Kosten- und Gebührenrecht

Kostenfestsetzungsbeschluß, Fiktive Terminsgebühr, mündlich Verhandlung, Entscheidung durch Gerichtsbescheid, Verwaltungsgerichte, Kosten des Erinnerungsverfahrens, Antragsgegner, Gerichtsgebührenfreiheit, Gebührenrechtliche, Asylverfahren, Rechtsschutzbedürfnis, Kostenentscheidung, Klageantrag, Antrag auf mündliche Verhandlung, Kostenerinnerung, Rechtsanwaltskosten, Verfahrensbeendigung, Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, Anhörung der Beteiligten, Klageabweisung

Aktenzeichen  M 19 M 20.30771

Datum:
27.8.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42819
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 165, § 84
VV-RVG Nr. 3104

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. Februar 2020 wird dahingehend abgeändert, dass die vom Antragstellerbevollmächtigten in Ansatz gebrachte fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG in Höhe von 363,60 EUR als erstattungsfähig anerkannt wird. Die dem Antragsteller zu erstattenden Rechtsanwaltskosten werden daher auf insgesamt 925,22 EUR festgesetzt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.
III. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.
Die Antragstellerpartei wendet sich gegen eine nicht erstattete (fiktive) Terminsgebühr.
Der Kostenfestsetzung liegt das Asylverfahren M 19 K 17.32351 zugrunde, in dem sich der Antragsteller erfolgreich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2017, mit dem das Asylverfahren eingestellt worden war, gewandt hat. Mit Gerichtsbescheid vom 18. April 2017 folgte das Gericht dem Klageantrag und hob den streitgegenständlichen Bescheid vom 26. Januar 2017 auf. Die Kosten des Verfahrens wurden der Antragsgegnerin auferlegt.
Der mit Schreiben vom 9. Januar 2020 vom Antragsteller beantragten Kostenfestsetzung wurde zunächst mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Februar 2020 vollumfänglich, also auch hinsichtlich der beantragten 1,2-fachen Terminsgebühr entsprochen. Auf die hiergegen, mit Schriftsatz vom 7. Februar 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 12. Februar 2020 eingegangen, von der Antragsgegnerin beantragten Entscheidung des Gerichts, half der Urkundsbeamte dieser Erinnerung ab mit Beschluss vom 13. Februar 2020 und setzte die vom Antragsteller von der Antragsgegnerin zu erstattenden Aufwendungen auf 492,54 EUR fest. Die Terminsgebühr sei nicht zu berücksichtigen.
Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020 beantragte der Antragsteller gegen diesen Beschluss die Entscheidung des Gerichts. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle half dieser Erinnerung nicht ab und legte sie dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem sowie in dem Verfahren M 19 K 17.32351 verwiesen.
II.
Zur Entscheidung über die vorliegenden Kosten Erinnerung ist im Rahmen der Annexzuständigkeit der auch für die Hauptsache zuständige Einzelrichter berufen.
Die Kostenerinnerung ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb von 2 Wochen nach Bekanntgabe des Kostenfestsetzungsbeschlusses erhoben (§ 165 VwGO i.V.m. § 151 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Erinnerung ist auch begründet. Die beantragte (fiktive) Terminsgebühr wurde zu Unrecht nicht im vorliegenden Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. Februar 2020 festgesetzt.
Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sieht in seiner Anlage 1 unter Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG für den Fall, dass gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird, grundsätzlich eine fiktive Terminsgebühr vor. Dies gilt ausweislich des Wortlauts der Vorschrift allerdings nur in den Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
Einen solchen Antrag konnte der Kläger hier gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO stellen.
Der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 27.02.2020 – 8 C 18.1889 – juris Rn. 8) folgend ist davon auszugehen, dass ein Anspruch auf die fiktive Terminsgebühr auch besteht, wenn das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden hat und die Beteiligten gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO hiergegen innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids die Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung hätten beantragen können. So liegt der Fall hier.
Entgegen einer in der Rechtsprechung zum Teil vertretenen Auffassung (vgl. etwa VG Regensburg, B.v. 27.6.2016 – RO 9 M 16.929 – juris Rn. 12) lässt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht folgern, dass die fiktive Terminsgebühr nur in den Verfahren anfällt, bei denen gegen den Gerichtsbescheid gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ausschließlich die mündliche Verhandlung als Rechtsbehelf zulässig ist. Eine derartige Beschränkung ist nicht mit dem Zweck der Vorschrift vereinbar, für den Anwalt einen gebührenrechtlichen Anreiz zu schaffen, nicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Eine solche kann nämlich auch nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 VwGO erzwungen werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.02.2020, a.a.O., Rn. 9 ff.).
Auch kommt es für die Abrechenbarkeit der fiktiven Terminsgebühr nicht darauf an, dass der im zugrundeliegenden Rechtsstreit vollumfänglich obsiegende Kläger keinen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann, weil er durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert ist (ebenso jüngst BayVGH, B.v. 27.02.2020, a.a.O., Rn. 15; a.A. bisher aber BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 – juris Rn. 10 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – juris Rn. 10 ff.).
Zwar entsteht die fiktive Terminsgebühr nicht schon bei jeder tatsächlichen und offensichtlich unzulässigen Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung. Vielmehr knüpft die Norm mit dem Begriff „kann“ an die Statthaftigkeit eines solchen Antrags an, die etwa in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO bereits nicht gegeben ist (BayVGH B.v. 27.02.2020, a.a.O. juris Rn. 14 unter Hinweis auf VG Minden, B.v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A – juris Rn. 14).
Dem Entstehen der Gebühr steht indes nicht entgegen, dass der Kläger aufgrund seines Obsiegens keinen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann, weil er durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert ist und ihm demzufolge das Rechtschutzbedürfnis für einen entsprechenden Antrag fehlt. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass durchaus umstritten ist, ob ein unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss verworfen werden kann oder ob hierüber stets durch Urteil zu entscheiden ist, was wiederum eine mündliche Verhandlung voraussetzen würde (vgl. BayVGH, B.v. 27.02.2020, a.a.O. juris Rn.16 ff.).
Das Abstellen auf die Beschwer würde darüber hinaus einen Anreiz dafür schaffen, durch Stellung ausufernder Klageanträge eine Klageabweisung in einem minimalen Teil zu erreichen, nur um im Anschluss daran die fiktive Terminsgebühr abrechnen zu können (VG Minden, B.v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A – juris Rn. 16), wodurch der Zweck der Regelung, eine prozessökonomische Verfahrensführung seitens der Beteiligten auf Gebührenebene zu honorieren, gerade ins Gegenteil verkehrt würde (vgl. VG München, B.v. 2.7.2020 – M 19 M 20.31249 – Rn. 20). Denn es ist ausweislich der Gesetzesbegründung zum Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BT-Drs. 17/11471, S. 275) erklärtes Ziel des Gesetzgebers gewesen, den Anwalt durch gebührenrechtliche Anreize zu einem wirtschaftlichen Prozessverhalten zu bewegen, indem eine Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung herbeigeführt wird.
Dabei kommt die beabsichtigte Steuerungswirkung auch nicht erst im Anschluss an die gerichtliche Entscheidung, d. h. hier nach Erlass des Gerichtsbescheides mit der prozesstaktischen Überlegung des Bevollmächtigten, ob die mündliche Verhandlung beantragt werden soll, zum Tragen, sondern kann sich auch schon im Zeitpunkt der Anhörung der Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO) auswirken (VG München, B.v. 6.8.2020 – M 21a M 18.30789 – juris Rn. 21). Denn bereits in diesem Stadium können die Weichen für eine vom Gesetzgeber beabsichtigte zeit- und kostensparende Prozessführung durch den Anwalt gestellt werden. Zwar kann ein Beteiligter eine Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheides nicht verhindern, wenn die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegen. Er kann aber – und bereits an diesem Punkt knüpft die gewollte Steuerungswirkung an – durchaus gegenüber dem Gericht signalisieren, mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden zu sein und das Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu beenden. Der Regelungszweck besteht darin, nicht nur aufgrund des Gebühreninteresses, eine Verfahrensweise nach § 84 Abs. 1 VwGO abzulehnen und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu drängen. Vielmehr soll bereits in diesem frühen Stadium ein Anreiz gesetzt werden, in geeigneten Fällen sowie unter den Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO das Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu beenden.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist damit abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei.


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