Kosten- und Gebührenrecht

Teilweise erfolgreiche Beschwerde gegen Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Gewährung von Abschiebungsschutz

Aktenzeichen  10 C 16.2189

Datum:
19.4.2017
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123, § 146 Abs. 1, § 166 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 2, § 60a Abs. 2
ZPO ZPO § 114 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der Gewährung von Prozesskostenhilfe, die grundsätzlich für die Zukunft bewilligt wird, steht nicht entgegen, dass das Eilverfahren nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien in der Hauptsache erledigt ist, also insoweit eine weitere Rechtsverfolgung zum heutigen Tage gerade nicht mehr beabsichtigt ist. Denn ein Kläger kann seinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem solchen Fall ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, wenn der Prozesskostenhilfeantrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (BayVGH BeckRS 2015, 41000). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens ist derjenige der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife (BeckRS 2017, 108392). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 S. 1 VwGO iVm § 118 Abs. 1 S. 1 ZPO) ein (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 41719). (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Es spricht Vieles dafür, einem Ausländer trotz bestehender vollziehbarer Ausreisepflicht im Hinblick auf den kurzen Zeitraum bis zur Geburt seines deutschen Kindes Abschiebungsschutz zu gewähren, wenn seine Wiedereinreise bei Durchführung des geforderten Visumverfahrens erst nach dem errechneten Zeitpunkt der Geburt des Kindes möglich sein würde (vgl. OVG Bln-Bbg BeckRS 2010, 54782). (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Ein zumindest zeitweise andauernder unerlaubter Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet begründet grundsätzlich ein Ausweisungsinteresse im Sinn von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, auch wenn von diesem Negativerfordernis im Rahmen des Erlaubnisverfahrens nach Ermessen abgesehen werden kann (vgl. § 27 Abs. 3 S. 2 AufenthG). In diesem Fall besteht jedoch der für die Anwendung von § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorausgesetzte strikte Rechtsanspruch, der jegliche behördliche Ermessensausübung vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausschließt, nicht mehr (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 41159). (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 6 S 16.1260 2016-10-06 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Unter teilweiser Abänderung von Ziffer IV. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Oktober 2016 wird dem Kläger Prozesskostenhilfe für den im Verfahren Au 6 S 16.1260 hilfsweise gestellten Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO bewilligt und Rechtsanwalt H.-P. N., Saarlouis, beigeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, trägt der Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Gebühr wird auf 40 Euro ermäßigt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der der Kläger und Antragsteller (im Folgenden: Kläger) seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für die noch in erster Instanz anhängige Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Au 6 K 16.1259) sowie für das (inzwischen erledigte) Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Au 6 S. 16.1260) weiterverfolgt, ist zulässig; sie ist jedoch nur hinsichtlich des im letztgenannten Verfahren gestellten Hilfsantrags begründet, weil nur insoweit die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorliegen (1.). Diese Voraussetzungen liegen hingegen nicht für das Klageverfahren und den Hauptantrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor, sodass die Beschwerde insoweit zurückzuweisen ist (2.).
1. Die Rechtsverfolgung des Klägers im Verfahren Au 6 S. 16.1260 hat im Hinblick auf den Antrag, dem Beklagten und Antragsgegner (im Folgenden: Beklagter) vorläufig die Abschiebung des Klägers in den Kosovo zu untersagen, nach der Sach- und Rechtslage zum für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten.
Der Gewährung von Prozesskostenhilfe, die grundsätzlich für die Zukunft bewilligt wird, steht zunächst nicht schon entgegen, dass das Eilverfahren nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien in der Hauptsache erledigt ist, also insoweit eine weitere Rechtsverfolgung zum heutigen Tage gerade nicht mehr beabsichtigt ist. Denn ein Kläger kann seinen Anspruch auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe in einem solchen Fall ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, wenn der Prozesskostenhilfeantrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 7.1.2015 – 10 C 14.895 – juris Rn. 10). Dies war hier der Fall.
Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten derjenige der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. etwa BayVGH, B.v. 10.2.2016 – 10 C 15.2685 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14). Danach ist die Entscheidungsreife nicht bereits mit der Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 16. September 2016, sondern erst mit der Stellungnahme des Beklagten zu den beiden Verfahren mit Schriftsatz vom 29. September 2016 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt bot die Rechtsverfolgung des Klägers im (inzwischen erledigten) Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (nur) mit seinem Hilfsantrag hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Hinreichende Erfolgsaussicht besteht dann, wenn das Gericht den Standpunkt des Klägers nach dessen eigener Sachdarstellung für zutreffend oder zumindest vertretbar hält, wobei es ausreicht, dass ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen, der Erfolg also bei summarischer Prüfung offen ist; andererseits darf die Prozesskostenhilfe verweigert werden, wenn nur eine entfernte oder bloß theoretische Erfolgschance in der Hauptsache besteht (Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 64). Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen; das Verfahren der Bewilligung von Prozesskostenhilfe will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen. Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darf einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 8.7.2016 – 2 BvR 2231/13 – juris Rn. 10).
Gemessen daran kam dem auf Aussetzung der Abschiebung gerichteten Antrag nach § 123 Abs. 1, 5 VwGO hinreichende Erfolgsaussicht zu. Sie ergibt sich daraus, dass der Beklagte unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und seiner Pflicht, die aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der Vaterschaft des Klägers zu berücksichtigen, voraussichtlich gehalten war, den weiteren Verbleib des Klägers zumindest bis zu dem Zeitpunkt zu dulden, zu dem seine deutsche Ehefrau im März 2017 das gemeinsame Kind zur Welt bringen sollte. Der Kläger hatte auch nachgewiesen, dass seine bisherigen Bemühungen um den Erhalt eines Termins bei der Deutschen Botschaft in Prishtina zur Vorsprache wegen der Erteilung eines Visums zum Familiennachzug aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen bisher erfolglos geblieben waren. Erst am 9. März 2017 hat er schließlich einen Termin für den 15. Juni 2017 erhalten, woraufhin ihm der Beklagte eine zur Erledigung des Eilverfahrens führende Duldung ausgestellt hat. Vieles sprach jedoch dafür, dem Kläger trotz der bestehenden vollziehbaren Ausreisepflicht im Hinblick auf den kurzen Zeitraum bis zur Geburt seines deutschen Kindes Abschiebungsschutz zu gewähren, nachdem seine Wiedereinreise bei Durchführung des geforderten Visumverfahrens erst nach dem errechneten Zeitpunkt der Geburt des Kindes möglich gewesen wäre (vgl. a. OVG BB, B.v. 30.3.2009 – OVG 12 S. 28.09 – juris Rn. 5 m.w. Rspr-Nachweisen).
Soweit danach die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen, ist dem Kläger nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO sein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beizuordnen.
2. Im Übrigen bleibt die Beschwerde erfolglos, weil das Verwaltungsgericht insoweit zu Recht von fehlenden Erfolgsaussichten der Rechtsmittel ausgegangen ist.
2.1 Der im Verfahren Au 6 S. 16.1260 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO verfolgte Hauptantrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keine hinreichende Erfolgsaussicht. Der bei Erlass der Abschiebungsandrohung in Folge der Ablehnung seines Asylantrags bereits vollziehbar zur Ausreise verpflichtete Kläger, dessen im August 2015 gestellter Antrag auf Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3, 4 AufenthG nicht ausgelöst hat, macht in der Sache ausschließlich Duldungsgründe im Sinn von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote geltend; die geltend gemachten Duldungsgründe berühren die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht (vgl. § 59 Abs. 3 AufenthG).
2.2 Auch im Hinblick auf den im Verfahren Au 6 K 16.1259 erhobenen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besteht keine hinreichende Erfolgsaussicht. Der ohne das erforderliche Visum eingereist der Kläger erfüllt voraussichtlich nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, unter denen von der Durchführung des Visumverfahrens abgesehen werden könnte. Denn vor dem Hintergrund des vom Verwaltungsgericht angenommenen, ab 5. Mai bis mindestens 31. August 2016 andauernden unerlaubten Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet besteht grundsätzlich ein Ausweisungsinteresse im Sinn von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, auch wenn von diesem Negativerfordernis im Rahmen des Erlaubnisverfahrens nach Ermessen abgesehen werden kann (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Damit besteht jedoch nicht mehr der für die Anwendung von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorausgesetzte strikte Rechtsanspruch, der jegliche behördliche Ermessensausübung vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausschließt (stRspr, BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – juris). Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist demnach nicht zu beanstanden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr von 60 Euro anfällt. Da die Beschwerde jedoch teilweise Erfolg hat, ermäßigt der Senat nach pflichtgemäßem Ermessen die Gebühr auf 40 Euro.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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