Kosten- und Gebührenrecht

Streitwert für Klage gegen Enteignung

Aktenzeichen  8 C 17.1891

Datum:
27.3.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6983
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 66 Abs. 6 S. 1, § 68 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

Maßgeblich für den Streitwert bei Klagen gegen eine Enteignung ist der Verkehrswert des Grundstücks und nicht die Höhe der Entschädigung. (Rn. 7 und 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 2 K 15.962 2017-02-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung von Ziffer III des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 7. Februar 2017 wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 168.854,- Euro festgesetzt.
II. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Gegenstand der Beschwerde ist die Streitwertfestsetzung für einen Rechtsstreit, der den Enteignungsbeschluss des Landratsamts E. vom 10. Februar 2015 betraf. Dem Kläger sollte das Eigentum an einem Grundstück entzogen werden. Die Entschädigung wurde auf 168.854,40 Euro festgesetzt. Nach Rücknahme des Enteignungsbeschlusses erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt. Das Verwaltungsgericht stellte das Verfahren daraufhin mit streitgegenständlichem Beschluss vom 7. Februar 2017 ein und legte dem Beklagten die Kosten auf. Als Streitwert setzte es den halben Verkehrswert des Grundstücks (84.427,- Euro) fest.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde, die die Klägerbevollmächtigten auch in eigenem Namen erhoben haben. Sie berufen sich unter anderem darauf, dass keine Verdopplung des Streitwerts drohe, weil in dem parallel zur Anfechtung des Enteignungsbeschlusses geführten zivilrechtlichen Verfahren Streitgegenstand lediglich die Erhöhung der Entschädigung über den festgesetzten Betrag hinaus um (mindestens) 45.145,60 Euro sei. Die dort gestellten Anträge beinhalteten dagegen nicht den behördlich ermittelten Verkehrswert.
II.
Über die Streitwertbeschwerde entscheidet der Senat durch Einzelrichter, weil die angefochtene Streitwertfestsetzung durch den Einzelrichter erlassen wurde (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 HS 2 GKG).
Die nach § 68 Abs. 1 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG zulässige Streitwertbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgeblich ist das objektiv zu beurteilende Interesse des Klägers (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.2015 – 9 KSt 2/15 – NuR 2016, 127 = juris Rn. 3).
2. Die Orientierung des Streitwerts am Wert des geltend gemachten prozessualen Anspruchs, wie sie den Streitwertregelungen des Gerichtskostengesetzes zugrunde liegt, begegnet keinen rechtsstaatlichen Bedenken (BVerfG, B.v 26.3.1999 – 1 BvR 1431/90 – NVwZ 1999, 1104 = juris Rn. 8). vVerfassungsrechtlichen Grenzen bei der Auslegung des einfachen Rechts ergeben sich im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG dann, wenn durch die Streitwertfestsetzung der Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Das Kostenrisiko darf daher zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg nicht derart außer Verhältnis stehen, dass die Anrufung der Gerichte aus Sicht eines Betroffenen nicht mehr sinnvoll erscheint (BVerfG, B.v 26.3.1999 – 1 BvR 1431/90 – NVwZ 1999, 1104 = juris Rn. 12 m.w.N.). Zudem ist im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung eine weitgehende Schematisierung der Wertbemessung für gleichartige Streitigkeiten geboten (BVerwG, B.v. 15.9.2015 – 9 KSt 2/15 – NuR 2016, 127 = juris Rn. 4 m.w.N.).
3. Bei Streitigkeiten über die Zulässigkeit einer Enteignung ist bei der Ermittlung der Bedeutung der Sache maßgeblich darauf abzustellen, dass sich der klägerische Antrag gegen den Entzug des Eigentums richtet (BVerwG, B.v. 20.12.1988 – 4 B 211.88 – NVwZ-RR 1989, 458 = juris Rn. 24). Den geeigneten Maßstab für das wirtschaftliche Interesse des Grundeigentümers bildet daher regelmäßig der Verkehrswert des Grundstücks (BVerwG, B.v. 20.12.1988 – 4 B 211.88 a.a.O. Rn. 24 m.w.N.; BGH, B.v. 16.9.1963 – III ZR 109/62 – NJW 1963, 2173; B.v. 28.9.1967 – III ZR 164/66 – NJW 1968, 153 f.; B.v. 21.9.2006 – V ZR 28/06 – NJW 2006, 3428 = juris; BayVGH, B.v. 12.10.1990 – 8 C 90.2668 – n.v.; B.v 30.1.2012 – 22 C 11.2830 – NVwZ-RR 2012, 911 = juris Rn. 10; B.v. 13.3.2012 – 8 B 12.112 – BayVBl 2013, 342 = juris Rn. 47 m.w.N.; Schenke/Hug in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 12; vgl. auch BayVGH B.v. 21.7.2009 – 8 ZB 07.2105 – juris; B.v. 5.1.2016 – 8 ZB 15.951 – juris Rn. 37). Dieser lässt sich im Allgemeinen nach den Angaben des betroffenen Grundeigentümers oder der beteiligten Behörden ohne weiteres abschätzen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2012 – 8 B 12.112 – a.a.O. Rn. 47).
Soweit der Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung, auf die sich das Verwaltungsgericht im Ausgangsbeschluss beruft, lediglich einen Teil des Verkehrswerts zugrunde gelegt hat (BayVGH, B.v. 8.5.1984 – 9 C 81 A.959 – BayVBl 1984, 507; ebenso HessVGH, B.v. 8.6.1989 – 3 UE 1251/89 – NVwZ-RR 1989, 671 = juris Rn. 6; Büchs, Handbuch des Eigentums- und Entschädigungsrechts, 3. Aufl. 1996, Rn. 3764), wurde diese Rechtsprechung nicht nur ausdrücklich aufgegeben (BayVGH, B.v. 29.10.1986 – 9 B 86.01926 – BayVBl 1987, 380, unter Verweis auf BVerwG, B.v. 17.12.1985 – 4 C 76.84 – n.V., vgl. auch den Verweis in BVerwG, B.v. 20.12.1988 – 4 B 211.88 – NVwZ-RR 1989, 458 = juris Rn. 24), sondern überzeugt auch in der Sache nicht. Der Umstand, dass einem Enteignungsbetroffenen ein Anspruch auf angemessene Entschädigung zusteht (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG), kann bei der Bewertung des klägerischen Interesses, den Eigentumsentzug abzuwenden, keine Berücksichtigung finden (so aber BayVGH, B.v. 8.5.1984 – 9 C 81 A.959 – a.a.O.; HessVGH, B.v. 8.6.1989 – 3 UE 1251/89 – a.a.O.). Vielmehr wird das Streitwertrecht vom allgemeinen Grundsatz geprägt, dass mögliche Gegenleistungen in der Regel außer Betracht bleiben (BVerwG, B.v. 20.12.1988 – 4 B 211.88 – NVwZ-RR 1989, 458 = juris Rn. 25 m.w.N.; B.v. 1.3.1993 – 4 B 188.92 – NVwZ-RR 1993, 331 = juris Rn. 14; BGH, U.v. 27.1.1977 – III ZR 153/74 – BGHZ 68, 100/106 = juris Rn. 73; BayVGH, B.v. 29.10.1986 – 9 B 86.01926 – BayVBl 1987, 380; Aust/Jacobs/Pasternak, Enteignungsentschädigung, 7. Aufl. 2014, Rn. 867; Kalb in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2017, § 228 Rn. 27 m.w.N.). Wenn ein geringerer Wert als der Verkehrswert zugrunde gelegt würde, könnte im Ergebnis allein das Interesse angesetzt werden, das der Betroffene daran hat, sein Grundstück zu behalten. Daher läge kostenrechtlich ein Verfahren mit immateriellem Gegenstand zugrunde, was nicht angemessen erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 18.10.1991 – 4 NB 31.91 – JurBüro 1992, 331 = juris Rn. 19 f.). Die sich für den Kläger ergebende Bedeutung ließe sich vielfach nicht ohne Weiteres wertmäßig ermitteln und allenfalls schätzen, was angesichts der Notwendigkeit einer Schematisierung der Wertbemessung für gleichartige Streitigkeiten im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.2015 – 9 KSt 2/15 – NuR 2016, 127 = juris Rn. 4) problematisch erscheint. Nicht zuletzt die unterschiedlichen Ansichten dazu, welcher Prozentsatz des Verkehrswerts als Ausgleich für eine Entschädigung in der Regel herangezogen werden soll (HessVGH, B.v. 8.6.1989 – 3 UE 1251/89 – NVwZ-RR 1989, 671 = juris: 1/5; BayVGH, B.v. 8.5.1984 – 9 C 81 A.959 – BayVBl 1984, 507: 1/2) sowie die mangelnde Begründung für die jeweilige Größenordnung, verdeutlichen dies.
Der hier vertretenen Ansicht steht nicht entgegen, dass § 52 Abs. 1 GKG – anders als § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG – nicht auf § 6 ZPO verweist (so zur früheren Rechtslage auch BayVGH, B.v. 29.10.1986 – 9 B 86.01926 – BayVBl 1987, 380; a.A. HessVGH, B.v. 8.6.1989 – 3 UE 1251/89 – NVwZ-RR 1989, 671 = juris Rn. 7). Vielmehr kann es in Fällen des hoheitlichen Eigentumsentzugs nicht darauf ankommen, ob der Zivilrechtsweg oder der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist (BayVGH, B.v. 29.10.1986 – 9 B 86.01926 – a.a.O.). Daher lässt sich jedenfalls der hinter § 6 ZPO stehende Rechtsgedanke regelmäßig auch bei der Festsetzung von verwaltungsgerichtlichen Streitwerten heranziehen (vgl. BVerfG, B.v 26.3.1999 – 1 BvR 1431/90 – NVwZ 1999, 1104 = juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 20.12.1988 – 4 B 211.88 – NVwZ-RR 1989, 458 = juris Rn. 24).
4. Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass in bestimmten Fallgruppen eine Minderung des Verkehrswerts vorzunehmen ist, trifft dies in der Sache zu. Die Voraussetzungen eines solchen Sonderfalls liegen aber hier nicht vor.
Der Senat bringt nach ständiger Rechtsprechung in Fällen, in denen der Betroffene sein Recht (am Eigentum) in mehreren Verfahren bzw. Gerichtsverfahren verteidigen oder erkämpfen muss, nicht jeweils den vollen Wert des Grundstücks für den Streitwert in Ansatz (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2003 – 8 C 03.53 – BayVBl 2004, 251 = juris Rn. 5; B.v. 28.7.2003 – 8 C 03.689 – BayVBl 2004, 118 = juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. auch B.v 30.1.2012 – 22 C 11.2830 – juris NVwZ-RR 2012, 911 = Rn. 10 f.). Dies mag auch für Fallgestaltungen gelten, in denen sowohl im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als auch in einem parallelen Zivilprozess jeweils der volle Wert des Grundstücks für den Streitwert in Ansatz gebracht würde, obwohl der Betroffene sein Eigentum nur einmal gegen Entschädigung verlieren kann (BayVGH, B.v 30.1.2012 – 22 C 11.2830 – a.a.O.).
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Klägerbevollmächtigten haben vielmehr dargelegt, dass eine ungerechtfertigte Verdoppelung des Streitwerts nicht droht. Zwar hat der Kläger auch die Höhe der Entschädigung vor den ordentlichen Gerichten angefochten, der dortige Streitwert bestimmt sich aber nach der geforderten Erhöhung der Entschädigungssumme (um mindestens 45.145,60 Euro) und nicht nach dem im Enteignungsbeschluss festgesetzten Entschädigungsbetrag in Höhe von 168.854,40 Euro. Maßgeblich ist insofern die Differenz zwischen festgesetztem und gefordertem Betrag (vgl. dazu Kalb in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2017, § 228 Rn. 27, unter Verweis auf RG, B.v. 26.4.1881 – Rep. III 34/81 – RGZ 4, 386; Kukk in Schrödter, BauGB, 8. Aufl. 2015, § 228 Rn. 8, jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG München, B.v. 2.11.2006 – 1 W 1905/06 – juris).
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).


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