Kosten- und Gebührenrecht

Personalkostenerstattung für Gerichtsvollzieher

Aktenzeichen  W 1 K 16.1147

Datum:
17.4.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9405
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BKEntschV-GV § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, § 4 Abs. 1, § 6
GVO § 10

 

Leitsatz

1 Für die Personalkostenerstattung für Gerichtsvollzieher kommt es auf die durchschnittliche individuelle Arbeitsleistung an. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Durch den sog. Bad Nauheimer-Schlüssel wird die Arbeitsbelastung im Jahr 2014 nicht mehr realitätsnah abgebildet. Näher liegend ist die Berechnung nach dem sog. Münchner Schlüssel. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung seinen ursprünglichen Antrag zulässigerweise in einen Verpflichtungsantrag präzisiert und klargestellt, dass er eine Aufwandsentschädigung auf der Grundlage einer Belastung von 709% erhalten möchte. Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist allein eine nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKEntschV-GV erhöhte Erstattung, nachdem eine besondere Aufwandsentschädigung nach § 6 BKEntschV-GV vom Kläger ausdrücklich nicht begehrt wird (vgl. Schreiben des Klägers vom 05.02.2015 an die Gerichtsvollzieherabrechnungsstelle). Auch der im Streit stehende Bescheid des Direktors des Amtsgerichts vom 23.03.2016 hat nur über eine Entschädigung nach § 3 BKEntschV-GV entschieden.
Die Klage ist aber nicht begründet, da der Kläger keinen Anspruch aus § 3 BKEntschV-GV auf eine höhere Personalkostenerstattung für das Jahr 2015 hat. Die im angegriffenen Bescheid des Direktors des Amtsgerichts … vom 23.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Landgerichts Würzburg vom 17.10.2016 enthaltene Festsetzung der Personalkostenerstattung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dieser hat keinen Anspruch auf eine nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKEntschV-GV erhöhte Erstattung.
Der Anspruch des Klägers auf Personalkostenerstattung für das Jahr 2015 ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 BKEntschV-GV. Für die vom Kläger begehrte Erhöhung der Personalkostenerstattung liegen die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKEntschV-GV nicht vor, da die maßgebliche durchschnittliche individuelle Arbeitsbelastung des Klägers nicht höher als 120 Prozent lag. Da für das laufende Kalenderjahr jeweils die Jahresdurchschnittsbelastung des Vorjahres maßgeblich ist, § 3 Abs. 2 Satz 2 BKEntschV-GV, waren für die Entschädigung 2015 die Zahlen aus dem Jahr 2014 heranzuziehen.
Letzteres folgt unzweideutig aus dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 BKEntschV-GV. Entgegen der Auffassung des Klägers sprechen weder der Regelungszusammenhang (insbesondere § 4 Abs. 1 BKEntschV-GV) noch sonstige systematische Gründe dafür, dieses aus dem Wortlaut der Norm gefundene Ergebnis zu modifizieren. Aus der Begründung zur Verordnung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz zur BKEntschV-GV vom November 2007 ergibt sich, dass der Normgeber ein System der Bürokostenentschädigung konzipiert hat, das dem Gerichtsvollzieher jeweils zu Jahresbeginn die Möglichkeit verschaffen sollte, den für das kommende Kalenderjahr zur Verfügung stehenden Höchstbetrag zu errechnen und die Beschäftigungsverhältnisse seines Büropersonals darauf abzustimmen. Mit diesem System wäre es unvereinbar, wenn der Gerichtsvollzieher auf am Jahresanfang unvorhersehbare Änderungen im Geschäftsanfall dadurch reagieren könnte, dass er weiteres Personal beschäftigt bzw. wenn er bei einem Rückgang des Geschäftseingangs Gefahr liefe, bei der endgültigen Abrechnung auf einem Teil seiner tatsächlich angefallenen Personalkosten sitzen zu bleiben. Beides könnte nämlich eintreten, wenn die Änderungen des laufenden Jahres bei der endgültigen Festsetzung zu berücksichtigen wären. Für die unvorhergesehenen Fälle sieht die BKEntschV-GV vielmehr in § 6 eine eigenständige Regelung vor, wie auch die zitierte Begründung des Staatsministeriums ausführt. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass das jeweilige Amtsgericht auf außergewöhnliche Belastungen einzelner Gerichtsvollzieher zunächst durch Änderung der Geschäftsverteilung zu reagieren hat und es nicht zuvorderst Aufgabe der BKEntschV-GV sein kann, solche Unterschiede auszugleichen. Das System der BKEntschV-GV geht ersichtlich davon aus, dass der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz Vorrang einzuräumen ist, so dass der Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 BKEntschV-GV auch systematisch nicht zu relativieren ist. Hinzu kommt, dass die vom Kläger im Jahre 2015 vorgenommene Personalmehrung offensichtlich nicht mit der Aufsichtsbehörde abgestimmt war, obwohl dies erforderlich gewesen wäre.
Der Kläger hat auf dieser Grundlage keinen Anspruch auf Erhöhung seiner Erstattung, da er nicht nachweisen konnte, dass seine Belastung im Jahre 2014 über 120% der Belastung nach dem geltenden Belastungsmaßstab gelegen hat. Dabei geht die Kammer in Fortführung ihrer Rechtsprechung (U.v. 24.10.2017 – W 1 K 16.890 – juris) davon aus, dass die Arbeitsbelastung durch den Bad Nauheimer-Schlüssel im Jahr 2014 nicht mehr realitätsnah abgebildet wurde. Näher liegend ist daher die Berechnung nach dem Münchner Schlüssel, der zwar zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht durch den Beklagten in Kraft gesetzt worden war (sondern erst ab dem 01.01.2015, vgl. Urteil der Kammer vom 24.10.2017, a.a.O., juris – Rn. 18), aber die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung am 01.01.2013 entstandene tatsächliche Belastung der Gerichtsvollzieher realitätsnäher abbildet.
Letztlich kann indes der zugrunde zu legende Schlüssel vorliegend dahingestellt bleiben, da sich die Belastung des Klägers ab dem vierten Quartal zu einem erheblichen Teil aus Sachverhalten ergab, für die er keine Zuständigkeit besaß, die also nicht notwendig im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 BKEntschV-GV waren, so dass sich nach keiner Berechnungsmethode eine höhere durchschnittliche Belastung als 120% ergibt.
Die Zuständigkeit des einzelnen Gerichtsvollziehers richtet sich in Bayern nach der Gerichtsvollzieherordnung (in der ab 01.09.2013 geltenden Fassung) – GVO. Nach § 10 GVO ist jedem Gerichtsvollzieher ein örtlich begrenzter Bezirk zuzuweisen, wobei sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers auf den ihm zugewiesenen Gerichtsvollzieherbezirk beschränkt. Für Zustellungen durch die Post ist der Gerichtsvollzieher zuständig, in dessen Bezirk der Auftraggeber oder ein Zustellungsempfänger seinen Wohnsitz, Geschäftssitz, Amtssitz, Sitz der Niederlassung oder Aufenthaltsort hat (§ 16 GVO). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass er insbesondere ab dem vierten Quartal 2014 in erheblichen Umfang Zustellungen durchgeführt hat, bei denen weder der Auftraggeber (in diesem Fall eine Rechtsanwaltskanzlei bzw. ein Inkassobüro) noch der Zustellungsempfänger seinen Sitz im Bezirk des Klägers hatten. Soweit er sich zur Begründung seiner Zuständigkeit auf die allgemeinen Regelungen der §§ 192 ff. ZPO beruft, verkennt er freilich, dass sich die örtliche Zuständigkeit des einzelnen Gerichtsvollziehers nicht aus der ZPO, sondern aus der GVO ergibt, an die der Kläger als Beamter gebunden ist, auch wenn es sich nicht um eine formelle Rechtsnorm, sondern um eine Verwaltungsvorschrift handelt. §§ 10 Abs. 2 und 16 Abs. 2 GVO sehen aber Abweichungen von der örtlichen Zuständigkeit nur für Eilaufträge vor. Es sind keine vernünftigen Zweifel daran ersichtlich, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 BKEntschV-GV mit der Beschränkung auf notwendige und angemessene Aufwendungen eine massenhafte Überschreitung der Zuständigkeiten nicht durch die Gewährung von Aufwandserstattungen hierfür sanktionieren will.
Aus den vom Kläger selbst (in der Anlage K 15) vorgelegten Zahlen ergibt sich, dass sich die Zustellungsaufträge unter Mitwirkung der Post im ersten bis dritten Quartal 2014 bei einem durchschnittlichen Wert von 200 pro Monat hielten, während in Oktober 943, im November 1181 und im Dezember 5747 Aufträge und 9960 Aufträge insgesamt verzeichnet sind. Für diese Zustellungen allein errechnet der Kläger nach dem Bad Nauheimer Schlüssel eine Belastung von 81% (bei einer Gesamtbelastung von 153%). Bei Zugrundelegung von insgesamt 2400 Aufträgen, also einer durchschnittlichen Belastung der ersten drei Quartale hochgerechnet auf das gesamte Jahr, ergäbe sich dagegen nur ca. ein Viertel dieses Wertes. Entsprechendes ergibt sich bei Anwendung des sog. Münchner Schlüssels (vgl. dazu die als Anlage K 18 vorgelegte Berechnung), die ebenfalls den erheblichen Anstieg der Aufträge ab dem vierten Quartal abbildet. Der Beklagte hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der vom Kläger in der Anlage K 18 vorgelegten Berechnung von 6258 Aufträgen insgesamt 5147 Aufträge auf Zustellungen entfielen. Laut Münchner Schlüssel seien für einen Vollzeit-Gerichtsvollzieher 1400 Aufträge als Jahrespensum zugrunde zu legen, so dass die 120%-Schwelle bei einer Gesamtzahl von 1680 liege. Bei 1111 Vollstreckungsaufträgen wären daher 568 reguläre Zustellungsaufträge noch innerhalb des Pensums möglich. Es ist anhand der Gesamtumstände nachvollziehbar, wenn der Beklagte hieraus den Schluss zieht, der Kläger habe im Jahre 2014 keine Gesamtbelastung von mehr als 120% bei Berücksichtigung der zuständigkeitshalber durchgeführten Aufträge gehabt. Der Beklagte stützt diese Annahme zudem auf die Tatsache, dass die Zahl von 568 Zustellungsaufträgen im Jahr in der Vergangenheit in keinem Gerichtsvollzieherbezirk des Landratsamtes … erreicht wurde. Der Kläger hat demgegenüber nicht schlüssig vorgetragen, dass sich seine Belastung im Jahre 2014 auch ohne die Aufträge, für die er nicht zuständig war, oberhalb von 120% bewegten.
Daraus folgt, dass die im angegriffenen Bescheid des Direktors des Amtsgerichts … vom 23.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Landgerichts … vom 17.10.2016 enthaltene Festsetzung der Erstattung der Personalkostenerstattung rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Dieser hat keinen Anspruch auf eine nach § 3 Abs. 2 S. 1 BKEntschV-GV erhöhte Erstattung, so dass die darauf gerichtete Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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