Kosten- und Gebührenrecht

Kostenentscheidung gem. § 91a ZPO

Aktenzeichen  21 W 314/17

Datum:
19.6.2017
Fundstelle:
VergabeR – 2017, 682
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 91a
GKG GKG § 50, Abs. 2, § 68 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Auch wenn allgemein anerkannt ist, dass ein unterlegener Bieter im Unterschwellenbereich im Wege der einstweiligen Verfügung seine Chance auf Zuschlagserteilung wahren kann, ist noch nicht geklärt, ob diese Möglichkeit auch besteht, wenn sein Angebot von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg hat. (Rn. 6 und 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kosten sind gegeneinander aufzuheben, da der Ausgang des Verfahrens offen ist und eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO nicht die Aufgabe hat, schwierige, ungeklärte Rechtsfragen zu lösen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Streitwert des einstweiligen Verfügungsverfahrens richtet sich nach dem Angebot der Antragstellerin. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 O 14505/16 2016-12-07 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 07.12.2016, Az. 5 O 14505/16, in Ziffer 1 dahingehend abgeändert, dass die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben werden. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
2. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Streitwertbeschluss des Landgerichts München I vom 07.12.2016, Az. 5 O 14505/16 dahingehend abgeändert, dass der Streitwert des Verfahrens auf 119.000 € festgesetzt.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.700 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin beteiligte sich im April 2016 an einer national bekannt gemachten öffentlichen Ausschreibung der Antragsgegnerin im Unterschwellenbereich über die Ausführung von Demontagearbeiten (Rohrleitung/Maschinentechnik). Das Angebot der Antragstellerin lag mit mehr als 2 Mio € weit über den Angeboten der beiden Konkurrenten, die die ausgeschriebenen Leistungen für 107.833,63 € bzw. 267.930,29 € angeboten haben. Die Antragstellerin rügte in der Folgezeit wiederholt, dass es sich bei den günstigeren Angeboten um Unterkostenangebote handele, die zwingend auszuschließen seien. Auf Antrag der Antragstellerin erließ das Landgericht ohne mündliche Verhandlung am 26.08.2016 eine einstweilige Verfügung, mit der der Antragsgegnerin vorläufig untersagt wurde, den ausgeschriebenen Auftrag zu vergeben. Die Antragsgegnerin legte hiergegen Widerspruch ein. Beide Parteien haben den Rechtsstreit unter Verwahrung gegen die Kosten übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die Antragsgegnerin am 20.09.2016 die Aufhebung des Vergabeverfahrens beschlossen hat.
Mit Beschluss vom 07.12.2016 hat das Landgericht der Antragstellerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 15.223,67 € festgesetzt (B. 55/58 d.A.). Gegen Ziffer. 1 des Beschlusses (Kostenentscheidung) hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.12.2016 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 29.12.2016 gegen die Streitwertfestsetzung, die ihrer Auffassung nach zu niedrig ist. Das Landgericht hat beiden Beschwerden mit Beschluss vom 13.02.2017 nicht abgeholfen (Bl. 71/73 d.A.) und die Akten dem Senat vorgelegt. Eine vom Senat angeregte einvernehmliche Einigung über die Kostenverteilung konnte nicht erzielt werden. Ergänzend wird auf die Beschlüsse des Landgerichts und die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
1. Die gemäß §§ 91 a, 561 ZPO zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist teilweise begründet. Gemäß § 91 a ZPO sind die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben.
Nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien ist über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden, § 91 a ZPO. Es ist eine summarische Prüfung der Erfolgsausichten der Klage (bzw. des Antrags) durchzuführen. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im materiellen Recht sind nicht zu klären (Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl., Rn. 46 a, Rn. 48). Wer die Erledigung herbeigeführt hat, ist für sich genommen kein relevanter Aspekt für die Verteilung der Kosten.
Vorliegend war der Ausgang des Verfahrens zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses offen, weswegen die Kosten gegeneinander aufzuheben sind.
a) In der Rechtsprechung ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass ein nicht zum Zuge kommender Bieter auch im Unterschwellenbereich mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen und dadurch seine Chance auf eine Zuschlagserteilung wahren kann (vgl. Scharen, Rechtsschutz bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte, VergabeR 2011, S. 653 ff; Dicks, Nochmals: Primärrechtsschutz bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte, VergabeR 2012, S. 531 ff; OLG Düsseldorf vom 13.01.2010, Az. 27 U 1/09; OLG Schleswig vom 08.01.2013, Az. 1 W 51/12, OLG Saarbrücken vom 13.06.2012, Az. 1 U 357/11 und vom 16.12.2015, Az. 1 U 87/15; OLG Dresden vom 13.08.2013, Az. 16 W 439/13; OLG Frankfurt vom 21.04.2017, Az. 11 U 10/17). Einige Oberlandesgerichte haben dabei auf die drohende Abwendung von Willkürentscheidungen, grober Fehler oder Mißbrauchskonstellationen abgestellt (so das OLG Brandenburg vom 02.10.2008, Az. 12 U 91/08 und vom 13.09.2011, Az. 6 W 73/11; ebenso das OLG Hamm vom 12.02.2008, Az. 4 U 190/07), während andere Senate es für ausreichend erachten, dass der Antragsteller die Verletzung bieterschützender Vorschriften sowie eine dadurch drohende Beeinträchtigung seiner Rechte glaubhaft macht (OLG Düsseldorf a.a.O., tendenziell auch OLG Frankfurt a.a.O.).
b) Folgt man der letztgenannten Ansicht, so ist – soweit ersichtlich – noch keine Entscheidung dazu ergangen, ob ein Bieter auch dann – gestützt auf den Vorwurf eines drohenden Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) – einstweiligen Rechtsschutz erwirken kann, wenn er von vorneherein keine Chance hat, dass das von ihm abgegebene Angebot den Zuschlag erhält, etwa weil es – wofür vorliegend vieles spricht – unangemessen hoch ist. Zwar kann im Oberschwellenbereich auch ein zwingend auszuschließender Bieter im Nachprüfungsverfahren erfolgreich sein, etwa weil gar kein wertbares Angebot vorliegt oder das Verfahren so fehlerbehaftet ist, dass es wiederholt werden muss (sog. Fälle der „zweiten Chance“). Ob dies auch uneingeschränkt auf den Unterschwellenbereich übertragbar ist, bei dem der öffentliche Auftraggeber freier in seiner Entscheidung ist, ob er nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens nochmals eine nationale Ausschreibung vornimmt, an der sich der Bieter erneut beteiligen kann, ist eine nicht geklärte, durchaus schwierige Rechtsfrage.
Der Senat kann sich vor diesem Hintergrund weder dem Standpunkt des Landgerichts (und der Antragsgegnerin) anschließen, wonach die Antragstellerin deshalb die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, weil sie nach Aktenlage ein unangemessen hohes Angebot abgegeben hat, das ohnehin keine Chance auf einen Zuschlag hatte, noch dem Standpunkt der Antragstellerin folgen, sie habe ihr Ziel im Ergebnis erreicht, nämlich dass ihre Konkurrenten keinen Zuschlag erhalten und die Ausschreibung aufgehoben wird. Der Senat hält vielmehr eine Kostenaufhebung für sachgerecht, da der Ausgang des Verfahrens zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses offen war und eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO nicht die Aufgabe hat, schwierige, ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden.
2. Die gemäß §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 3 S. 2 GKG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.
Der Streitwert beim einstweiligen Verfügungsverfahren im Unterschwellenbereich wird in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 2 GKG festgesetzt (vgl. OLG Stuttgart vom 09.08.2010, Az. 2 W 37/10 = VergabeR 2011, 236; Schlewig-Holsteinisches OLG vom 08.01.2013, Az. 1 W 51/12; OLG Dresden vom 13.08.2013, 1 W 439/13). Berechnungsgrundlage ist grundsätzlich, wie auch im Nachprüfungsverfahren nach dem GWB, der Angebotspreis des Antragstellers und zwar auch dann, wenn Ziel des Antrags nicht die Erteilung des Zuschlags auf das eigene Angebot ist, sondern die Untersagung des Zuschlags auf andere Angebote und/oder die Korrektur geltend gemachter Fehler im Vergabeverfahren. Ohnehin hat ein Bieter regelmäßig mangels Kontrahierungszwanges für den öffentlichen Auftraggeber keinen Anspruch auf Erteilung des Zuschlags, sondern nur auf Einhaltung der vergaberechtlichen Regelungen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Antragsteller/Bieter durch das Verfahren seine Chancen wahren will, den ausgeschriebenen Auftrag zu erhalten. Die Berechnung des Streitwertes anhand des Angebot des Antragstellers hängt – jedenfalls im Oberschwellenbereich – auch nicht von der materiell-rechtlichen Beurteilung des Antrags ab, insbesondere davon, ob das eigene Angebot wertbar ist oder nicht. Gründe, dies beim einstweiligen Verfügungsverfahren anders zu beurteilen, sind nicht ersichtlich. Ergänzend ist festzustellen, dass die Antragstellerin in 1. Instanz – anders als nun im Beschwerdeverfahren – ihr Angebot sehr wohl als wertbar und zuschlagsfähig erachtet und damit auch ihren Verfügungsanspruch begründet hat (vgl. Antragsschrift vom 25.08.2016, S. 8, letzter Absatz).
Es kommt mithin für die Bemessung des Streitwertes weder auf die Höhe der Angebote der Konkurrenten an, noch auf die Kostenschätzung der Antragsgegnerin, wie das Landgericht angenommen hat. Die Antragstellerin hat ein Angebot mit rund 2,38 Mio € brutto abgegeben, woraus sich ein Streitwert von 119.000 € errechnet. Selbst wenn man berücksichtigt, dass nach den Ausführungen der Antragsgegnerin die Antragstellerin noch ein weiteres, etwas niedrigeres Angebot eingereicht hat, bleibt der Streitwert im Rahmen derselben Gebührenstufe.
III.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind gegeneinander aufzuheben, da beide Seiten im Beschwerdeverfahren (Kostenverteilung nach § 91 a ZPO) teils obsiegt haben und teils unterlegen sind. Zur Streitwertbeschwerde der Antragsgegnerin ist festzustellen, dass insoweit keine gesonderten Gebühren/ Kosten anfallen (§ 68 Abs. 2 GKG), mithin der Erfolg ihrer Beschwerde bei der Kostenentscheidung letztlich nicht zu berücksichtigen ist.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wurde anhand der Gerichtsgebühren (ca. 1.700 €) und der Anwaltskosten beider Parteien (ca. 5.000 €) für Verfügungsverfahren vor dem Landgericht festgesetzt.
21 W 314/17 Verfügung
2. Schlussbehandlung


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