Kosten- und Gebührenrecht

Schadensersatz, Erfolgsaussicht, Versicherungsvertrag, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Deckungszusage, Streitwert, Vollstreckung, Kostendeckung, Feststellungsklage, Erteilung, Klage, Vorrichtung, Kosten des Rechtsstreits, Kosten der Rechtsverfolgung, Aussicht auf Erfolg

Aktenzeichen  75 O 2191/21

Datum:
5.1.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12700
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der – – mbH in Höhe von Euro 557,03 € freizustellen.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 91%, die Beklagte 9%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können jeweils die Vollstreckung durch die andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert wird auf 6.384,83 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber nur teilweise begründet.
I. Das Landgericht Landshut ist nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, 215 Abs. 1 VVG sachlich und örtlich zuständig.
Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht ein berechtigtes Interesse nach § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung, dass die Beklagte zur Deckung der Kosten der beabsichtigten Rechtsverfolgung gegen BMW verpflichtet ist.
II. Die Klage ist nur teilweise begründet. Dem Kläger steht aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag in Höhe von 557,03 € ein Anspruch auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten zu, jedoch nicht auf Deckungsschutz für die beabsichtigte Rechtsverfolgung gegen BMW. Die Beklagte hat die Kostendeckung zu Recht abgelehnt. Weder kommt dem als Stichentscheid bezeichneten Schreiben vom 28.11.2020 Bindungswirkung zu, noch bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Dem Kläger steht kein Deckungsanspruch zu, da die Beklagte die Kostendeckung nach dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit den unstreitig einbezogenen Allgemeinen Rechtsschutz-Versicherungsbedigungen zu Recht nach § 3a Abs. 1 ARB wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt hat. Maßgeblich hierfür ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, da das Schreiben vom 28.11.2020 keinen bindenden Stichentscheid darstellt.
a) Nach § 3a Abs. 2 ARB kann ein Rechtsanwalt für den Versicherungsnehmer auf Kosten des Versicherers, der die Leistungspflicht nach § 3a Abs. 1 ARB verneint, eine begründete Stellungnahme abgeben, wonach die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehe und hinreichende Aussicht auf Erfolg verspreche. Eine solche Stellungnahme ist grundsätzlich für beide Vertragspartner bindend, es sei denn die Entscheidung des anwaltlichen Vertreters weicht offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage erheblich ab. „Damit ist gemeint, dass die gutachterliche Stellungnahme die Sach- und Rechtslage gröblich oder erheblich verkennt. Offenbar ist eine solche Abweichung aber erst dann, wenn sie sich einem Sachkundigen, sei es auch nach gründlicher Prüfung, mit aller Deutlichkeit aufdrängt. Dies ist indes noch nicht der Fall, wenn der Rechtsanwalt eine bloße Mindermeinung vertritt, die höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, oder es sich sonst um eine schwierige Rechtsfrage handelt, die voraussichtlich den Ausgang des beabsichtigten Rechtsstreits entscheidet. Innerhalb dieser Vorgaben muss sich die Stellungnahme allerdings als schlüssig und widerspruchsfrei verhalten“ (OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2019, 1319 Rn. 60). Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der Abgabe des Stichentscheids. Es ist nur eine ex ante-, nicht eine ex post-Beurteilung erlaubt (OLG Frankfurt a.M. a.a.O.; BGH NJW-RR 1990, 922).
(1) Ein Stichentscheid in diesem Sinne setzt jedoch voraus, dass der Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers eine von der Interessensvertretung losgelöste Beurteilung der Sach- und Rechtslage vornimmt und diese so ausreichend begründet ist, dass erkennbar ist, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art die Meinung des Versicherers nach Ansicht des Rechtsanwalts unrichtig ist, abhängig insbesondere vom Umfang und der Komplexität des Streitstoffes (Harbauer/Schmitt, 9. Aufl. 2018, ARB 2010 § 3a Rn. 51).
(2) Gemessen hieran stellt das als Stichentscheid bezeichnete Schreiben des Klägervertreters vom 28.11.2020 (Anlage K 3) keinen die Beklagte bindenden Stichentscheid dar. Insbesondere enthält das Schreiben keinerlei Ausführungen dazu, woraus sich ergeben soll, dass auf Seiten von BMW eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen wurde, weil der Vorstand vorsätzlich gebilligt haben soll, dass serienmäßig und damit auch im Fahrzeug des Klägers eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme.
Die Beklagte hat hierzu in der Ablehnung der Kostendeckung gemäß Schreiben vom 13.11.2020 eingehend ausgeführt, dass – selbst wenn man das Vorhandensein eines Thermofensters und dessen rechtliche Qualifizierung als unzulässige Abschalteinrichtung zugunsten des Klägers unterstellen wollte – die Deckungsanfrage vom 13.11.2020, welcher ein Klageentwurf beigefügt war, keinerlei konkrete Ausführungen dazu enthält, woraus sich ein Schädigungsvorsatz und das Verdikt der Sittenwidrigkeit ergeben sollen. Auch hat die Beklagte zutreffend darauf verwiesen, dass die, durch die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19 aufgestellten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit und zur Begründung des Schädigungsvorsatzes nicht gleichermaßen auf jedwede Abschalteinrichtung übertragen werden können, da insbesondere dort, wo eine technische Vorrichtung auf dem Prüfstand und im realen Straßenbetrieb in gleicher Weise zum Einsatz kommt, die Einordnung der Verwendung als sittenwidrig bei Hinzutreten weiterer Umstände in Betracht kommt (so jetzt auch: BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21). Solche Umstände wurden durch die Klagepartei aber im Stichentscheid nicht dargestellt. Die bloße Abweichung der Emissionen im realen Straßenbetrieb von den gesetzlichen Grenzwerten gemäß NEFZ genügt hierfür nicht.
Dies gilt gleichermaßen für die klägerseits vorgetragene drehzahl- und umgebungsdruckgesteuerte Reduktion beziehungsweise Deaktivierung der Abgasrückführung.
b) Die Rechtsverfolgung gegen BMW bietet auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wobei es insoweit – wie ausgeführt – auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung ankommt.
(1) Hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von §§ 128 S. 1 VVG, 3a Abs. 1, 2 ARB liegt entsprechend der gleichlaufenden sachlichen Voraussetzungen zur Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO (vgl. MüKO-VVG/Langheid/Wandt, 2. Teil. Systematische Darstellungen 3. Kapitel. Versicherungssparten 600. Rechtsschutzversicherung Rn. 251) vor, wenn nach summarischer Prüfung der rechtliche Standpunkt vertretbar und eine Beweisführung in der Hauptsache möglich erscheint (BeckOK ZPO/Reichling, 42. Ed. 1.9.2021, ZPO § 114 Rn. 28). Überspannte Anforderungen dürfen hierbei nicht gestellt werden. Einer überwiegenden Erfolgsaussicht bedarf es nicht, während eine nur ganz fern liegende unzureichend ist. Auf Klägerseite bedarf es hierfür jedenfalls einer schlüssigen Klage, die in den streitigen Punkten auch ausreichend substantiiert sein muss (vgl. Zöller/Schultzky ZPO, 33. Auflage 2020 § 114 Rn. 23 ff. m.w.N.).
(2) Diesen Anforderungen genügt der Klägervortrag nicht. Wie bereits ausgeführt, reicht selbst die zugunsten des Klägers unterstellte Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer temperaturgesteuerten Reduktion der AGR-Rate nicht, um einen Schadensersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller, hier BMW, ausreichend zu begründen. Die Verwendung des Thermofensters ist nicht per se als sittenwidrig zu qualifizieren und reicht auch nicht, um einen Schädigungsvorsatz zu begründen (vgl. Nur statt vieler: BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21; Urteil vom 20.07.2021 – VI ZR 1154/20). Dies gilt gleichermaßen für die klägerseits vorgetragene drehzahl- und umgebungsdruckgesteuerte Abgasrückrückführung, selbst wenn dies im Straßenbetrieb zu höheren Emissionswerten führt.
2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte jedoch ein Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Stichentscheidsverfahrens in Höhe von 557,03 € nach § 3a Abs. 2 S. 1 ARB zu. Hiernach trägt der Versicherer beim Stichentscheidsverfahren unabhängig vom Ergebnis des Stichentscheids die Kosten des Rechtsanwalts, der den Stichentscheid verfasst hat.
a) Grundsätzlich ist dies eine Geschäftsgebühr nach Nummer 2300 VV RVG in Höhe einer Mittelgebühr von 1,3, ausgehend von einem Gegenstandswert, der dem erwarteten Kostenrisiko für die zu deckende Instanz entspricht, wobei wegen des Feststellungsantrags ein Abschlag von 20% abzusetzen ist (Langheid/Wandt, 2. Teil. Systematische Darstellungen 3. Kapitel. Versicherungssparten 600. Rechtsschutzversicherung Rn. 267).
Bei einem Gegenstandswert von 5.827,80 € (= 7.284,75 € erwartetes Kostenrisiko abzgl. 20%) beträgt eine 1,3-Geschäftsgebühr nach der bis 31.12.2020 geltenden Gebührentabelle 460,20 € (einfache Gebühr bis 6.000 €: 354 €). Zuzüglich der Pauschale nach Nummer 7002 VV RVG und der im maßgeblichen Zeitraum auf 16% reduzierten Umsatzsteuer nach Nummer 7008 VV RVG belaufen sich die Rechtsanwaltskosten auf 557,03 €. Anstelle des Zahlungsanspruches tritt vor Zahlung ein Freistellungsanspruch Harbauer/Schmitt, 9. Aufl. 2018, ARB 2010 § 3a Rn. 50.
b) Die Beklagte kann hiergegen auch nicht einwenden, dass eine einheitliche vorgerichtliche Geschäftsgebühr bereits mit der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers durch diesen vor der Deckungsanfrage vom 13.11.2020 entstanden ist. Dies mag zwar zutreffen, steht dem selbständigen Kostenerstattungsbeziehungsweise Freistellungsanspruch nach § 3a Abs. 2 S. 1 ARB aber nicht entgegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der beklagtenseits zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. vom 19.07.2019 – 12 U 135/17. Bei dem dort zugrundeliegenden Sachverhalt wurde kein Stichentscheidsverfahren durchgeführt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO entsprechend der Obsiegens-/Unterliegensquote ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 6.384,83 €. Dieser setzt sich zusammen aus dem um 20% für den Feststellungsantrag reduzierten Wert der voraussichtlichen Kosten für die Rechtsverfolgung gegen BMW (5.827,80 €) zuzüglich des Werts des Freistellungsanspruches, bei dem es sich vorliegend um eine selbständige Hauptforderung und nicht um eine Nebenforderung nach § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO handelt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für den klägerseits vollstreckbaren Teils aus §§ 708 Nr. 11 Alt. 1, 711 ZPO, hinsichtlich der für die Beklagte vollstreckbaren Kostenentscheidung aus §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 ZPO.


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