeckRS 2019, 4906).
Ein Versuch der gütlichen Erledigung nach Nr. 208 GvKostG KV liegt nach Auffassung des Gerichts aber nicht vor, wenn der Schuldner objektiv für einen solchen Versuch nicht erreichbar ist. Um die Gebühr auszulösen, muss der Versuch tauglich sein, den Schuldner zu erreichen (so auch OLG Hamm a. a. O.; OLG Düsseldorf BeckRS 2019, 16604 Rn. 4; OLG Koblenz NJW-RR 2000, 62). Demgegenüber vertreten die Oberlandesgerichte Celle (NJW-RR 2020, 63), Schleswig (NJOZ 2019, 239) und Braunschweig (NJOZ 2019, 1544) die Auffassung, ein vergütungspflichtiger Mehraufwand des Gerichtsvollziehers sei grundsätzlich immer dann zu bejahen, wenn der Gerichtsvollzieher den Schuldner zur gütlichen Erledigung auffordere, gleichgültig in welcher Form dies geschehe. Es spiele also keine Rolle, ob dies in einem separaten Anschreiben erfolge oder dem Schuldner die gütliche Einigung innerhalb eines ohnehin erforderlichen Schreibens angeboten werde. Auf die tatsächliche Annahme des Schuldners oder dessen Mitwirkung komme es nicht an. Denn allein diese Bewertung werde dem im Kostenrecht geltenden Gebot der typisierenden Betrachtungsweise gerecht. Die Gebühr gem. Nr. 208 GvKostG KV falle mithin auch dann an, wenn das Schreiben dem Vollstreckungsschuldner nicht zugestellt werden könne.
Überzeugender ist die Argumentation der erstgenannten Meinung. Das OLG Koblenz führt insoweit aus (NJW-RR 2020, 62): „Das Erfordernis eines tauglichen Versuches ergibt sich schon aus dem Zweck von § 802 b ZPO, durch eine gütliche Erledigung die weitere Vollstreckung und damit intensivere Eingriffe in den Rechtskreis des Schuldners zu vermeiden. Dieses Ziel lässt sich nicht erreichen, wenn der Schuldner unbekannt verzogen ist. Insoweit sind reine Vorbereitungshandlungen nicht zu vergüten (vgl. hierzu ergänzend auch LG Wuppertal, Beschluss vom 20.2.2019 – 16 T 237/18, BeckRS 2019, 14613), weil sie noch nicht geeignet sind, den Schuldner in die Lage zu versetzen, den Versuch des Gerichtsvollziehers um eine gütliche Erledigung zum Erfolg – der Annahme – zu führen. Der Versuch der gütlichen Erledigung muss also im Angebot einer solchen Erledigung bestehen, was den Zugang der Mitteilung erfordert.
Unbehelflich ist das Argument (…), der Gesetzgeber habe jeden Aufwand des Gerichtsvollziehers pauschaliert vergüten wollen. Zunächst ist im konkreten Einzelfall überhaupt kein Aufwand feststellbar. Sodann gibt die Textstelle (BT-Drs. 18/9698, 25) für die Auffassung (…) nichts her. Dort ist gerade nicht ausgeführt, dass der Gerichtsvollzieher „für jeden Aufwand“ vergütet werden soll, sondern dass „Der Versuch einer gütlichen Erledigung [soll] daher stets eine Gebühr auslösen“ soll. Gebührenpflichtig ist also der Versuch, nicht der Aufwand. Der Versuch setzt aber den Zugang zum Schuldner voraus oder wie es das OLG Düsseldorf unter Bezugnahme auf § 22 StGB ausdrückt, dass „unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.7.2019 – 10 W 47/19, BeckRS 2019, 16604 Rn. 4). Hätte der Gesetzgeber dagegen jeden Aufwand – etwa schon die Entgegennahme des Auftrags oder Überlegungen zur Gestaltung einer gütlichen Erledigung – vergüten wollen, hätte er nicht auf den Versuch, sondern wie bei anderen Vorschriften auf den Auftrag oder das Verfahren der gütlichen Erledigung abstellen können und müssen. Indem er hiervon abweichend auf den Versuch abstellt, hat er den Anwendungsbereich von Nr. 207, 208 GvKostG KV bewusst eingeschränkt.“
Dieser Argumentation schließt sich das Erinnerungsgericht vollumfänglich an und macht sie sich zu eigen.
Die Gerichtsvollzieherin war daher anzuweisen, eine berichtigte Kostenrechnung ohne Berücksichtigung der Gebühr nach Nr. 208 GvKostG KV i. V. m. der anteiligen Auslagenpauschale zu erstellen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 5 II S. 2 GvKostG, § 66 VIII GKG); außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gemäß § 5 II S. 2 GvKostG, § 66 II 2 GKG war die Beschwerde zuzulassen: Es handelt sich um eine in der Praxis keineswegs selten auftretende Problematik und die einzelnen Arbeitsweisen und Rechtsauffassungen der Gerichtsvollzieher im Bezirk des Amtsgerichts sind sehr unterschiedlich. Wegen grundsätzlicher Bedeutung einer einheitlichen Rechtsprechung im Bezirk war daher die Beschwerde zuzulassen.


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