Aktenzeichen L 15 SF 209/15
Leitsatz
1. Eine Entschädigung wegen eines gerichtlichen Termins setzt grundsätzlich voraus, dass der Betroffene auch beim gerichtlichen Termin erschienen ist. (amtlicher Leitsatz)
2. Von diesem Grundsatz kann jedenfalls dann nicht abgewichen werden, wenn der Grund für das Nichterscheinen nicht in der Sphäre des Gerichts liegt. (amtlicher Leitsatz)
3. Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem JVEG besteht bei Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht, wenn es aufgrund einer Panne bei der Anreise zu Gericht nicht zum Erscheinen in der mündlichen Verhandlung gekommen ist. (amtlicher Leitsatz)
4 Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung sind vom Beschwerdegericht alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie mit der Beschwerde aufgegriffen worden sind oder nicht, denn das Beschwerdegericht ist eine neue Tatsacheninstanz, die in vollem Umfang anstelle des Erstgerichts zu entscheiden hat. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 15 SF 61/14 2014-12-10 Bes SGREGENSBURG SG Regensburg
Tenor
I.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird zurückgewiesen.
II.
Auf die Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 10. Dezember 2014 aufgehoben.
III.
Der Beschwerdeführerin steht wegen des Gerichtstermins am 18. Dezember 2013 keine Entschädigung zu.
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -Entschädigungsgesetz (JVEG) wegen eines Gerichtstermins, zu dem die Beschwerdeführerin als Zeugin geladen war, bei dem sie aber nicht erschienen ist.
In dem beim Sozialgericht (SG) Regensburg unter dem Aktenzeichen S 16 AL 239/13 geführten Klageverfahren wurde die Antragstellerin und jetzige Beschwerdeführerin (im Folgenden: Beschwerdeführerin), die als selbstständige Schneiderin eine Änderungsschneiderei betreibt, als Zeugin für eine mündliche Verhandlung am 18.12.2013 in Regensburg geladen. Wegen einer Autopanne bei der Anfahrt erschien die Beschwerdeführerin bei diesem Termin aber nicht.
Am 16.01.2014 legte sie als Bestätigung ihrer Verhinderung am 18.12.2013 die Quittung einer Kfz-Werkstätte vom 20.12.2013 über Kosten einer Pannenhilfe in Höhe von 147,56 € vor und beantragte die Erstattung. Weiter legte sie Quittungen über jeweils 90,- € für eine Vertretung in ihrer Änderungsschneiderei einerseits und eine Kinderbetreuung andererseits am 18.12.2013 vor.
Die Kostenbeamtin des SG lehnte mit Schreiben vom 16.01.2014 eine Erstattung der Kosten für die Pannenhilfe ab, da in den Regelungen des JVEG eine Erstattung der Auslagen für Pannenhilfe nicht vorgesehen sei.
Mit Eingang am 21.01.2014 äußerte sich die Beschwerdeführerin dahingehend, dass sie die Ablehnung der Kostenerstattung als Unverschämtheit empfinde. Zudem beantragte sie eine Entschädigung für Verdienstausfall für die Zeit von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr, für Fahrtkosten von ihrem Wohnort zum Pannenort (F-Stadt ) und die Erstattung von 40,- €, die sie einer Freundin wegen der Abholung vom Pannenort gezahlt habe. Diesen formlosen Entschädigungsantrag ergänzte sie durch einen auf dem gerichtlichen Formblatt gestellten Entschädigungsantrag vom 01.02.2014, mit dem sie einen Verdienstausfall für eine Zeit von nunmehr 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr zu einem Stundensatz von 15,- € sowie eine Entschädigung für Zeitversäumnis für 6 Stunden Kinderbetreuung, für Fahrtkosten für 120 km und für Zehrkosten in Höhe von 15,- € beantragte.
Die Kostenbeamtin des SG setzte mit Schreiben vom 17.04.2014 die Entschädigung mit 75,- € (Verdienstausfall von 4 Stunden zu je 15,- € und Fahrtkosten für insgesamt 60 km für die Fahrt vom Wohnort der Klägerin zum Pannenort und zurück, also 15,- €) fest.
Gegen diese Entschädigung hat sich die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 30.04.2014 gewandt und vorgetragen, dass sie ohne den Gerichtstermin keine Panne gehabt hätte und daher der Betrag von 147,56 € direkt an die Werkstatt, die das Auto abgeschleppt habe, zu überweisen sei.
Mit Beschluss vom 10.12.2014 hat das SG die Entschädigung wie bereits die Kostenbeamtin auf 75,- € festgesetzt.
Dagegen hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 26.01.2015 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und diese, was die Erstattung der Kosten für Pannenhilfe angeht, wie folgt begründet: Die Kosten für die Panne seien ebenso wie die Reparaturkosten durch das Gericht zu übernehmen, da sie privat nicht an den Pannenort gefahren wäre. Die Beschwerdeführerin weiter: „Ihr könnt nicht von dem Wörtchen Wenn ausgehen. Wenn das Wörtchen Wenn nicht wär, wär mein Vater Millionär!“ Zudem seien ihr die Kosten für die Aushilfe in der Schneiderei und die Kinderbetreuung zu erstatten.
Der Senat hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 30.03.2015 darauf hingewiesen, dass fraglich sei, ob ihr überhaupt eine Entschädigung zustehe. Denn der Grundsatz sei, dass eine Entschädigung nur dann infrage komme, wenn der Betroffene auch beim Gerichtstermin erschienen sei. Im Fall einer Anschlussbeschwerde müsse die Beschwerdeführerin damit rechnen, dass die Entschädigung gegenüber den bisher festgesetzten 75,- € auf 0,- € reduziert werde und sie eine Rückzahlung zu leisten habe.
Mit Telefax vom 06.04.2015 hat die Beschwerdeführerin zu erkennen gegeben, dass es für sie keine Frage sei, dass ihr eine Entschädigung zustehe. Mit Eingang vom 04.05.2015 hat sie zudem Quittungen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass sie am 18.12.2013 Kosten für eine Aushilfe in ihrer Änderungsschneiderei und für Kinderbetreuung und Kochen gehabt hat. Weiter hat ist eine Quittung von Frau H. vom 18.12.2013 über 50,- € für Fahrdienst vom Pannenort zum Wohnort der Beschwerdeführerin übersandt.
Mit Schreiben vom 13.11.2015 hat der Bezirksrevisor Anschlussbeschwerde eingelegt. Er hat darauf hingewiesen, dass nach der Kommentarliteratur zum Sozialgerichtsgesetz (SGG) Voraussetzung für eine Auslagenvergütung ein Erscheinen bei Gericht sei.
Mit bei Gericht am 10.12.2015 eingegangenem Schreiben hat die Beschwerdeführerin deutlich gemacht, dass sie ihre Beschwerde nach wie vor aufrechterhalte.
Der Senat hat die Akten des SG sowohl in der Kostensache als auch zum Klageverfahren beigezogen.
II.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässig, aber unbegründet (s. unten Ziff. 1.).
Die Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners ist zulässig und begründet (s. unten Ziff. 2.).
1. Zur Beschwerde der Beschwerdeführerin
Die Beschwerde ist unbegründet, da der von der Beschwerdeführerin begehrte höhere Entschädigungsanspruch nicht besteht.
1.1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde ist wegen Erreichens des Beschwerdewerts gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässig.
Eine Beschwerde gegen die erstinstanzliche Festsetzung der Entschädigung ist nur dann zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- € übersteigt oder wenn sie das Sozialgericht aufgrund grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Der Wert des Beschwerdegegenstands ist die Differenz zwischen dem von mit der Beschwerde angestrebten Betrag, wie er sich aus dem ursprünglichen Antrag ergibt, und der erfolgten Festsetzung des Gerichts (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.08.2012, Az.: L 15 SF 139/12 B NZB, vom 03.06.2014, Az.: L 15 SF 402/13 E, und vom 18.02.2016, Az.: L 15 SF 208/15).
Bei einer wie hier auf 75,- € erstinstanzlich festgesetzten Entschädigung muss der angestrebte Betrag daher über 275,- € liegen, um den für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderlichen Beschwerdewert zu erreichen. Dies ist vorliegend der Fall.
Unter Zugrundelegung und vollständiger Übernahme der von der Beschwerdeführerin noch während der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG geltend gemachten Entschädigungstatbestände, die die Grundlage für den von ihr angestrebten Entschädigungsbetrag darstellen, ergibt sich eine beantragte Entschädigung von 412,56 € (Pannenhilfe: 147,56 €; Fahrtkosten für die Abholung durch die Freundin: 40,- €; Verdienstausfall für 6 Stunden zu je 15,- €: 90,- €; Kosten für Kinderbetreuung für 6 Stunden zu je 15,- €: 90,- €; Fahrtkosten (für 120 km) in Höhe von 30,- €; Zehrkosten in Höhe von 15,- €). Der Beschwerdewert ist damit erreicht.
1.2. Anzuwendende Fassung des JVEG
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung. Denn die Beschwerdeführerin als Berechtigte ist nach dem gemäß Art. 55 2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.
1.3. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren
Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung sind vom Beschwerdegericht alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie mit der Beschwerde aufgegriffen worden sind oder nicht (ständige Rspr. des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 17.12.2013, Az.: L 15 SF 275/13; LSG Thüringen, Beschluss vom 05.03.2012, Az.: L 6 SF 1854/11 B – m. w. N.). Das Beschwerdegericht ist eine neue Tatsacheninstanz, die in vollem Umfang anstelle des Erstgerichts zu entscheiden hat (ständige Rspr. des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 18; Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl. 2015, § 4 JVEG, Rdnr. 28).
1.4. Ob des Entschädigungsanspruchs
Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Entschädigung wegen des Gerichtstermins vom 18.12.2013, da sie bei diesem Gerichtstermin nicht erschienen ist. Auf die Gründe Ihres Nichterscheinens kommt es bei der Frage der Entschädigung nach dem JVEG nicht an.
1.4.1. Grundvoraussetzung einer Entschädigung: Erscheinen beim gerichtlich angeordneten Termin
Es ist sowohl in der Rechtsprechung als auch in der maßgeblichen Kommentarliteratur herrschende Meinung, dass eine Entschädigung nur dann erfolgen kann, wenn der geladene Zeuge bzw. Beteiligte, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, zu dem vom Gericht angesetzten Termin auch erschienen ist (vgl. z. B. Beschlüsse des Senats vom 04.07.2014, Az.: L 15 SF 123/14, und vom 21.01.2015, Az.: L 15 SF 296/14; Bayer. LSG, Beschluss vom 28.05.2003, Az.: L 18 SB 37/02; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 2; Groß, in: Lüdtke, SGG, 4. Aufl. 2012, § 191, Rdnr. 7; Krauß, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 8; Zeihe, SGG, 12. Aufl. Stand 08/2015, § 191, Rdnr. 2a; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl. Stand 06/2015, § 191, Ziff. 2; Rohwer-Kahlmann/Schroeder-Printzen/Hofmann/Husmann/Ackermann/Wendt, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl. Stand 08/2007, § 191 SGG, Rdnr. 4; Breitkreuz, in: ders./Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 5; vgl. auch Hartmann, a. a. O., § 1 JVEG, Rdnr. 41; unklar Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 7, Rdnr. 5, wenn diese die Möglichkeit sehen, dass einem ausgebliebenen Zeuge u.U. die Auslagen ersetzt werden können, die für die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Abfassung eines Entschuldigungsschreibens entstanden sind).
1.4.2. Kein Anlass für eine weite Auslegung dahingehend, dass eine Entschädigung auch ohne Erscheinen bei Gericht möglich wäre.Die Notwendigkeit dafür, eine Entschädigung unter bestimmten Voraussetzungen bereits dann zuzulassen, wenn zwar die Ladung des Zeugen bzw. die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beteiligten erfolgt ist, der Zeuge bzw. Beteiligte dann aber nicht in dem vom Gericht angesetzten Termin erschienen ist, sieht der Senat nicht, jedenfalls dann nicht, wenn der Grund für das Nichterscheinen nicht in der Sphäre des Gerichts liegt.
Der Senat stützt sich dabei auf folgende Überlegungen:
* Mit den Regelungen zur Entschädigung nach dem JVEG wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Gerichte auf der Suche nach der Wahrheit oft auf die Wahrnehmungen von Zeugen angewiesen sind. Die Mitwirkung der Zeugen im gerichtlichen Verfahren stellt sich auch als staatsbürgerliche Pflicht dar, deren Erfüllung nicht notwendig einer Entschädigung bedarf (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 10.10.1978, Az.: 2 BvL 3/78, Hartmann, a. a. O., Grundz. JVEG, Rdnr. 6). Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass die Mitwirkung von Zeugen nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung nur mit für diesen als zumutbar betrachteten Nachteilen verbunden sein soll, was zur Einführung von Entschädigungsregelungen geführt hat. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass in nicht gemäß § 183 SGG gerichtskostenfreien Verfahren genauso wie in Verfahren anderer Gerichtsbarkeiten, bei denen keine Gerichtskostenfreiheit wie in § 183 SGG besteht, die Kosten für eine Entschädigung von Zeugen grundsätzlich von den Verfahrensbeteiligten zu übernehmen sind. Insofern ist für alle Betroffenen ein Weg zu finden, mit dem den Interessen aller Beteiligten möglichst weitgehend Rechnung getragen wird. Grundlage einer Entschädigung bleibt dabei immer, dass der Zeuge einen Beitrag zum Verfahren geliefert hat. Daran fehlt es, wenn ein Zeuge zu dem vom Gericht angesetzten Termin nicht erschienen ist. In einem solchen Fall wäre es unbillig, die dabei entstandenen Kosten der unterliegenden Partei aufzubürden. Nichts anderes kann in einem gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahren gelten, in dem die Kosten von der Staatskasse übernommen werden.
* Vorgenannter Gedanke, der einen Verfahrensbeitrag als unverzichtbare Voraussetzung für eine Entschädigung sieht, findet auch in § 8 a JVEG seine Bestätigung, wenn dort der Wegfall oder die Beschränkung des Vergütungsanspruchs eines Sachverständigen, Dolmetschers oder Übersetzers von der Verwertbarkeit der zu vergütenden Leistung abhängig gemacht wird.
* Entsprechendes lässt sich auch aus der Rechtsprechung zum Ausschluss von Ansprüchen nach dem JVEG außerhalb des § 8 a JVEG entnehmen. Zwar enthält das JVEG mit Ausnahme der Ausschlussfrist des § 2 Abs. 1 JVEG und der auf die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern zugeschnittenen Regelung des § 8 a JVEG keine ausdrückliche Regelung zum Ausschluss von Ansprüchen. Gleichwohl besteht in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass ein nach dem Wortlaut des Gesetzes gegebener Entschädigungs- oder Vergütungsanspruch dann ausgeschlossen ist, wenn der Berechtigte schuldhaft den Erfolg der grundsätzlich eine Entschädigung oder Vergütung auslösenden Maßnahme vereitelt hat (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, a. a. O., § 1, Rdnr. 34.; BGH, Beschluss vom 15.12.1975, Az.: X ZR 52/73; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 15.11.1999, Az.: L 4 B 168/99 SF; Beschlüsse des Senats vom 15.05.2009, Az.: L 15 SF 249/09). Gestützt wird ein solcher Anspruchsverlust auf den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. Beschluss des Senats vom 16.09.2013, Az.: L 15 SF 211/13; Leitherer, a. a. O., § 191, Rdnr. 2).
* Die Regelungen des JVEG sind von dem Bestreben des Gesetzgebers nach einer Vereinfachung der Rechtsanwendung des Kostenrechts geprägt (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG] – Bundestags-Drucksache 15/1971, z. B. S. 1, 2, 142, 143, 180). Dem entspricht die Rechtsprechung des Kostensenats, wonach die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter im Sinn der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie (Leitgedanke der Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Grundsatzbeschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, vom 08.04.2013, Az.: L 15 SF 305/10, vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B, vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, vom 17.12.2013, Az.: L 15 SF 275/13, vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12, vom 03.06.2014, Az.: L 15 SF 402/13 E, vom 03.11.2014, Az.: L 15 SF 254/12, vom 04.11.2014, Az.: L 15 SF 198/14, vom 14.01.2015, Az.: L 15 SF 239/12 B, vom 10.03.2015, Az.: L 15 RF 5/15, vom 11.05.2015, Az.: L 15 RF 14/15, und vom 08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E) nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Diese Zielsetzung gebietet es, die Frage der Entschädigung an dem für die Kostenbeamten und Kostenrichter leicht feststellbaren Kriterium des Erscheinens beim gerichtlichen Termin anzuknüpfen. Die Klärung der Frage in jedem Einzelfall, warum es nicht zum Erscheinen gekommen ist, würde mit dem Gebot der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie nicht in Einklang zu bringen sein.
* Die Regelungen des JVEG enthalten eine im Wesentlichen abschließende Regelung der Entschädigung oder Vergütung der darin genannten Berechtigten. Insofern ist dem JVEG zumindest auch der Charakter vorrangiger Sondervorschriften zuzusprechen (vgl. Hartmann, a. a. O., Grundz. JVEG, Rdnr. 1). Schon dieser Ausnahmecharakter steht regelmäßig einer weiten Auslegung (vgl. z. B. BVerfG, Beschlüsse vom 21.06.1977, Az.: 2 BvR 308/77, und vom 07.10.1980, Az.: 1 BvR 1289/78; Bundessozialgericht, Urteile vom 06.10.2011, Az.: B 9 SB 6/10 R, und vom 15.05.2012, Az.: B 2 U 4/11 R; Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.03.2014, Az.: XI R 29/12), mithin einer großzügigen Handhabung der Entschädigungsvorschriften entgegen.
* Auch ein Vergleich mit dem Rechtsbereich der Rechtsanwaltsvergütung zeigt, dass für eine Entschädigung bzw. Vergütung das Erscheinen des Berechtigten im Gerichtstermin grundsätzlich unverzichtbar ist. So entsteht die Terminsgebühr eines Rechtsanwalts für die Vertretung in einem gerichtlichen Termin nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) (Vorbemerkung 3 Abs. 3 der Verwaltungsvorschriften zum RVG) nach ständiger Rechtsprechung erst durch die Teilnahme am Termin. Nicht ohne Grund wird daher die Terminsgebühr auch als „Anwesenheitsgebühr“ (vgl. Verwaltungsgericht – VG – Köln, Beschluss vom 01.06.2011, Az.: 7 K 3012/10) bezeichnet. Erscheint der Rechtsanwalt nicht oder verspätet zur mündlichen Verhandlung, hat er keine Terminsgebühr erworben (vgl. Oberlandesgericht – OLG – München, Beschluss vom 17.06.2008, Az.: 11 WF 1065/08; VG Bayreuth, Beschluss vom 01.07.2013, Az.: B 1 M 11.626). Dabei wird es als unerheblich angesehen, aus welchem Grund eine Teilnahme am Termin nicht erfolgt ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.09.2011, Az.: 2 WF 165/11).
* Dieses Ergebnis – Ausschluss einer Entschädigung infolge des Nichterscheinens im gerichtlich angesetzten Termin – ist auch unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel nicht zu beanstanden.
Zum einen ist die Teilnahme des Zeugen an einem gerichtlich angeordneten Termin Teil der Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten (vgl. Hartmann, a. a. O., Grundz. JVEG, Rdnr. 3, und § 19 JVEG, Rdnr. 2); bei einem Verfahrensbeteiligten wären zudem dessen ureigene Interessen besonders betroffen. Von Verfassung wegen wäre der Gesetzgeber daher überhaupt nicht verpflichtet, einem Zeugen (bzw. Beteiligten, wie dies mit § 191 SGG ohnehin nur für gemäß § 183 SGG kostenfreie sozialgerichtliche Verfahren vorgesehen ist) eine Entschädigung für sein Erscheinen bei Gericht zu gewähren. Das BVerfG hat dies im Beschluss vom 10.10.1978, Az.: 2 BvL 3/78, wie folgt zum Ausdruck gebracht:
„Die Zeugenpflicht ist nach deutscher Rechtstradition eine allgemeine Staatsbürgerpflicht, für deren Erfüllung ein Entgelt nicht verlangt werden kann (vgl. dazu etwa die Begründung zum Gesetz betreffend die Änderung der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom 10. Juli 1914 – RGBl. S. 214 – Drucksache Nr. 38 (1913) zu den Verhandlungen des Bundesrates des Deutschen Reiches sowie die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften – BTDrucks. II 2545, S. 212 f.).“
Zum anderen ist es auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Grundgesetz nicht geboten, einem geladenen Zeugen bzw. einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, der aber – aus welchem Grund auch immer – beim Gerichtstermin nicht erschienen ist, eine Entschädigung nach den gleichen Vorgaben und in gleicher Weise zu gewähren wie einem solchen, der beim Gerichtstermin erschienen ist. Denn im Gegensatz zu dem nicht erschienenen Zeugen oder Beteiligten hat der erschienene Zeuge oder Beteiligte einen Beitrag zum gerichtlichen Verfahren leisten können, wie er Grund für die Ladung des Zeugen oder die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beteiligten gewesen ist. Auch insofern verweist der Senat auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im vorgenannten Beschluss, die wie folgt lauten:
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält der Gleichheitssatz für den Gesetzgeber die allgemeine Weisung, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Er ist erst verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt. Der Gesetzgeber hat hiernach weitgehende Gestaltungsfreiheit. Das gilt in noch höherem Maße bei einer rechtsgewährenden Regelung. Der Gesetzgeber besitzt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit größere Gestaltungsfreiheit als innerhalb der Eingriffsverwaltung (BVerfGE 11, 50 (60); 17, 210 (216); 22, 100 (103); 23, 258 (264); 36, 230 (235)) und ist in diesem Bereich in weitem Umfang zum Erlaß typisierender und generalisierender Regelungen berechtigt (BVerfGE 26, 16 (31)). Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Gesetzgeber wie hier für Nachteile, die dem Bürger als Folge der Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten entstehen, einen Ausgleich gewährt, zu dem er verfassungsmäßig nicht verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 29, 51 (56)). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz käme mithin nur in Betracht, wenn sich aus dem Gegenstand der Regelung für die Art der Differenzierung kein sachlich vertretbarer Grund anführen ließe oder wenn der Gesetzgeber die besonderen Wertentscheidungen der Verfassung außer acht gelassen hätte (vgl. BVerfGE 12, 354 (367); 17, 122 (131); 17, 210 (216 f.); 36, 230 (235)).“
Der Senat geht mit der h.M. daher davon aus, dass das Erscheinen im gerichtlichen Termin unverzichtbare Grundvoraussetzung für eine Entschädigung ist. Nur dann, wenn es aus einem in der Sphäre des Gerichts liegenden Grund nicht zu dem Erscheinen im gerichtlich angeordneten Termin gekommen ist, wird aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Entschädigung gleichwohl zuzusprechen sein (vgl. Hartmann, a. a. O. § 1, Rdnrn. 11, 44; zum RVG: OLG München, Beschluss vom 13.11.2007, Az.: 1 Ws 986/07).
1.4.3. Prüfung im konkreten Fall
Die Beschwerdeführerin ist im vorliegenden Fall nicht zum angesetzten Gerichtstermin am 18.12.2013 erschienen. Dass es nicht zum Erscheinen beim Gerichtstermin gekommen ist, ist nicht dem Gericht zuzuschreiben, sondern liegt in Umständen begründet, die außerhalb der Sphäre des Gerichts liegen, nämlich in einer Panne auf der Hinfahrt zum Gericht.
Eine Entschädigung steht ihr daher wegen des Gerichtstermins am 18.12.2013 nicht zu.
Wegen des in Beschwerdeverfahren grundsätzlich geltenden Verbots der reformatio in peius (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 172, Rdnr. 4) ist die Beschwerde der Beschwerdeführerin als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass die vom SG in zu großer Höhe gewährte Entschädigung herabgesetzt werden könnte.
Lediglich der Vollständigkeit halber und ohne dass dies von Entscheidungsrelevanz wäre, weist der Senat gleichwohl auf Folgendes hin:
– Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Quittungen wären, wenn es auf die geltend gemachten Kosten ankommen würde, näher zu hinterfragen. Beispielsweise scheint, wie sich aus der Unterschrift ergibt, die Empfängerin der behaupteten 90,- € für Kinderbetreuungskosten identisch zu sein mit der Empfängerin der Kosten für die Abholung der Beschwerdeführerin vom Ort der Panne. Es würden damit Kinderbetreuungskosten und Abholkosten parallel geltend gemacht, obwohl offenbar ein und dieselbe Person diese beiden Leistungen erbracht hat; der Eindruck einer Doppelabrechnung läge hier nicht fern. Widersprüchlich sind die Angaben der Beschwerdeführerin auch insofern, als sie mit dem beim SG am 21.01.2014 eingegangenen Antrag auf Entschädigung Kosten wegen der Abholung durch ihre Freundin in Höhe von 40,- € vorgetragen, dann aber eine Quittung über 50,- € vorgelegt hat.
– Die von der Beschwerdeführerin im Entschädigungsantrag vom 01.02.2014 gemachten Angaben zu der gefahrenen Strecke sind offensichtlich falsch. Angegeben hat sie eine Fahrtstrecke von 120 km. Tatsächlich beträgt die Fahrstrecke von ihrem Wohnort bis zum Ort der Panne laut Routenplaner nur knapp 25 km. Nur diese einfache Strecke wäre berücksichtigungsfähig, da für die Rückfahrt eine Freundin in Anspruch genommen worden ist, die dafür nach den Angaben der Beschwerdeführerin 40,- € oder 50,- € erhalten hat.
Zusammenfassend kann sich der Senat daher nicht des Eindrucks erwehren, dass die Beschwerdeführerin durchaus sehr bemüht gewesen ist, die Entschädigung wegen des Gerichtstermins in ihrem Sinn zu „optimieren“.
2. Zur Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners
Die Anschlussbeschwerde ist begründet, da der Beschwerdeführerin wegen des Gerichtstermins am 18.12.2013 keine Entschädigung zusteht.
2.1. Zulässigkeit der Anschlussbeschwerde
Die (unselbstständige) Anschlussbeschwerde ist rechtsweg- und rechtsgebietübergreifend entsprechend § 567 Zivilprozessordnung statthaft (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 172, Rdnr. 4a; Hartmann, a. a. O., § 4 JVEG, Rdnr. 21; Meyer/Höver/Bach, JVEG, a. a. O., § 4, Rdnr. 14; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.05.2013, Az.: L 15 U 629/12 B; OLG Hamm, Beschluss vom 02.11.2012, Az.: I-25 W 200/11, 25 W 200/11). Weder muss eine Beschwerdefrist eingehalten werden noch ist eine Beschwer erforderlich noch muss eine Beschwerdesumme erreicht sein (vgl. Heßler, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 567, Rdnr. 59). Da die Anschlussbeschwerde vom Schicksal der Hauptbeschwerde abhängig ist und die Wirkung verliert, wenn diese zurückgenommen wird, muss zum Zeitpunkt der Entscheidung die zulässige Beschwerde aber noch anhängig sein.
Die Voraussetzungen einer inhaltlichen Entscheidung in Sachen der Anschlussbeschwerde sind vorliegend erfüllt. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin trotz wiederholter Hinweise des Senats auf das Risiko einer Festsetzung der Entschädigung auf 0,- € im Rahmen einer Anschlussbeschwerde ihre zulässige Beschwerde fortgeführt und damit auch die Zulässigkeit der Anschlussbeschwerde aufrechterhalten.
2.2. Begründetheit der Anschlussbeschwerde
Die Anschlussbeschwerde ist begründet, da der Beschwerdeführerin keine Entschädigung wegen des Gerichtstermins am 18.12.2013 zusteht (vgl. oben Ziff. 1.).
Der Kostensenat des LSG trifft diese Entscheidung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).