Kosten- und Gebührenrecht

Streitwertfestsetzung bei Klage eines Enteignungsbetroffenen

Aktenzeichen  M 2 K 15.962

Datum:
7.2.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146422
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 52 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 3 S. 3, S. 4

 

Leitsatz

1 Wendet sich ein Enteignungsbetroffener sowohl (vor den Verwaltungsgerichten) gegen die Enteignung an sich als auch (im ordentlichen Rechtsweg) gegen eine seiner Auffassung nach zu gering bemessene Geldentschädigung, ist regelmäßig der halbe amtlich ermittelte Verkehrswert des Grundstücks als Streitwert zu Grunde zu legen (Anschluss an BayVGH BeckRS 2012, 54749). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es erscheint nicht angebracht, die Enteignungsentschädigung bei der Bewertung der Interessen des Klägers nicht zu berücksichtigen, und dadurch auch sein Kostenrisiko bei der Rechtsverteidigung gegen einen Eingriff in sein Eigentum zu erhöhen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 84.427,- festgesetzt.

Gründe

Die Klagepartei hat am … Januar 2017 die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Gegenpartei hat bereits vorab am 05. Dezember 2016 der Erledigung zugestimmt. Das Verfahren ist daher in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Billigem Ermessen entspricht es im vorliegenden Fall, die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen, da er den streitgegenständlichen Enteignungsbeschluss zurückgenommen und das Enteignungsverfahren eingestellt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Der Ansatz von 50% der im Enteignungsbeschluss vom 10. Februar 2015 festgelegten Geldentschädigung begründet sich wie folgt:
„In der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 30.1.2012 – 22 C 11.2830 – juris, B.v. 28.7.2003 – 8 C 03.689 – juris) wird in Fallgestaltungen wie der Vorliegenden, in denen sich ein Enteignungsbetroffener sowohl (vor den Verwaltungsgerichten) gegen die Enteignung an sich als auch (im ordentlichen Rechtsweg) gegen eine seiner Auffassung nach zu gering bemessene Geldentschädigung wendet, regelmäßig der halbe amtlich ermittelte Verkehrswert des Grundstücks als Streitwert zu Grunde gelegt.“
Dem Klägerbevollmächtigten ist zuzugeben, dass die hierfür in den vorgenannten Beschlüssen hauptsächlich gegebene Begründung fraglich erscheint, wenn davon ausgegangen wird, ein Kläger müsse anderenfalls damit rechnen, dass sowohl im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als auch im parallelen Zivilprozess jeweils der volle Wert des Grundstücks für den Streitwert in Ansatz gebracht werde. Zutreffend legt der Klägerbevollmächtigte im Schriftsatz vom … Januar 2017 dar, dass sich der Streitwert im Zivilprozess lediglich nach der über die bereits festgesetzte Entschädigung hinaus zusätzlich begehrten Entschädigung bemessen dürfte, die regelmäßig – und auch im vorliegenden Fall – nicht die Hälfte des amtlich ermittelten Verkehrswert erreichen dürfte.
Festzuhalten ist auch, dass von der vorgenannte Rechtsprechung zum Ansatz des halben amtlich ermittelten Verkehrswerts teilweise abgewichen wurde, möglicherweise im Hinblick auf einen in diesen Verfahren nicht oder nicht erkennbar betriebenen oder auch bereits abgeschlossenen Zivilprozess um die Entschädigungshöhe (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2016 – 8 ZB 15.951 – juris; U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – juris).
Jedenfalls im Ergebnis folgt der Berichterstatter dennoch der eingangs dargestellten Auffassung, jedoch aus den nachfolgenden Gründen, die in einer älteren Entscheidung (BayVGH, B.v. 8.5.1984 – 9 C 81 A.959 – BayVBl 1984, 507) überzeugend gegeben wurde: Danach würde bei einem Rechtsstreit mit dem Ziel, jede Änderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse zu verhindern, der Ansatz des vollen Verkehrswerts als Streitwert dem Umstand nicht gerecht, dass dem Enteignungsbetroffenen ein Anspruch auf angemessene Entschädigung nach Art. 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 GG zusteht. Es erscheint nicht angebracht, diesen Vermögensausgleich bei der Bewertung der Interessen des Klägers nicht zu berücksichtigen, und dadurch auch sein Kostenrisiko bei der Rechtsverteidigung gegen einen Eingriff in sein Eigentum zu erhöhen. Andererseits fällt es schwer, bei derartiger Fallgestaltung objektive Anhaltspunkte für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger zu finden. Unter diesen Umständen hält es der Senat aus Gründen der Praktikabilität für ermessensgerecht, grundsätzlich den halben Verkehrswert der enteignungsbetroffenen Sache als Streitwert anzusetzen.
Diese Begründung wird sowohl der Argumentation der Klägerseite als auch der Tatsache gerecht, dass der Kläger im Vollzug des Enteignungsbeschlusses wirtschaftlich betrachtet nicht den vollen Wert seines Grundstücks verlieren würde, sondern nur den – finanziell nicht exakt messbaren – Nachteil erleiden würde, statt seines schwierig oder auch gar nicht gleichwertig zu ersetzenden Grundvermögens nunmehr nur noch über Geldvermögen in Höhe der zugesprochenen Entschädigung zu verfügen.


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