Kosten- und Gebührenrecht

Streitwertbeschwerde, Anfechtungsklage gegen naturschutzrechtliche Ersatzpflanzungsanordnung, Auffangstreitwert mangels tragfähiger Rückschlussgrundlage für Bezifferung des wirtschaftlichen Werts des Streitgegenstands.

Aktenzeichen  14 C 21.1528

Datum:
8.11.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36673
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 52 Abs. 1, 2

 

Leitsatz

Im Zusammenhang mit naturschutzrechtlichen Ersatzpflanzungsanordnungen setzen ein Rückgriff auf § 52 Abs. 1 GKG und eine gerichtliche Schätzung nach dieser Vorschrift eine tragfähige Grundlage für einen Rückschluss auf den wirtschaftlichen Wert des Klageziels voraus, die aufgrund hinreichender sachlicher Faktoren eine betragsmäßige Schätzung – und nicht nur eine frei gegriffene Annahme – derart erlaubt, dass die Bedeutung der Sache in einem ziffernmäßigen Geldbetrag ausgedrückt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2021 – 14 C 19.2311 – juris Rn. 4 f. m.w.N.). Fehlt es an genügenden Anhaltspunkten, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG der Auffangwert (5.000 Euro) anzunehmen (BayVGH, B.v. 29.7.2013 – 14 C 13.1370 – NVwZ-RR 2013, 1024 Rn. 3).

Verfahrensgang

M 19 K 21.1456 2021-03-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. März 2021 wird der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht auf 5.000 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Ausgangsrechtsstreit betraf eine auf die naturschutzrechtliche Baumschutzverordnung der Beklagten gestützte Anordnung zum Austausch von Ersatzpflanzungen, wonach vier stark zurückgeschnittene Ersatzpflanzungen (1 Feldahorn und 3 Säulenhainbuchen) gegen vier standortgerechte Bäume der II. Wuchsordnung mit 20/25 cm Stammumfang in 1 m Höhe (keine Formgehölze wie beispielsweise Kugel-/Dachformen; keine Obstbäume) auszutauschen waren.
Gegen diese Ersatzpflanzungsanordnung wurde Anfechtungsklage erhoben und dabei klägerseits ein Streitwert von insgesamt 12.138 Euro angenommen, wozu die anwaltliche Klageschrift zwar einzelne zugrundeliegende Kostenpositionen (Baustelleneinrichtung, Pflanzenlieferung, Pflanzarbeiten [Bestand; Ersatz]) aufschlüsselte, dies jedoch weder mit einer konkreten Kostenrechnung noch mit einem konkreten Kostenvoranschlag belegte.
Noch vor der terminierten mündlichen Kammerverhandlung nahm die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid (mit Bescheid vom 16.10.2020) zurück, woraufhin die Beteiligten den Rechtsstreit mit Schreiben vom 16. und 23. Oktober 2020 für erledigt erklärten und das Verwaltungsgericht mit Einstellungsbeschluss vom 26. Oktober 2020 in Kammerbesetzung unter anderem den Streitwert auf 10.000 Euro festsetzte. Der dagegen eingelegten Streitwertbeschwerde der Beklagten vom 10. November 2020 – die einen Streitwert von 4.000 Euro (1.000 Euro pro Baum) für angemessen hielt, zumal sie selbst für Neupflanzungen auf öffentlichem Grund in Fällen, in denen Ersatzpflanzungen auf dem Grundstück nicht möglich seien, eine Ersatzzahlung in Höhe von 750 Euro pro Baum fordere – half der Berichterstatter der Kammer mit Beschluss vom 8. Dezember 2020 nicht ab, woraufhin der Senat die verwaltungsgerichtliche Streitwertfestsetzung und den zugehörigen Nichtabhilfebeschluss wegen fehlender Zuständigkeit der Kammer mit Beschluss vom 11. März 2021 aufhob und die Sache zur erneuten Entscheidung des gemäß § 87a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 3, 4 VwGO zuständigen Berichterstatters an das Verwaltungsgericht zurückverwies.
Das Verwaltungsgericht setzte im Gefolge mit Berichterstatterbeschluss vom 30. März 2021 den Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000 Euro fest. Dagegen hat die Beklagte die vorliegende Streitwertbeschwerde eingelegt, die sie unter anderem damit begründet, die Kostenangaben der Klägerin seien eine reine Selbsteinschätzung ohne Kostenvoranschlag. Auch handele es sich in der Sache um überdurchschnittlich hohe Kosten, die nicht zu Lasten der Beklagten gehen könnten, aus deren Sicht bei drei Säulenhainbuchen und einem Feldahorn mit Anschaffungskosten von je 750 €, zusammen also ca. 3.000 Euro, zu rechnen sei. Für den Austausch und die Neupflanzung der Bäume sehe sie Kosten i.H.v. ca. 1.000 Euro als realistisch an, sodass sich zusammen mit den Anschaffungskosten ein Gesamtbetrag von 4.000 Euro ergebe, wobei die Beklagte sich auf den Senatsbeschluss vom 29. Juli 2013 – 14 C 13.1370 – (NVwZ-RR 2013, 1024) bezieht und der Ansicht ist, es sei nicht einsichtig, dass sich seither die Kosten für Baumpflegefirmen in den letzten acht Jahren fast vervierfacht haben sollten, wovon das Verwaltungsgericht aber auszugehen scheine. Der Streitwertbeschwerde der Beklagten half der Berichterstatter mit Beschluss vom 19. Mai 2021 nicht ab, wobei er unter anderem auf seinen Nichtabhilfebeschluss vom 8. Dezember 2020 Bezug nahm, in dem auf den Senatsbeschluss vom 29. Juli 2013 – 14 C 13.1370 – (NVwZ-RR 2013, 1024) aufgrund des Alters dieser Entscheidung und der zwischenzeitlich gestiegenen Handwerkerkosten nicht zurückgegriffen worden war.
Mit Beschluss vom 17. August 2021 hat der Berichterstatter des Senats das Beschwerdeverfahren nach entsprechender Anhörung der Beteiligten dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen. Zuvor war klägerseits im anwaltlichen Schriftsatz vom 26. Juli 2021 anlässlich der besagten Anhörung unter anderem ausgeführt worden, aktuell seien die Bäume auf dem Grundstück ca. sieben bis neun Meter hoch, wobei vergleichbare Bäume pro Baum deutlich mehr als 4.500 Euro kosten würden, sodass allein der Kaufpreis für drei gleichgewachsene Bäume (ohne sonstige Arbeiten) sich hier schon auf rund 13.500 Euro beliefe, die Maßnahmen sich wirtschaftlich also eher auf einen Betrag von 20.000 bis 30.000 Euro summieren würden. Hierzu wurde eine Internetfundstelle bezeichnet und daraus eine Preisangabe in den anwaltlichen Schriftsatz kopiert, wobei für Bäume von 700 bis 800 cm sowie von 600 bis 700 cm Preise von jeweils über 4.500 Euro und für Bäume von 600 bis 800 cm ein Preis von über 4.800 Euro angegeben waren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, auf die Gerichtsakten des vorangegangenen Klageverfahrens und des zugehörigen ersten Streitwertbeschwerdeverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
1. Über die Streitwertbeschwerde hat gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG der Spruchkörper zu entscheiden, weil der im Ausgangspunkt als Einzelrichter zuständige Berichterstatter (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG) das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 17. August 2021 dem Senat übertragen hat.
2. Die gemäß § 68 Abs. 1 GKG zulässige Beschwerde ist nur insoweit begründet, als der vom Verwaltungsgericht festgesetzte Streitwert den Auffangstreitwert von 5.000 Euro (§ 52 Abs. 2 GKG) überschreitet.
2.1. Eine Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 1 GKG kommt vorliegend nicht in Betracht, und zwar weder im Wege der Überschreitung des Auffangwerts – wie vom Verwaltungsgericht und klägerseits darüber noch hinausgehend angenommen – noch im Wege der Unterschreitung – wie von der Beklagten vorgetragen, die im Ergebnis 4.000 Euro für sachgerecht hält.
2.1.1. Zwar kann sich in Streitigkeiten über die naturschutzrechtliche Anordnung von Ersatzpflanzungen die Festsetzung des Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG und damit nach der Höhe der konkreten Ersatzpflanzungskosten richten (BayVGH, B.v. 29.7.2013 – 14 C 13.1370 – NVwZ-RR 2013, 1024 Rn. 3) und räumt § 52 Abs. 1 GKG dem Gericht Ermessen ein. Jedoch setzen eine solcher Rückgriff auf § 52 Abs. 1 GKG und eine gerichtliche Schätzung nach dieser Vorschrift eine tragfähige Grundlage für einen Rückschluss auf den wirtschaftlichen Wert des Klageziels voraus, die aufgrund hinreichender sachlicher Faktoren eine betragsmäßige Schätzung – und nicht nur eine frei gegriffene Annahme – derart erlaubt, dass die Bedeutung der Sache in einem ziffernmäßigen Geldbetrag ausgedrückt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2021 – 14 C 19.2311 – juris Rn. 4 f. m.w.N.). Fehlt es an genügenden Anhaltspunkten, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG der Auffangwert (5.000 Euro) anzunehmen (BayVGH, B.v. 29.7.2013 – 14 C 13.1370 – NVwZ-RR 2013, 1024 Rn. 3).
2.1.2. Für die vom Verwaltungsgericht und klägerseits angenommene, den Auffangwert überschreitende Höhe des Streitwerts fehlen vorliegend „genügende Anhaltspunkte“, weswegen ein entsprechender Rückgriff auf § 52 Abs. 1 GKG ausscheidet.
Die in der Klageschrift vom 2. Oktober 2019 (dort S. 3) dargestellte Auflistung von Kostenpositionen ist nicht belegt, und zwar weder durch eine konkrete Rechnung noch durch einen Vertrag oder auch nur durch einen Kostenvoranschlag. Es handelt sich insoweit um reinen Parteivortrag, der zwar detailliert sein mag, jedoch keinen „genügenden Anhaltspunkt“ über den wirtschaftlichen Wert des Streitgegenstands bietet.
Die in den klägerischen Schriftsatz vom 26. Juli 2021 (dort S. 4) kopierte Kostenübersicht aus dem dort mit Internetfundstelle benannten Online-Pflanzenvertrieb knüpft an Parametern an, die nicht auf die Vorgaben der streitgegenständlichen Ersatzpflanzungsanordnung bezogen sind. Während nämlich die Ersatzpflanzungsanordnung der Beklagten Bäume „mit 20/25 cm Stammumfang in 1 m Höhe“ vorgab, knüpft die im besagten klägerischen Schriftsatz vorgenommene Auswahl an die „Höhe“ der vorhandenen Bäume an und wählt auf der Internetseite des Online-Pflanzenvertriebs Rubriken für Solitärpflanzen mit einer Höhe von 700-800 cm, 600-700 cm bzw. 600-800 cm aus, was aber mit dem für den Bescheid maßgeblichen Kriterium des „Stammumfangs“ nicht unmittelbar korreliert. Auch aus diesen Daten lassen sich mithin keine hinreichenden Anhaltspunkte für den gerade mit dem streitgegenständlichen Bescheid verbundenen wirtschaftlichen Wert ersehen. Das gilt erst recht für die in diesem Zusammenhang aufgestellte klägerische These von Gesamtkosten über 20.000 bis 30.000 Euro, zumal für die mit den Pflanzungsarbeiten zusammenhängenden Kosten keinerlei Belege aktenkundig sind.
2.1.3. Genügende Anhaltspunkte fehlen aber auch für die von der Beklagten angenommene, den Auffangwert unterschreitende Höhe des Streitwerts, sodass auch insoweit ein Rückgriff auf § 52 Abs. 1 GKG ausscheidet.
Nicht berufen kann sich die Beklagte auf den Senatsbeschluss vom 29. Juli 2013 -14 C 13.1370 – (NVwZ-RR 2013, 1024). Denn es war – im Gegensatz zum vorliegenden Fall – seinerzeit eine Rechnung aktenkundig, sodass sich aus dem damaligen Sach- und Streitstand gerade Anhaltspunkte für den wirtschaftlichen Wert der Ersatzpflanzungen ergaben (BayVGH, B.v. 29.7.2013 a.a.O. Rn. 4). Erst angesichts dessen konnte der Senat seinerzeit auf § 52 Abs. 1 GKG zurückgreifen, nur deshalb war nach dieser Norm sein Ermessen eröffnet und nur vor diesem Hintergrund ist der seinerzeitige Rückgriff auf die dort genannte Senatsrechtsprechung (BayVGH, B.v. 22.4.2013 – 14 ZB 12.2092 – juris Rn. 12) zu sehen, die noch dazu die Besonderheit aufweist, dass dem damaligen Adressaten im Bescheid explizit die Wahl gelassen worden war, anstatt einer Ersatzpflanzung von acht Bäumen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 8.000 Euro zu leisten (vgl. den Tatbestand des dem Senatsbeschluss vom 22.4.2013 vorangegangenen Urteils des VG München vom 11.7.2012 – M 9 K 11.5628 – BeckRS 2012, 56652).
Weil der vorliegend streitgegenständliche Bescheid aber gerade keine derartige kostenmäßig bezifferte Wahlmöglichkeit vorsieht, ist auch der Hinweis der Beklagten auf die von ihr selbst geforderten Kosten für Ersatzpflanzungen auf öffentlichem Grund vorliegend nicht geeignet, genügende Anhaltspunkte für einen Rückgriff auf § 52 Abs. 1 GKG zu begründen.
2.2. Somit bestimmt sich – mangels Einschlägigkeit des § 52 Abs. 1 GKG (siehe 2.1.2. und 2.1.3.) – der Streitwert nach § 52 Abs. 2 GKG (siehe 2.1.1.) und ist der Auffangwert (5.000 Euro) festzusetzen sowie die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.
3. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und über dessen Streitwert ist nicht veranlasst. Das Streitwertbeschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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